14. April 2022
Die Geschichte linken Widerstands gegen den Militarismus ist lang und reicht bis zur Ersten Internationale zurück. Sie ist bis heute wegweisend, um die Ursprünge des Krieges im Kapitalismus zu verstehen und eine entschlossene Opposition dagegen zu begründen.
Rosa Luxemburg war eine der wenigen der Zweiten Internationale, die sich entschieden gegen den Ersten Weltkrieg stellten.
Während die Politikwissenschaft die ideologischen, politischen, wirtschaftlichen und sogar psychologischen Beweggründe des Krieges beleuchtete, hat die sozialistische Theorie die Verbindung zwischen der Entwicklung des Kapitalismus und dem Krieg offengelegt. Die Ablehnung des Krieges hat innerhalb der Linken eine lange Denktradition und die zentralen Positionen sozialistischer Theorien und Organisationen der vergangenen 150 Jahre bieten noch immer eine ausgezeichnete Basis, um den Widerstand gegen die russische Aggression und die Absage an die NATO zu begründen.
Kriege – nicht zu verwechseln mit Revolutionen – hatten selten die demokratisierende Wirkung, die sich Theoretikerinnen und Theoretiker des Sozialismus erhofft hatten. Tatsächlich haben sie sich oft als der schlechteste Weg zur Revolution erwiesen, denn sie gehen mit menschlichem Leid und der Zerstörung der Produktivkräfte einher. Wenn das schon in der Vergangenheit der Fall war, so gilt es heute nur umso mehr angesichts der stetigen Zunahme von Massenvernichtungswaffen.
Die traditionelle Haltung der Arbeiterbewegung geht auf César de Paepe zurück, eine der zentralen Figuren der Ersten Internationale. Dieser war der Auffassung: Kriege sind unter dem Regime der kapitalistischen Produktion unvermeidlich. In unserer heutigen Gesellschaft werden sie nicht durch die Interessen von Monarchen oder anderen individuellen Machthabern ausgelöst, sondern durch das vorherrschende Wirtschaftssystem. Die Arbeiterbewegung vertrat die Überzeugung, dass jeder Krieg als »Bürgerkrieg« zu betrachten sei – also als ein erbitterter Kampf zwischen Arbeitern, der ihnen die Grundlagen zum Überleben entzieht.
Karl Marx hat keine einheitliche oder systematische Position zum Krieg entwickelt. In Band I des Kapitals argumentiert er, Gewalt sei eine ökonomische Kraft und »der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht«. Doch er sah im Krieg keine wesentliche Abkürzung zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. In seiner politischen Tätigkeit verfolgte er immer das Ziel, die Arbeiter zu internationaler Solidarität zu verpflichten.
»Friedrich Engels betonte, dass stehende Heere nicht nur wegen äußerer Bedrohungen aufrechterhalten werden, sondern ebenso oft auch aufgrund innenpolitischer Erwägungen.«
Für Friedrich Engels wiederum war die Frage des Krieges so zentral, dass er ihr eine seiner letzten Schriften widmete. In Kann Europa abrüsten? verweist er darauf, dass jede Großmacht in den vorangegangenen 25 Jahren versucht hatte, ihre Rivalen militärisch zu übertreffen. Das habe dazu geführt, dass die Rüstungsproduktion ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht habe. In Folge darauf stehe Europa nun kurz vor einem »Verwüstungskrieg, wie die Welt noch keinen gesehn hat«.
»Das System der stehenden Heere in ganz Europa auf die Spitze getrieben ist in einem Grad, wo es entweder die Völker durch die Militärlast ökonomisch ruinieren oder in einen allgemeinen Vernichtungskrieg ausarten muß«, so Engels. Er betonte, dass stehende Heere nicht nur aus militärischen Gründen und wegen äußerer Bedrohungen aufrechterhalten werden, sondern ebenso oft auch aufgrund innenpolitischer Erwägungen. Sie sollten »nicht so sehr gegen den äußern wie gegen den innern Feind« schützen, argumentierte Engels, denn sie stärkten die Kräfte der Unterdrückung des Proletariats und des Kampfes der arbeitenden Klasse. Die populären Schichten tragen den Großteil der Kosten des Krieges, da sie Steuern zahlen und die Truppen stellen. Aus diesem Grund sollte die Bewegung der arbeitenden Klasse für eine »stufenweise Herabsetzung der [militärischen] Dienstzeit durch [einen] internationalen Vertrag« und für die Abrüstung als einzige wirksame »Garantie des Friedens« kämpfen.
