19. Oktober 2021
Bitcoin und Co. versprechen, die Probleme unseres Geldsystems zu lösen – aber das kann nur eine Demokratisierung des Finanzwesens leisten.
Kryptowährungen wie Bitcoin machen unser Finanzsystem nicht demokratischer, sondern Reiche noch reicher.
Kryptowährungen werden von vielen Ökonominnen und Anlegern als reine Spekulationsobjekte abgetan – und das mit gutem Recht. Mit täglichen Kursschwankungen von bis zu 16 Prozent nach oben und mehr als 18 Prozent nach unten ist Bitcoin – die bekannteste unter den Kryptowährungen – eine der unsichersten Anlagen auf dem Markt.
Und doch wird Bitcoin von einigen als die ultimative Wertanlage und eine Alternative zur Investition in Gold gepriesen, während andere sogar so weit gehen zu behaupten, er sei die Lösung für unser kaputtes Finanzsystem. Cathie Wood, Geschäftsführerin des Risikokapitalfonds ARK Invest, behauptet, dass Bitcoin »die Versicherung gegen eine aus den Fugen geratene Geldpolitik und die wachsende Vermögensungleichheit in einigen Ländern darstellt«, während Simon Dixon, seines Zeichens Geschäftsführer der digitalen Investment-Plattform BnkToTheFuture, in Kryptowährungen eine Alternative zu den unverantwortlichen Praktiken der Kreditvergabe der üblichen Geschäftsbanken sieht.
Im Gegensatz zu vielen Krypto-Fans, die Geldschöpfung vereinfachend als Aufgabe der Regierung betrachten, weist Dixon zu Recht darauf hin, dass diese eher im Ermessen der Geschäftsbanken liegt. Diese Banken schaffen durch Darlehen und Hypotheken in einem unverhältnismäßig höheren Maße Kredite, als sie Bargeld oder Zentralbankreserven anhäufen, und tragen so zu einer schnell wachsenden Geldmenge bei. Indem sie einen Überschuss an Geld auf den Märkten erzeugen, blähen sie wiederum Finanzanlagen und Immobilienpreise auf. Der Mythos der Geldschöpfung durch Regierungen ist der Kern der Krypto-Ideologie.
Die Kryptowährung als politisches Projekt hat seine ideologischen Wurzeln in der sogenannten österreichischen Schule. Ökonomen wie Milton Friedman und sein berüchtigter Leitsatz, dass »Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen« ist, stehen für diese Denkschule. Nach ihr sind staatliche Eingriffe die Ursache allen wirtschaftlichen Übels; Phänomene wie Inflation versteht sie als Folge von Marktverzerrungen, die durch staatliche Eingriffe wie Zinssätze, Steuern und Ausgaben verursacht werden.
Dieser Schule zufolge wird das Finanzsystem, wenn es sich selbst überlassen bleibt und nicht von den Prognosen der Bürokraten in den Zentralbanken oder von steuer- und geldpolitischen Spielereien der Politiker beeinflusst wird, sein Gleichgewicht finden und eine stabilere Wirtschaft hervorbringen. Sie schlägt daher die Rückkehr zu einer Art Goldstandard vor, die der Politik und der Geldschöpfung des Staates Grenzen setzen kann.
An der Behauptung, dass die anhaltend niedrigen Zinssätze in den letzten Jahrzehnten die Inflation der Vermögenspreise angetrieben haben, ist tatsächlich etwas dran.
