26. Januar 2022
Twitternde Generäle, NATO-Netflix-Produktionen und militärische Denkfabriken: Eine aktuelle Studie zeigt, wie die neue NATO-Strategie zu Aufrüstung und Umverteilung öffentlicher Mittel führt.
Die Frage, wie zeitgemäß die NATO heute noch ist, wird zunehmend verdrängt.
Kaum ein Tag vergeht ohne Schlagzeilen über sicherheitspolitische Bedrohungen aus dem Ausland: Hacker-Angriff aus Moskau, chinesische Kampfflugzeuge im Luftraum von Taiwan, iranische Schnellboote im Persischen Golf und Tests von Langstreckenraketen in Nordkorea. Viel Aufmerksamkeit wird auf die Versuche der verdeckten Einflussnahme auf Wahlen und Abstimmungen in den USA und Europa gelenkt, wobei meist Russland am Pranger steht. Die Einflussnahme seitens der USA – Stichwort Saddam Husseins vermeintliche Biowaffen – oder die Kampagne des NATO-Partnerlandes Indien gegen Pakistan erhalten im Vergleich kaum Beachtung.
Über die Strategien und Konzepte, mit denen die NATO die Sicherheitsherausforderungen unserer Zeit bewerkstelligen möchte, lesen und hören wir ebenfalls vergleichsweise wenig. Eine Studie im Auftrag der Left Group in the European Parliament will das ändern: »Rhetoric and Reality of Disinformation in the European Union« nimmt die Anstrengungen der NATO, die eigene Bevölkerung davon zu überzeugen, wie essenziell wichtig das Bündnis für ihre Sicherheit ist, genauer unter die Lupe.
»Seit 1990 lässt sich beobachten, wie kontinuierlich nach neuen Gründen für den Erhalt der Allianz gesucht wird.«
Die NATO wurde ursprünglich nicht als Club freiheitsliebender Staatsleute gegründet, sondern als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion. Das ist mittlerweile über siebzig Jahre her, und dass die NATO weiterhin existiert, ist keineswegs selbstverständlich. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR und der Auflösung des Warschauer Pakts ging dem Nordatlantikpakt der historische Gegner verloren. Warum wurde die NATO nach dem Ende der Sowjetunion und der bipolaren Weltordnung nicht einfach aufgelöst? Warum werden manche Staaten in Mittel- und Osteuropa aufgenommen, andere aber nicht? Womit werden neue Feindseligkeiten begründet?
Eine über vier Jahrzehnte (1949–1989/91) gewachsene Institution, an deren Fortbestand nicht nur Staaten, sondern auch die Rüstungsindustrie immenses Interesse haben, kann gewaltige Beharrungs- und Überlebenskräfte mobilisieren. Seit 1990 lässt sich beobachten, wie kontinuierlich nach neuen Gründen für den Erhalt der Allianz gesucht wird. Dabei geht es in erster Linie um neue Bedrohungen für die innere Sicherheit der westlichen Gesellschaften, die von den hiesigen Medien meinungsstark verbreitet werden. Eine Diskussion über mögliche Alternativen, wie etwa eine konsequente Abrüstung und Sicherheitspartnerschaft: Fehlanzeige.
In den letzten dreißig Jahren haben die NATO und ihre Befürworterinnen und Unterstützer den Sicherheitsbegriff stetig weiter ausgedehnt und die Existenzberechtigung des Bündnisses über die militärische Verteidigung der Mitgliedsländer hinaus erweitert. Das Verständnis von Sicherheit für die NATO-Partner umfasst mittlerweile den Schutz vor einer ganzen Reihe neuer Bedrohungen, darunter insbesondere: internationaler islamistischer Terror, die potenzielle Verbreitung biologischer, chemischer und atomarer Massenvernichtungswaffen und neuartige Konflikte im Zuge der Klimakrise. Ferner werden aber auch Bedrohungen der inneren Sicherheit adressiert, die von lokalen oder auch transnational vernetzten Protestbewegungen ausgehen können oder von außen beeinflusst und instrumentalisiert werden – insbesondere durch Russland und China.
