24. April 2023
Das historische Ergebnis der österreichischen Kommunisten bei der Salzburger Landtagswahl beweist vor allem eines: Klassenpolitik ist massentauglich – auch in vermeintlich konservativen Regionen.
Kay-Michael Dankl am gestrigen Wahlabend, 23. April 2023.
IMAGO / Manfred SiebingerAm Sonntag, den 23. April, wurde die politische Landschaft Österreichs von einem regelrechten Erdbeben erschüttert. Bei der Wahl zum Landtag im konservativ-rechtspopulistisch-dominierten Bundesland Salzburg gewann die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) 11,7 Prozent und 31.000 der abgegebenen Stimmen. Damit landete die Partei hinter der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP, 30,4 Prozent), der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ, 25,7 Prozent) und der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ, 17,9 Prozent) auf Platz vier – und damit vor den Grünen (8,2 Prozent) sowie den wirtschaftsliberalen NEOS (4,2 Prozent), die die 5-Prozent-Hürde und damit den Wiedereinzug in den Landtag verpassten.
Dieses Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht beachtlich. Das letzte und bislang einzige Mal, dass die KPÖ bei einer Salzburger Landtagswahl überhaupt ein Mandat errang, war im Jahr 1945. Das schaffte sie damals mit einem bescheidenen Stimmenanteil von 3,8 Prozent. In den meisten Salzburger Landtagswahlen seit 1945 knackten die Kommunisten nicht mal die 1-Prozent-Marke – wenn sie denn überhaupt antraten. Bei der letzten Salzburger Landtagswahl im Jahr 2018 erhielten sie bloß 0,4 Prozent und 1.000 Stimmen.
Der jüngste Erfolg der KPÖ ist aber nicht nur für das Land Salzburg historisch beispiellos. Denn vor Sonntag hatte die Partei noch nie bei einer österreichischen Landtagswahl einen zweistelligen Prozentsatz der Stimmen erringen können. Selbst in der Steiermark – seit Jahrzehnten dem einzigen österreichischen Bundesland, wo die Kommunisten auf Landesebene überhaupt vertreten sind – gewannen sie bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2019 6 Prozent der Stimmen und damit 2 Mandate. Nun werden sie im nächsten Salzburger Landtag wahrscheinlich über 4 der 36 Sitze verfügen.
Auch in der Landeshauptstadt Salzburg konnte die KPÖ ein starkes Ergebnis erzielen. Dort landete sie nur 3 Prozentpunkte hinter der ÖVP auf Platz zwei mit 21,5 Prozent der Stimmen. Damit nähert sich die Partei an ihre außergewöhnliche Stärke in der steirischen Hauptstadt Graz an, wo die Grazer KPÖ-Chefin Elke Kahr bei der Gemeinderatswahl im Jahr 2021 mit 28,8 Prozent der Stimmen einen Überraschungssieg erringen konnte und nun als einzige kommunistische Bürgermeisterin eine europäische Großstadt regiert. Da die nächste Salzburger Gemeinderatswahl schon für 2024 geplant ist, wird in den Medien bereits darüber spekuliert, ob in naher Zukunft sogar eine zweite österreichische Landeshauptstadt kommunistisch regiert werden könnte.
Viele Analysen zur kommunistischen Überraschung aus dem Land Salzburg konzentrieren sich auf den jungen, charismatischen Spitzenkandidaten der KPÖ, den 34-jährigen Historiker und Museumsführer Kay-Michael Dankl. Dieser spreche den Menschen aus der Seele und habe vor allem viele Stimmen von denjenigen gewinnen können, die sich nicht von der Politik vertreten fühlen, so die ersten Reaktionen am Wahlabend.
Dass der gebürtige Salzburger Dankl sich aber überhaupt als Kommunist zur Wahl stellen würde, war einst keineswegs selbstverständlich. Dankls politische Karriere begann bei der Studentenorganisation der Grünen, wo er sich während seines Studiums an der Uni Salzburg engagierte. Danach war er 2015–17 Obmann der Grünen Bildungswerkstatt Salzburg sowie Bundessprecher der Jungen Grünen, der damaligen Jugendorganisation der Mutterpartei. Als die Jungen Grünen in den Monaten vor der Nationalratswahl 2017 den Mangel an Klassenpolitik und interner Demokratie innerhalb der Partei kritisierten, wurden sie kurzerhand rausgeschmissen.
Anstatt daraufhin aufzugeben, schlossen sich Dankl und die Jungen Grünen der KPÖ an und machten mit den Dunkelroten Wahlkampf im Rahmen des Bündnisses KPÖ PLUS (Plattform Unabhängige und Solidarische). Damals hatte die KPÖ kaum mehr als ein paar tausend, meist ältere Mitglieder und keinerlei bundesweite Relevanz. Zwar trat die Partei immer wieder bei Nationalratswahlen an, konnte jedoch selten mehr als 1 Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Zwischen den Wahlen war außerhalb der Steiermark nicht viel los, abgesehen von dem einen oder anderen Treffen oder Stammtisch bei den noch aktiven Ortsgruppen.
