27. Juni 2025
Die angeblich von Donald Trump losgetretene Deglobalisierung ist trotz aller linken Globalisierungskritik kein Grund zur Freude. Im Gegenteil verstärkt sie systematisch die Unterordnung des Globalen Südens.
US-Präsident Donald Trump bei der Verkündung seiner »Befreiungs«-Zölle am 2. April 2025.
Seit dem »Liberation Day«, an dem Donald Trump weitreichende Handelszölle einführte, scheint klar: vorbei ist es mit der Globalisierung. Der allmächtige, unaufhaltbare Prozess der globalen Verengung von Raum und Zeit bittet zum letzten Tanz. An seine Stelle tritt laut Kommentaren in den Medien die Deglobalisierung – ein Prozess, in dem die Verflechtung globaler Produktionsketten und Finanzströme abgewickelt wird.
Aus linker Perspektive klingt das erstmal nicht schlecht. Kritik an der Globalisierung war lange Kernthema linker bis linksradikaler Politik. Um die Jahrtausendwende herum reichte die Wut auf die Globalisierung noch aus, um Riots anzuzetteln. Der »Battle of Seattle« im Rahmen der Proteste gegen die Gründung der Welthandelsorganisation im November 1999 etwa ist ein liebgewonnenes Kapitel linker Bewegungsgeschichte.
Die linke Perspektive auf Globalisierung hatte dabei immer zwei Bestandteile. Zum einen ist da die Kritik an der Globalisierung als einer besonders zerstörerischen Ausformung des ungebremsten Kapitalismus, der sowohl in den Zentren als auch an den Peripherien Prekarisierung, Umverteilung von unten nach oben und Aushöhlung von Sozialsystemen mit sich bringt. Damit einher ging die Forderung nach einer anderen Globalisierung, einer sozial und ökologisch gerechten Organisierung der internationalen Verhältnisse von unten.
Folgen wir dem in der globalisierungskritischen Bewegung aktiven philippinischen Menschenrechtsaktivisten und Wissenschaftler Walden Bello, so ist die Dekonstruktion der globalisierten Wirtschaft ein notwendiger Schritt zur Befreiung. Sie ist notwendig, um die Staaten des Globalen Südens aus der Position abhängiger Dumping-Lohn-Produzenten und Rohstofflieferanten für den Globalen Norden zu befreien und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu erstreiten.
In seinem Buch De-Globalisierung. Widerstand gegen die neue Weltordnung schreibt er 2002, auf dem Zenit der globalisierungskritischen Bewegung, dass »eine Strategie der Dekonstruktion die notwendige Begleiterscheinung einer Strategie der Rekonstruktion« ist. Ist die derzeit attestierte Deglobalisierung also ein erster notwendiger Schritt in Richtung der Emanzipation des Globalen Südens?
Die beiden Haupt-Angriffsziele der globalisierungskritischen Bewegung sind nach Bello die 1995 initiierte Welthandelsorganisation (WTO) und die 1944 eingerichteten Bretton-Woods-Institutionen – also vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF), aber auch die Weltbank.
In der wohl tarierten neoliberalen Aufgabenteilung zur Ordnung der globalen Wirtschaft wurde die WTO mit dem »Abbau aller Hemmnisse, die den weltweiten Handel behindern« betraut. Die WTO ersetzte 1999 das General Agreement on Tarifs and Trade (GATT), das für die Staaten des Südens wesentlich vorteilhaftere Regularien enthielt. Im Gegensatz zur GATT agiert die WTO kompromisslos marktliberal und schaffte es weltweit durch die Ausübung von massivem ökonomischem und politischem Druck, Staaten zur Umsetzung von Freihandelspolitik zu zwingen. Die Kosten für die durch den Freihandel ausgelöste ökonomische und soziale Zerstörung tragen die unteren Klassen – vor allem im Globalen Süden.
Die WTO, allerdings, befindet sich unbestreitbar und nicht erst seit Trumps zweitem Amtsantritt in einer tiefen Krise. Bereits während seiner ersten Amtszeit wurde der Streitschlichtungsmechanismus der WTO effektiv ausgehebelt. Ihr Untergang wird seitdem regelmäßig in den marktliberalen Leitmedien betrauert. Hat der Marktliberalismus als Mittel der kapitalistischen Zentren zur Unterordnung der Peripherien also ausgedient?
