05. September 2022
Preisexplosionen bedrohen das Leben, wie wir es kennen. Was der Staat tun könnte, um das Schlimmste zu verhindern, und was die Ampel davon abhält, diskutieren Isabella Weber und Fabio De Masi.
Sollte es zu echten Knappheiten kommen, wird dann der Stahl verwendet, um Solarzellen oder um Luxuslimousinen zu bauen?
Isabella Weber ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der University of Massachusetts Amherst. Als sie im Dezember 2021 im Guardian vorschlug, selektive Preiskontrollen als Mittel gegen Inflation einzusetzen, sorgte das unter wirtschaftsliberalen Ökonomen für einige Aufregung. Ihr Buch How China Escaped Shock Therapy (Routledge, 2021) erscheint 2023 in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp.
Fabio De Masi ist Ökonom, ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments für die Linkspartei und zählt zu den einflussreichsten progressiven Wirtschaftspolitikern in Deutschland. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Finanzmacht und Finanzkriminalität.
Seit Monaten steigen die Energiepreise, mittlerweile aber auch die Lebensmittelpreise rasant an. Welche Szenarien seht Ihr für den Winter?
IW: Das ist die große Frage für jegliche makroökonomische oder geopolitische Analyse zurzeit – aber gleichzeitig ein Blick in die Glaskugel. Infolge der ganzen Schocks und Krisen befinden wir uns heute in einer Situation radikaler Unsicherheit. Und in einer Situation radikaler Unsicherheit sollte man das Möglichste tun, um das schlimmste Szenario zu vermeiden. Das wären physische Gasknappheiten. Bisher haben wir ja nur Preisexplosionen gesehen, die zukünftige Knappheiten einpreisten. Physische Knappheit wäre eine ganz andere Situation. Bei solchen Schocks gilt in der Regel das Recht des Stärkeren. Schwächere Gesellschaftsgruppen sind dann nicht in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen. Daher sollten jetzt alle Maßnahmen ergriffen werden, um Sparprogramme umzusetzen, die auf Prinzipien von Solidarität und Beteiligung beruhen.
FDM: Wir erleben jetzt schon so etwas wie Kriegswirtschaft. Das sehen wir an Debatten wie: Soll bei privaten Haushalten oder der Industrie rationiert werden oder nicht? Gas ist keine Coca-Cola. Wir alle können auf Coca-Cola verzichten, aber wenn die Gasversorgung abbricht, stehen die Räder in vielen Betrieben still. Wir befinden uns in einer Dauerkrise: Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Klimawandel und Extremwetter. In dieser Situation brauchen wir einen starken Staat.
IW: Die steigenden Preise werden Deutschland grundlegend verändern. Das deutsche Exportmodell wird durch höhere Energie- und Lebensmittelpreise fundamental infrage gestellt. Die verhältnismäßig niedrigen Löhne waren nicht zuletzt deshalb möglich, weil auch Grundnahrungsmittel und Miete in Deutschland lange relativ niedrig waren – das weiß jeder, der mal in einem französischen Supermarkt war oder versucht hat, in England eine Wohnung zu mieten. Niedrige Preise für essenzielle Güter haben somit zur Wettbewerbsfähigkeit beigetragen.
Und wie wirkt sich die Krise auf den Globalen Süden aus?
IW: Der wird doppelt getroffen. Von den hohen Preisen und zusätzlich von den explodierenden Zinsraten. Dadurch eskalieren die Schuldenkrisen noch weiter. Anders als manche Länder Südeuropas, die an der Grenze zur Schuldenkrise stehen, stecken ja die Länder des Globalen Südens häufig schon mitten drin.
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Isabella Weber ist Assistant Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Amherst, Massachusetts.
Fabio De Masi ist Ökonom, ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments für die Linkspartei und zählt zu den einflussreichsten progressiven Wirtschaftspolitikern in Deutschland. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Finanzmacht und Finanzkriminalität.