10.05.2021
Heute vor 40 Jahren wurde François Mitterrand zum französischen Präsidenten gewählt. Sein Reformprogramm sollte den Grundstein des französischen Sozialismus legen. Es endete in einem totalen Fiasko.
François Mitterrand, 7. Mai 1988.
Rob Croes / Anefo / Nationaal Archief / Public Domain.
Von Jonah Birch
Übersetzung von Johannes Liess
Als der Anführer der Sozialistischen Partei (PS) François Mitterrand als erster Präsident der Linken seit Beginn der Fünften Republik ins Präsidentenamt gewählt wurde, weckte er große Hoffnungen. In der Nacht des 10. Mai 1981, als die Endergebnisse der Wahlurnen bekannt gegeben wurden, brachen auf den Straßen Frankreichs spontane Feierlichkeiten aus. In Paris versammelten sich Zehntausende am Place de la Bastille, wo sie bis in die Morgenstunden sangen und tanzten.
Fünf Wochen später untermauerte die Linke den Erfolg Mitterrands und gewann die Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung. Damit waren die Weichen für eine Regierung gestellt, die zum ersten Mal seit 1947 auch aus Kommunisten bestand.
Angesichts der letzten drei Jahrzehnte ist schwer vorstellbar, wie bedeutend der schwindelerregende Aufstieg der Linken in die nationalen Ämter damals gewesen ist. Doch ein Jahrzehnt nach den frustrierten Hoffnungen des Mai 1968 und den Jahren unter der rechten Regierung der fünften Republik, fühlte sich Mitterrands Aufstieg an wie ein radikaler Bruch mit dem Kapitalismus. Mitterrands Agenda, die berühmten »110 Vorschläge für Frankreich«, war ein ambitioniertes Programm, das den »französischen Weg zum Sozialismus« eröffnen sollte.
Mitterrand war nicht immer Teil der radikalen Linken, sondern kam aus dem moderateren Flügel des französischen republikanischen Sozialismus. Als unverbesserlicher Opportunist reichten seine Prinzipien immer nur so weit, wie es seine politischen Ambitionen erlaubten. Trotzdem rückte Mitterrand im Verlauf seines Lebens immer weiter nach links – von seinen jugendlichen Heldentaten als Unterstützer des kollaborationistischen Vichy-Regimes über seine Konvertierung zur linken Resistance bis hin zu seinen Tagen als moderater sozialistischer Minister in den kurzlebigen Kabinetten der 1950er, den gescheiterten Wahlkämpfen fürs Präsidentenamt 1965 und 1974 und schlussendlich seinem PS-Beitritt 1971.
Seine Karriere spiegelt die Entwicklung des französischen Sozialismus wider: In den 1950ern war die sozialistische Linke eine zersplitterte Ansammlung von kleinen Parteien, kaum zu mehr fähig, als den Juniorpartner in einer endlosen Serie von Koalitionsregierungen zu geben.
In den Jahrzehnten zwischen der Volksfront und der Wahl Mitterrands hatten nur zwei Repräsentanten der Linken ein exekutives Amt inne – am längsten hielt sich Guy Mollet, dessen Amtszeit vor allem deshalb in Erinnerung geblieben ist, weil er das Massaker in Algerien befahl und gemeinsam mit Großbritannien und Israel 1956 die Invasion Ägyptens startete. Nach Charles de Gaulles’ Rückeroberung der Macht und der Errichtung der Fünften Republik 1958 war die Linke für zwei Jahrzehnte von nationalen Ämtern ausgeschlossen.
Während der Vierten Republik war Mitterrand Teil von mehreren kurzlebigen Koalitionsregierungen: 1954 als Innenminister unter Präsident Pierre Mendès und anschließend als Justizminister in der Regierung von Guy Mollets.
Mitterrands Zeit als Justizminister war von seiner Beteiligung an der Unterdrückung der algerischen Befreiungsbewegung geprägt. Seine Position im Algerienkonflikt verdeutlicht sich in einem berühmten Zitat von ihm: »Algerien, das ist Frankreich«. Während seiner Amtszeit unter Mollet verordnete er die Verlängerung der Notstandsgesetze und empfahl in 45 Fällen die Todesstrafe.
Später bereute Mitterrand sein Mitwirken in diesem Krieg, der über 1 Million Algerierinnen und Algerier das Leben kostete. Doch seine Beteiligung war bezeichnend für den brutalen Kolonial-Nationalismus, der damals in der französischen sozialistischen Bewegung weit verbreitet war. Das Stigma der Mittäterschaft schadete sozialistischen Anführern wie Mollet enorm. Doch Mitterrand konnte dem schlechten Ruf entgehen.
In den 1970ern kam es dann zur Transformation des französischen Sozialismus. 1969 versammelten sich die Repräsentantinnen und Repräsentanten der vereinzelten Organisationen der nicht-kommunistischen Linken, um die vereinte Sozialistische Partei zu bilden. Auf dem Kongress der Partei in Épinay, der im Juni 1971 stattfand, wurde Mitterrand zum Anführer der Partei gewählt.
Épinay steht für Mitterrands Wandel von einem moderaten republikanischen Sozialisten zu einer Figur der radikalen Linken. Auf dem Kongress versuchte Mitterrand seine antikapitalistische Glaubwürdigkeit zu bestärken und fragte:
»Reform oder Revolution? Ich möchte sagen […] ja, Revolution. Und ich möchte unmittelbar darauf hinweisen, […] der tägliche Kampf um strukturelle Reformen kann in seiner Natur revolutionär sein. Doch was ich gerade gesagt habe, könnte nur ein Alibi sein, wenn ich nicht den zweiten Satz hinzufüge: gewaltsam oder friedlich, Revolution ist zunächst nur ein Bruch. Derjenige, der den Bruch nicht akzeptiert – und mit ihm die Methode, die daraus folgt – derjenige, der nicht dazu bereit ist, mit der etablierten Ordnung zu brechen […], mit der kapitalistischen Gesellschaft, diese Person kann in meinen Augen nicht ein Mitglied der Sozialistischen Partei sein.«
Auf der anschließenden Pressekonferenz ließ er verlauten: »Man kann Manager der kapitalistischen Gesellschaft sein, oder ein Begründer der sozialistischen Gesellschaft. […] Wir wollen Letzteres sein.«
Mitterrands Wahlprogramm von 1980 spiegelte seine neu gewonnene Radikalität wider. Aber es zeugte auch vom Wandel des politischen Kontextes im Frankreich und Europa der 1970er. Einerseits war es der Versuch, mit der Kommunistischen Partei (PCF) zu konkurrieren, traditionell die stärkste Kraft der französischen Linken. Andererseits bemühte sich die PS, die wirtschaftliche Schieflage zu betonen und so auf den Diskurs einzuwirken.
Das PS-Wahlprogramm war die Antwort auf die sich zuspitzende ökonomische Krise und einen wachsenden Klassenkampf. Diese Linkswende ließ sich damals bei allen sozialdemokratischen Parteien in Europa beobachten: vom Aufstieg des Bennism in der britischen Labor Party bis zu den Plänen schwedischer Sozialdemokraten, durch Lohnarbeiter-Fonds schrittweise die private Industrie zu sozialisieren.
Tatsächlich war Mitterrands Sieg in vielerlei Hinsicht die Hochwassermarke des sozialdemokratischen Radikalismus der Nachkriegszeit. Doch die Radikalisierung der 1970er zeigt auch, wo ihre Grenzen liegen.
Als Mitterrand 1981 an die Macht kam, befand sich der europäische Kapitalismus inmitten einer langanhaltenden Krise. Und Frankreich war besonders schwer von ihr getroffen. Gegen steigende Arbeitslosigkeit, wachsenden Inflationsdruck und stagnierende wirtschaftliche Aktivität versprach der Präsident drastische Maßnahmen.