Dennoch schien die KPÖ den jungen Aktivistinnen und Aktivisten einen geeigneten Organisationsrahmen für Klassenpolitik zu bieten. Und in Anbetracht des sich abzeichnenden Rechtsrucks – der sich mit dem Sieg des ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz bei der Nationalratswahl 2017 und der Bildung einer konservativ-rechtspopulistischen Koalitionsregierung unter ihm tatsächlich vollziehen sollte – betrachteten sie genau diese Art von Politik als das Gebot der Stunde: Der damaligen Analyse von Dankl und anderen Jungen Grünen zufolge könne »nur mit einer starken Bewegung von unten der Rechtsruck in Österreich gestoppt werden«.
2017 konnte das Bündnis KPÖ PLUS nur 0,7 Prozent erzielen. Doch der Wahlkampf hatte zwischen dem alten, kommunistischen Kader und den jungen, motivierten Aktivistinnen und Aktivisten einen Lernprozess angestoßen. Die Weichen für eine künftige Zusammenarbeit wurden gestellt. Wenig später im Jahr 2018 wurde aus den Jungen Grünen die Junge Linke. Seither wird die Organisation finanziell von der KPÖ unterstützt und agiert de facto als Jugendorganisation der Partei. In den letzten Jahren sind auch viele derzeitige und ehemalige Mitglieder der Jungen Grünen beziehungsweise der Jungen Linken – unter anderem Kay-Michael Dankl – der KPÖ beigetreten. Die Zusammenführung dieser Milieus – das Wissen und die Erfahrung der alten Generation in Verbindung mit der Energie und dem Enthusiasmus der jungen – bildet das Fundament einer neuen linken Kraft, die in Österreich dringend gebraucht wird, und deren langjährige Arbeit nun Früchte trägt.
Die neuen KPÖ-Aktivistinnen und -Aktivisten aus Kreisen der Jungen Grünen/Linken kommen nicht mehrheitlich aus der Steiermark. Da die meisten unter ihnen zu jung sind, um die Grabenkämpfe der 1990er Jahre zwischen der steirischen Landesorganisation und der Bundespartei selbst erlebt zu haben, konnten sie sich unbefangener am deutlich erfolgreicheren politischen Kurs der steirischen Genossen orientieren. Dieses Modell basiert vor allem auf einem klaren Fokus auf Themen, die das tägliche Leben aller arbeitenden Menschen betreffen. Die Unterstützung in diesen Belangen wurde darüberhinaus auch zwischen Wahlkämpfen auf sehr konkreter, persönlicher Ebene aufrechterhalten.
Genau diesem Modell ist Kay-Michael Dankl seit dem Jahr 2019 in Salzburg gefolgt, als er zur Gemeinderatswahl in Salzburg-Stadt antrat. Ähnlich wie der ehemalige KPÖ-Wohnungsstadtrat Ernest Kaltenegger in den 1980er Jahren in Graz fokussierte sich auch Dankl vorwiegend auf das Thema Wohnen – eine naheliegende Entscheidung angesichts der Tatsache, dass Salzburg die zweithöchsten Mietpreisen aller österreichischen Städte hat. Damit gewann er 3,7 Prozent der Stimmen und schaffte den Einzug in den Gemeinderat mit einem Mandat. Diese Strategie basiert auf der schlichten Erkenntnis, dass die Partei mit diesem Thema einen Keil durch die Landespolitik treiben und vor allem auch außerhalb der immer weiter schwindenden linken Stammwählerschaft auf starke Sympathien bauen kann.
Als einziger kommunistischer Gemeinderat der Salzburger Hauptstadt legt Dankl viel Wert auf Basisarbeit und persönlichen Kontakt zu seiner Wählerschaft. In regelmäßige Sprechstunden können Menschen zu ihm kommen, um ihre alltäglichen Probleme zu besprechen. Von den 1.800 Euro, die er jeden Monat als Gemeinderat verdient, gibt er 400 Euro an einen Sozialfonds ab, der zur finanziellen Unterstützung von Menschen in Not angelegt wurde.
Diese Praxis wird von manchen Linken als eine Art Charity kritisiert, die nichts mit Politik zu tun habe. Tatsächlich ist dieses Vorgehen allerdings eher als propagande par le fait – als Propaganda der Tat – zu verstehen: Indem man anderen Menschen aus seinen eigenen Ressourcen konkrete Hilfe anbietet, beweist man seine eigene Glaubwürdigkeit und schafft Vertrauen. Und obwohl diese Hilfe noch lange keine strukturelle Veränderung bewirken wird, erfährt man dadurch als Politikerin oder Politiker ganz konkret, welche strukturellen Veränderungen überhaupt angegangen werden müssen. Und das wiederum beeinflusst letztendlich die spezifischen Forderungen eines Wahlprogramms, wie etwa das der KPÖ in Salzburg.
Durch diese Art konkreter Unterstützung sowie einen anhaltenden Fokus auf das Thema leistbares Wohnen im Salzburger Gemeinderat ist es Dankl in den letzten vier Jahren gelungen, sich als als glaubhafter Interessenvertreter der einfachen Leute zu profilieren. Auch wenn er und seine Partei noch weit davon entfernt sind, die breite Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher zu organisieren, haben sie in den letzten Jahren bewiesen, dass es auch in einem konservativen Land möglich ist, durch gezielte Klassenpolitik Kräfte für ein linkes Projekt zu gewinnen, das Reformen im Hier und Jetzt mit der Vision einer anderen Gesellschaft vereint. Man kann nur hoffen, dass sich auch linke Parteien anderswo daran ein Beispiel nehmen.