18. November 2022
Die Münchner Polizei hat Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation in Präventivhaft genommen. Dieses Vorgehen ist nicht nur antidemokratisch, es ist auch ein Abbild einer breiteren Verschiebung nach rechts.
Straßenblockade der Letzten Generation wird von der Polizei aufgelöst, München, 7. November 2022.
IMAGO / ZUMA WireDie Verhängung einer 30-tägigen Präventivhaft gegen zwölf Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation in München hat große Wellen geschlagen und am Wochenende erste Proteste nach sich gezogen. Die Maßnahme erfolgte präventiv und auf der Basis polizeilicher Befugnisse, also ohne Strafprozess und Verurteilung für eine begangene Straftat. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist dieses Vorgehen nicht zu vereinbaren. Die Inhaftierung muss allein deshalb umgehend beendet werden. Die Inhaftierung fällt zudem in den Kontext einer aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte, in der von rechts ein härteres Durchgreifen gegen die Letzte Generation gefordert wird.
Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder befürwortet die präventive Inhaftierung und empfiehlt eine bundesweite Nachahmung. Vonseiten der Union als auch der FDP werden Rufe nach Haftstrafen und Strafrechtsverschärfungen laut. Diese Forderungen werden von grotesken Übertreibungen flankiert, die in der Letzten Generation bereits die Formierung einer terroristischen Klima-RAF angelegt sehen.
Diese Stimmungsmache erweckt den Anschein, dass die Inhaftierungen eine politische Funktion erfüllen. Dabei ist letztlich unerheblich ob es darum geht, die Proteste zu be- oder verhindern, politischen Gegnerinnen wie den Grünen oder der Klimabewegung zu schaden oder politisches Kapital aus einer Positionierung zu schlagen, die autoritären Begehren in der Bevölkerung entspricht. So oder so handelt es sich um einen politischen Einsatz der Polizei, der zudem sehr hochschwellig ist.
Die Inhaftierung basiert auf einer Rechtsgrundlage – dem bayrischen Polizeiaufgabengesetz – dessen Verschärfung im Jahre 2018 Massenproteste gegen die bayrische Landesregierung ausgelöst hatte. Die Kritik betraf verschiedene weitreichende Entgrenzungen polizeilicher Befugnisse, die die bayrische Landesregierung in den Jahren 2016, 2017 und 2018 beschlossen hatte. Die im vorliegenden Fall relevante Präventivhaft für Gefährderinnen und Gefährder stellte dabei ein wesentliches Thema der Proteste dar.
Die CSU-geführte bayrische Landesregierung behauptete damals, die erweiterten Befugnisse würden ausschließlich in absoluten Ausnahmesituationen eingesetzt werden, etwa gegen Terroristinnen und Terroristen. Kritische Stimmen warnten davor, dass die Regelungen gegen politische Gegnerinnen und Gegner sowie marginalisierte Gruppen instrumentalisiert werden könnte. Nicht einmal ein Jahr nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen war es genau so gekommen: Im Juni 2018 wurden im Rahmen einer Razzia in einer Sammelunterkunft in Schweinfurt mehrere Geflüchtete auf Basis der geänderten Regeln in Präventivhaft genommen. Dabei war besonders brisant, dass sie keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand hatten.
Die Verschärfungen des bayrischen Polizeiaufgabengesetzes fielen in eine Zeit, in der sich eine politische Verschiebung nach rechts vollzog, die sich nicht nur im Aufstieg der AfD niederschlug, sondern auch in medialer Hetze und vermehrten Anschlägen gegen Geflüchtete. Die CSU befeuerte diese Dynamik zusätzlich durch den »Asylstreit«, der sich innerhalb der Union entzündete und diese weiter nach rechts zog. Das zeigte sich nicht nur in einer Verschärfung der rassistischen Politik gegen Geflüchtete, die sich in Hetzreden gegen einen vermeintlichen »Asyltourismus« und die Einführung von Ankerzentren niederschlug. Auch die Verschärfungen des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) waren ein politischer Ausdruck des Rechtsrucks der Union.