Allerdings wird die Begrenzung der staatlichen Befähigung zu antizyklischen geldpolitischen Maßnahmen durch einen Goldstandard oft mit noch schwereren Rezessionen in Verbindung gebracht. Wie der ehemalige Präsident der Bank of England, Mervyn King, in seinem Buch Das Ende der Alchemie beschreibt:
»Die Anziehungskraft, die Gold auf viele ausübt – nämlich die Tatsache, dass sein Angebot von den Regierungen nicht ohne weiteres ausgeweitet werden kann –, ist in Wirklichkeit eine ernsthafte Schwäche. In Zeiten einer Finanzkrise kann Papiergeld schnell und einfach geschaffen werden, wenn die Nachfrage nach Liquidität hoch ist; das gilt nicht für das Goldangebot. Fast ausnahmslos wurde der Goldstandard während einer Finanzpanik ausgesetzt.«
Das erste Manko des kryptofanatischen Denkens besteht also darin, dass es verkennt, dass – abgesehen von Krisenzeiten – der Großteil der Geldschöpfung nicht von den Zentralbanken, sondern von den Geschäftsbanken durch die Vergabe von Krediten betrieben wird. Die Kreditschöpfung der Geschäftsbanken verknüpft die Zukunft mit der Gegenwart, indem sie noch nicht geschaffene Werte in die Gegenwart holt, um sie in Kapital zu investieren, das dazu beiträgt, diesen zukünftigen Wert zu schaffen – zum Beispiel durch Geschäftskredite.
Andererseits können Banken auch Ausgaben vorziehen, ohne dass eine entsprechende Wert- oder Kapitalschöpfung erfolgt, zum Beispiel durch Kreditkarten. Auf diese Weise wird kurzfristig eine künstliche Nachfrage geschaffen, die, wenn sie später nicht mit steigenden Einkommen einhergeht, zu einem Rückgang des künftigen Verbrauchs, einer Schrumpfung der Kredite und in der Folge zu einer Rezession führt.
King zufolge besteht das Problem darin, dass »sich der Schwerpunkt des Bankenwesens von der herkömmlichen Kreditvergabe, die eine sorgfältige Beurteilung potenzieller Kreditnehmer vor Ort erfordert, auf den Handel mit Wertpapieren verlagert hat«. Die Schaffung von Krediten ist an und für sich weder gut noch schlecht. Sie hat das Potenzial, Ressourcen in Projekte zu lenken, welche die Lebensverhältnisse von Millionen von Menschen verbessern, stattdessen werden sie aber in spekulative Aktivitäten gelenkt, die den Reichtum in den Händen derer konzentrieren, die ihn bereits besitzen. Es geht also nicht um die Menge des geschaffenen Geldes, sondern darum, nach wessen Ermessen und zu welchem Zweck es geschaffen wird.
Inwiefern können also Kryptowährungen mit ihrer Anti-Inflations-Agenda zur Lösung dieses Problems beitragen? Die Antwort ist: Sie können es nicht. Tatsächlich kann Inflation ein nützliches Mittel zur Umverteilung von Reichtum sein. Wenn nämlich die Löhne und die Kosten für Waren steigen, die Preise für Vermögenswerte jedoch gleich bleiben oder langsamer steigen, erleichtert dies einen Vermögenstransfer von jenen, die ihr Einkommen aus Ersparnissen, Vermögenswerten und Mieten beziehen, hin zu denjenigen, die ihr Einkommen durch Arbeit verdienen. Wenn hingegen die Investitionsrendite höher ist als der durchschnittliche Anstieg der Löhne und des Wachstums, dann trägt dies zu einer weiteren Anhäufung des Reichtums jener bei, die bereits reich sind.
So hat es auch Thomas Piketty in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert dargelegt. Darin hebt er außerdem hervor, dass die Reichen einen viel geringeren Anteil ihres Einkommens ausgeben als normale Leute und dass ihre Ersparnisse zunehmend in unproduktive Finanzspekulation und Renditeextraktion fließen, anstatt in produktives Kapital investiert zu werden, das Arbeitsplätze und die Nachfrage nach Arbeitskräften schafft sowie steigende Löhne ermöglicht. Die Folge sind träges Wachstum und zunehmende Vermögensungleichheit.