Mitterrand schlug die Verstaatlichung der nicht konkurrenzfähigen Industrieunternehmen vor, um die Beschäftigungszahlen beizubehalten und den wirtschaftlichen Wiederaufbau voranzutreiben. Dieser Schritt war nicht als Enteignung, sondern als Rettung gemeint. Im damaligen Kontext waren Vergesellschaftungspläne der Regierung nicht mehr ganz so radikal, wie es uns heute eventuell erscheint. Tatsächlich hatten planwirtschaftlich anmutende Elemente eine lange Tradition im französischen Kapitalismus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm der Staat diverse Industriezweige und -unternehmen. 1946 setzte die Regierung eine Planungskommission ein, um die ökonomische Entwicklung langfristig zu lenken: Im Lauf der nächsten vierzig Jahre wurden von Seiten der Planungskommission neun Fünfjahrespläne herausgegeben. Und auch außerhalb des staatlichen Sektors waren viele Unternehmen von der Regierung abhängig. Zwischen 1969 und 1981 wurde fast die Hälfte aller Investitionen im privaten Sektor durch den französischen Staat getätigt.
Mitterrands Wirtschaftsplanung war der Versuch, das dirigistische Modell der Nachkriegszeit wiederzubeleben. Ziel war nicht die Enteignung des Privateigentums, sondern die Rettung der Industrie. Der globale Wirtschaftsaufschwung sollte den Rest erledigen.
Im Grunde genommen war es ein keynesianisches und kein sozialistisches Programm, doch mit der Umsetzung stieß Mitterrand an die Grenzen der europäischen Wirtschaft. Seine Regierung stand vor einem Dilemma – entweder mit dem ursprünglichen Wirtschaftsplan voranschreiten, trotz der tief verwurzelten Feindschaft seitens der Unternehmen, oder aufgeben.
Das Europäische Währungssystem (EWS), der Vorgänger der Eurozone, verkomplizierte den Plan der Sozialistischen Partei zusätzlich. Durch die Bindung des französischen Franc an die Deutsche Mark schränkte das EWS die Fähigkeit der Regierung ein, die Währungspolitik anzupassen.
Am Ende stand Mitterrand vor der Entscheidung, entweder das EWS zu verlassen und damit möglicherweise den Zugang zum globalen Finanzsystem zu verlieren, oder seine reformistischen Ambitionen aufzugeben. Der französische Premierminister klagte damals: »Ich bin hin- und hergerissen zwischen zwei Ambitionen: Europa aufbauen und soziale Gerechtigkeit«.
Mitterrand entschloss sich für die Kapitulation und sorgte damit für die berühmte Kehrtwende: Seine Regierung entschied sich in den Jahren 1982–83 für eine Politik der Austerität. Die Folgen sind noch heute spürbar. Sein Richtungswechsel legte den Grundstein der Privatisierung und der neoliberalen Umstrukturierung des französischen Kapitalismus. Aus der Sozialistischen Partei wurde eine Vertreterin des Marktes.
Mitterrands Kehrtwende schaffte außerdem die Grundlagen für das Erstarken der radikalen Rechten; 1983 feierte der Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen seinen ersten Wahlerfolg in Dreux. Nur ein Jahr später erzielte der FN seinen großen Durchbruch bei den europäischen Wahlen.
Ende des Jahrzehnts erreichte der FN Prozente im zweistelligen Bereich – eine Partei, die wenige Jahre zuvor so unbedeutend war, dass Le Pen nicht einmal genug Unterschriften sammeln konnte, um zur Präsidentschaftswahl anzutreten. 2017 belegte Jean-Maries Tochter und Nachfolgerin Marine Le Pen den zweiten Platz bei den Präsidentschaftswahlen. Mehr und mehr Wählerinnen und Wähler wendeten sich der FN zu, desillusioniert von François Hollandes ökonomischen Misserfolgen und den unbeliebten Arbeitsmarktreformen.
Die weniger glorreichen Jahre Mitterrands fanden jedoch nicht im luftleeren Raum statt, sondern waren eine direkte Folge der französischen Wirtschaftskrise der 1970er. Das Jahrzehnt markierte das Ende des langanhaltenden Nachkriegsbooms und der Vollbeschäftigung, die in Frankreich trente glorieuses (»dreißig glorreiche Jahre«) genannt wird.
1974 sank die wirtschaftliche Aktivität, die Investment- und Profitraten fielen und das Produktivitätswachstum stagnierte. Während Arbeiterinnen und Arbeiter in den frühen und mittleren 1970er Jahren noch wirkliche Lohnverbesserungen durchsetzen konnten, stieg die Arbeitslosigkeit – die zu Beginn des Jahrzehnts quasi nicht-existent gewesen war – wieder an. Und die Wirtschaft begann nicht nur in Frankreich zu schwächeln, sondern in ganz Europa.
Mit allen Mitteln versuchten die französischen Regierungen der Lage Herr zu werden: Zunächst wollte man die Wirtschaft durch eine Defizitfinanzierung wiederbeleben. Anschließend wurde versucht, steuerliche Sparmaßnahmen und monetäre Zurückhaltung durchzusetzen, nur um danach den Kurs erneut zu wechseln.
Für die französische Linke stellten sich diese planlosen Bemühungen als Segen heraus. Bis in die Mitte der 1960er war sie zwar gespalten, aber selbst in den späten 1970ern organisierten die Kommunisten noch mehr als eine halbe Million Mitglieder. Bis 1969 gewannen sie regelmäßig bis zu einem Viertel der Stimmen in den legislativen Wahlen. Doch die wahre Stärke der kommunistischen Partei PCF war die Lokalpolitik. Sie verfügte über ein weitläufiges Netzwerk von Gemeinden und Städten, in denen die Arbeiterinnenklasse dominierte. Die PCF regierte 72 von insgesamt 221 Gemeinden in Frankreich, in denen mehr als 30.000 Menschen lebten.
Außerdem hatten die Kommunisten durch ihre Verbindungen zur Confédération générale du travail (CGT), Frankreichs größtem Gewerkschaftsverbund, einen enormen Einfluss auf die Arbeiterbewegung. Die CGT war eine ausdrücklich kommunistisch geführte Gewerkschaft, was den Verband während des Kalten Kriege zur Zielscheibe einer Vielzahl von Kritiken machte. Als sich die 1970er sich ihrem Ende neigten, hatte die CGT mehr als zwei Millionen Mitglieder und war besonders in der Manufaktur und der Schwerindustrie gut vertreten.
Traditionell stellten die Kommunisten den mächtigsten Flügel der radikalen Linken, doch diese Vormachtstellung veränderte sich im Laufe des Jahres 1968. Viele junge französische Arbeiterinnen und Arbeiter sahen die CGT als konservativ und bürokratisch an. Sie hielten die Gewerkschaft für einen Verein undemokratischer Stalinisten ohne Vision.
Während der späten 1960er und 70er schlossen sich viele dieser Arbeitenden dem Französischen Demokratischen Gewerkschaftsbund (CFDT) an, dem zweitgrößten Gewerkschaftsbund Frankreichs, der eng an Teile der PS gebunden war. Nach 1968 bewegte sich der CFDT nach links und übernahm Forderungen nach kollektiver Selbstverwaltung, industrieller Demokratie und sogar Stadtplanung.
