26. Januar 2022
PCR-Tests sollen künftig nicht mehr kostenfrei sein, alle Verantwortung wird auf die Einzelnen abgewälzt. Von einem solidarischen Umgang mit Corona kann keine Rede sein.
Wer einen Test braucht, muss Zeit mitbringen: Lange Warteschlange vor einem Berliner Testzentrum, 14. Januar 2022.
Die Omikron-Welle rollt über Deutschland, fast täglich steigt die Zahl der Neuinfektionen, die nun bei bisher unvorstellbaren Werten von über 100.000 Fällen pro Tag liegt. Doch entschlossene Reaktionen von offizieller Seite lassen auf sich warten: Zwar will Gesundheitsminister Lauterbach die bisherigen Maßnahmen beibehalten, Verschärfungen lehnt er aber ebenso ab. Omikron soll die Bevölkerung nicht zu schnell durchseuchen, aufzuhalten ist es wohl nicht.
Es scheint sich ein Konsens etabliert zu haben, wonach ein Großteil der Bevölkerung mit der neuen Variante in Kontakt kommen wird. Auch international sind sich die meisten Expertinnen und Experten einig: Omikron ist nicht zu stoppen, denn der Impfschutz erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit eines milden Krankheitsverlaufs, hindert aber nicht die Weitergabe des Virus. Da diese Virusvariante weniger Krankenhausaufenthalte und Todesfälle zu verursachen scheint, könnte sie das Ende der Pandemie und den Anfang einer Endemie einläuten, bei der das Virus, wie andere Atemwegserkrankungen, in einer überwiegend teilimmunisierten Bevölkerung zirkuliert.
Die Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz, den Zugang zu kostenlosen PCR-Tests einzuschränken, mag vor diesem Hintergrund vielleicht nachvollziehbar erscheinen, wäre jedoch vermeidbar gewesen. Allein die Stadt Wien hat während der Pandemie mehr Kapazitäten für PCR-Tests aufgebaut als die Bundesrepublik, wo man dies für verzichtbar hielt. Die Einschätzung der Regierung war falsch: Denn auch wenn das Drohpotenzial von Omikron für jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen niedriger ist als bei Delta, so gilt es weiterhin, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Zu viele zeitgleiche Omikron-Infektionen würden die Krankenhauskapazitäten überfordern. Der Grundgedanke aus der Anfangszeit des Pandemie-Managements, die Infektionskurve abzuflachen, wird erneut zum Mittel der Wahl.
Es ist daher alles andere als egal, dass Corona-Verdachtsfälle nicht mehr per PCR-Nachweis getestet werden sollen: Nur die zuverlässige PCR-Testung schafft Sicherheit und ermöglicht es so, das Infektionsgeschehen zu bremsen, gerade bei asymptotischen Kontaktpersonen bereits bestätigter Fälle. Doch einen PCR-Test bekommt – von Risikogruppen abgesehen – in Zukunft wohl nur noch, wer ihn selbst bezahlen kann.
Die Tatsache, dass nicht rechtzeitig in PCR-Testkapazitäten investiert wurde, reiht sich in eine lange Liste fragwürdiger Entscheidungen der deutschen Corona-Politik ein: So wurde während der Pandemie die Anzahl der Intensivbetten– hauptsächlich wegen Personalmangels – reduziert. Politisch zuständig fühlt sich niemand. Anstatt die Löhne zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, setzt die Politik auf Gängelung und Zwang – etwa indem sie Arbeitsschutzregelungen aufweicht. Die Situation der Intensivpflegenden war und ist der Politik im Grunde gleichgültig. Wir erleben eine Pandemie, in der das Land wie bereits zuvor von seiner sozialen Substanz zehrt und in der Menschen und Infrastruktur verschlissen werden.
Während von den Beschäftigten wie selbstverständlich Opfer für das Kollektiv erwartet werden, sollen die negativen Auswirkungen der Pandemie Privatsache bleiben. Auch die Aussetzung der Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne – ein gefährlicher Präzedenzfall – zeigt, dass die neue wie alte Bundesregierung im Umgang mit Corona lieber gängelt, als aufklärt und Solidarität schafft. Auch die geplanten, nicht gestaffelten Bußgelder für Impfverweigerer führen de facto zu einer Impfpflicht für Arme.
Bei der Nachverfolgung der Kontaktketten, welche die Gesundheitsämter mittlerweile hoffnungslos überfordert, ruft die Bundesregierung dazu auf, »eigenverantwortlich« Kontaktpersonen zu informieren und die »verfügbaren elektronischen Hilfsmittel zur Kontaktnachvollziehung« zu nutzen. Dass Beschäftigte im Homeoffice damit vermutlich weniger Probleme haben als etwa Paketbotinnen und Kassierer, dürfte klar sein.
Man sollte den Protesten gegen die Pandemiepolitik nicht mehr öffentlichen Raum bieten, als sie verdienen: Während der letzten beiden Jahre protestierte eine mal größere, mal kleinere Minderheit. Umfragen bezeugen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Gefahr durch Corona stets ernst nahm und die Maßnahmen zur Pandiemiebekämpfung im Großen und Ganzen unterstützte.
Doch das bedeutet nicht, dass eben diese Mehrheit keinen Frust empfindet: Pflegepersonal, Eltern, Schülerinnen, Lehrer, aber auch die sogenannten »systemrelevanten« Beschäftigten der täglichen Daseinsvorsorge haben über die letzten zwei Jahre statt Solidarität leere Versprechen erhalten. Die Lasten der Pandemie wurden alles andere als gerecht verteilt. Dieses Frustrationspotenzial ist politisch nicht gebunden und nicht erschlossen. Es offen, welche Kraft es mobilisieren kann.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.