Bei den Protesten gegen das PAG ging es also um mehr als nur die Einführung eines rechtsstaatlich fragwürdigen Gesetzes: Die PAG-Reformen wurden zum Ausgangspunkt einer breiten Sammlungsbewegung derjenigen, die sich dem Rechtsruck entgegenstellten. Diese Bewegungen konnten die Rücknahme des PAG nicht durchsetzen, trugen aber dazu bei, dass einige wesentliche Änderungen am PAG vorgenommen werden mussten und etwa eine zeitliche Begrenzung der Präventivhaft eingeführt wurde. Sie wirkten auch dem weiteren Abdriften der CSU nach rechts entgegen, die in Folge ihre verbalen Angriffe reduzierte und sich stärker von der extremen Rechten abgrenzte.
Aktuell ist von dieser Abschwächung nicht mehr viel zu spüren. Im Gegenteil. Die demonstrative Härte gegen die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation fügt sich in eine neuerliche Rechtsaußen-Strategie der Unionsparteien. Dabei greifen sie nicht nur die Hetze gegen Geflüchtete wieder auf, wie Friedrich Merz‘ Sozialtourismus-Kommentare vor einigen Wochen belegen. Auch Feministinnen und eine vermeintlich »illiberale Wokeness« geraten vermehrt ins politische Fadenkreuz der Konservativen. Gleichzeitig verstärkt die Union mit der Kampagne gegen das Bürgergeld ihre Angriffe auf Armutsbetroffene und Sozialleistungsbeziehende. Insgesamt drängt sich also die Frage auf, ob wir mit der Inhaftierung der Aktivistinnen und Aktivisten eine Neuauflage der Konstellation von 2018 erleben.
Die mehr als 1.000 Menschen aus fünfzig Organisationen, die vergangenen Sonntag unter dem Motto »Kriminalisierung Stoppen« in München demonstriert haben, forderten die »sofortige Abschaffung der Präventivhaft« und schlossen mit der Verwendung des noPAG-Hashtags an die frühere Protestbewegung gegen das PAG und den gesellschaftlichen Rechtsruck an. Gleichzeitig gingen sie mit ihrem Aufruf und den Demo-Reden einen anderen Weg als die stark auf die CSU und den Rechtsruck fokussierten Proteste des Jahres 2018. Sie stellten die Repression gegen die Letzte Generation und andere soziale Bewegungen in den Kontext der »verschärften kapitalistischen Krisen« und betonten die Funktion staatlicher Repression in Bezug auf die Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse.
Die relativ randständige Einordnung des Rechtsrucks in materielle Verhältnisse war tatsächlich eine Schwachstelle der 2018er-Proteste. Denn diese Verkürzung auf ideologische Kämpfe hat letztlich dazu beigetragen, dass symbolische Anpassungen der CSU die Proteste demobilisieren konnten, ohne dass sich materiell viel verändert hat, was sich etwa in Bezug auf die realen Lebensverhältnisse von Geflüchteten in Bayern zeigt.
Dennoch kann man die Repression nicht nur aus den Interessen herrschender Politik ableiten. Wie sich an den absurden Überreaktionen zeigt, die die Aktionen der Letzten Generation produzieren, spielen Ressentiment und Straflust ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Popularität der demonstrativen Härte macht deutlich, dass diese nicht nur auf die CSU beschränkt sind. Die neuerliche Protestbewegung ist also mit der Frage konfrontiert, wie sie einerseits dieses antidemokratische Vorgehen anprangern kann und zugleich mit der aufkeimenden Dynamik einer populären Debatte um härtere Strafen umgehen will. Mit der Zuspitzung der Klimakrise scheint sich nun auch diese Frage erneut zuzuspitzen.