Eine Debatte, die in Zeiten des Friedens vor allen Dingen theoretischer Natur war, entwickelte sich schon bald zur drängendsten Frage der Epoche. Als im Jahr 1870 der Deutsch-Französische Krieg ausbrach (der wiederum der Pariser Kommune vorausging), stellten sich zunächst sämtliche Vertreter der Arbeiterbewegung gegen den Krieg. Die Sozialdemokraten Wilhelm Liebknecht und August Bebel verurteilten Bismarcks annexionistische Absichten und stimmten gegen Kriegskredite. Dafür wurde ihnen wegen vermeintlichen Hochverrats der Prozess gemacht und sie wurden zur einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Ihr Handeln trug jedoch dazu bei, der Arbeiterklasse einen alternativen Weg aus der Krise zu anzudeuten.
Da die europäischen Großmächte ihre imperialistische Expansion weiter vorantrieben, wurde die Kontroverse über den Krieg in den Debatten der Zweiten Internationale ein zentrales Thema. Eine Resolution, die auf ihrem Gründungskongress verabschiedet wurde, hatte den Frieden als Voraussetzung für die Emanzipation der Arbeitenden definiert.
Als die Weltpolitik – also die aggressive Politik, mit der das deutsche Kaiserreich seinen internationalen Machtanspruch auszudehnen versuchte – die geopolitische Situation zu verändern begann, wurden antimilitaristische Grundsätze tiefer in der Arbeiterbewegung verankert und beeinflussten die Diskussionen über bewaffnete Konflikte. Der Krieg wurde nun nicht länger nur als Beschleunigung des Zusammenbruchs des Systems betrachtet – eine Vorstellung innerhalb der Linken, die auf Maximilien Robespierres Ausspruch »Keine Revolution ohne Revolution« zurückgeht. Der Krieg galt nun vielmehr als Gefahr, da er für das Proletariat mit Hunger, Leid und Arbeitslosigkeit einherging.
Die Resolution »Über Militarismus und internationale Konflikte«, welche die Zweite Internationale im Jahr 1907 auf dem Internationalen Sozialistenkongress verabschiedete, trug alle wichtigen Positionen zusammen, die inzwischen zum geteilten Erbe der Arbeiterbewegung geworden waren. Dazu gehörte die Ablehnung höherer Militärausgaben, die Opposition gegen stehende Heere und eine Präferenz für Volksmilizen.
Im Laufe der Jahre wurde das Engagement für den Frieden der Zweiten Internationale schwächer. Im Ersten Weltkrieg stimmte die Mehrheit der sozialistischen Parteien Europas für den Krieg – eine Entscheidung mit katastrophalen Folgen. Die Arbeiterbewegung schloss sich den expansionistischen Zielen der Herrschenden an, da sie der Auffassung war, man könne »die Vorteile des Fortschritts« nicht den Kapitalisten überlassen. Infolgedessen wurde die Bewegung von nationalistischen Ideologien überflutet. Im Angesicht des Krieges erwies sich die Zweite Internationale als ohnmächtig und scheiterte an ihrem eigenen Ziel – der Erhaltung des Friedens.
»Der Erste Weltkrieg führte nicht nur in der Zweiten Internationale, sondern auch innerhalb der anarchistischen Bewegung zu Spaltungen.«
In diesen Zeiten zählten Rosa Luxemburg und Wladimir Lenin zu denjenigen, die sich dem Krieg am energischsten entgegenstellten. Wortgewandt und prinzipientreu legte Luxemburg dar, dass der Militarismus eine zentrale Stütze des Staates sei. Sie kämpfte dafür, dass die Losung »Krieg dem Krieg« zu einem Eckpfeiler der Politik der Arbeiterklasse wurde. Wie sie in Die Krise der Sozialdemokratie schrieb, war die Zweite Internationale zusammengebrochen, da es ihr nicht gelungen war, »eine gemeinsame Taktik und Aktion des Proletariats in allen Ländern durchzuführen«. »Die Klassenaktion des Proletariats aller Länder« müsse, so Luxemburg, »im Frieden wie im Kriege auf die Bekämpfung des Imperialismus und Verhinderung der Kriege« ausgerichtet sein.
Neben anderen Schriften aus der Zeit des Ersten Weltkriegs arbeitete Lenin in Sozialismus und Krieg zwei grundlegende Fragestellungen heraus. Die erste behandelte die Verfälschung, die immer dann vollzogen wurde, wenn die Bourgeoisie versuchte, dem »imperialistischen Krieg … die Bedeutung eines bürgerlich-fortschrittlichen, eines nationalen Befreiungskrieges« zu verleihen.