In diesen Jahren gewann der CFDT einen militanten Ruf und verschrieb sich einer »klassenkämpferischen Gewerkschaftsform«. Auf dem CFDT Kongress 1977 gaben sich die Funktionäre konfrontativ:
»Es kann keinen Frieden im Klassenkampf geben; der CFDT lehnt jegliche Mäßigung seiner Forderungen ab, ebenso wie die Vorstellung eines sozialen Friedens.«
Später wandte sich die CFDT zwar gegen einen radikalen Kurs, vor diesem Kurswechsel schaffte es die Gewerkschaft aber, selbst anarchistische Gruppen unter ihrem Banner zu vereinigen. In der zweiten Hälfte der 1970er wandte sich der CFDT einer entschieden antikapitalistischen ideologischen Agenda zu. Die folgende Einschätzung, die ein Gewerkschaftsfunktionär auf dem Kongress von 1977 vortrug, illustriert die Lage des französischen Kapitalismus zu dieser Zeit:
»Das kapitalistische System ist zutiefst erschüttert, aber nicht irreparabel zerstört. Niemand kann sagen welchen Ausgang die Krise nehmen wird. Es gibt keinen Determinismus und keine Selbstkorrektur. Ob Autoritarismus, selbstverwalteter demokratischer Sozialismus oder eine Zwischenlösen: Es ist noch nichts entschieden.«
Die Beziehungen zwischen PCF und PS, ebenso wie zwischen CGT und CFDT, waren Ende der 1960er von Misstrauen geprägt. Mitterrand selbst hatte mit den Kommunisten gebrochen, doch er verstand, dass eine Allianz mit der PCF die einzige Hoffnung für eine starke Linke war.
Das Ergebnis seiner Verhandlungen mit den Kommunisten war das »Gemeinsame Regierungsprogramm« (Programme commun) von 1972. Zu den radikalen Reformen des Programms zählten Vergesellschaftungen, der Ausbau des Wohlfahrtstaates und die Stärkung der Gewerkschaftsrechte.
Es war kein revolutionäres, sondern ein reformistisches Programm. Trotzdem war erkennbar, dass es den Anspruch hatte, die Grundlage für den Sozialismus zu legen. Die linke Koalition hatte die Kontrollzentren des französischen Kapitals im Visier.
In dem Dokument selbst finden sich Sätze, die diesen Anspruch widerspiegeln. Ziel sei es »mit der Dominanz des großen Kapitals zu brechen und ein neues ökonomisches und soziales Programm umzusetzen«, um »die wichtigsten Produktionsmittel und finanziellen Instrumente aus den Händen der dominanten Kapitalgruppen in die der Gemeinschaft zu übergeben«.
Die Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und der Sozialistischen Partei sollte ein halbes Jahrzehnt anhalten. Doch diese Zeit war immer auch von Konflikten geprägt. Mitterrand stand offen zu seinem Konkurrenzverhältnis zur PCF. Dass beide Parteien um Wählerstimmen konkurrierten, blieb nicht aus. So kommentierte er in Bezug auf die Zusammenarbeit der Parteien:
»Unser fundamentales Ziel ist der Wiederaufbau einer großen Sozialistischen Partei, deren Platz derzeit von der PCF selbst eingenommen wird – von den 5.000.000 kommunistischen Wählern, würden 3.000.000 genauso gut sozialistisch wählen. Das ist der Grund für diese Vereinbarung.«
Die Kommunisten waren sich hingegen nie ganz sicher, wie sie mit Mitterrand umgehen sollten: Mitterrand verschaffte ihnen ein Wahlbündnis und die Möglichkeiten ministerialer Posten in einer Koalitionsregierung. Auf der anderen Seite verfolgte er offensichtlich das Ziel, die Basis der PCF für sich zu gewinnen. Nach einem aufsehenerregenden Erfolg der Linken in den Gemeindewahlen 1977, spitzten sich die Spannungen zwischen den beiden Parteien zu.
1978 brach die PCF mit der politischen Allianz. Ein kalkulierter Schachzug, denn die Parteispitze rechnete mit einem massiven Stimmenzuwachs auf Seiten der PS. Für viele linke Wählerinnen und Wähler war der Bruch ein Schlag ins Gesicht. Die Sozialistische Partei wurde so zur Partei einer linken Einheit.
Als Mitterrand schließlich 1981 für das Präsidentenamt kandidierte, wurde den Kommunisten klar, aus welcher Richtung der Wind blies. Nachdem ihr Kandidat in der ersten Runde unterlag, sicherten sie Mitterrand ihre Unterstützung zu. Im Wahljahr 1981 wurde deutlich, was der linke Aufstieg zur Macht für die PCF bedeuten würde: Trotz der absoluten Mehrheit für die Linke in diesen Wahlen, war es die PS, die an Stimmen zulegen konnte – die PCF verlor bei diesen Wahlen sogar Unterstützung an die Sozialisten. Die französischen Kommunisten sollten sich von dieser Niederlage nie wieder erholen.
Der Sieg der kommunistisch-sozialistischen Allianz 1981 sorgte auf Seiten der Linken für Euphorie. Doch die neue Regierung sah sich sogleich mit einer düsteren ökonomischen Situation konfrontiert. Die Arbeitslosigkeit stieg stetig und erreichte 1981 besorgniserregende 7 Prozent. Die Inflation stieg 1980 auf 12 Prozent an. Investitionen und Produktivität stagnierten. Das französische Handelsdefizit war enorm. Der Franc stand unter Druck. Mitterrands Plan zum Umgang mit der Krise, sollten nicht aufgehen. Die Rezession, welche die Welt 1979 erlebte, beeinträchtigte den ohnehin geschwächten französischen Industriesektor weiter und lähmte traditionelle Schlüsselindustrien wie die Stahlindustrie.
Die Auswirkungen wurden durch die hohen Zinsraten des US-amerikanischen Finanzministeriums weiter verschärft, während die US-Notenbank versuchte, die Inflation aufzuhalten. Diese Politik ging als »Volcker Schock« in die Geschichte, benannt nach dem damaligen Notenbank-Chef Paul Volcker. Die Gesundschrumpfung des Volcker Schocks resultierte nicht nur in einem scharfen Rückgang der US-Wirtschaft, sondern zeigte auch in Westeuropa Wirkung. Der Wert des Dollars war auf einem Höchststand. Andere Länder leiteten in der Folge zügig die Deflation ein, um zu verhindern, dass der Wert ihrer Währung sinkt.
Die BRD war zu diesem Zeitpunkt die größte europäische Wirtschaftsmacht und in ihrem Zentrum: Die Bundesbank. Um dem inflationären Druck zu begegnen, entschied sich auch die Bundesrepublik 1980–81 für den Weg einer scharfen Rezession. Die Auswirkungen waren in ganz Europa und ganz besonders in Frankreich zu spüren. Während der Wert des Dollars und der Deutschen Mark zügig wieder anstieg, stiegen auch die Kosten für Importgüter, die in diesen Währungen berechnet wurden. Als Importnation belastete der steigende Dollar die französische Wirtschaft schwer. Schließlich wurden 37 Prozent aller Handelswaren, die ins Land gelangten, in Dollar berechnet. Auch der Druck auf den Franc stieg weiter. Der Kursverfall ließ sich kaum aufhalten.
Mitterrand sah sich auf dem Wirtschaftsgipfel 1982 gezwungen, Ronald Reagan zu bitten, den wirtschaftlichen Druck auf den Franc zu lockern. Reagan lehnte ab. So blieb der französischen Regierung keine andere Wahl, als den Franc ein zweites Mal abzuwerten. Mitterrand verurteilte die deflationäre Währungspolitik von Seiten Deutschlands und der USA, doch er konnte ihr nichts entgegensetzen.
Frankreichs Mitgliedschaft im Europäischen Währungssystems beschränkte die Handlungsmöglichkeiten der französischen Regierungsbeamten zusätzlich. Das EWS war ein Wechselkurssystem. Sein Ziel war es, den Wert von Franc und Deutscher Mark innerhalb fester Grenzen zu halten. Mit der Erschaffung des EWS erhoffte sich sein Schöpfer, der französische Präsident Giscard, unter anderem, dass es die französischen Regierungsvertreterinnen und -vertreter dazu ermutigen würde, die von ihm bevorzugten fiskalisch verantwortungsvollen Geldknappheitspolitiken zu verfolgen.
