22. Mai 2023
Die Berliner Koalition stolpert mit Skandalen und Law-and-Order-Politik in ihre Regierungszeit. Kai Wegners Ablenkungsmanöver? Rechter Kulturkampf.
Zwei, die sich gefunden haben: Franziska Giffey und Kai Wegner bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags in Berlin, 26. April 2023.
IMAGO / Metodi PopowDie SPD hätte es natürlich ahnen können: Seitdem die Konservativen nach der Silvesternacht vor allem durch die Abfrage von Vornamen aufgefallen sind, wurde das Wahlprogramm auf Law and Order und rechten Kulturkampf umgestellt. In den Wochen nach der Wahl musste die SPD eine Grundsatzentscheidung treffen: für eine Mitte-Links-Regierung, also die Beibehaltung von Rot-Grün-Rot, oder für eine Regierung mit der CDU als sozialdemokratische Juniorpartnerin, was nicht nur den Verlust des Bürgermeisterinnenamtes, sondern auch der Mehrheit im Bundesrat für die SPD-geführten Länder bedeutet.
Man entschied sich für Letzteres. Ein knappes Mitgliedervotum bestätigte diesen Kurs der Parteiführung, auch wenn es nach einer Juso-Kampagne zumindest kurz etwas im Karton rappelte. Auch eine Bewegung gegen die drohende Rückschrittskoalition sammelte sich schnell, konnte aber nicht richtig Fahrt aufnehmen. Die Koalition wirkte dann doch nicht bedrohlich genug.
Mittlerweile ist der Koalitionsvertrag in trockenen Tüchern und auch der kleine Wahlskandal von Kai Wegner ist überstanden. Dieser hatte im ersten Wahlgang nicht die nötigen Stimmen erhalten – vermutlich ein Protest einiger SPD-Abgeordneter. Auch im zweiten Wahlgang verpasste er knapp die nötige Mehrheit, was im dritten Wahlgang die AfD auf den Plan rief, die eine Chance auf den ersten Regierungsskandal witterte und zur Wahl Wegners in den eigenen Reihen aufrief. Auch wenn unklar ist, wie viele Stimmen die Rechten am Ende tatsächlich beisteuerten: allein die Tatsache, dass man die AfD in die glänzende Lage brachte, Kai Wegener womöglich auf seinen Posten verholfen zu haben, war ein denkbar schlechter Start für die Konservativen, die es mit der Abgrenzung nach Rechts nicht immer so genau nehmen oder sie im Zweifel durch rassistisches Dogwhistling gar selbst aufweichen.
Die »große« Koalition blinkt derzeit im Kulturkampf wahlweise rechts und links und ist sich offenbar selbst unschlüssig, in welche Richtung es gehen soll. Einerseits besetzt man die Senatsposten bewusst divers und rühmt sich damit, einen schwarzen Kultursenator oder eine türkischstämmige Sozialsenatorin zu haben. Dieses Diversity-Marketing ist vor allem nach dem rassistisch geprägten Wahlkampf ein Hohn für migrantische Menschen in Berlin, die sich von dieser Regierung kaum Verbesserungen ihrer Lebensstandards erhoffen können.
Gleichzeitig machte der neue Bürgermeister gerade dadurch Schlagzeilen, dass er keinen Brief aus der Verwaltung in »Gendersprache« unterzeichnen werde. Ein Verbot sei das nicht, und sogleich wurde von Franziska Giffey nachkorrigert: Es gehe der Koalition darum, in einfacher Sprache mehr Menschen zu erreichen. Ob es nun gerade das Gendern ist, das Menschen daran hindert, Beamtendeutsch besser zu verstehen, ist mindestens zweifelhaft. Viel spricht dafür, dass in den kommenden Monaten noch weitere derartige Scheindebatten ausgefochten werden, bei denen die CDU vorprescht und die SPD wieder zurückrudert.
Diese Nebelkerzen sollen wohl vor allem von den großen und kleinen Skandalen der ersten Wochen ablenken. Denn eine der ersten Amtshandlungen des neuen Senats bestand darin, die eigenen Gehälter zu erhöhen und die Berliner Verwaltung nach dem Vorbild der Bundesministerien politischer auszurichten. Dass das immer auch mit parteipolitischem Taktieren und Machtkalkül einhergeht, zeigte der Fall Graichen im Bundesministerium für Wirtschaft gerade sehr eindrücklich.
Während die CDU bundesweit Kritik über die Grünen auskübelt, wird schnell vergessen, dass sie die Meisterin des Lobbyismus ist. Wegner selbst muss sich gerade die Frage stellen, was der Immobilienunternehmer Christoph Gröner genau für Anforderungen an die Partei stellte, als er 2020 satte 800.000 Euro an Parteispenden überwies. Zwar dementiert er, dass die Großspende an Bedingungen geknüpft gewesen sei, doch mutmaßlich sollte der Mietendeckel, einst das Prestigeprojekt des früheren Senats, verhindert werden – politische Einflussnahme dieser Art bedarf einer genauen Untersuchung. In welche Richtung der mietenpolitische Kurs der aktuellen Regierung weist, dürfte hingegen bereits jetzt klar sein.
Denn der neue Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) ließ verkünden, dass der 2022 eingesetzte Mietenstopp für landeseigene Wohnungen auslaufen werde. Dieser gilt für 350.000 Wohnungen in der Stadt – aber eben nur noch für das laufende Jahr. Eine moderate Mieterhöhung gehöre zum Geschäft der landeseigenen Unternehmen, so der Senator. Gleichzeitig versucht die Regierung den Volksentscheid zur Vergesellschaftung von großen Immobilienunternehmen zu zerschmettern. Mit einem Vergesellschaftungsrahmengesetz soll nun verhindert werden, was von dem geplanten Gutachten der Expertenkommission als juristisch machbar bestätigt wurde, nämlich die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne. Der Vorschlag der Regierung ist bewusst unkonkret. Er sieht vor, dass einige Wohnungen zurückgekauft werden könnten, während der Volksentscheid vorsah, dass sämtliche Wohnung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen in öffentliches Eigentum überführt werden. Dieser systematische Eingriff in den Mietmarkt zugunsten der öffentlichen Hand wird nun wohl doch noch abgewendet. Damit nimmt die Regierung der Vergesellschaftung ihren Kernbestandteil.
Auch das SPD-geführte Innenressort von Iris Spranger ist schnell dadurch auffällig geworden, gegen die Aktionen der Letzten Generation aus den letzten Wochen mit besonderer Härte vorzugehen. »Leider«, so die Senatorin, »müsse Selbstjustiz gegen die Klimaaktivisten geahndet werden«. Man prüfe derzeit, ob es sich bei der Letzten Generation nicht um eine kriminelle Vereinigung handele und ob eine Verlängerung der Präventivhaft nicht möglich sei. Bürgermeister Wegner fordert direkt fünf statt zwei Tage Haft. Die Law-and-Order-Koalition macht ihrem Ruf also alle Ehre und will Grundrechte dort einschränken, wo sie sich von Protesten gestört fühlt. Derweil können SPD und CDU mit der Immobilienlobby vermutlich weiter Geschäfte aushandeln.