Die zweite betraf die Verschleierung der Widersprüche der sozialen Reformisten. Diese hatten den Klassenkampf aufgegeben und forderten stattdessen »Brocken von den Profiten, die ihre nationale Bourgeoisie durch die Ausplünderung fremder Nationen« einstrich.
In der berühmtesten These dieses Pamphlets forderte Lenin, dass Revolutionäre die »Umwandlung des imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg« anstreben sollten. Dies implizierte, dass diejenigen, die »einen dauerhaften und demokratischen Frieden« wollten, einen »Bürgerkrieg gegen die Regierungen und die Bourgeoisie« führen mussten. Lenin glaubte, dass jeder Klassenkampf, der in Kriegszeiten konsequent geführt wird, zwangsläufig einen revolutionären Geist unter den Massen erwecken würde – eine Überzeugung, die von der Geschichte widerlegt werden sollte.
Der Erste Weltkrieg führte nicht nur in der Zweiten Internationale, sondern auch innerhalb der anarchistischen Bewegung zu Spaltungen. Kurz nach Ausbruch des Konflikts schrieb Peter Kropotkin, dass »jeder Mensch, der für die Idee des menschlichen Fortschritts einsteht, die Aufgabe hat, die deutsche Invasion in Westeuropa zu zerschlagen«.
Darauf entgegnete der italienische Anarchist Errico Malatesta, er sei zwar kein Pazifist und halte es auch für legitim, in einem Befreiungskrieg zu den Waffen zu greifen, dennoch sei der Weltkrieg – entgegen der Behauptungen der bürgerlichen Propaganda – eben kein Kampf für das Wohl der Allgemeinheit gegen den gemeinsamen Feind der Demokratie. Er sei stattdessen ein weiteres Beispiel für die Unterdrückung der arbeitenden Mehrheit durch die herrschende Klasse. Ihm war bewusst, dass »ein deutscher Sieg sicherlich den Triumph des Militarismus bedeuten, doch ein Triumph der Alliierten die russisch-britische Vorherrschaft in Europa und Asien bedeuten würde«.
Im Manifest der Sechzehn bekräftigt Kropotkin, dass man »einem Aggressor widerstehen muss, der die Auslöschung all unserer emanzipatorischen Hoffnungen verkörpert«. Er hielt einen Sieg der Triple Entente über Deutschland für das geringere Übel und war überzeugt, dass bestehende Freiheiten dadurch weniger beeinträchtigt werden würden. Auf der anderen Seite erklärten Malatesta und seine Mitunterzeichner des Antikriegsmanifests der Anarchistischen Internationale: »Eine Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg ist nicht möglich.« Außerdem fügten sie hinzu, dass »keiner der Kriegführenden das Recht hat, die Zivilisation für sich zu beanspruchen, ebenso wie keiner von ihnen das Recht hat, legitime Selbstverteidigung zu beanspruchen«.
Malatesta, Emma Goldman, Ferdinand Nieuwenhuis und die große Mehrheit der anarchistischen Bewegung betrachteten den Ersten Weltkrieg als einen weiteren Konflikt zwischen den Kapitalisten der imperialistischen Mächte, der auf Kosten der Arbeiterklasse ausgetragen wurde. »Kein Mann, kein Pfennig für die Armee« war die Parole, an der sie kompromisslos festhielten, weshalb sie auch eine indirekte Unterstützung der Kriegsführung entschieden ablehnten.
Auch in der Frauenbewegung entbrannte eine Debatte über die Einstellung zum Krieg. Frauen waren gezwungen, die einberufenen Männer – für viel niedrigere Löhne und zu schlechteren Arbeitsbedingungen – zu ersetzen. Diese Erfahrung brachte einen beträchtlichen Teil der Suffragettenbewegung dazu, den Krieg zu unterstützen. Einige ihrer Anführerinnen gingen sogar so weit, Gesetze zu fordern, die Frauen den Eintritt in die Streitkräfte ermöglichten. Daneben gab es auch radikalere Positionen gegen den Krieg, die weiterhin bestehen blieben. Kommunistische Feministinnen entlarvten die Verlogenheit der Regierungen, die den Krieg nutzten, um soziale Reformen wieder rückgängig zu machen.