Durch die Bindung von Franc und Deutscher Mark sollten Entscheidungsträgerinnen und -träger weniger Möglichkeiten haben, die Ausgaben zu erhöhen: Die Maßnahme sollte vor allem zukünftige Regierungen an die Deutsche Mark binden und sie somit davon abhalten, in den Kurs des Franc einzugreifen.
Giscards Wagnis sollte sich schlussendlich auszahlen. Nach der sparpolitischen Wende seiner Regierung in den Jahren 1982–83 wurde Mitterrand von seinem damaligen Finanzminister (und zukünftigem EU-Kommissar) Jacques Delors überzeugt, eine Politik des »starken Franc« (oder Franc Fort) zu verfolgen. Die französische Währung sollte bewusst überbewertet werden, um die Währungsstabilität zu sichern und dem inflationären Druck entgegenzuwirken. Als Resultat stieg jedoch in erster Linie die Arbeitslosigkeit der französischen Bevölkerung.
Doch das sollte später passieren. Die ersten Tage nach Mitterrands Amtseinführung waren von Aufregung geprägt. Diese wurde von seinen Bemühungen ausgelöst, die Politik seiner »110 Vorschläge« umzusetzen.
Anfang Juni 1981 führte Mitterrand die Verstaatlichung von zwölf industriellen Konglomeraten, 36 Banken und zwei Finanzunternehmen an. Am Ende des Jahres machten die staatlich kontrollierten Unternehmen zusammengenommen 8 Prozent des BIP aus. Die frisch verstaatlichten Unternehmen stellten über eine halbe Million Arbeiterinnen und Arbeiter an – 2,5 Prozent aller Arbeitskräfte. Die nationalisierten Banken hielten jetzt 90 Prozent des gesamten Vermögens.
Ende 1981 wurde der Finanzsektor quasi durch die Regierung kontrolliert. Zur gleichen Zeit erhöhten sich die Fördergelder für die Industrie maßgeblich: Insgesamt sprangen die staatlichen Hilfen für private Unternehmen auf 100 Million Franc und damit auf 3,5 Prozent des BIP.
Neben diesen Nationalisierungen und staatlichen Subventionen erhöhte die Regierung Mitterrands auch die Haushaltsausgaben, vorrangig durch eine großzügige Ausweitung des Wohlfahrtsstaates. Das Haushaltsdefizit erhöhte sich zwischen 1980 und 1983 von 0,4 Prozent des BIP auf 3 Prozent und die Haushaltsausgaben stiegen allein zwischen 1981 und 1982 um insgesamt 11,4 Prozent. Staatlich geförderte Frühzeitrentenprogramme wurden ausgeweitet und das Rentenalter wurde von 65 auf 60 Jahre herabgesetzt. Gleichzeitig wurden die minimalen Renten um 20 Prozent und Familienzuschüsse um 25 Prozent erhöht.
Im Juni 1981 hob die Regierung den französischen Mindestlohn (den SMIC) um 10 Prozent an. Im Verlauf der Jahre 1981–82 wurde der SMIC um fast 40 Prozent erhöht. Zwischen April 1981 und Juli 1982 stieg der Mindestlohn in der Reallohnentwicklung um insgesamt 11,4 Prozent und überstieg somit das Wachstum des Durchschnittslohns, der während der gleichen Zeit nur um 5,2 Prozent anstieg.
Januar 1982 wurde die durchschnittliche Arbeitswoche im Privatsektor von 40 auf 39 Stunden reduziert und die Regierung plante eine Verringerung auf 35 Stunden bis 1985. Zusätzlich wurde eine fünfte Urlaubswoche eingeführt. Insgesamt nahm die durchschnittliche Arbeitszeit der Angestellten zwischen 1981 und 1983 um 3 Prozent ab. Zusätzlich wurde die staatliche Beschäftigung ausgeweitet und 200.000 neue Beamtinnen und Beamten eingestellt.
Ebenso wurden gewerkschaftliche Rechte ausgeweitet, besonders durch das Auroux Gesetz von 1982, das jährliche Verhandlungen zwischen den Chefs und den Gewerkschaftsfunktionärinnen vorschrieb. Diese Gesetzgebung intendierte, eine bessere Repräsentation der Stimme der Arbeitenden bei den Produktionsentscheidungen zu gewährleisten.
Die Steuern wurden deutlich angehoben. In Frankreich ist der Dreh- und Angelpunkt des Steuersystems die Lohnsteuer, die dazu dient, das umfassende Sozialsystem des Landes zu tragen. 1982 machte das Sozialversicherungssystem ungefähr ein Viertel des BIP aus. Dieser Wert spiegelt wider, wie stark diese Ausgaben über mehr als ein Jahrzehnt hinweg anwuchsen aufgrund steigender Arbeitslosigkeit, dem weitverbreiteten Eintritt ins verfrühte Rentenalter und der Ausweitung der Absicherung gegen Arbeitsunfähigkeit. Viele Arbeitende konnten sich mit einer Rente zur Ruhe setzen, die 100 Prozent ihres Einkommens oder sogar mehr entsprach.
Um diese Wohlfahrtsausgaben zu finanzieren, waren die sozialen Kosten für Chefinnen und Chefs bereits vor Mitterrand deutlich angehoben worden. Doch erst während Mitterrands Amtszeit sollte diese die hauptsächliche Ursache für die Unzufriedenheit der Arbeitgeber werden.
Diese Maßnahmen provozierten bedeutenden Widerstand unter den Unternehmen. Den Verstaatlichungen widersprachen sie nicht, doch sie waren wütend über die steigenden Ausgaben und insbesondere die neuen Gewerkschaftsrechte, die von der Regierung eingeführt wurden. Dadurch verschärfte sich die chronisch gewordene Kapitalflucht. Unter Regierungsvertreterinnen und -vertretern war dies bereits vor Mitterrand Quelle konstanter Besorgnis geworden; zwischen Februar und Mai 1981 erlebte Frankreich eine Kapitalflucht, die heute insgesamt ungefähr 5 Milliarden Dollar entspricht.
Als Mitterrand das Amt antrat, versuchte er dem größten französischen Arbeitgeberverband zu versichern: »Die Franzosen haben das Gemeinsame Regierungsprogramm gewählt. Es wird so angewandt, wie sie es sich wünschten. Dies wird einer der Wege sein, um den Klassenkampf zu beenden. Wir wollen eine gemischte Wirtschaft entwickeln. Wir sind keine revolutionären Marxisten-Leninisten«. Nichtsdestoweniger nahmen die Investitionen während der ersten zwei Jahre seiner Regierung nicht ein einziges Mal zu und auch die Kapitalflucht versiegte nicht.
Der wachsende Widerstand der Unternehmen war nur ein Aspekt des rechten Backlashs auf die Linke, die sich in ihren ersten zwei Jahren an der Macht mit regelmäßigen Protesten von einer ganzen Reihe von Gruppen konfrontiert sah – Kleinunternehmerinnen, die wegen der steigenden Arbeitskosten und neuen Regulationen unzufrieden waren; LKW-Fahrer, die über die Versuche, höhere Importzölle durchzusetzen, erzürnt waren; Bäuerinnen, die wegen der Einfuhr von billigen Agrargütern besorgt waren; Katholiken, die gegen die versprochene Reform des Bildungssystems, welche eine vollständige Säkularisierung des öffentlichen Schulsystems bedeutet hätte, mobilisierten.
Doch am besorgniserregendsten waren für die Regierung Mitterrands die wachsenden ökonomischen Probleme, insbesondere die Inflation und das steigende Zahlungsbilanzdefizit. Ein Zahlungsbilanzdefizit bedeutet für ein Land, dass es mehr im Ausland kauft als es verkauft – im französischen Fall stieg das Handelsdefizit sprunghaft von 56 Milliarden Franc im Jahr 1981 auf 93 Milliarden im Jahr 1982.
