18. Juni 2025
Vielfach wird angenommen, Donald Trump und Wladimir Putin verbinde ein gemeinsames konservatives Weltbild. In Wirklichkeit streben sie aber gar nicht in die Vergangenheit zurück, sondern treiben die antisoziale Logik unserer Gegenwart ins Extrem.
Wladimir Putin und Donald Trump bei einem bilateralen Treffen während des G20-Gipfels in Hamburg 2017.
»Das ist genial. Putin erklärt einen großen Teil der Ukraine für unabhängig. […] Er hat das Wort ›unabhängig‹ benutzt […]. Man muss schon sagen, das ist ziemlich schlau.« – mit diesen Worten kommentierte Donald Trump im Februar 2022 den Einmarsch russischer Truppen in die Ostukraine. Neu war diese Bewunderung nicht: Schon im Wahlkampf 2016 betonte Trump, dass Russlands Präsident – im Gegensatz zu vielen amerikanischen Politikern – ein »starker Führer« sei. Bereits zuvor, in seinem Buch Time to Get Tough von 2011, äußerte er offen seine Bewunderung für Wladimir Putin und dessen Regierungsstil.
Der »starke Führer« hat seinerseits auch nie mit Komplimenten für seinen amerikanischen Amtskollegen gespart. So bemerkte Putin nach Trumps zweitem Wahlsieg, dass sich der künftige US-Präsident während des Attentats auf ihn bei einer Kundgebung in Butler sehr tapfer verhalten habe, wie ein »echter Mann«. Zudem bezeichnete Putin ihn als »klugen und pragmatischen Menschen«, der – wäre er 2022 statt Joe Biden im Amt gewesen – den blutigen Krieg zwischen Moskau und Kiew hätte verhindern können.
Zahlreiche Medien bezeichnen die warmen Beziehungen zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten als eine »Bromance«, die auf gemeinsamen konservativen Werten beruht. Diese Deutung teilen sowohl die Anhänger der beiden Politiker als auch ihre Gegnerinnen. Für die einen steht das Duo für eine Rückkehr zu »Normalität«, Stabilität und Tradition – für die anderen ist es ein deutliches Zeichen für die Wiederkehr einer Ära, in der die Rechte von Frauen und Minderheiten systematisch beschnitten werden.
Das ist eine äußerst bequeme polare Erzählung, die auf den ersten Blick vieles an der Gegenwart erklärbar erscheinen lässt: Vergangenheit gegen Zukunft, Tradition gegen Fortschritt – sie gegen uns. Doch so eingängig dieses Bild ist, so falsch ist es auch. Die Geschichte steht niemals still, und in ihrer endlosen Bewegung verliert derjenige, der dies als Letzter erkennt. Deshalb ist es ein großer Fehler der Linken, den Rechtsruck in der Weltpolitik als bloßes Echo vergangener Zeiten zu bewerten.
Die heutigen Konservativen haben kaum noch etwas mit dem zu tun, was Konservatismus früher einmal bedeutete. Im Gegenteil: Trotz all ihrer Kritik an der Identitätspolitik, der Zerstörung der Institution der Familie, der Massenmigration und der Modernität im Allgemeinen verkörpern Donald Trump und Wladimir Putin geradezu mustergültig unsere gegenwärtige Ära, die schließlich vor allem durch Entsolidarisierung geprägt ist. Ihre Politik ist deren ultimativer Ausdruck. Um die zunehmende Popularität der Rechten in den letzten Jahren zu verstehen, muss man sie als Teil der Moderne und nicht als ihr Gegenteil betrachten.
Zunächst lohnt sich ein Blick auf jenes Bild, das wohl am stärksten Trumps Nostalgie prägt – das Amerika der 1950er Jahre. Dessen klassische Darstellung findet sich zum Beispiel auf Illustrationen zum Thanksgiving: Eine wohlhabende weiße Familie sitzt um einen frischen Truthahn-Braten, dessen Farbe sich auf den Wangen der Kinder widerspiegelt – ein Ausdruck von Gesundheit und dem Versprechen einer hellen Zukunft. Der Vater wirkt selbstbewusst, die Mutter fürsorglich – gemeinsam mit den Kindern verkörpern sie eine fast göttliche Ordnung. Alle lächeln und genießen den Moment, ohne zu ahnen, dass sie später ein Sehnsuchtsbild für Reaktionäre weltweit sein werden.