»Die Linke hat sich historisch betrachtet immer dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung verschrieben.«
Clara Zetkin, Alexandra Kollontai, Sylvia Pankhurst and allen voran natürlich Rosa Luxemburg gehörten zu den ersten, die nachfolgenden Generation hellsichtig und mutig bewiesen, dass der Kampf gegen den Militarismus ein essenzieller Teil des Kampfes gegen das Patriarchat ist. Die Opposition gegen den Krieg wurde später ein fester Bestandteil des Internationalen Frauentags und die Ablehnung von Militäretats bildete beim Ausbruch neuer Konflikte auf vielen Plattformen der internationalen feministischen Bewegung eine zentrale Kernforderung.
Mit dem Aufstieg des Faschismus und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eskalierte die Gewalt. Nachdem Adolf Hitlers Truppen im Jahr 1941 die Sowjetunion überfielen, wurde der Große Vaterländische Krieg, der mit der Niederlage des NS-Regimes endete, zu einem zentralen Element für die nationalen Einheit Russlands.
Nachdem die Welt in der Nachkriegszeit in zwei Blöcke geteilt wurde, postulierte Josef Stalin, dass die primäre Aufgabe der internationalen kommunistischen Bewegung darin bestehe, die Sowjetunion zu beschützen. Eine zentrale Maßnahme dieser Politik war die Schaffung einer Pufferzone von acht Ländern in Osteuropa. Unter der Führung von Nikita Chruschtschow begann die Sowjetunion ab 1961 einen neuen politischen Kurs einzuleiten, der als »friedliche Koexistenz« in die Geschichte eingehen sollte. Dieser Versuch einer konstruktiven Zusammenarbeit war jedoch lediglich auf die USA ausgerichtet, nicht auf die anderen Länder des »real existierenden Sozialismus«.
Die Sowjetunion hatte die ungarische Revolution 1956 brutal niedergeschlagen; im Jahr 1968 ging sie in der Tschechoslowakei ähnlich vor. Als im Zuge des Prager Frühlings Forderungen nach Demokratisierung laut wurden, beschloss das Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion einstimmig, eine halbe Million Soldaten und Tausende Panzer zu entsenden. Leonid Breschnew begründete dieses Vorgehen mit der »begrenzten Souveränität« der Länder des Warschauer Paktes: »Wenn dem Sozialismus feindlich gesinnte Kräfte versuchen, ein sozialistisches Land in Richtung Kapitalismus zu lenken, dann ist das nicht nur für das betreffende Land ein Problem, sondern für alle sozialistischen Länder.« Was als »Sozialismus« galt und was nicht, unterlag gemäß dieser dieser antidemokratischen Logik dem willkürlichen Ermessen der sowjetischen Führung.
Mit dem Einmarsch in Afghanistan 1979 wurde die Rote Armee erneut zu einem wichtigen Instrument Moskauer Außenpolitik. Diese beansprucht weiterhin das Recht, in ihrer sogenannten »Sicherheitszone« militärisch zu intervenieren. Dies untergrub nicht nur das Ziel der allgemeinen Abrüstung, sondern trug auch dazu bei, den Sozialismus zu diskreditieren und weltweit zu schwächen. Die Sowjetunion wurde zunehmend als imperiale Macht betrachtet, die nicht anders agierte als die USA. Diese hatten seit Beginn des Kalten Krieges mal mehr mal weniger öffentlich Staatsstreiche gestützt und somit dazu beigetragen, dass in mehr als zwanzig Ländern der Welt demokratisch gewählte Regierungen zum Sturz gebracht wurden.
Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges steht die Linke heute wieder einmal vor der Frage, wie sie sich verhalten soll, wenn die Souveränität eines Landes angegriffen wird. Wenn sich Regierungen wie etwa die von Venezuela weigern, die russische Invasion zu verurteilen, begehen sie einen schweren Fehler. Die Verurteilung möglicher künftiger Aggressionen durch die USA wird dann kaum glaubwürdig erscheinen. Wir sollten uns Lenins Worte aus Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen in Erinnerung rufen:
»Die Tatsache, daß der Kampf gegen eine imperialistische Regierung für die nationale Freiheit unter bestimmten Bedingungen von einer andern ›Großmacht‹ für ihre ebenfalls imperialistischen Ziele ausgenutzt werden kann, kann die Sozialdemokratie ebensowenig bewegen, auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zu verzichten.«
Die Linke hat sich historisch betrachtet immer dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung verschrieben. Sie hat das Recht einzelner Staaten, ihre Grenzen gemäß dem Willen der Bevölkerung festzulegen, immer verteidigt. In Bezug auf die Ukraine argumentierte Lenin:
»Wenn dann übermorgen die sozialistische Revolution in Petrograd, Berlin und Warschau siegt – daß dann die polnische sozialistische Regierung, ebenso wie die russische und die deutsche, auf die ›gewalttätige Erhaltung‹, sagen wir, der Ukrainer ›in den Grenzen des polnischen Staates‹ verzichten wird.«
Warum also sollte das für die nationalistischen Regierung Wladimir Putins nicht gelten?
