15. März 2023
Der Kollaps der Silicon Valley Bank ist das Ergebnis von Korruption und finanziellem Leichtsinn. Doch wie bei der Finanzkrise von 2008 springt der Staat den Reichen zur Seite, während die breite Bevölkerung zu Eigenverantwortung ermahnt wird.
Filiale der Silicon Valley Bank in Santa Clara, Kalifornien, 13. März 2023.
IMAGO / XinhuaEs gibt Ereignisse, die alles, was in unserer Ära falsch läuft, perfekt verkörpern. Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) gehört dazu: Viele Jahre finanzieller Rücksichtslosigkeit, die Anspruchshaltung von Konzernen und die Korruption bei der politischen Entscheidungsfindung finden darin ihren Höhepunkt.
Der Absturz der SVB – die gemessen an ihren Vermögenswerten bis vor wenigen Tagen noch die sechzehntgrößte Bank der USA war – ist die zweitgrößte Bankenpleite in der US-Geschichte und der heftigste Bankenkollaps seit der globalen Finanzkrise von 2008. Die 1983 gegründete Bank war die primäre finanzielle Anlaufstelle für die vielen Start-ups aus dem Silicon Valley, die sich im Zeitalter des billigen Geldes wie eine Seuche ausbreiteten. Genau das war einer der ausschlaggebenden Faktoren für den Untergang der SVB.
Gute Zeiten für das Risikokapital waren auch gute Zeiten für die SVB, die fast die Hälfte aller US-amerikanischen Unternehmen betreute, die mit Risikokapital finanziert wurden. Die vergangenen zehn Jahre waren für die Bank besonders lukrativ gewesen, da die US-Notenbank nach der Wirtschaftskrise die Ära der Niedrigzinsen eingeläutet hatte. Das schleppende Wirtschaftswachstum und die hohe Arbeitslosigkeit hatten für die politische und wirtschaftliche Elite oberste Priorität; niedrige Zinsen, so glaubte man, würden niedrigere Kosten für die Kreditaufnahme bedeuten. Und das wiederum würde die Investitionen ankurbeln, was einen Beschäftigungszuwachs zur Folge haben würde.
Der Wind drehte sich nach Ausbruch der Corona-Pandemie, als die Inflation die Arbeitslosigkeit als politisches und wirtschaftliches Problem überschattete. Die Federal Reserve begann, die Zinssätze rapide zu erhöhen. Diesmal glaubte man, dass die Einschränkung von Investitionen und die Erhöhung der Ausgaben für Unternehmen und Bevölkerung das Lohnwachstum und den Konsum zurückhalten und die Inflation ausbremsen würden – obwohl der Chef der US-Notenbank Jerome Powell offen zugab, dass diese Strategie die Lebensmittel- und Kraftstoffpreise überhaupt nicht beeinflussen würde.
Das führte nebenbei auch dazu, dass der unaufhörliche Strom an Risikokapital, der selbst diejenigen Start-ups über Wasser hielt, die Verluste machten, versiegte. Das löste im Tech-Sektor einen Abschwung aus, was auch die SVB zu spüren bekam, da nun viele ihrer mit Risikokapital finanzierten Anleger ihre Einlagen sichern wollten.
Hinzu kam, dass die SVB viel in Staatsanleihen investiert hatte – auch weil die Bank nicht viel anderes mit dem Geld, das ihre Kundinnen und Kunden bei ihr geparkt hatten, anfangen konnte. Da Kurse von Staatsanleihen tendenziell sinken, wenn die Zinsen steigen, waren die Zinserhöhungen der Fed für die SVB besonders verheerend. Laut dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze musste die SVB für jeden 25. Basispunkt der Zinserhöhung einen Verlust von mindestens 1 Milliarde Dollar hinnehmen, während sie nichts in die Zinsabsicherungen investierte, was sie für die Maßnahmen, die die US-Notenbank im Zuge der Inflationsbekämpfung ergriff, besonders anfällig machte.