Wahrscheinlich wäre es für die Menschen auf diesen Bildern selbst ein Schock gewesen – denn gemessen an den Maßstäben ihrer Zeit führten sie einen durchaus progressiven Lebensstil. Viele verließen ihre erweiterten Familienstrukturen und zogen in einen bis dahin ungekannten Wohnortstyp: die Suburbs. Dort erschlossen sie sich neue Konsummöglichkeiten, die der Generation ihrer Eltern allein schon aus technologischen Gründen nicht zugänglich gewesen waren. Frauen, wenn auch oft Hausfrauen, hatten Zugang zu einer breiten Palette von Haushaltsgeräten, wie zum Beispiel Waschmaschinen, was es ihnen sehr viel leichter machte, sich um das Haus zu kümmern und mehr Freizeit zu haben. Die Männer wiederum kauften zunehmend Autos, die immer mehr als Statussymbol und nicht mehr als Transportmittel dienten. Gemeinsam begannen sie, getrennte gesellschaftliche Einheiten – Kernfamilien – zu bilden, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hatte.
»Die Epoche der 1950er Jahre, nach der sich heutige Konservative sehnen, war kaum in wirklich alten Traditionen verwurzelt.«
Diese neue Kleinfamilie war Teil einer neu entstandenen Konsumlogik und fungierte zugleich als persönlicher Bunker, in dem man sich vor der bedrohlichen Realität des Kalten Krieges verstecken konnte, der mit der Vernichtung der ganzen Welt drohte. Damit vollzog sich eine der zentralen gesellschaftlichen Verschiebungen der Nachkriegszeit, die bis heute nachwirkt: Kollektive Strukturen wie Kirche oder Dorfgemeinschaft traten zunehmend in den Hintergrund, während die isolierte, autonome Familie zur neuen sozialen Grundeinheit wurde. Auf sie projizierten die Menschen nun all ihre Bedürfnisse – von emotionalen über finanzielle bis hin zu sexuellen.
Trotz der heutigen Klischees über jene Zeit galt die Ehe in den 1950er Jahren für viele Amerikanerinnen und Amerikaner nicht nur als Mittel zur Reproduktion, sondern auch als Quelle persönlichen Glücks und sexueller Erfüllung. Die Sexualität, die in den 1960er Jahren zum zentralen gesellschaftlichen Thema wurde, kam nicht aus dem Nichts – bereits ein Jahrzehnt zuvor war sie kein absolutes Tabu mehr. Wie so vieles andere wurde sie allerdings vor allem innerhalb der Ehe praktiziert und thematisiert.
Diese Abschottung der Familie von der sie umgebenden Gesellschaft und ihrer Fixierung auf sich selbst ist den Menschen im Westen des Jahres 2025 nur allzu vertraut. Die Epoche, nach der sich heutige Konservative sehnen, war kaum in wirklich alten Traditionen verwurzelt. Vielmehr waren es die darauffolgenden Jahrzehnte, die ihr Denken noch viel stärker geprägt haben – auch wenn sie das nur ungern zugeben würden.
Auf den ersten Blick scheint der freizügige Geist der 1960er Jahre all dem zu widersprechen, was auch nur entfernt mit Konservatismus zu tun hat. In der Tat passen Parolen wie »Es ist verboten zu verbieten« und »Die Fantasie an die Macht« nicht gut zum Bild beispielsweise von Wladimir Putin, der offensichtlich nicht nur nicht gegen Verbote ist, sondern sie auch als Grundlage für die Ordnung in der Gesellschaft zu betrachten scheint und weder der Fantasie noch sonst etwas dergleichen Macht verleihen will.
Der Kern der Stimmung der 1960er Jahre, die sich in den 68er-Protesten widerspiegelte, war nicht so sehr die Forderung nach größerer sexueller Freiheit und der Abschaffung alter Formen der Autorität in den Universitäten, in der Familie und am Arbeitsplatz, sondern die Entstehung eines neuen Typs von Persönlichkeit. Der französische Politologe Olivier Roy beschreibt ihn als »den begehrenden Menschen«. Für diesen neuen Bürger steht die Verwirklichung der eigenen Wünsche und das Streben nach Lust ohne äußere Einschränkungen im Zentrum. Er weigert sich, Regeln zu befolgen, die lange vor seiner Geburt aufgestellt wurden, und sieht soziale Rollen, die ihn in eine Hierarchie von Pflichten einbetten – wie Soldat, Arbeiter oder das Kind von jemandem – als veraltet und unterdrückend an.