»Das Handelssystem wird zwar fragmentierter, bestehende Ungleichheiten in den Abkommen aber nicht abgebaut.«
Trump schreibt die Verantwortung für das Ende des Freihandels einseitig China zu. Dabei folgen nicht nur China, sondern auch die USA selbst den politischen Interessen der oberen Klassen, für die der Schutz lokaler Märkte vor Importen im Rahmen des inner-kapitalistischen Konkurrenzkampfes eine zunehmend höhere Priorität einnimmt. Die Absatzmärkte der Produzenten des Globalen Nordens waren und sind durch den Aufstieg und Erfolg von Chinas exportorientiertem Modell zunehmend gefährdet. In der WTO agiert China strategisch klug und nutzt den vorteilhaften Status als Entwicklungsland zum eigenen Vorteil. Ein in der WTO organisiertes globales Freihandelssystem zu unterstützen, wurde so für die oberen Klassen des Globalen Nordens unprofitabel, weswegen eine Schwächung in ihrem Interesse ist.
Nun können wir tatsächlich eine Veränderung des Handelsregimes weg vom Freihandel, wie er in der WTO organisiert wurde, beobachten. Das bedeutet aber mitnichten, dass keine Handelsabkommen mehr abgeschlossen würden. Nur ihre Art wandelt sich. Immer weniger Handelsabkommen unterliegen den Streitschlichtungsmechanismen der WTO. An ihre Stelle tritt eine starke Zunahme von bi- und multilateralen Abkommen. Das ist für die Staaten der Peripherie und vor allem die unteren Klassen in diesen aber kaum von Vorteil.
Das Handelssystem wird zwar fragmentierter, bestehende Ungleichheiten in den Abkommen aber nicht abgebaut. Ganz im Gegenteil: In bilateralen Verhandlungen ohne Rückgriff auf etablierte multilaterale Mechanismen – so dürftig und marktliberal diese auch sind – ist es für abhängige Staaten oft noch schwerer, ein für sie wünschenswertes Verhandlungsergebnis zu erzielen. Für zukünftige Abkommen, auf die Staaten des Südens oft angewiesen sind, um sich Absatzmärkte für Exporte zu erschließen, ist deswegen eine weitere Verschlechterung ihrer Verhandlungsposition zu erwarten.
Auf der strukturellen Ebene ist für die Staaten des Globalen Südens durch den Niedergang der WTO nichts gewonnen. Das gilt ebenso wenig für die Zölle Trumps. Ganz im Gegenteil: Mindestens sechzig Staaten des Globalen Südens sind strukturell abhängig vom Export von Rohstoffen sowie von Produkten mit geringer Wertschöpfung. Sinken diese Erlöse aufgrund erhöhter Einfuhrzölle im Norden, oder fallen gar ganz weg, wird der Zugang zu Fremdwährungen erheblich schwieriger. Diese sind jedoch zur Bedienung von in US-Dollar notierten Staatsschulden notwendig. Können diese nicht bedient werden, winkt der IWF.
Mit Trumps Amtsübernahme wurden Stimmen lauter, die sich um die Beteiligung der USA im IWF sorgten. Sie fürchteten einen Ausstieg. Diese naiv-liberale Perspektive missachtet jedoch vollständig, dass es für Trump und die USA nicht den geringsten materiellen Anreiz für einen solchen Schritt gibt. Da im IWF die Stimmrechte im Gegensatz zum Einstimmigkeitsprinzip in der WTO nach Einzahlung verteilt sind, verfügen die USA über 17,4 Prozent der Stimmen. Zum Vergleich: Ghana hat 0,1 Prozent. Insgesamt besitzt der Globale Norden im IWF neunmal mehr Stimmmacht als der Süden.
