10. Dezember 2020
Im Jugoslawien der 1980er bauten Tausende ihren eigenen Computer. Der »Galaksija« kostete nicht viel, das Design wurde selbst gestaltet und die Software war Open Source. Die Idee dahinter: Technologie muss für alle zugänglich sein.
Voja Antonić und Jova Regasek arbeiten am Prototypen des »Galaksija«
Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien war eine politische Anomalie. Von einer kommunistischen Partei regiert, aber nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin 1948 aus dem Ostblock verstoßen, wurde diese Föderation aus sechs Republiken unter Titos Banner einer interethnischen, interreligiösen und internationalen »Brüderlichkeit und Einheit« zusammengehalten. Nach der Ablehnung durch die Sowjetunion versuchte sich Jugoslawien an der geopolitischen Herausforderung, einen Mittelweg zwischen den zwei globalen Supermächten zu finden.
Zusammen mit Ägypten, Ghana, Indien und Indonesien gründete das Land die Bewegung der Blockfreien Staaten, einen Flickenteppich von Entwicklungsländern, die im Kalten Krieg eine dekoloniale »dritte Option« der formellen Neutralität anstrebten. Diese Bewegung war eines der wenigen wirklich antiautoritären, antiimperialistischen internationalen Bündnisse des 20. Jahrhunderts. Die einzigartige geopolitische Lage Jugoslawiens und seine infrastrukturelle Autonomie bildeten einen fruchtbaren Boden für die nationale Identität des Landes.
Der beschleunigte Aufbau der Verteidigungskapazitäten und Industrieanlagen nach dem Krieg und insbesondere nach dem Ausschluss Jugoslawiens aus dem überstaatlichen Bündnis kommunistischer Parteien »Kominform« 1948, erforderte nicht weniger als eine logistische Revolution. Robuste Rechenmaschinen waren für die umfassende Echtzeit-Überwachung riesiger Mengen von Waren in Produktion und Austausch unerlässlich. Schon bald blühte eine lokale Computerindustrie auf, um diese Nachfrage zu befriedigen.
Dr. Rajko Tomović – ein Robotiker, der maßgeblich an der Erfindung der weltweit ersten künstlichen Hand mit fünf Fingern beteiligt war – arbeitete mit Teams von Mathematikerinnen und Mathematikern sowie Maschinenbauerinnen und Maschinenbauern am Institut für Nuklearwissenschaften, Vinča, und am Belgrader Institut für Telekommunikation und Elektronik, Mihajlo Pupin (später Mihajlo-Pupin-Institut), an der Entwicklung von Fertigungstechniken unter Verwendung lokaler Maschinen und lokaler Teile. Die Verbesserung des Lebensstandards in den 1960er und 70er Jahren führte zu einem stets wachsenden Bedarf an Buchhaltungscomputern in der Bürokratie. Jugoslawien wurde zu einem technologischen Schnellkochtopf, der eine eigenwillige Computerkultur hervorbrachte, die ihre Blüte der starken institutionellen Unterstützung zu verdanken hatte.
Aber Computer waren teuer. Der Durchschnittspreis von Iskradata 1680, Sinclair ZX81 oder Commodore 64 – Standardmodelle für Endverbraucherinnen und Endverbraucher, die in Regierungsbüros, Buchhaltungsfirmen und wissenschaftlichen Labors der Universitäten des Landes zu finden waren – überstieg das Monatsgehalt durchschnittlicher jugoslawischer Arbeiterinnen und Arbeiter um ein Vielfaches. Eine zusätzliche Hürde waren die strengen Importbeschränkungen für alle Artikel mit einem Wert von über 50 D-Mark, die das Land verhängt hatte; diese Grenze lag weit unter dem Betrag, den man für den Kauf eines 8-Bit-Mikrocomputers aufbringen musste, der auf dem Kontinent hergestellt worden war. Infolgedessen waren der Besitz und das Programmieren von Computern in den 1970er Jahren die Domäne einer kleinen Riege gebildeter und wohlhabender junger Jugoslawierinnen und Jugoslawier.
Mitglieder lokaler Kunst-, Musik- und Literaturbewegungen – wie den Neuen Tendenzen oder der Novi Val (Neue Welle) – oder verschiedener Science-Fiction-Subkulturen legten häufig Geld zusammen, um gemeinsam ein Gerät zu erwerben.