Für eine große Zahl von Menschen war es eine Revolution des Bewusstseins. Alles Kollektive, in gewissem Maße sogar der gemeinsame Kampf, galt als illegitim, sobald es der individuellen Selbstverwirklichung im Weg stand. Und obwohl diese Ideen ursprünglich im Kontext linker Proteste populär wurden, die auf Solidarität zwischen unterdrückten Gruppen aufbauten, wurde diese radikal individualistische Weltsicht später von einer ganz anderen, wesentlich antisozialeren und zynischeren politischen Strömung vereinnahmt. Heute ist sie untrennbar mit der Figur der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher verbunden – und ihrem berühmten Satz: »So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht. Es gibt nur einzelne Männer und Frauen und es gibt Familien.« Der Name dieser Ideologie ist Neoliberalismus.
Bis in die 1970er Jahre herrschte in den USA und weiten Teilen Europas ein breiter Konsens: Der Staat sollte die negativen Folgen des Kapitalismus abfedern – durch Umverteilung, Rentensysteme und einen verbesserten Zugang zu Gesundheitsversorgung. Doch mit steigender Inflation und stagnierendem Wachstum, ausgelöst durch eine Serie von Krisen – vom Vietnamkrieg bis zum Ölembargo arabischer Staaten gegen die Verbündeten Israels nach dem Jom-Kippur-Krieg – geriet dieses Modell ins Wanken. Immer mehr Menschen begannen, an der Wirksamkeit ihrer Regierungen zu zweifeln, und stellten grundsätzlich infrage, ob Bürokratie überhaupt eine aktive Rolle im gesellschaftlichen Leben spielen sollte.
Darin liegt das Kernprinzip des Neoliberalismus: Der Staat wird nicht mehr als Garant für das Wohlergehen seiner Bürgerinnen und Bürger gesehen, sondern als Dienstleister zur Aufrechterhaltung funktionierender Märkte. Diese Märkte sollen, so die Ideologie, automatisch liefern, was Menschen brauchen. Armut gilt in diesem Denken nicht mehr als soziales Problem, sondern als individuelles Versagen. Reichtum hingegen wird zum Beweis von Tugend, Stärke und harter Arbeit. In der Folge verliert der Begriff des Gesellschaftlichen an Bedeutung, und alles, von Bildung bis Gesundheitswesen, wird zunehmend in Kategorien von Effizienz, Rentabilität und Wettbewerb neu bewertet. In den 1970er Jahren war das noch nicht so ausgeprägt, aber die Saat für diese Art von Denken war bereits gelegt worden.
»Putin hat eine neue russische Identität konstruiert – und sie sowohl dem Ausland als auch der eigenen Bevölkerung erfolgreich ›verkauft‹.«
So etablierte sich der Individualismus im Laufe der Zeit als neue Weltanschauung. Die gesellschaftliche Realität, insbesondere in Europa und den USA, begann sich zunehmend um die Wünsche einzelner Individuen zu organisieren, nicht mehr um Familien, Gruppen oder Gemeinschaften. Die Revolution von 1968 selbst scheiterte zwar – ihr Erbe wurde jedoch rasch Teil des Mainstreams. In den westlichen Gesellschaften ließ sich beobachten, wie Abtreibung entkriminalisiert wurde, die ersten Pride-Paraden stattfanden und sowohl die Scheidungsrate als auch die Erwerbstätigkeit von Frauen stetig zunahmen. Es war die Ära von Disco, Glam Rock und Soul.
Die Popularität dieser Musikrichtungen entfaltete sich vor dem Hintergrund eines schleichenden Bedeutungsverlusts radikaler politischer Projekte – der rechten nach dem Zweiten Weltkrieg, der linken nach den 1960er Jahren. Die meisten Menschen richteten ihren Blick zunehmend auf persönliche Sorgen. Politikerinnen und Politiker gaben nicht länger vor, eine Utopie erreichen zu wollen, und die Bevölkerung hörte auf, eine zu erwarten. Stattdessen begaben sich die westlichen Gesellschaften auf neue Expeditionen in Richtung Hedonismus und Konsum – diesmal jedoch, anders als in den 1960ern, ohne diesen mit einer radikalen politischen Vision aufzuladen.
Ein eigener Lifestyle, der sich nun aus einer endlosen Reihe von Waren mit unterschiedlichen Bedeutungen und Symbolen zusammensetzen ließ, ersetzte für Millionen von Menschen in Nordamerika und Europa allmählich die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft als Grundlage der Selbstbestimmung. Jemand zu sein wurde wichtiger als mit jemandem zusammen zu sein – so entstand der Begriff der Identität in seiner modernen Form. Im Laufe der Zeit ist er zu einem zentralen Element des politischen Diskurses geworden. Durch die Linse der Identität lässt sich nun nicht nur Donald Trumps Freundschaft mit Wladimir Putin, sondern auch der Anstieg der Popularität von rechten Ideen in den letzten Jahren verstehen.