Der IWF ist und bleibt eines der wichtigsten Instrumente für die Kapitalfraktionen des Globalen Nordens, um die Wirtschaften des Südens nach ihren Wünschen zu gestalten. So können etwa Importzölle ausgehebelt und Kapitalverkehrskontrollen gestrichen werden. Die Macht, die der IWF ausüben kann, hängt mit der vergebenen Kreditsumme zusammen. An die Vergabe dieser Kredite werden Bedingungen geknüpft – sogenannte Strukturanpassungsmaßnahmen –, die die Wirtschaften des Südens für den Zugriff des Kapitals aus dem Norden öffnen. Die Summe vergebener Kredite ist in den letzten Jahren explodiert und liegt Stand 2023 bei rund 118 Milliarden US-Dollar. Von 2013 bis 2023 ist das Kreditvolumen fast um das Neunfache gestiegen. Damit nimmt auch die politische Macht des IWFs zu.
»Die USA und ihre Verbündeten werden so auch weiterhin die Umsetzung einer marktliberalen Agenda im Süden forcieren, während die lokalen Absatzmärkte und Industrien des Nordens zukünftig stärker durch Zölle geschützt werden.«
Trumps Finanzminister Scott Bessent erklärte am 23. April, dass »IWF-Kredite im Zentrum der globalen Ökonomie stehen«. Warum sollten die USA die Macht darüber freiwillig aufgeben? Bessent beklagt sich allerdings, dass der IWF sich Themen wie Gender und Klima widme – das sei dringend einzustellen. Dass IWF-Programme durch ihre marktliberale Ausrichtung systematisch Treibhausgasemissionen befördern und Genderungerechtigkeit verschärfen, spielt weder für Bessent noch den IWF eine Rolle.
Im Gegensatz zu einem Rückzug aus dem IWF kündigt die Administration Trumps also ihren Interessen folgend an, die Rolle der USA zu stärken: »Die Administration und das Finanzministerium sind fest entschlossen, die globale ökonomische Führungsposition der USA beizubehalten und auszubauen. Das gilt insbesondere für internationale Finanzinstitutionen.«
Die Umstrukturierungen der multilateralen Institutionen, die derzeit stattfinden, bedeuten also keine Dekonstruktion der durch die Globalisierung geschaffenen Machtverhältnisse und Wirtschaftsbeziehungen. Das spiegelt sich auch in realen Entwicklungen: Das Gesamtvolumen des globalen Handels steigt weiter und Schätzungen zufolge wird auch der Handel zwischen Süd und Nord weiterhin zunehmen, während sich zeitgleich neue Zentren im Süden herausbilden.
Die Auslagerung der Organisation von Handelsabkommen aus der WTO bedeutet keinen Rückbau globalisierter Handelsnetze, sondern nur eine Fragmentierung. Durch die angekündigte und teilweise bereits umgesetzte Erhöhung der Einfuhrzölle in die USA um mindestens 10 Prozent verschlechtert sich allerdings die Haushaltsposition der vielen exportabhängigen Staaten des Südens drastisch, weil Exporterlöse wegbrechen.
Hält diese Situation an und werden keine neuen Absatzmärkte erschlossen oder grundsätzlich die Abhängigkeit von Schulden in Fremdwährung etwa durch Schuldenstreichungen reduziert, dann werden noch mehr Staaten in die Arme des IWF getrieben. Im IWF wiederum wollen die USA ihre Machtposition nicht nur beibehalten, sondern ausbauen. Sie und ihre Verbündeten werden so auch weiterhin die Umsetzung einer marktliberalen Agenda im Süden forcieren, während die lokalen Absatzmärkte und Industrien des Nordens zukünftig stärker durch Zölle geschützt werden.
All das steht im direkten Gegensatz zu einer Vision einer gerechten Welt, wie sie von der globalisierungskritischen Bewegung gedacht wurde. Walden Bello sagt dazu: »Wir brauchen heute […] die Dekonzentrierung sowie Dezentralisierung institutioneller Macht und die Schaffung eines pluralen Systems von miteinander kooperierenden Institutionen und Organisationen.« Ansätze und Bestrebungen dafür gibt es innerhalb der linken Kräfte des Südens. Von Trumps Administration ist aber keinerlei – auch keine ungewollte – Beihilfe zu erwarten.
Robin Jaspert ist Politökonom und promoviert an der Goethe-Universität in Frankfurt. Er forscht zu Staatsfinanzen, Süd-Nord-Beziehungen, Fiskal- und Geldpolitik.