Das Wachstum des französischen Handelsdefizits war ein direktes Resultat des ökonomischen Programms von Mitterrand, welches den Konsum erheblich in die Höhe trieb: Das Nettohaushaltseinkommen stieg 1981–82 beispielsweise um mehr als das Doppelte der Produktivitätsrate. Im Großen und Ganzen nutzte die französische Bevölkerung das zusätzliche Geld, um ausländische Güter zu kaufen. Deshalb stieg zu dieser Zeit der Import ausländischer Autos um 40 Prozent und der Kauf von ausländischen elektronischen Gütern um 27 Prozent.
Durch die steigenden Ausgaben, die stagnierende Produktivität und der aufgrund des steigenden Dollarwertes teurer werdenden Importe, geriet die Inflation außer Kontrolle. Bis 1982 stieg sie auf 12,6 Prozent an.
Der Regierung gelang es nicht, die wiederholte Abwertungen des Franc zu vermeiden. Dies geschah zuerst im Oktober 1981, nach Monaten kontinuierlichen Drucks auf den Franc. Mit der bestehenden Politik, wie verstärkten Kapitalkontrollen, war die Zentralbank unfähig, den Wert der Währung aufrecht zu erhalten. Und so entschieden sich Regierungsvertreterinnen und -vertreter dazu, eine Abwertung vorzunehmen.
Doch der Druck auf den Franc ließ nicht nach, sodass sich die Regierung Juni 1982, nach Monaten der Kapitalflucht, dazu gezwungen sah, eine erneute Abwertung zu verkünden – diesmal unterstützt durch einen viermonatigen Lohn- und Preisstopp. Öffentliche Ausgaben wurden um 20 Millionen Franc gekürzt und die Regierung kündigt an, dass in der Zukunft das Haushaltsdefizit nicht höher als 3 Prozent über dem BIP liegen dürfe.
Die Entscheidung zur Abwertung im Sommer 1982 war von Sorgen über den inflationären Effekt der steigenden Einkommen geprägt. Im ersten Quartal desselben Jahres stiegen die Reallöhne um 4,2 Prozent, während die Inflation auf 1,2 Prozent sprang. Diese Abwertung führte die ursprüngliche Regierungsphase der reflationären Wirtschaftspolitik zu Ende.
Innerhalb der Regierung war man sich uneins darüber, wie nun vorgegangen werden sollte. Der linke Flügel der sozialistischen Partei, repräsentiert vom Industrieminister Jean-Pierre Chevènement, wollte die reformistische Agenda der Regierung fortsetzen. Diese Stimmen wurden von den kommunistischen Ministern unterstützt, deren Einfluss jedoch begrenzt war. Sie argumentierten, dass die Regierung in der Lage wäre, die wirtschaftliche Rekonstruktion fortzusetzen, wenn Frankreich das EWS verließe und so losgelöst sei von den Einschränkungen der internationalen Finanzwirtschaft.
Diese Alternative hätte die Etablierung strikterer Kapitalkontrollen erfordert und dadurch die Regierung auf Kollisionskurs mit den Unternehmen gebracht. Frankreich wäre vermutlich von internationalen Krediten und Finanzmärkten ausgeschlossen worden und die Kosten für Kreditaufnahmen wären deutlich angestiegen. Außerdem wären Zugangsbeschränkungen zu ausländischen Konsumgütern notwendig gewesen und möglicherweise auch die Einführung von noch strengeren Lohn- und Preiskontrollen. Gleichzeitig hätte die Regierung so möglicherweise ihr Redistributionsprogramm fortsetzen können, wodurch sie die ökonomischen Verwerfungen vermieden hätte, die das Ergebnis der Wende zur Austeritätspolitik waren.
Für den rechten Flügel innerhalb der Regierung wäre diese Strategie jedoch ein Desaster gewesen. Um Mitterrand herum rieten eine Reihe von einflussreichen Stimmen zur Zurückhaltung angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten des französischen Kapitalismus. Unter der Federführung von Finanzminister Jacques Delors und Wirtschaftsminister Laurent Fabius argumentierten sie, dass ein Rückzug der Reformambitionen angesichts der Umstände die einzige Möglichkeit böte.
Unterstützt von einer Reihe wichtiger wirtschaftlicher Beraterinnen beharrten sie darauf, dass Abwertung und Deflation essenziell seien, um einen Kollaps des Franc zu verhindern. Würde Frankreich den EWS verlassen, würde dies nicht nur seinen Zugang zu den globalen Finanzmärkten beschränken, sondern auch den inflationären Druck verstärken, da die Importpreise schnell steigen würden. Die französischen Unternehmen wären dann nicht dazu in der Lage, den daraus resultierenden Anstieg der Nachfrage zu decken.
Bereits im Herbst 1981 gingen diese wirtschaftlichen Modernisierer innerhalb der Führung der PS mit ihren Rufen nach Verabschiedung von Reflation an die Öffentlichkeit. Delors sprach sich für eine »Pause« des Reformprogramms der Regierung aus, damit die Abwertung Wirkung zeigen könne. Im Verlauf des Jahres wurden die Stimmen innerhalb der Regierung, die einen Wandel in der Wirtschaftspolitik forderten, immer lauter. Die Strömung wurde durch Premierminister Pierre Mauroy unterstützt, der die Sorgen über die Auswirkungen der steigenden Inflation und Auslandsschulden teilte.
So sagte Mauroy im Januar 1983: »Wir wollen, dass die Löhne langsamer als die Preise steigen, damit wir die Kaufkraft der Konsumenten einschränken und die Profitabilität erhöhen.«
Dazu kam es dann auch im März 1983, als Mitterrand gemeinsam mit einer dritten Abwertung des Franc drastische Austeritätsmaßnahmen genehmigte. Staatliche Ausgaben wurden drastisch gekürzt und die Regierung verhängte für Arbeiterinnen und Konsumenten Steuererhöhungen im Wert von 40 Milliarden Franc, während zugleich die Kosten der Unternehmen gesenkt wurden. Die Lohnpreisbindung wurde aufgehoben und jede Anpassung der Löhne wurde im nächsten Jahr auf 8 Prozent begrenzt.
Es wäre falsch, wenn man daraus schließen würde, dass Mitterrands Kehrtwende aus dem Versagen seines keynesianischen Programms resultierte. Tatsächlich verhinderte das expansionistische Programm seiner Regierung einen noch größeren Rückgang – und das während der globalen Rezession der frühen 1980er.
Schätzungen zufolge war die Entwicklung der Haushaltspolitik in Frankreich für ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent verantwortlich, während die zurückhaltende Haushaltspolitik der deutschen Regierung das Wachstum reduzierte. Die Arbeitslosigkeit stieg 1981–1983 um nur 1,9 Prozent, während sie in Deutschland um 5 Prozent anstieg und in der EWG um 4,2 Prozent. Gleichzeitig war die Regierung Mitterrands nicht dazu in der Lage, den Niedergang der französischen Industrie aufzuhalten.
Die führenden industriellen Produzenten verloren weiterhin Geld und Marktanteile. Ihre Unfähigkeit, wieder konkurrenzfähig zu werden, versetzte den Staat mehr und mehr in Bedrängnis. Die Verstaatlichung war ein Mittel, um Arbeitsplätze zu schützen und innerhalb eines globalen wirtschaftlichen Abschwungs eine Umstrukturierung zu fördern. Doch mit der Fortsetzung der globalen kapitalistischen Krise, sah sich der Staat dazu gezwungen, immer größere Verluste zu subventionieren, um die unprofitablen Unternehmen zahlungsfähig zu halten.
Um einen Bankrott zu verhindern, wurden große Mengen Kapital an Produzenten weitergegeben. Zusätzlich gerieten die staatlichen industriellen Konglomerate, die 1981–1982 übernommen wurden, in außerordentliche Schwierigkeiten. 1982 warfen nur zwei der zwölf neu verstaatlichten Unternehmen Profit ab; die absoluten Verluste dieser Firmen verdreifachten sich bis 1983. In den alten Staatsbetrieben sah die Sache auch nicht besser aus, die 1982 gemeinsam 21,4 Milliarden Franc verloren.