Die neuesten Gefahren für die Sicherheit der NATO-Partner werden als »hybrid« bezeichnet. Hybride Kriegsführung umfasst dabei den Einsatz von konventionellen Truppen und Waffen, aber auch Guerillataktiken von verdeckt agierenden und nicht als Soldaten erkenntlichen Aggressoren. Dazu zählen auch Desinformations- und Propagandakampagnen sowie Cyberattacken. Deshalb hat die NATO den Cyberraum auch zur eigenen Domäne der Verteidigung – neben Luft, Land, See und Weltraum – erklärt. Die wachsende Bedeutung des Cyberraums und möglicher Angriffe dort wird mit der Entscheidung des Bündnisses vom Juni 2016 unterstrichen, den Cyberraum als Einsatzgebiet zu erklären. Eine Serie von Cyberangriffen kann somit den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages auslösen. Ganz oben auf der Liste von Staaten, die nach derzeitigen Einschätzungen der NATO-Expertinnen und -experten die Sicherheit der Mitglieder des Nordatlantikpakts bedrohen, stehen Russland und China.
Die erfolgreichen Bemühungen den Sicherheitsbegriff neu auszuloten, sind nicht rein semantischer Natur. In Folge durchlief die NATO eine Transformation von einem auf die Verteidigung der Staatsgebiete seiner Mitglieder fokussierten Bündnis gegen einen äußeren Aggressor (damals die Sowjetunion) hin zu einer internationalen Militärallianz, die wachsende Bereitschaft zeigt, überall auf der Welt zu intervenieren.
Um diesem vergrößerten und diversifizierten Aufgabenkatalog gerecht zu werden, hat die NATO ein Netzwerk von sogenannten Centres of Excellence (CoE) aufgebaut, das mittlerweile 26 Einrichtungen umfasst und weiter wachsen soll. Diese Exzellenzzentren sind militärische Denkfabriken. Sie sollen die Transformation der Allianz vorantreiben, indem sie unter anderem neue strategische Konzepte und Doktrinen entwickeln. Darüber hinaus sollen sie die Kooperationsfähigkeit der verschiedenen Streitkräfte – Luft, Land, See – verbessern und Führungspersonal und Spezialistinnen aus- und weiterbilden. Sie sind derzeit in 19 der 29 NATO-Mitgliedsländer angesiedelt, hauptsächlich in Europa. Die meisten dieser Thinktanks befinden sich in Mittel- und Osteuropa, insbesondere in den baltischen Ländern; in den USA gibt es nur ein einziges CoE. Thematisch decken die Denkfabriken ein breites Feld ab, unter anderem zivile-militärische Operationen, Cyberverteidigung, Wehrmedizin, Energiesicherheit, Verteidigung gegen Terrorismus und Kaltwetteroperationen.
»Dieses Netzwerk von NATO-Thinktanks ist eine Infrastruktur zur Beeinflussung von Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsprozessen in Europa.«
Im Jahr 2005 hat das erste dieser NATO-Exzellenzzentren, das Joint Power Competence Centre (JAPCC), im nordrhein-westfälischen Kalkar seine Arbeit aufgenommen. Mittlerweile gibt es in Deutschland drei NATO-Thinktanks, aber Deutschland beteiligt sich darüber hinaus auch personell und finanziell an weiteren fünfzehn Zentren. Im Jahr 2020 wurden 996.702 Euro finanzielle Unterstützung aufgewendet. Das JAPCC brüstet sich damit, in seiner Arbeit nicht durch den »Zwang zum Konsens oder politische Zweckdienlichkeit« eingeschränkt zu sein. Es könne daher erheblich dazu beitragen, die NATO-Streitkräfte zu einer Macht- und Einflussgröße in Luft und Weltraum zu machen.
Die militärischen Denkfabriken stehen außerhalb der NATO-Kommandostruktur. Ihre Tätigkeit und Ausrichtung bedürfen keines Konsenses innerhalb des Bündnisses, was ihre Arbeit und vor allem Kooperationsmöglichkeiten mit externen Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik enorm erleichtert. Die finanziell und personell beteiligten Länder entscheiden gemeinsam über die inhaltliche Ausrichtung der CoE. Die Exzellenzzentren ermöglichen so einerseits Austausch innerhalb des Bündnisses in militärischen Fragen, sie gestatten aber auch die Einbindung von Nicht-NATO-Mitgliedern, internationalen Organisationen und europäischen Institutionen wie etwa der Verteidigungsagentur der EU.
Darüber hinaus ist dieses Netzwerk von NATO-Thinktanks eine Infrastruktur zur Beeinflussung von Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsprozessen in Europa. Sie verstärken und wiederholen die strategischen Prioritäten des Nordatlantikpakts und befördern damit auch US-amerikanische Interessen. Nicht zuletzt treiben sie die Militärausgaben in die Höhe.