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich das neoliberale System massiv ausgebreitet – mit dem Zerfall der Sowjetunion schließlich auch in ganz Osteuropa und dem postsowjetischen Raum. Russland entschied sich in diesem Kontext, wie schon hundert Jahre zuvor, für ein gewagtes Manöver: Es übersprang mehrere Entwicklungsetappen und versuchte, die Modernisierung in einem einzigen Sprung zu vollziehen – durch die abrupte Einführung eines radikal neuen Wirtschaftssystems. Die sozialen Kosten waren enorm, doch Russland wurde tatsächlich Teil des globalen Handels – wenn auch nur in peripherer Position. In dieser neuen Realität durchlief der sowjetische Nachfolgestaat eine Identitätskrise und Wladimir Putin präsentierte eine Antwort: den Konservatismus.
Dieser wurde improvisiert und zusammengefügt aus sowjetischer Symbolik, Zarenzeit-Nostalgie und militarisierter Religiosität – ohne dass eine dieser Komponenten tatsächlich gesellschaftlich tief verankert gewesen wäre. Das heutige Russland garantiert seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht, was einst der Sowjetstaat versprach; es hat nicht mehr das internationale Gewicht des 19. Jahrhunderts, und nach Kirchenstatistiken ist es auch nicht religiöser als viele westliche Länder. Dennoch ist Putins Experiment geglückt. Er hat eine neue russische Identität konstruiert – und sie sowohl dem Ausland als auch der eigenen Bevölkerung erfolgreich »verkauft«.
Bemerkenswert ist, dass der russische Präsident selbst kaum auf die Beschreibung eines Konservativen passt. Als geschiedener Mann hat er wahrscheinlich nicht nur von Zeit zu Zeit seine Geliebte gewechselt, sondern auch seine Kinder vor der Öffentlichkeit versteckt, ohne zu sagen, wie sie heißen oder wie viele er überhaupt hat. In seiner Jugend arbeitete er für den KGB, eine Struktur, die von Sympathien für die russische Kirche und traditionelle Werte so weit entfernt ist wie nur möglich. Von konservativer Mäßigung kann keine Rede sein: Putin ist mit seiner Vorliebe für Yachten, Paläste und andere Luxusgüter zu einem klassischen Beispiel für auffälligen Konsum geworden, wie die bekannten russischen Oligarchen. Aber ist das ein Makel in seinem Image? Ganz und gar nicht, denn all das ist kein Fehler des Systems, sondern ein Prinzip seiner Funktionsweise.
Man kann diese Funktionsweise mit einem leicht abgewandelten lateinamerikanischen Sprichwort beschrieben: Im Original lautet es »den Freunden alles, dem Rest – das Gesetz«, doch ersetzt man das Gesetz durch den Konservatismus, trifft es ziemlich genau die hier wirksame Logik. Der Ruf nach der Rückkehr zur Tradition spiegelt nicht die Überzeugungen der herrschenden Klasse wider, sondern ist nur eine zynische Maske, eine Technik zur Disziplinierung und Kontrolle der Gesellschaft. Deshalb ist ein solcher Konservatismus nicht nach innen gerichtet, um die Eliten zur Einhaltung strenger Regeln anzuhalten, sondern ausschließlich nach außen, um all jene zu stigmatisieren und zu unterdrücken, die nicht mit der Obrigkeit übereinstimmen und eine Gefahr für sie darstellen.
»Am Ende widersprechen Putin und Trump nicht dem Zeitgeist – sie treiben ihn lediglich auf die Spitze und verstärken die Schattenseiten des Neoliberalismus.«
In diesem Zusammenhang erscheint die Kritik Russlands an der Identitätspolitik besonders ironisch, da sie zu einem Schlüsselinstrument der Behörden geworden ist, um die Gesellschaft in »Patrioten« und »fünfte Kolonne« einzuteilen. Die Identität, die als Instrument zur Selbstkonstruktion freier Menschen galt, wurde im Laufe der Zeit zu einem Instrument der Manipulation der Bevölkerung durch diejenigen, die über Geld und Medienressourcen verfügen. Infolgedessen vertieft sich die soziale Kluft immer mehr und entwickelt sich die Identität aus einem Mittel zur Befreiung von Gruppendruck zu einem Machtmittel. Putins Regime stellt sich also nicht gegen die Logik des Neoliberalismus, sondern ist dessen Quintessenz.
