02. Dezember 2022
Nachdem Lindner erst behauptete, Übergewinne seien nicht feststellbar, will die Ampel – auf Druck der EU – nun doch Übergewinne abschöpfen. Die massiven Krisenprofite des Energiemarkts werden dabei allerdings nur zaghaft angetastet.
Die Übergewinnsteuer kommt jetzt doch. Die Umverteilung von unten nach oben wird sie jedoch nicht stoppen.
IMAGO / Political-MomentsÜber ein halbes Jahr ist es nun her, da brachte Italien eine der ersten Übergewinnsteuern für Energiekonzerne auf den Weg. Währenddessen konnte Lindner bei der Mineralölindustrie keine Übergewinne ausmachen, erkannte aber bei der Stromindustrie »Rendite-Autopiloten«, also durch das Marktdesign entstandene Zufallsgewinne. Getrieben von EU-Beschlüssen, legt die Ampel nun eigene Konzepte für eine 90-prozentige Zufallsgewinnabschöpfung auf dem Strommarkt und eine 33-prozentige Übergewinnabschöpfung bei Kohle, Gas und Öl vor. Doch die Vorschläge sind unausgegoren.
Dabei ist das Abschöpfen der Übergewinne fundamental. Denn den zusätzlichen Einnahmen bei den Energiekonzernen stehen höhere Ausgaben der ganzen Gesellschaft gegenüber. Das ist Umverteilung von unten nach oben par excellence. Wird diese Umverteilung nicht gestoppt oder rückabgewickelt, wird die Ungleichheit sowie die Marktmacht der Krisengewinner weiter zunehmen.
Schon der Vorstoß des vormaligen italienischen Regierungschefs Mario Draghi, dem ehemaligen EZB-Präsidenten, verdeutlichte die entscheidenden Punkte einer Übergewinnsteuer und prägt heute auch die Debatte in Deutschland: Es geht nämlich nicht nur um den Steuersatz, auf den die Übergewinnsteuer häufig verkürzt wird. Mindestens genauso wichtig ist das sogenannte Steuerobjekt, was also besteuert wird: der Übergewinn. Und den kann man sehr unterschiedlich definieren.
Wendet man eine weite Definition der Übergewinne an, könnte man mit einem niedrigen Steuersatz ein höheres Aufkommen erzielen als mit einem hohen Steuersatz auf eine enge Definition der Übergewinne. Das beträfe etwa auch die Frage, ob Unternehmen ihre Gewinne schönrechnen oder ins Ausland verschieben können. Ein weiterer Knackpunkt ist, dass viele Übergewinne in der Vergangenheit erzielt wurden, weshalb Italien auch rückwirkend versteuerte.
Während Italien alle Branchen der gleichen Steuer unterwirft, werden sie in Deutschland aufgeteilt. Für Öl, Kohle und Gas gibt es eine EU-Energiekrisenabgabe (steuerrechtlich) und für Strom eine Erlösobergrenze (nicht steuerrechtlich). Diese Trennung lässt sich auf die EU-Beschlüsse zurückführen, da dort die Bereiche ebenso aufgeteilt wurden. Das ist aber kein Naturgesetz und birgt sogar große Probleme. So hatten andere Länder wie zum Beispiel Italien ursprünglich eine Übergewinnsteuer für alle Energieträger. Durch die Aufteilung entstehen aber ganz direkte Verantwortlichkeiten für die Umsetzung.
Lindner schlägt bei Öl, Gas und Kohle vor, den steuerlichen Gewinn als Berechnungsgrundlage zu nehmen. Alles, was 20 Prozent über dem Durchschnittgewinn von 2018-21 liegt, ist Übergewinn. Und dieser soll mit 33 Prozent besteuert werden. Das gilt für die Jahre 2022 und 2023. Positiv hieran ist die Rückwirkung für das Jahr 2022, da womöglich in der Mineralölindustrie einige Übergewinne gemacht wurden.