Diese Schwierigkeiten spiegelten ein grundlegendes Dilemma wider, welchem jede reformistische Regierung ausgesetzt ist, die während einer ökonomischen Krise an die Macht kommt. Eine Regierung, die scheiternde Industrien übernimmt, um den ökonomischen Abschwung und die erhöhte Arbeitslosigkeit abzufedern, wird auch die Kosten tragen müssen, um unprofitable Industrien zahlungsfähig zu halten. Doch diese finanzielle Last kann sich enorm auf die Haushaltsposition des Staates auswirken und ihre Fähigkeit, andere Reformmaßnahmen zu finanzieren, einschränken.
Der amerikanische Politikwissenschaftler Adam Przeworski schrieb dazu: »Dass der Reformismus aufgegeben wurde, ist eine direkte Konsequenz derjenigen Reformen, die erfolgreich waren. Da der Staat sich fast ausschließlich mit den Aktivitäten beschäftigt, die von einem privaten Standpunkt heraus unprofitabel sind, wird er von denjenigen finanziellen Ressourcen abgeschnitten, die er braucht um den Prozess der Nationalisierung fortzusetzen.«
Diese Schwierigkeiten wurden durch den anhaltenden Widerstand innerhalb des Staates gegenüber Mitterrands Plänen noch verstärkt: insbesondere das Finanzministerium wurde zu einem Zentrum der Opposition. Gleichzeitig hatte die Regierung Schwierigkeiten dabei, das Management der nationalisierten Firmen dazu zu bringen, die wirtschaftlichen Prioritäten des Staates exemplarisch vorzuleben – teilweise, weil sich die Regierung nicht entscheiden konnte, ob die staatlichen Industrien autonom verwaltet oder von staatlichen Vertreterinnen überwacht werden sollten.
Diese Unsicherheit war nicht einfach das logische Ergebnis der Unentschiedenheit oder Verwirrung innerhalb des Staates. Sie war beispielhaft für ein grundlegenderes Problem, welches die ökonomische Agenda der Regierung Mitterrands plagte. Der kapitalistische Staat konnte eine begrenzte Planung in der vorteilhaften Umgebung der Trente Glorieuses umsetzen, doch für Mitterrands ambitioniertere Agenda bot er einen denkbar ungeeigneten Rahmen. So kam es, dass die industrielle Politik der Regierung niemals die Ergebnisse lieferte, auf die Regierungsvertreter gehofft hatten.
Währenddessen verlor der Franc weiterhin an Wert. Zwischen der Wahl Mitterrands 1981 und seiner Kehrtwende 1983 verlor die Währung 27 Prozent ihres Wertes gegenüber der Deutschen Mark. 1984 brauchte man 8,6 Franc um einen einzigen amerikanischen Dollar zu kaufen – mehr als doppelt so viel wie die Austauschrate drei Jahre zuvor, nämlich 4,2 Prozent.
In dieser Situation entschieden sich Regierungsvertreter, dass Reflation nicht länger tragbar sei. Um die wachsende Inflation zu bekämpfen, leiteten sie einen Kurswechsel ein. Im April 1983 drückte es Mauroy mit folgenden Worten aus:
»Ich möchte die Gewohnheiten dieser Nation ändern. Wenn sich die Franzosen mit einer Inflation von 12 Prozent zufriedengeben, dann sollten sie wissen, dass wir, aufgrund unserer wirtschaftlichen Verschränkung mit Deutschland, in eine Situation der Unausgeglichenheit geraten werden. Frankreich muss sich von dieser inflationären Krankheit befreien.«
Diese Kehrtwende erklärt sich nicht nur durch die Unzulänglichkeiten der französischen Industrie oder die unvorteilhafte internationale Situation, mit der die Sozialisten konfrontiert waren, als sie an die Macht kamen. Eine noch zentralere Rolle spielte der Mangel an Selbstbewusstsein der Unternehmen, der sich in chronisch niedrigen Investmentraten und konstanter Kapitalflucht manifestierte. Wie Delors später argumentieren würde:
»Da unser Wachstum stärker von einer nationalen Nachfrage geprägt war als das unserer Nachbarländer, zogen wir Importe an. Es wäre anders gewesen, wenn unsere Produktionskapazitäten darauf hätten antworten können. Doch das war nicht der Fall, aus einem einfachen Grund: In den Jahren vor der Machtergreifung der Linken, hatten produktive Investitionen nur unzureichende Fortschritte gemacht. […] Ich würde hinzufügen, dass die Unternehmensleiter diesen Regierungswechsel nicht mochten. Wenn es keine Zuversicht gibt, gibt es keine Investitionen.«
Das ist ein Problem, das sich jeder reformistischen Regierung mit radikalen Ambitionen stellen würde. Die Regierung Mitterrands versuchte diese Schwierigkeiten zu lösen, indem sie mit Repräsentanten der französischen Unternehmen verhandelte. Tatsächlich behaupten einige, dass er sich bereits im Frühjahr 1982 dazu bereit erklärt habe, gegenüber den Forderungen der Unternehmen in zentralen Punkten Zugeständnisse zu machen – und damit den Richtungswechsel zur Austeritätspolitik im Geheimen initiierte.
In jedem Fall illustriert der französische Fall einen wichtigen Punkt, den sich Sozialistinnen und Sozialisten vergegenwärtigen sollten: Die Macht des Kapitals zeigt sich auch in der Unterlassung von Investitionen. Es ist die Kontrolle über die Investitionsfunktion, in der sich die Macht der kapitalistische Klasse in der politischen Sphäre manifestiert: Da innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft Investitionen eine notwendige Vorbedingung des Wachstums, der Beschäftigung und der Steuereinnahmen sind, haben politische Entscheidungsträgerinnen immer einen Anreiz, die Forderungen der Unternehmen über alle anderen Bedenken zu stellen.
Die einzige Alternative dazu bildet der Versuch, über die Investitionen die Kontrolle zu übernehmen. Doch Mitterrand war schlussendlich nicht dazu bereit, diesen Versuch ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Mitterrands Kehrtwende führte zu einer Kabinettsneuordnung. Doch die Linken verließen nicht mit sofortiger Wirkung die Regierung. Chevenement sollte sein Amt als Industrieminister für ein weiteres Jahr behalten und die Kommunisten schieden erst nach den Europawahlen von 1984 aus dem Kabinett aus, als die Stimmenzahl der PCF ungefähr auf das Niveau des FN absank. Doch Mitterrands Regierung sollte niemals wieder eine reflationäre Wirtschaftsstrategie verfolgen.
Mitterrands Kurskorrektur zeigt sich in den Prioritäten, die seine Regierung am 1983 setzte: Anstatt auf Wachstum oder Beschäftigung lag die Betonung nun auf Preisstabilität und finanzieller Zurückhaltung. Tatsächlich scheint Mitterrand zu diesem Zeitpunkt »von der Inflation besessen« gewesen zu sein (um einen seiner damaligen Kollegen zu zitieren). Nach der Wende begann die wirtschaftliche Perspektive des Präsidenten, die des Business-Establishments zu spiegeln: Bereits im Herbst 1983 prangerte er »exzessive« Forderungen gegenüber den Unternehmen an und sprach in einem Radiointerview davon, dass hohe Steuern die Ursache für stagnierende Investitions- und Beschäftigungsraten seien.