Indem er unglaubliche Ressourcen und Macht in seinen Händen konzentriert, agiert der russische Präsident als exemplarischer Vertreter seiner Zeit. Dies ist eine Zeit, in der die Emanzipation und der Kult der persönlichen Freiheit der 1960er Jahre mit der Fetischisierung von Geld und persönlichem Erfolg der folgenden Jahrzehnte verschmolzen und auf den fruchtbaren Boden der postsowjetischen Naivität und des Drangs, alle westlichen Trends zu übernehmen, gefallen sind. Die Idee »mach was du willst« verband sich mit der Haltung »niemand schuldet irgendwem irgendwas« – und Freiheit hörte auf, irgendeine Verantwortung gegenüber anderen mit sich zu bringen. Stattdessen wurde sie zum Privileg der Erfolgreichsten – jener, die sich um niemanden mehr kümmern müssen. So entstand eine völlig neue, zuvor undenkbare Form der Diktatur – tief verwurzelt in den Normen des heutigen Neoliberalismus.
Das ist der Grund, warum Putin und Trump sich intuitiv so gut verstehen: Der amerikanische Präsident befindet sich, wenn auch im Rahmen eines anderen Systems, in einer ähnlichen Situation. Auch er ist ein Produkt der Ära des absoluten Triumphs des Marktdenkens, in der die persönliche Marke und die öffentliche Selbstdarstellung eine viel wichtigere Rolle spielen als die wirklichen Überzeugungen des Einzelnen. Wie sein russisches Gegenüber ist Trump in erster Linie ein frecher, machtbewusster und eigenwilliger Individualist, dessen konservatives Image ein Feigenblatt ist, das seinen übergroßen Wunsch nach uneingeschränkter Macht nur leidlich verbirgt.
In diesem Bestreben appelliert er wie Putin an die »einfachen Leute« und verspricht ihnen, durch die Verteidigung der traditionellen Werte ihrem Land seine verlorene Größe zurückzugeben. Doch er selbst verkörpert genau das, was diese Größe einst zerstört hat: eine räuberische, nahezu grenzenlose Marktlogik, in der die Verlierer selbst für ihr Scheitern verantwortlich gemacht werden, während die Sieger absolute Macht genießen. Der Regisseur Gabriel Sherman zeigt in seinem Film The Apprentice von 2024 eindrucksvoll die Imperative, denen der amerikanische Präsident folgt: »Angreifen, angreifen, angreifen« bei jeder Form von Konflikt; »Alles abstreiten«, selbst wenn die Fakten eindeutig sind; und »Niemals eine Niederlage eingestehen« – denn verlieren kann nur, wer Regeln anerkennt. Es fällt nicht schwer, sich einen anderen Film vorzustellen, in dem Wladimir Putin denselben Prinzipien folgt. Hingegen fällt es durchaus schwer, sich einen Film vorzustellen, der den heutigen Kapitalismus präziser beschreibt.
Am Ende widersprechen Putin und Trump nicht dem Zeitgeist – sie treiben ihn lediglich auf die Spitze und verstärken die Schattenseiten des Neoliberalismus. Indem sie Demokratie in ein Spektakel verwandeln, bei dem mediale Dominanz über alles entscheidet, liefern sie eine Erfolgsformel, die weltweit immer mehr Nachahmung findet. Die Auswirkungen davon sind bereits in Europa zu sehen, wo Rechtspopulisten – von Deutschland bis Ungarn – durch eine unerbittliche Informationsüberflutung ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Medien immer erfolgreicher werden.
Die Nähe zwischen Trump, Putin und anderen sogenannten »neuen Konservativen« ist das freundliche Wiedererkennen unter Spielern desselben neuen Spiels – einem Spiel, in dem »Tradition« nur als Vorwand dient, um ein System zu erhalten, in dem das oberste eine Prozent der Reichsten über unbegrenzte Ressourcen verfügt, während diejenigen, die am meisten Hilfe brauchen, als »Verlierer« weiter am Rande des Lebens stehen.
Fedor Agapov ist ein deutsch-russischer Politikwissenschaftler und Journalist. Seine Beiträge erscheinen unter anderem in Republik, nd.aktuell und New Eastern Europe. Seine akademischen Schwerpunkte umfassen die russische Geschichte und Außenpolitik, internationale Konflikte sowie Fragen globaler Ungleichheit.