Zwei weitere CoE, an denen Deutschland beteiligt ist, sind im Baltikum angesiedelt. Das Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence (CCDCOE) in Tallinn, Estland, und das Strategic Communications Centre of Excellence (StratCom COE) in Riga, Lettland. Das CCDCOE ist eines der ältesten Exzellenzzentren im Netzwerk und hat die höchste Anzahl an beteiligten Nationen: Neben 25 NATO-Mitgliedsländern sponsern auch Österreich, Finnland, Schweden und die Schweiz die Denkfabrik.
Zentrale Aufgabe der Organisation ist die Koordination des Austauschs geheimdienstlicher Nachrichten, die den Cyberraum betreffen. Ein Aushängeschild der Denkfabrik ist das sogenannte Tallinn Manual, welches erstmals Richtlinien für die NATO für einen Krieg im Cyberraum erarbeitete. Eine Gruppe internationaler Juristinnen und Juristen stellte 95 Regeln zusammen, an denen sich Staaten im Falle eines Cyberkrieges orientieren sollen.
»Das Versenden von Propaganda wird als Aggression eingestuft, die den Angriff auf zivile Personen erlaubt.«
Bis heute hat es zwar noch keinen internationalen bewaffneten Konflikt gegeben, der ausschließlich oder vorwiegend im Cyberraum stattgefunden hätte. Dessen ungeachtet können Operationen im Cyberraum gemäß der neuen Sicherheitsdoktrin als bewaffnete Konflikte betrachtet werden. Eine der Regeln besagt, dass bestimmte Operationen im Cyberraum, die sich gegen Zivilistinnen und Zivilisten richten auch legitim sein können. Zum Beispiel wird das Versenden von Propaganda als Aggression eingestuft, die den Angriff auf zivile Personen erlaubt. Auch die Nutzung von Tricks und falschen Informationen ist zur Abwehr zulässig – gegen Propaganda hilft nur mehr Propaganda scheint man sich gedacht zu haben.
Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt des CCDCOE ist die Ausbildung und das Training von militärischem wie zivilem Personal der NATO und ihrer Mitglieder. Zu diesem Zweck veranstaltet das Exzellenzzentrum Konferenzen und sogenannte Cyber Exercises – Kriegsspiele im Cyberraum. Bei diesen Veranstaltungen treffen sich hochrangiges NATO-Personal, Regierungsmitglieder, Polizeidienste, Militärs, Akademikerinnen, Konzernmanager und zum Teil auch Journalistinnen. »Locked Shields« ist eines der weltweit größten militärischen Drills im Cyberraum. Die Übung findet seit 2010 jährlich mit 1.000 bis 1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Tallinn statt. Das Szenario des Manövers im Jahr 2021 beinhaltete den Angriff Crimsonias auf den Finanzsektor von Berylia, sowie seiner mobilen Kommunikationsnetzwerke und Wasserversorgung. Das Szenario – eine Mischung aus Cyberangriffen und Desinformation – wurde inspiriert durch die angeblichen Versuche Russlands und Chinas, die Covid-19 Krise zu missbrauchen, um Schwächen der NATO-Staaten ausnutzen zu können.
Mit regelmäßig erscheinenden Berichten zu potenziellen Risiken der Nutzung des Internets und Hackerangriffen versucht das CCDCOE die zivile Öffentlichkeit zu erreichen. So äußerte sich der Direktor des Exzellenzzentrum, Jaak Tarien, im Oktober 2020 zu den Gefahren des mobilen Arbeitens in Pandemiezeiten. Das große Ausmaß an Arbeit von Computern aus dem Heimgebrauch während der Covid-19-Krise habe Spione, Diebe und Banditen auf den Plan gerufen. Angemessene Abwehrmaßnahmen bedürften größerer Investitionen in Ressourcen und neuer Ansätze zur Verteidigung. Weiterhin zeigte er sich überzeugt, dass die Öffentlichkeit das Ausmaß der böswilligen Aktivitäten im Cyberraum gar nicht wahrnähme.