Aber Jugoslawiens kulturelle Tradition der Autodidaktik hatte Bestand. Während eines Urlaubs im montenegrinischen Risan in den frühen 1980er Jahren entwarf der Amateurfunker und Digitalelektronik-Enthusiast Voja Antonić das Konzept für einen elementaren Mikrocomputer. Antonić war bereits ein angesehener Ingenieur; er hatte in der Vergangenheit schon »Arbitar« entwickelt, ein offizielles Zeitmessungssystem, das bei mehreren Skiwettkämpfen auf dem Balkan eingesetzt wurde, sowie ein Interface für die Übertragung von Bildern von Monochrom-Monitoren auf 16mm Film. Während seines Montenegro-Urlaubs las Antonić das Anwendungshandbuch für eine neue Reihe von Einzelchip-CPUs, die von der US-amerikanischen Radio Corporation (RCA) hergestellt wurden. Das brachte ihn auf eine Idee. Anstatt einen komplizierten und teuren Video-Controller zu verwenden, überlegte Antonić, ob es möglich wäre, einen Computer zu konstruieren, dessen 64×48-Blockgrafiken nur mit einem billigen Zilog Z80A-Mikroprozessor erzeugt werden konnten – einer CPU, die in Elektronikgeschäften in ganz Jugoslawien erhältlich war.
Wieder zuhause angekommen testete Antonić seine Idee aus und stellte fest, dass sie gut funktionierte. Seine Erfindung hatte zwei Effekte: Sie reduzierte den Gesamtpreis des Computers und modernisierte das Design. Noch wichtiger war aber die Tatsache, dass der Schaltplan so einfach war, dass Nutzerinnen und Nutzer den Computer selbst zusammenbauen konnten.
Durch die langjährige Kultur offener Hard- und Software verbreitete sich die Erfindung von Antonić im ganzen Land. Sie löste eine kleine Computerrevolution aus, welche eine Vielzahl subkultureller Akteure – Programmiererinnen, Spieler, DJs, Musikerinnen und Fanzine-Sammler – aktivierte, da Antonićs neue Maschine eine faszinierende neuartige Verbindung von Kollektivität, Autodidaktik und Technophilie verkörperte .
Etwa zur Zeit von Antonićs Entdeckung schrieb Dejan Ristanović – Journalist, Programmierer und Zauberwürfel-Wunderkind – einen Artikel über Computer für ein jugoslawisches Science-Fiction- und Wissenschaftsmagazin namens Galaksija, der eine sehr positive Resonanz erfuhr. Kurz nach der Veröffentlichung dieses Artikels erhielt der Chefredakteur von Galaksija, Jova Regasek, eine Leseranfrage mit der Bitte, eine ganze Ausgabe dem Thema »Computer« zu widmen. Obwohl er anfangs skeptisch war, beauftragte Regasek Ristanović mit der Leitung dieses Projekts. Zur gleichen Zeit suchte Antonić nach einem Ort, an dem er die Pläne für seinen neuen DIY-»Volkscomputer« veröffentlichen konnte. Antonić besaß stapelweise Home-Computer-Zeitschriften wie Elektor aus Deutschland und BYTE aus den Vereinigten Staaten – ausländische Publikationen, deren Beschaffung teuer war. Doch die Zugänglichkeit war essentiell; das Magazin SAM aus Zagreb war eine inländische Zeitschrift, und nachdem ein gemeinsamer Freund ihn mit Ristanović in Verbindung gebracht hatte, fand das Projekt bei Galaksija sein Zuhause.
Die Sonderausgabe trug den Titel Računari u vašoj kuć i (»Computer in Ihrem Zuhause«). Ein großer Teil war dem Computer von Antonić gewidmet: Dieser enthielt nicht nur die Pläne, sondern auch eine umfassende Anleitung für den Zusammenbau der Schaltung, Geschäftsadressen für den Kauf der einfachen Ausrüstung und Versandadressen für die Beschaffung von Bausätzen sowie zusätzlichen Teilen, die legal aus dem Ausland bestellt werden konnten. Ristanović und Antonić einigten sich darauf, das Projekt nach der Zeitschrift Galaksija zu benennen, und keiner der Beteiligten dachte, dass die Leserschaft der Ausgabe die reguläre Auflage von Galaksija von 30.000 Exemplaren übersteigen würde. Aber die Resonanz war außergewöhnlich: Schlussendlich musste Regasek viermal nachdrucken, um die sprunghaft gestiegene Nachfrage zu decken. Antonić erinnert sich daran, wie das Trio einmal vor Erscheinen der Ausgabe miteinander plauderte und darüber spekulierte, wie viele Leserinnen und Leser tatsächlich versuchen würden, einen Galaksija zu bauen; damals schätzte er, dass sich maximal 50 Hardcore-Bastlerinnen und -Bastler an diese Aufgabe machen würden. Aber nach einer Gesamtauflage von 120.000 Exemplaren hatte das Magazin über 8.000 Zuschriften von Enthusiastinnen und Enthusiasten erhalten, die eigene Galaksijas gebaut hatten.