1984 hatte seine Regierung damit begonnen, Subventionen für die französische Industrie zu streichen. Unternehmen, die nicht konkurrenzfähig waren, sahen sich nun gezwungen, die Kosten zu senken. Erwartungsgemäß mündete das in dem Versuch, die Löhne zu drücken, um die französischen Unternehmen konkurrenzfähiger zu machen. Die daraus folgende Entlassungswelle war für Arbeitende in ehemals zentralen Industrien besonders schädlich: Mit am stärksten betroffen war die Stahlindustrie, wo die Regierung ankündigte 25.000 Arbeitsplätze zu streichen; im Schiffsbau wurden die Kapazitäten um 30 Prozent reduziert, was zu 6.000 Stellenstreichungen führte; und im Bergbau, der eine Reduzierung staatlicher Hilfen um mehr als Viertel in nur fünf Jahren hinnehmen musste, kam es zu einem Verlust von 20.000 Stellen.
In den darauffolgenden Jahren leitete die Regierung eine vollständige Umstrukturierung des französischen Kapitalismus an: Sie strich Subventionen für strauchelnde Unternehmen, ließ große Teile der Industrie bankrottgehen und zerlegte zentrale Institutionen des dirigistischen Modells der Nachkriegsordnung.
Unter Mitterrand überwachten Sozialisten die Lockerung von Beschäftigungsregeln, die zu einer Entlassungswelle und einer verstärkten Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse führte. Währenddessen wurden Kapitalkontrollen und Beschränkungen von Finanzaktivitäten aufgehoben
In den nächsten zwei Jahrzehnten leiteten linke wie auch rechte französische Regierungen die Privatisierung des beinahe gesamten staatlichen Vermögens ein. Ende der 1990er waren im Grunde alle Verstaatlichungen, die Mitterrand in den ersten zwei Amtsjahren durchgeführt hatte, wieder rückgängig gemacht worden: Banken, Telekommunikation, Elektrizität und Transport wurden alle zumindest teilweise privatisiert.
Danach ging die Sparpolitik, die ursprünglich von ihren Befürworterinnen und Befürwortern lediglich als »Pause« des Reformprogramms der Regierung dargestellt wurde, in eine neue Phase über. Der Widerstand der Arbeiterinnenbewegung war größtenteils unwirksam. Die französischen Gewerkschaften waren in den meisten Fällen nicht dazu in der Lage, die bestehenden Beschäftigungsniveaus oder Arbeitsstandards gegenüber der Austeritätswelle zu verteidigen.
Der Streik in der Autofabrik von Peugeot-Talbot in Poissy bildete eine seltene Ausnahme. Es war die größte Fabrik in der Pariser Region, ein Komplex mit 13.000 Arbeitenden. 1982 kündigte das Management Stellenreduzierungen an, die fast ein Drittel der Angestellten betrafen. Die Arbeitenden, viele von ihnen Migrantinnen und Migranten, beschwerten sich schon seit Langem über schlechte Arbeitsbedingungen, Repressionen vom Management gegenüber gewerkschaftlicher Organisierung und weit verbreiteter Diskriminierung. Als das Arbeitsministerium im Dezember ankündigte, dass es die die vorgeschlagenen Stellenstreichungen unterstützen würde, begannen sie mit einem Streik, der sich schlussendlich als sehr militant herausstellte. Dennoch brach auch in Poissy die Arbeiterbewegung schlussendlich zusammen – geschlagen von der Unnachgiebigkeit der Regierung und des Unternehmens, sowie vom Konservativismus der Gewerkschaften.
Poissy ist beispielhaft für den Einfluss der Sparpolitik auf die französische Arbeiterinnenbewegung. Mitterrands Wende zur Austerität verstärkte den Niedergang der Gewerkschaften und schwächte die industrielle Militanz. In den restlichen 1980er Jahren fiel der Grad der gewerkschaftlichen Organisierung und die Frequenz der Streiks. Diese Trends hatten besonders schädliche Konsequenzen für die CGT, deren Mitgliederzahl innerhalb von zehn Jahren von grob zwei Millionen zu Beginn der 1980er Jahre auf 600.000 schrumpfte.
Dennoch war die neue wirtschaftliche Agenda der Regierung ihren eigenen Vorstellungen nach in vielerlei Hinsicht erfolgreich. Die Inflation, die 1982 noch 12,6 Prozent erreicht hatte, fiel im Jahr 1984 auf 7,1 Prozent und dann ein Jahr später auf 6 Prozent; 1985 erzielte Frankreich ein Haushaltsüberschuss. Und die französischen Unternehmen kehrten jetzt nach und nach zur Profitabilität zurück: bis 1985 waren beispielsweise die sechs größten industriellen Konglomerate, die 1981–82 verstaatlicht wurden, wieder profitabel.
Doch die Kosten dieses Erfolgs waren außerordentlich. Die Nettolöhne fielen 1984 um 2,5 Prozent. Nach der Kehrtwende Mitterrands stieg die Arbeitslosigkeit stetig. Im Jahr 1984 erreichte sie 9,7 Prozent und stieg im Jahr darauf auf 10 Prozent. Erst in den späten 1990er Jahren sollte die Arbeitslosigkeit wieder abnehmen. Und der »Lohnanteil« (der Teil des BIP, der Arbeiterinnen und Arbeitern in Form von Löhnen zukommt) sollte nach seinem Höhepunkt 1982 stetig fallen.
Durch die erhöhte Arbeitslosigkeit stiegen im Rest des Jahrzehnts die Sozialausgaben stetig: Mitte der 1990er fraß die Finanzierung der sozialen Absicherung 30 Prozent des BIP. Französische Regierungen rechtfertigten Sozialkürzungen daraufhin wiederholt mit einem Verweis auf die Kostenlast, die der hohen Arbeitslosigkeit entsprang.
Währenddessen wurde die Regierungspolitik in anderen Bereichen immer konservativer. Besonders merklich war dieser Richtungswechsel in der Auslandspolitik, wo Mitterrand ein enger Verbündeter von Reagan und Thatcher wurde. Sichtbar würde diese Trendwende auch in der Bildungspolitik, wo Mitterrand in den Jahren nach 1983 sein Versprechen eines säkularen öffentlichen Schulsystems im Angesicht von rechter Opposition aufgab und ebenso im Justiz- und Polizeisystem, wo auf seine ursprüngliche Entscheidung, die Todesstrafe abzuschaffen, eine Hinwendung zu »Law-and-Order«-Politiken folgte.
Außerdem sollte der Präsident, gemeinsam mit seinem früheren Finanzminister Jacques Delors (der im Frühjahr 1985 zum Kopf der Europäischen Kommission ernannt wurde), einer der zentralen Architekten der Eurozone und der Europäischen Union werden. So trieb er beispielsweise die Verhandlungen für den Vertrag von Maastricht 1992 voran. Dieser zwang möglichen Mitgliedern der Eurozone strenge Budgetvorgaben auf (einschließlich eines jährlichen Defizitlimits von 3 Prozent des BIP und einer Begrenzung des absoluten Finanzdefizits auf 60 Prozent des BIP). Tatsächlich trat die französische Regierung unter seiner Leitung am stärksten dafür ein, die unabhängige Europäische Zentralbank zu schaffen, deren Ziel haushaltliche Zurückhaltung und Preisstabilität war.
Mitterrand spielte also eine zentrale Rolle in der Etablierung eines neoliberalen Europas. Diese Kehrtwenden lässt sich nicht allein darauf zurückführen, dass die Sozialisten nur die Wahlen oder unmittelbare politische Faktoren im Kopf hatten. Tatsächlich sorgte Mitterrands Übergang zur Austerität für einen deutlichen Rückgang der Zustimmungsraten: Im Sommer 1982 lag die öffentliche Unterstützung für ihn noch auf 74 Prozent. Innerhalb eines Jahres fiel sie unter 50 Prozent und 70 Prozent aller Französinnen und Franzosen sagten, dass die Regierung durch die Sparpolitik »schwer geschwächt« worden sei. 1984 lag Mitterrands Beliebtheit bei 32 Prozent, dem niedrigste Stand für einen amtierenden Präsidenten zu dieser Zeit.
