17. Dezember 2021
Annalena Baerbock will eine »wertegeleitete Außenpolitik« etablieren. Doch an deutschen Werten wird niemand genesen.
Annalena Baerbock, Warschau, 10. Dezember 2021.
Annalena Baerbock war bereits als Spitzenkandidatin der Grünen Zielscheibe teils berechtigter, teils misogyner Kritik. Nun zog sie für ihre ersten Antrittsreden Spott auf sich, da ihr Englisch, trotz Masterstudium in London, mit deutschem Zungenschlag daherkommt. Der aktuelle Versuch einer Neuausrichtung deutscher Außenpolitik ist aus einigen Gründen kritikwürdig, der schwere deutsche Akzent der neuen Außenministerin ist keiner dieser Gründe. Vielmehr ist es die Schwere ihrer Worte, die Anlass zur Sorge bieten.
In der Außenpolitik geht es um die Sicherheits- und die Wirtschaftsinteressen verschiedener Staaten. Der Zweck der Diplomatie ist es, diese unterschiedlichen und oft gegensätzlichen Interessen auszugleichen und zu vermeiden, dass Konflikte kriegerisch gelöst werden. Doch die Diplomatie ist kein moralisches Geschäft, weswegen sich auch viele Linke damit schwertun. Auch die Grünen haben mit klassischer Diplomatie ihre Probleme. Die pragmatische, wirtschaftsorientierte und meistens reaktive Kanzlerdiplomatie unter Merkel war ihnen fremd. Seit einigen Jahren feilen die Grünen an ihrem außenpolitischen Profil, das sich an »Werten« und nicht einfach nur an Interessen orientieren soll.
So haben die Grünen durchgesetzt, dass sich der Begriff der »wertebasierten Außenpolitik« im Koalitionsvertrag wiederfindet. Wer jetzt erwartet, dass sich die Bundesregierung für ein Ende des Sterbens im Mittelmeer einsetzt, die Impfstoffpatente freigibt oder Reparationen an die Herero und Nama in Namibia zahlt, wird jedoch enttäuscht werden. In mehreren Zeitungsinterviews erklärte Baerbock, worum es hierbei tatsächlich geht: »Dialog und Härte« im Umgang mit Russland und China. Im Systemwettkampf, den die USA gegen China ausgerufen haben, soll Deutschland sich positionieren. Auch gegen Russland soll die Bundesrepublik aggressiver auftreten. Menschenrechte und die eigenen liberalen Ideale, so heißt es, sollen dabei nicht wie unter Angela Merkel ausgespart, sondern Teil deutscher Außenpolitik werden.
Aber Außenpolitik ist nicht dazu da, eigene gesellschaftliche Vorstellungen – oder die eigene idealisierte Selbstwahrnehmung – anderswo durchzudrücken. Die letzten zwanzig Jahre »War on Terror« mit deutscher Beteiligung sollten das eigentlich gezeigt haben. Doch der Krieg in Afghanistan war bis auf den missratenen Truppenabzug und den preussisch anmutenden Zapfenstreich der Bundeswehr kaum Teil der öffentlichen Debatte in Deutschland – einem Land, dass sich allzu gerne mit sich selbst beschäftigt, ohne aber ein realistisches Bild der eigenen Politik zu haben.
Außenpolitik sollte zuerst einmal versuchen, Kriege zu verhindern. Willy Brandt, dessen berühmtester Wahlslogan in abgewandelter Form dem Koalitionsvertrag der Ampelparteien seinen Titel gibt, wusste, dass Frieden nicht alles ist. Aber ohne Frieden ist alles nichts. Paradoxerweise könnte es gerade eine idealistische, wertegeleitete Politik sein, die dem diplomatischen Zweck, Konflikte ohne Kriege zu lösen, zuwiderläuft. Denn eine »werteorientierte« Außenpolitik führt zwangsläufig zu zwei unlösbaren Problemen: Sie ist erstens widersprüchlich und zweitens unfähig zum Dialog.
Das erste und offensichtliche Problem einer »wertegeleiteten Außenpolitik« besteht darin, dass sie ihre eigenen Ansprüche nicht erfüllen kann. Auch die Deutschen sind nicht so gut, wie sie gerne wären. Das lässt sich etwa an Deutschlands unmenschlicher Migrationspolitik festmachen, die seit Jahren Tote im Mittelmeer oder in libyschen Lagern nicht nur in Kauf nimmt, sondern bewusst als Abschreckungsmanöver nutzt; oder daran, dass Deutschland einer der weltweit größten Waffenexporteure ist; oder auch daran, dass sich Deutschland der Impfstoff-Freigabe widersetzt, für die sich sogar der amerikanische Präsident Joe Biden eingesetzt hat. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Ein Blick in die russischen oder chinesischen staatlichen Medien genügt, um festzustellen, dass diese Doppelmoral durchaus wahrgenommen wird. Nun ist westliche Doppelmoral so alt wie die westliche Vormachtstellung in der Welt selbst, wie es der Soziologe Hans Joas beschreibt. Das macht die Werte, die der Westen vertritt, natürlich nicht schlecht. Im Gegenteil: Liberale Werte machen sich eher dadurch unbeliebt, dass sie als rhetorische Waffe und Legitimationsmittel politischer Interessen benutzt werden.
Das zweite Problem einer »werteorientierten Politik« besteht darin, dass sie im Endeffekt dialogunfähig ist, weil sie politische Interessengegensätze in die Sphäre der Moral verschiebt. Interessengegensätze sind prinzipiell lösbar. Moralische Gegensätze zwischen Gut und Böse sind es nicht.
Der Ökonom Branko Milanovic warnte kürzlich in einem Artikel für das Online-Magazin Social Europe vor einer ideologischen Verhärtung der Rivalität zwischen den USA und China. Dabei geht es, so Milanovic, vor allem um geopolitische Interessen und Fragen regionaler und globaler Vormachtstellungen. Wenn diese eher profanen Interessen mit grandiosen ideologischen Rechtfertigungen aufgeladen werden, dann steigt auch die Gefahr von Konflikten, deren Ausmaß kaum zu überschauen wäre.
Bisher wurde noch kaum ein Krieg ohne großspurige Appelle an die Moral begonnen. Vielleicht wäre es besser, wenn deutsche Außenpolitikerinnen und -politiker anfangen würden, ihre Interessen genauso klar zu benennen, wie ihre Werte.
Daniel Marwecki arbeitet im Department of Politics and Public Administration der University of Hong Kong. Er hat zuvor in England promoviert und gelehrt.
Daniel Marwecki arbeitet im Department of Politics and Public Administration der University of Hong Kong. Er hat zuvor in England promoviert und gelehrt.