Oftmals sind es gerade die Grenzen eines technischen Geräts, die seine Möglichkeiten zum Vorschein bringen. Der Mikrocomputer von Antonić hatte nur 4 Kilobyte Programmspeicher – im Vergleich zu jedem heutigen Laptop ein Tropfen auf den heißen Stein. Aufgrund dieser Einschränkung konnte das System nur drei spielerische Ein-Wort-Fehlermeldungen anzeigen: Benutzerinnen und Benutzer erhielten ein »WHAT?«, wenn ihr BASIC-Code einen Syntaxfehler aufwies, ein »HOW?«, wenn ihre angeforderte Eingabe nicht erkennbar war, und ein »SORRY«, wenn das Gerät seine Speicherkapazität überschritten hatte. Der 4K-EPROM – ein löschbarer, programmierbarer Festwertspeicher – war so dicht gepackt, dass einige Bytes für mehrere Zwecke verwendet werden mussten; durch diesen Trick, so Antonić, sei seine Firmware nun der Beweis, dass es möglich sei, mehr als 100 Prozent eines Programmspeichers zu nutzen.
Das Innenleben des Geräts spiegelte das soziale Milieu wider, in dem es entstand. Kein Galaksija glich dem anderen: Zusätzlich zur der Ungenauigkeit, die notwendigerweise mit dem unerprobten, fehleranfälligen Vorgehen von Schaltkreis-Bastel-Neulingen einhergeht, wurden die Bausätze ohne Gehäuse ausgeliefert. Diese Lücke spornte die Benutzerinnen und Benutzer an, kreativ zu werden, und viele entwarfen eigene Gehäuse. Individualisierte Designs spiegelten oft die ästhetische Überschneidung der neuen Computerrevolutionäre mit den Subkulturen um Novi Val und Science-Fiction wider. Und wie bei anderen Computern der damaligen Zeit war die Magnetbandkassette das Hauptspeichersystem des Galaksija. Während die meisten anderen Geräte nach dem Laden des Bandes automatisch ein Programm ablaufen ließen – ein primitiver Kopierschutz – hatte Antonić aufgrund seines Bekenntnisses zu Open Source kein Bedürfnis, irgendetwas vor dem Kopieren zu schützen. Nach dem Laden eines Programms mussten die Benutzer einen »RUN«-Befehl eingeben, um es zu starten. Dieser zusätzliche, aber subtile Schritt schreckte Programmierer davon ab, ihre Arbeit mit Kopierschutz zu versehen; das Band konnte genauso einfach eingelegt wie massenhaft bearbeitet oder vervielfältigt werden. Freies Experimentieren wurde implizit gefördert: das Teilen, die Zusammenarbeit, die Bearbeitung und die Verbreitung von Software wurden in die Funktionsweise des Galaksija selbst eingebaut.
Zoran Modli, Computer-Enthusiast seit 1979, war durch die Computer-Ausgabe des Magazins auf den Galaksija aufmerksam geworden. Als Moderator und DJ von Ventilator 202 – einer renommierten Novi-Val-Sendung im serbischen Radio Beograd 202 – war Modli in Jugoslawien so etwas wie eine kleine Berühmtheit. Es war die Zeit, in der die Kompaktkassette begonnen hatte, die 12-Zoll-Vinylplatte als Hörmedium der Wahl für Audiophile abzulösen; tragbare Taschenrecorder wie der Sony-Walkman gewannen an Bedeutung. Regasek witterte eine Chance in diesem Medienwandel und rief Modli eines Tages im Herbst 1983 mit einem Pitch für eine radikal neue Ventilator-Sendung an. Da auf allen aktuellen Computermodellen, einschließlich des Galaksija, die Programme auf Kassetten liefen, dachte Regasek, Modli könnte während seiner Show Programme als Audiosignale durch den Äther senden. Die Idee war, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer die Programme während der Ausstrahlung von ihren Empfängern aufnehmen und sie dann auf ihre persönlichen Geräte laden konnten.