Der daraus resultierende Kursabsturz löste unter den Anlegern fieberhafte Aufregung aus, was der SVB schließlich zum Verhängnis wurde. Das ist nicht zuletzt auch dem Risikokapitalunternehmen Founders Fund des rechtsextremen Milliardärs Peter Thiel zu verdanken. Nachdem Founders Fund herausgefunden hatte, dass ihre Anleger Probleme hatten, Geld auf ihre SVB-Konten zu überweisen, wurden sie von dem Unternehmen dazu angeordnet, ihr Geld an andere Banken zu überweisen. Als die SVB dann zusammenbrach, waren sämtliche Gelder bereits abgezogen. Etwa zum gleichen Zeitpunkt wurde in einem Newsletter, der unter Risikokapitalisten zirkuliert, vor den finanziellen Problemen der SVB gewarnt. Ein Einleger beschrieb, wie in einem Gruppenchat mit mehr als zweihundert Tech-CEOs blanke Panik um sich griff. Schon kurz darauf hatten alle ihre Gelder abzogen. Eine solche Dynamik führt zu einem klassischen Bank-Run, bei dem alle Einleger ihr Geld gleichzeitig abheben, was einen Kollaps der Bank nach sich zieht.
Ermöglicht wurde das alles durch ein Zusammenspiel aus wirtschaftlicher Macht und Korruption, wie es für Washington üblich ist. Donald Trump und ein Kongress in republikanischer Hand hatten 2018 das Dodd-Frank-Gesetz zur Regulierung des Finanzsystems abgeschafft. Darum hatte der SVB-Chef drei Jahre zuvor persönlich gebeten. Die Regierung hatte dieser Art von Bankenkollaps damit Tür und Tor geöffnet, da sie Banken von der Größe der SVB davon befreite, Liquiditätsanforderungen erfüllen oder Stresstests der Aufsichtsbehörden bestehen zu müssen. Die SVB hat nicht einfach nur nett um die Abschaffung des Gesetzes gebeten, sondern hat über drei Jahre hinweg über eine halbe Million Dollar in Lobbyarbeit investiert und Ex-Mitarbeiter des damaligen Mehrheitsführers (und jetzigen Sprechers) des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy, der die Rücknahme der Auflagen enthusiastisch befürwortete, als Lobbyisten rekrutiert.
Natürlich waren nicht nur die Republikaner schuld. Siebzehn Demokraten unterstützten die Deregulierung unter Trump. Entscheidend dafür, Kritik von progressiver Seite abzuschütteln, war Barney Frank – der »Frank« in Dodd-Frank. Er selbst bestand darauf, dass das Zurückschrauben der Vorschriften eine Finanzkrise in Zukunft nicht wahrscheinlicher machen würde. Seine Einschätzung wurde im Senat und anderswo von Wall-Street-hörigen Demokraten zitiert, als sie sich darauf vorbereiteten, die hart erkämpften Finanzregulierungen auszuhöhlen.
Franks Ratschläge sind angesichts der aktuellen Entwicklungen schlecht gealtert. Noch schwerer wiegt jedoch, dass er damals zufällig im Vorstand der Signature Bank saß, die stark davon profitierte, dass Frank dem Kongress die Schwächung seiner eigenen legislativen Errungenschaft nahegelegt hatte. Durch ihren eigenen Bank Run wurde die Signature Bank zur drittgrößten Bankenpleite in der Geschichte der USA und wurde kürzlich ebenfalls von den Aufsichtsbehörden geschlossen, um zu verhindern, dass weitere Teile des Finanzsystems in Mitleidenschaft gezogen werden. Genau das, was laut Franks Behauptungen ausgeschlossen war, ist also eingetreten.
In der Zwischenzeit sind aus den hyper-individualistischen Supermännern des Silicon Valley und der Wall Street über Nacht willige Mündel des Staates geworden, die die Regierung darum bitten, ihre wohlhabenden Investoren zu retten. (Von der Regierung werden nur Einlagen in Höhe von bis zu 250.000 Dollar versichert, was bedeutet, dass mehr als 85 Prozent der SVB-Einlagen unversichert waren). Larry Summers, der bis vor kurzem noch über den »unangemessen großzügigen Erlass von Studierendenkrediten« herzog, erklärt uns nun plötzlich, jetzt sei »nicht die Zeit, um moralisch zu belehren oder Lektionen zu erteilen oder wegen der politischen Folgen von ›Bail-outs‹ Alarm zu schlagen«. Summers fordert daher, dass alle nicht versicherten Einlagen »bis Montagmorgen vollständig abgesichert sein müssen«.