Allerdings ist die Übergewinndefinition sehr eng. Denn die Basis – der steuerliche Gewinn – ist zum Beispiel um Abschreibungen, Gewinnoptimierungen, aber auch Gewinnverschiebungen ins Ausland reduziert. Und auch der Aufschlag – also das, was die Gewinne der letzten Jahre übersteigen darf – ist mit 20 Prozent vergleichsweise hoch. Andere Länder setzen hier zum Beispiel bereits bei 10 Prozent an.
Auch der Steuersatz befindet sich auf dem Mindestmaß der EU-Vorgabe. Daher sollte vor allem bei der Übergewinndefinition mindestens der Steuersatz angepasst werden. Andere Länder wie Österreich, Italien oder Tschechien haben deutlich höhere Steuersätze. Es gibt aber noch ein anderes Problem: Der Bund kann nicht überprüfen, wie viele Übergewinne anfallen, obwohl er die Steuer abwickelt. Die Daten dafür liegen nämlich in den regionalen Finanzämtern, zu denen der Bund keinen digitalen Zugriff hat. Lindners Plan stützt sich also irrsinnigerweise auf die Aussagen der Energiekonzerne.
Habecks Vorschlag für den Strommarkt basiert auf einer Erlösobergrenze für den Stromverkauf, die sich je nach Energieträger unterscheidet. Sie wird ermittelt, indem die Grenzkosten eines Energieträgers mit einem üppigen Sicherheitspuffer – einem Aufschlag – ausgestattet werden. Alles, was darüber liegt, ist der Zufallsgewinn. Und dieser wird zu 90 Prozent abgeschöpft. Im Vergleich zu Lindners Vorgehen wird deutlich: Sowohl das Steuerobjekt als auch der Steuersatz sind größer.
Habecks Modell hat aber einen anderen fundamentalen Mangel: den Zeitraum. Während es erst hieß, dass man rückwirkend zum 1. März 2022 abschöpfen möchte, wurde dies zunächst auf den 1. September und nunmehr auf den 1. Dezember nach hinten verschoben. Die Begründung lautet, dass es rückwirkend EU-rechtliche Probleme gäbe. Offensichtlich gibt es diese Bedenken bei einer steuerrechtlichen rückwirkenden Abschöpfung wie bei Lindners Vorschlag nicht. Das bedeutet im Umkehrschluss: Habeck muss ein Modell vorlegen, das eine Rückwirkung ermöglicht.
Hieran zeigt sich auch wieder die Scheinheiligkeit der Grünen. Sie dreschen auf Lindner ein, dabei macht ihr eigener Minister den größeren Mist, da er die bisherigen, womöglich dutzenden Milliarden Euro an Strom-Zufallsgewinnen außen vor lässt. Es gibt aber noch eine weitere Gefahr, die bei Habecks Modell im Gesetzgebungsprozess schlummert: Einige Grüne und Liberale wollen neue erneuerbare Erzeuger von der Erlösobergrenze befreien. Sie dürften demnach ungebremst grüne Zufallsgewinne weiter einsacken. Solch ein Einknicken wäre fatal, da auch diese grünen Zufallsgewinne früher oder später zu den Reichen fließen.
Mit diesen Übergwinnabschöpfungen wird die Umverteilung von unten nach oben auf dem Energiemarkt abgedämpft – dabei müsste sie komplett gestoppt und die bisherige rückabgewickelt werden. Diese Rückabwicklung ist bei Strom für dieses Jahr aber nur noch bis Jahresende möglich. Danach wird man diese Übergewinne nicht mehr über diesen Weg besteuern können. Das alles ist nötig, um überhaupt nur den verteilungspolitischen Ausgangszustand wiederherzustellen. Dazu muss Lindner seine Definition und seinen Steuersatz überarbeiten und Habeck wiederum ein Modell vorlegen, das eine Rückwirkung ermöglicht und neue Anlagen nicht ausnimmt.
Sollte das nicht geschehen, wird eine Vermögensabgabe noch wichtiger. Denn früher oder später fließen die Übergewinne von heute zu den Superreichen von morgen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.