Währenddessen taumelte die Linke von Wahlniederlage zu Wahlniederlage. Die lokalen Wahlen von 1983 und die Europawahl im Jahr darauf gingen schlecht für sie aus. Schließlich verlor sie 1986 ihre parlamentarische Mehrheit (in einer Wahl, in der sie mit dem Slogan: »Hilfe! Die Rechten sind wieder da!« angetreten war).
Ergebnis dieser Niederlagen waren zwei Jahre der »Kohabitation«, in denen Mitterrand gezwungen war, mit einem rechten Kabinett, angeführt von Premierminister Jacques Chirac, zusammenzuarbeiten. 1988 eroberte die Regierung ihre legislative Mehrheit zurück und auch Mitterrand selbst wurde wiedergewählt. Doch seine Regierung sollte nie wieder zu jener Dynamik zurückfinden, die die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit prägte.
In einem gewissen Sinne war jedoch die Strategie Mitterrands politisch erfolgreich: Auch wenn die PS nach Mitterrands Hinwendung zur Sparpolitik Wahlunterstützung verlor, litt die PCF weitaus mehr darunter. Die Kommunisten verloren in den 1980ern gegenüber den Sozialisten beständig an Einfluss – und auch nachdem sie das Kabinett verließen und sich als linke Kritiker der Regierung neu positionierten, sollte sich ihre Lage nicht verbessern.
1986 waren die Zahlen der PCF in den legislativen Wahlen im Vergleich zu den 1970ern deutlich zurückgegangen. Und dieser Stimmverlust setzte sich in den folgenden Jahren fort: 1995 erreichte ihr Kandidat für das Präsidentenamt weniger als 9 Prozent der Stimmen.
Rückblickend muss man sagen, dass sich die PCF von Mitterrands Debakel niemals erholte. Die Wählerinnen und Wähler kauften es den Kommunisten ohnehin nicht wirklich ab, dass sie sich der linken Einheit verpflichtet fühlen. Doch der Unwille der Partei, Mitterrand nach dem Regierungsbeitritt öffentlich zu kritisieren, stellte sich als Eigentor heraus. Selbst nachdem Mitterrand seine Reformagenda zu Gunsten der Austeritätspolitik aufgab, weigerten sich die Minister der PCF, von ihren Posten zurückzutreten. Das machte die Attacken auf die Sozialisten nach 1984 in den Augen der Wählerinnen und Wähler umso unglaubwürdiger.
Das Ergebnis ist, dass ab den 1990ern eine verstärkt neoliberale PS die PCF als dominante Kraft innerhalb der französischen Linken ersetzt hat. Zumindest in diesem Sinne hat Mitterrand seine Ziele erreicht.
Als die Unsicherheit seiner Regierung in Bezug auf die Wirtschaftspolitik in den frühen 1980ern auf einem Höchststand war, soll Mitterrand zu einem seiner Berater gesagt haben: »In der Wirtschaft gibt es zwei Lösungen. Entweder man ist Leninist, oder man ändert überhaupt nichts.«
Natürlich war Mitterrand, trotz gegenteiliger Behauptungen rechter Zeitungen damals, kein Leninist. Tatsächlich enttäuschte er schlussendlich selbst jene Hoffnungen, auf eine zumindest moderate Reformagenda der Regierung – ganz zu schweigen von seinem parlamentarischen Weg zum Sozialismus, den er einst versprochen hatte.
Denn trotz seiner vorgeblichen revolutionären Intentionen und trotz der Rhetorik des »Gemeinsamen Regierungsprogramms« seiner Wahlplattform von 1981, blieb Mitterrand immer eine Figur des Mainstreams der parlamentarischen Linken. Sein Sozialismus reichte nie weit über die Grenzen der französischen Sozialdemokratie hinaus. Sein Plan war ein technokratisches Projekt des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der sozialen Reform.
Mitterrand hatte kein Interesse daran, seine Massenbasis zu mobilisieren, um seine politische Agenda zu unterstützen; er umgab sich mit Beratern, die in jeder Situation zu Zurückhaltung und Rückzug rieten. Und er versuchte beständig, die sozialen und politischen Spannungen zu schlichten.
Das ist bedauerlich, denn nur durch Maßnahmen und Mobilisierungen, die unweigerlich verstärkte Konflikte mit den Eliten provozieren würden, hätte der Präsident sein Wirtschaftsprogramm noch retten können. Die Einschränkungen, mit denen sich französische Entscheidungsträgerinnen und -träger in den frühen 1980ern konfrontiert sahen, waren zu groß für einen Kompromiss mit dem Kapital, welcher die Deflation möglicherweise vermieden hätte; diese Einschränkungen waren in den Finanzbeschränkungen begründet, die aus Frankreichs institutionellen Verpflichtungen innerhalb des EWS und den Auswirkungen der deflationären Politik in den USA und Deutschland entsprangen.
Doch im Grunde waren sie in den strukturellen Defiziten des französischen Kapitalismus begründet: die chronisch niedrigen Investitions- und Profitraten; die fehlende Konkurrenzfähigkeit auf den Exportmärkten; die Unfähigkeit der staatlichen Planer, das stagnierende Produktivitätswachstum auszugleichen; unzureichende Forschung und Entwicklung.
Um innerhalb der Bedingungen der frühen 1980er Austerität zu vermeiden, hätten drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen: beispielsweise die Durchsetzung strengerer Kapitalkontrollen, um spekulativen Druck auf den Franc zu begrenzen; eine Verpflichtung zu stärkerer Einschränkung von Lohn- und Preiswachstum; weitere Steuererhöhungen, um das wachsende Haushaltsdefizit zu decken; die Entwicklung eines effektiveren und demokratischeren Planungsregimes.
Dieser Weg hätte mit Sicherheit zu einer Eskalation der Konflikte mit dem Kapital geführt, ohne Garantie eines besseren Ergebnisses. Vermutlich hätte Frankreich schlussendlich das EWS verlassen müssen. Ein Bruch mit dem Kapitalismus hätte Frankreich isoliert und es dazu gezwungen, den Pfad zum Sozialismus unter Bedingungen wirtschaftlicher Autarkie zu beschreiten. Das wäre nur möglich gewesen, wenn die Arbeiter-Basis mobilisiert worden wäre, was zu noch größeren Vorwürfen seitens der Unternehmen geführt und die Regierung vermutlich die Unterstützung großer Teile der Mittelklassen gekostet hätte.
Solch eine Strategie durchzuführen, hätte eine andere Regierung mit einer anderen Haltung erfordert – und angesichts der unbeständigen Haltung der Kommunistischen Partei zu Mitterrand, hätte es dazu eine andere Linke gebraucht.
Gleichzeitig bot der Versuch, die Arbeiterinnenklasse für eine anhaltende Offensive gegen die Vorrechte des Kapitals zu mobilisieren, den einzigen Weg aus den Jahrzehnten der Neoliberalisierung, die daraufhin folgten. Eine solche Strategie hätte auch scheitern können – doch sie hätte ebenso die Anfänge einer wirklichen Demokratisierung des sozialen und wirtschaftlichen Lebens markieren können. Es hätte die Möglichkeit eröffnet, die außerordentliche Unterstützung, die die Linke zur Zeit von Mitterrands Wahl genoss, in ein wirklich sozialistisches Experiment umzuwandeln.
Doch Mitterrand wählten diesen Weg nicht. Dabei reicht es nicht, auf seine politischen Schwächen zu verweisen. Es reicht auch nicht, darauf zu hinzudeuten, dass Mitterrand ein opportunistischer Sozialdemokrat war, der eine Konfrontation mit den Unternehmen scheute. Seine Regierung scheiterte an ihrer Unfähigkeit, die strukturellen Einschränkungen zu überwinden, mit denen sie konfrontiert war, als sie an die Macht kam. Aus diesem Scheitern sollten wir lernen.
Denn letztlich stellen diese Einschränkungen dieselben Dilemmata dar, mit der jede radikale Regierung rechnen muss, wenn sie an die Macht kommt.
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