Zwar ist das Verständnis des BnkToTheFuture-Vorstands von den Problemen des Bankensystem schon wesentlich differenzierter als das vieler Krypto-Enthusiasten, dennoch geht sein Lösungsvorschlag eines »Bankgeschäfts ohne Mindestreserven« am Problem vorbei. Wie bereits erwähnt, geht es nämlich nicht um die Menge des geschaffenen Geldes, sondern darum, von wem es geschaffen wird. Das ist der entscheidende Faktor bei der Entscheidung, welche Sektoren der Wirtschaft oder Gesellschaft Kredite erhalten werden.
Die Kritik an der lockeren Geldpolitik und ihren negativen Auswirkungen auf die Vermögensungleichheit ist zwar nicht ganz unberechtigt. Es bleibt allerdings unklar, wie Kryptowährungen dieses Problem lösen sollen, indem sie vage für eine Art digitalen Goldstandard plädieren. Die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind – Klimawandel, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und so weiter –, lassen sich durch eine Begrenzung der Geldschöpfung nicht lösen. Es handelt sich vielmehr um eine politische Frage: Wie kann die Geldschöpfung demokratisiert werden?
Mervyn King schlägt vor, die Geldschöpfung wieder in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Zentralbanken zu übertragen, die der Regierung gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Die Debatten über digitale Zentralbankwährungen gehen ebenfalls in diese Richtung. Es gibt jedoch noch radikalere Vorschläge: Was wäre, wenn die Banken nicht mehr Kredite vergeben würden, um Gewinne für die Aktionärinnen und Aktionäre zu erzielen, sondern mit der Absicht, die lokale Wirtschaft zum Wohle der Bevölkerung zu entwickeln, die selbst die Hauptaktionärin dieser Banken wäre?
Genau zu diesem Zweck werden Gemeinschaftsfonds wie das britische Avon Mutual eingerichtet. Regionale Gemeinschaftsbanken sind enger mit der lokalen Wirtschaft verbunden und in Kontinentaleuropa weit verbreitet. Studien zeigen, dass das Modell der Gemeinschaftsbanken das Potenzial hat, bessere wirtschaftliche, ökologische und soziale Ergebnisse für die Regionen zu erzielen, in denen sie tätig sind. Diese Banken sind ein Versuch, das Finanzwesen zu demokratisieren, indem sie nach dem Prinzip »ein Mitglied, eine Stimme« arbeiten, wobei jede Kontoinhaberin ein Mitspracherecht hat, wie die Bank geführt wird und wo sie Kredite vergibt.
John McDonnell, der frühere Schatzkanzler der Labour Party im Schattenkabinett von Jeremy Corbyn, schlug 2019 einen radikalen Umbau des britischen Bankensystems nach einem ähnlichen Modell vor. Er sprach sich für eine langfristige Finanzierungsstrategie für grüne Infrastrukturprojekte und die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen aus. Im Mittelpunkt dieses Systems sollte eine nationale Investitionsbank mit regionalen Tochtergesellschaften stehen. Ideen wie diese haben das Potenzial, mit den Problemen aufzuräumen, denen wir in unserem kaputten und autoritären Bankensystem ausgesetzt sind, das von einigen wenigen oligopolistischen Institutionen beherrscht wird.
Das von den Krypto-Fans vertretene Ideal des »unpolitischen« Geldes ist eine bloße Fantasie: Wie viel, wo und nach wessen Ermessen Geld geschaffen wird, ist eine grundsätzlich politische Entscheidung. Was wir brauchen, ist ein Mechanismus, der normale Leute in geldpolitische Entscheidungen einbezieht, damit sie die Kreditschöpfung zum Nutzen ihrer Städte, Regionen und der Gesellschaft als Ganzer einsetzen können.
Raven Hart ist Mitbegründer der Bristol Cooperative Alliance, einer Organisation, die sich für eine dezentrale Wirtschaft einsetzt, lokale Gemeinschaften stärkt und die demokratische Selbstbestimmung fördert.
Raven Hart ist Mitbegründer der Bristol Cooperative Alliance, einer Organisation, die sich für eine dezentrale Wirtschaft einsetzt, lokale Gemeinschaften stärkt und die demokratische Selbstbestimmung fördert.