Diese Art der Öffentlichkeitsarbeit füttert das Narrativ von einer Welt voller Gefahren, in der überall und insbesondere auch im Internet Bösewichte lauern, die häufig in Verbindung mit Russland stehen. Dabei tragen gerade die NATO und das CCDCOE selbst dazu bei, das Internet in eine Sphäre offensiver militärischer Operationen zu verwandeln. Schon Ende 2017 hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigt, dass das Bündnis auch die offensiven Möglichkeiten der digitalen Technologie ausloten müsse.
Der 2014 gegründete lettische Thinktank StratCom ist wiederum eine Komponente des intensivierten Programms der hybriden Kriegsführung der NATO. Der Schwerpunkt dieses Exzellenzzentrums ist die strategische Kommunikation und Koordination von diplomatischen Beziehungen und Öffentlichkeitsarbeit sowie Operationen auf psychologischer Ebene und im Informationsbereich. Mit anderen Worten: (Gegen-)Propaganda.
»Die aktive Nutzung von Desinformation wird ebenso offen in Erwägung gezogen wie der Einsatz der Sozialen Medien zur Verbreitung einfacher Narrative, um die Herzen und Köpfe der breiten Bevölkerung zu gewinnen.«
Auch hier teilen sich die Aufgabenbereiche in Forschung und Weiterbildung. Zu den ersten Projekten gehörte eine Analyse von »Russlands Informationskampagne gegen die Ukraine« sowie das Erstellen eines Gutachtens zur Frage, wie soziale Medien militärisch genutzt werden könnten. Grundlage für die Arbeit der Denkfabrik war ein kritischer NATO-interner Bericht mit dem Titel »We have met the enemy, and he is us« (»Wir haben den Feind gesehen, wir sind es selbst«), der die Rolle von Kommunikation beim Scheitern des Afghanistan-Einsatzes beleuchtet. Eine Schlussfolgerung des Berichts war, dass die klassische Öffentlichkeitsarbeit mit der Verbreitung von Falschinformationen verschmolzen werden sollte.
Mit einer zweimal im Jahr erscheinenden Zeitschrift – Defence Strategic Communications (DSC) – wirkt die Denkfabrik auch in zivile, akademische Kreise und die breitere Öffentlichkeit hinein. Die dort veröffentlichten Artikel geben einen Einblick in die Wirkrichtung des Thinktanks. So wird die aktive Nutzung von Desinformation ebenso offen in Erwägung gezogen wie der Einsatz der Sozialen Medien zur Verbreitung einfacher und leicht reproduzierbarer Narrative, um die »Herzen und Köpfe« der breiten Bevölkerung zu gewinnen. Weiterhin empfehlen Autorinnen und Autoren in DSC die Verwendung von gefälschten Profilen und insgesamt aggressivere Kommunikationstaktiken sowie eine breiter angelegte Kriegsführung durch Trolling in Onlineforen und Sozialen Medien. Laut DSC sollten NATO-Generäle auch selbst viel aktiver im digitalen Raum werden.
Auch außerhalb des Netzwerks der CoEs agieren in Europa von der NATO mitfinanzierte Denkfabriken im Sinne des Militärbündnisses, etwa der 2005 in Bratislava, Slowakei, gegründete Thinktank GLOBSEC. Dieser spricht insbesondere die Zivilgesellschaft und politische Akteurinnen und Akteure in Mittel- und Osteuropa an, agiert aber gleichzeitig als Lobbyorganisation in Brüssel, um die Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu beeinflussen. Neben der NATO wird die Arbeit von GLOBSEC unter anderem von der Europäischen Kommission, dem Thinktank National Endowment for Democracy in Washington und zahlreichen Unternehmen finanziert. Ein besonderes Anliegen der slowakischen Denkfabrik ist die vertiefte Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der NATO. Im Rahmen von regelmäßigen Veranstaltungen mit Repräsentantinnen und Repräsentanten beider Institutionen wird die Stärkung der Widerstandsfähigkeit, der hybriden Agenda und der Cybersicherheit der Militärallianz das Wort geredet.
Zur Unterstützung der sogenannten NATO 2030 Initiative hat GLOBSEC 2020/2021 sechs Veranstaltungen zum intensiven Austausch zwischen NATO und Unternehmen organisiert. Unter anderem wird im Rahmen dieser NATO-Initiative die Zivilgesellschaft und insbesondere die Jugend und der Privatsektor dazu aufgerufen, zur Stärkung der Allianz beizutragen. Themen waren unter anderem die Zukunft der Kriegsführung, die Rolle des Privatsektors in der NATO und sogenannte nachhaltige Verteidigungsinnovationen. Erklärtes Ziel dieser Veranstaltungsreihe war die engere Kooperation der NATO mit Akteuren der Wirtschaft, um den strategischen Nachteil gegenüber Russland und China auszugleichen. Denn in diesen beiden Ländern sei die Distanz zwischen Staat und Wirtschaft nicht gegeben, weshalb letztere schnell und unkompliziert zum Wohle der ersteren mobilisiert werden könne.