Diese DJ-Praxis wurde über Nacht zur Sensation und dann rasch ein fester Bestandteil in Modlis Show. In den darauffolgenden Monaten übertrug Ventilator 202 Hunderte von Computerprogrammen. Im Laufe der Stunde kündigte Modli an, wenn sich das Segment mit der Programmübertragung näherte, und signalisierte den Zuhörerinnen und Zuhörern, dass es Zeit war, ihre Ausrüstung zu holen, ein Band einzulegen und sich auf die Aufnahme vorzubereiten. Fans begannen, Programme mit der ausdrücklichen Absicht zu schreiben, sie an den Sender zu schicken, damit sie während der Sendung ausgestrahlt würden. Dabei handelte es sich um Audio- und Videoaufzeichnungen, aber auch um Zeitschriften, Konzertverzeichnisse, Partywerbung, Studienhilfen, Flugsimulatoren und Action-Abenteuerspielen. Bei Spielen konnten die Benutzerinnen und Benutzer die Programme aus dem Radio »herunterladen« und sie verändern, indem sie ihre eigenen Levels, Herausforderungen und Charaktere einfügten, um sie anschließend zur Weiterübertragung an Modli zurückzuschicken. All das war faktisch eine Datenübertragung, noch lange vor dem Aufkommen des World Wide Web – ein Raubkopie-Verfahren aus den Zeiten vor der Erfindung des Internets.
Mitte der 1980er Jahre trat Jugoslawien in eine Zeit tiefgreifender politischer und sozialer Unsicherheit ein; mehrere blutige Kriege und eine wirtschaftliche Abwärtsspirale setzten der New-Wave-Kultur und der lebhaften Computerszene ein Ende. Zu dieser Zeit wurden Importbeschränkungen und Zölle gelockert, und im Westen hergestellte Computer wurden von Verbraucherinnen und Verbrauchern, Unternehmen sowie Regierungsstellen im Land gleichermaßen freudig aufgenommen. Für eine kurze Zeit wurden vormontierte Versionen von Galaksija in Massenproduktion hergestellt, die ihren Platz in den Klassenzimmern einiger jugoslawischer Gymnasien und Universitäten fanden. 1995 entsorgte Antonić alle fünf seiner persönlichen Galaksija-Prototypen, weil sich zu diesem Zeitpunkt, wie er beklagte, einfach niemand mehr dafür interessierte.
In den vergangenen Jahren ist jedoch eine Art Nostalgie für veraltete Technik aufgekommen, und – zusätzlich zur Entdeckung alter Galaksijas, die auf dem Markt teurer verkauft werden, als viele moderne Laptops – Antonić wurde vom Belgrader Museum für Wissenschaft und Technik gebeten, an einer Ausstellung von Computern aus der Zeit vor der Jahrtausendwende teilzunehmen. Zu diesem Anlass habe er einen verloren geglaubten Galaksija auf seinem Dachboden gefunden, wie er erzählt, welcher bis heute in diesem Museum ausgestellt ist. Vor kurzem wurde Antonić außerdem mit einer ähnlichen Anfrage vom Computer History Museum im Silicon Valley kontaktiert, welches nur wenige Autostunden von seinem derzeitigen Wohnort in Pasadena, Kalifornien, entfernt liegt.
Der Grund für dieses wiederauflebende Interesse an Galaksijas liegt vielleicht darin begründet, dass diese interessante und wenig bekannte Episode in der Computer-Geschichte sehr viel spekulatives Potenzial in sich trägt. Der Galaksija stellte eine Umschichtung der heutigen technologischen Hierarchie dar – nämlich eine stillschweigende ideologische Überzeugung, dass Computer günstig und für jedermann zugänglich sein sollten; und dass weder Geld noch technisches Know-how Zugangsbarrieren sein dürfen. Parallel zur jugoslawischen Alternative zur bipolaren Weltordnung signalisiert die Galaksija-Saga uneingeweihten Technologinnen und Technologen, dass Alternativen denkbar sind – unabhängig von denen westlicher Technik-Konzerne wie IBM, Microsoft, Hewlett-Packard oder Apple. In diesem Sinne war der Schaltplan von Antonić aus dem Jahr 1983 mehr als nur ein selbstgebauter Mikrocomputer. Durch seine verbindenden Kapazitäten – sowohl zwischen seinen Schaltkreisen und Komponenten, als auch zwischen den Beteiligten und den Kräften, die ihn als kulturelles Phänomen geformt haben – wurde der Galaksija zu einem Wahrzeichen für eine andere Art der Technologie: Eine Technologie, die geprägt ist vom freien Experimentieren und Gemeinschaftsgeist.
Michael Eby schreibt und forscht zu Zeitgenössischer Kunst und digitaler Kultur.
Michael Eby schreibt und forscht zu Zeitgenössischer Kunst und digitaler Kultur.