Innerhalb der Linken sind allzu viele der Versuchung erlegen, sich – direkt oder indirekt – zu Kollaborateuren zu machen und der Formierung einer neuen Union sacrée Vorschub zu leisten. Dies führt dazu, dass die Unterscheidung zwischen Atlantizismus und Pazifismus immer mehr verschwimmt. Die Geschichte hat bewiesen, dass progressive Kräfte ihre Daseinsberechtigung einbüßen, wenn sie sich nicht gegen den Krieg positionieren und sich der Ideologie ihrer Gegner angleichen. Dies geschieht immer dann, wenn linke Parteien eine Regierungsbeteiligung zum Kernelement ihrer Politik machen. Dies geschah etwa, als die Kommunistische Partei Italiens die Interventionen der NATO im Kosovo und in Afghanistan unterstützte. Ähnlich verhält es sich dieser Tage in Spanien, wo Unidas Podemos den parlamentarischen Forderungen nach Waffenlieferungen an die ukrainische Armee nichts entgegenhält und sogar befürwortet.
Im Jahr 1854 wandte sich Marx in seinen Überlegungen zum Krimkrieg gegen liberale Demokraten, die die antirussische Koalition verherrlichten:
»Ebenso war es ein Irrtum, den Krieg gegen Rußland als einen Kampf zwischen Freiheit und Despotismus zu bezeichnen. Abgesehen davon, daß in diesem Fall die Freiheit von einem Bonaparte vertreten würde, ist das erklärte Ziel des Krieges ausschließlich die Erhaltung des Gleichgewichts der Mächte und der Wiener Verträge – eben der Verträge, die die Freiheit und Unabhängigkeit der Nationen aufheben.«
Wenn wir Bonaparte durch die USA und die Wiener Verträge durch die NATO ersetzen, dann könnten diese Zeilen für den heutigen Kontext geschrieben worden ein.
Diejenigen, die sowohl den russischen als auch den ukrainischen Nationalismus kritisieren und ebenso die Osterweiterung der NATO ablehnen, wird heute politische Unentschlossenheit oder Naivität vorgeworfen. Keine dieser Anschuldigungen trifft jedoch zu. Diejenigen, die eine Politik der Blockfreiheit befürworten, beschreiben den effektivsten Weg, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und die Zahl der Opfer so niedrig wie möglich zu halten. Es ist dringend notwendig, diplomatische Aktivitäten zu verfolgen, die auf zwei Aspekten basieren: die Deeskalation und die Neutralität einer unabhängigen Ukraine.
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist die Unterstützung für die NATO quer durch Europa gestiegen. Angesichts dessen ist es noch wichtiger, sich dafür einzusetzen, dass die breite Öffentlichkeit die größte und aggressivste Kriegsmaschinerie der Welt – die NATO – nicht als Gewährleister der globalen Sicherheit betrachtet. Wir müssen zeigen, wie gefährlich und ineffektiv diese Organisation ist, und dass ihr Streben nach Ausweitung und unipolarer Dominanz nur Spannungen schürt, die letztendlich zu Kriegen in der Welt führen.
Für die Linke kann der Krieg keine »bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« darstellen, um das berühmte Diktum von Carl von Clausewitz zu zitieren. Denn der Krieg ist in Wirklichkeit ein Zeugnis des Scheiterns der Politik. Wenn die Linke führend werden und beweisen will, dass sie angesichts der Herausforderungen der Gegenwart aus ihrer Geschichte schöpfen kann, dann muss sie sich kompromisslos zum »Antimilitarismus« und einem klaren »Nein zum Krieg!« bekennen.
Marcello Musto ist Autor von »Another Marx: Early Manuscripts to the International« und »The Last Years of Karl Marx: An Intellectual Biography«. Er hat mehrer Sammelbände herausgegeben, unter anderem »The Marx Revival: Key Concepts and New Interpretations«.
Marcello Musto ist Autor von »Another Marx: Early Manuscripts to the International« und »The Last Years of Karl Marx: An Intellectual Biography«. Er hat mehrer Sammelbände herausgegeben, unter anderem »The Marx Revival: Key Concepts and New Interpretations«.