»Zur Verbesserung des Images müsse die Reichweite in der Kulturindustrie zwingend erweitert werden, ganz besonders in den Mitgliedsländern.«
Eine der zentralen Fragen, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten, drehte sich darum, wie der Privatsektor dazu beitragen könne, den Informationsraum als Waffe zu nutzen. Dabei wurde die potenzielle Nützlichkeit von kleinen und mittleren Unternehmen sowie von zivilgesellschaftlichen Organisationen herausgestellt. Voraussetzung sei aber, dass die NATO ihre Regularien für Subventionen aufweiche. Weiterhin wurde StatCom in Riga als Vermittler für die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und NATO ins Spiel gebracht. So könne StratCom die Interaktion mit Bürgerinnen und Bürgern verbessern.
Die Teilnehmenden kamen außerdem zu dem Schluss, dass es geboten sei, mehr in die Kontrolle der Deutungshoheit internationaler Kräfteverhältnisse zu investieren. Dazu müssten die Methoden bei der Verbreitung des NATO-Narratives effektiver gestaltet werden. So müsse die Produktion non-fiktionaler Beiträge für die Medien durch fiktionale – wie Filme, Bücher und Videospiele – ergänzt werden. Die NATO sollte in Zukunft auch in populären Hollywood-Filmen und in Serien von kommerziellen Streamingdiensten wie Netflix eine Rolle spielen. Zur Verbesserung des Images müsse die Reichweite in der Kulturindustrie zwingend erweitert werden, ganz besonders in den Mitgliedsländern. Nur so könne die Bedeutung der NATO direkt vermittelt werden.
Aus Selbsterhaltungstrieb orchestriert die NATO ein äußeres Bedrohungsszenario und schürt Angst vor Feinden im Osten. Nicht selten beteuerten Menschen während des Bundestagswahlkampfs 2021, dass DIE LINKE für sie nicht wählbar sei. Angesichts eines aggressiven Russlands sei die NATO wichtiger denn je. Auch die damit zusammenhängende Logik der stetig steigenden Ausgaben für Militär und Rüstung akzeptieren breite Kreise der Gesellschaft – obwohl sie sich ebenso über marode Schulen, ein unterfinanziertes öffentliches Gesundheitssystem, kaputte Straßen und Brücken sowie die schleppende Digitalisierung beklagen. Im Zeitalter der Austerität wirkt sich das NATO-Narrativ sehr konkret auf das tägliche Leben der Bevölkerung aus. Die unterstellte Dringlichkeit der Stärkung des Militärs durch stetige Aufrüstung für die äußere Sicherheit vernebelt uns den Blick für das Große und Ganze. Alternative Lösungsmöglichkeiten für globale Konflikte und Problemlagen werden so in den Hintergrund gedrängt.
Dafür werden immer mehr Lebensbereiche militarisiert. Die neue NATO-Doktrin führt zu einer Spirale der Aufrüstung und Umverteilung öffentlicher Mittel. Aufgabe der gesellschaftlichen Linken wie auch der Partei DIE LINKE muss es sein, dieser Entwicklung eine Logik der Abrüstung und internationalen Kooperation zur Bewältigung der globalen Klimakatastrophe und zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts entgegenzusetzen. Internationale Kooperation muss auch Länder einschließen, die nicht Mitglied im Nordatlantikpakt sind, statt sie weiter als Feindbilder zu stilisieren. Die Frage, ob die NATO als eigenständige internationale Organisation wirklich noch zeitgemäß ist, darf in diesem Diskurs nicht ausgeklammert werden.
Anne Zetsche ist freischaffende Autorin und Historikerin. Kürzlich erschien ihre Publikation »The Atlantik-Brücke and the American Council on Germany, 1952–1974. The Quest for Atlanticism« (Palgrave Macmillan, 2021). Sie ist Bezirksverordnete für die Linkspartei in Charlottenburg-Wilmersdorf, Berlin.