Wie zu erwarten haben sich Summers und seinesgleichen am Ende durchgesetzt. Entgegen aller Zusicherungen, die SVB und die Signature Bank nicht zu retten, verkündeten das Finanzministerium, die Federal Reserve und die Federal Deposit Insurance Corporation – ein staatlicher Einlagenversicherungsfonds –, es handele sich um »einen Ausnahmefall für systemische Risiken«. Aus diesem Grund würden alle Einleger »Zugang zu ihrem gesamten Geld haben«, ungeachtet der 250.000-Dollar-Schwelle. Realisiert werden soll das Ganze über ein Kreditprogramm für Banken.
Einige Stimmen argumentieren, dieses Vorgehen sei mit den verhassten Bail-outs von 2008 nicht zu vergleichen, da in diesem Fall die Banken nicht gerettet und die Kosten nicht von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern getragen würden (die Gelder, die verwendet werden, bestehen aus Gebühren, die von den Banken erhoben wurden). Letztlich ist es aber dennoch so, dass die Regierung einspringt, um sicherzustellen, dass reiche Investoren und CEOs keinen Cent verlieren, obwohl sie genau wussten, dass ihre Einlagen nicht versichert waren. Sogar das Wall Street Journal nennt das einen »De-facto-Bail-out«.
Die von Reichtum geprägte Ungerechtigkeit, die damit einhergeht, liegt auf der Hand. Sobald die Reichen in Schwierigkeiten geraten, weil sie es versäumt haben, grundlegende Sorgfaltspflichten zu erfüllen, werden sie mit Geld überschüttet. Gleichzeitig wird die arbeitende Bevölkerung zu persönlicher Verantwortung ermahnt und ist gezwungen, noch den letzten Cent zusammenzukratzen, um sich inmitten einer Wirtschaftskrise halbwegs abzusichern, und erhält lediglich eine läppische Einmalzahlung, mit der man in den meisten Städten noch nicht einmal die Miete zahlen kann.
Die Frage ist, welche Art von Verantwortungslosigkeit das in Zukunft bestärken wird. Schließlich haben die Anleger gerade (wieder) die Erfahrung gemacht, dass der Staat sie retten wird, selbst wenn ihre Einlagen nicht versichert sind – egal wie verantwortungslos das Finanzinstitut, bei dem sie ihr Geld geparkt haben, gehandelt hat. Solange die Gefahr einer potenziell größeren finanziellen Instabilität lauert, haben sie nichts zu befürchten. Man könnte sich auch fragen, welches wirtschaftliche Chaos die Entschlossenheit, mit der die Federal Reserve die Inflation durch eine Anhebung der Zinsen zu bekämpfen versucht, noch auslösen könnte; die SVB ist nur eine von vielen Institutionen, die von einem Kollaps bedroht sein könnten, wenn die Zentralbank ihren Plan – von dem Experten sagen, er könnte wie im Falle des Kursabsturzes von Kryptowährungen eine Rezession auslösen – weiterverfolgt.
Wie lange werden die Menschen dieses System noch akzeptieren? Ein System, in dem riesige Mengen an Reichtum inmitten historischer Krisen für unproduktive Zwecke verschleudert und dann aufgrund von spekulativem Leichtsinn vergeudet werden – nur um diejenigen, die das Geld haben, abzusichern, und allen anderen einen harten Sparkurs aufzudrücken? Die Bankenrettungen von 2008 lösten eine Kaskade populärer Wut aus, die die Politik unseres Jahrhunderts enorm geprägt hat – angefangen bei Occupy Wall Street über die Kampagnen von Bernie Sanders bis hin zur Tea-Party-Bewegung und der Präsidentschaft von Donald Trump. Bleibt abzuwarten, wie sich diese politische Landschaft entwickeln wird, wenn es so weitergeht.
Branko Marcetic ist Redakteur bei JACOBIN und Autor des Buchs »Yesterday’s Man: The Case Against Joe Biden«. Er lebt in Chicago, Illinois.