08. Februar 2021
Bei der Wahl in Ecuador liegt der linksprogressive Andrés Arauz vorne. Die Stichwahl steht noch aus, doch nach vier Jahren des Neoliberalismus unter Moreno zeigt der Kurs nach links. Welche Politik ist von Arauz zu erwarten? Darüber hat JACOBIN mit ihm gesprochen.
Andrés Arauz beim Wahlkampf, 04. Februar 2021.
In der letzten Phase des Wahlkampfes wurde die Verzweiflung von Lenín Morenos neoliberaler Regierung und den rechten Parteien in Ecuador immer spürbarer: Sie taten alles, um den Sieg der Linken unter der Führung von Andrés Arauz zu blockieren.
Die Regierung von Lenín Moreno hat einen überraschenden Rechtsruck verfolgt und eine Kampagne gegen die Führungspersonen von Correas »Bürgerrevolution« gefahren – allen voran gegen Rafael Correa selbst und den ehemaligen Vizepräsidenten Jorge Glas. Seitdem wurden unzählige Versuche unternommen, um Correa und andere politische Akteure, die seiner Bewegung nahestehen, von den Wahlen auszuschließen.
So wurde verhindert, dass sich die »Bürgerrevolution« als politische Partei registrieren konnte. Ferner wurde der ihr nahestehenden Bewegung »Fuerza Compromisso Social« (FCS) verboten, bei den Kommunalwahlen 2019 anzutreten und Correa wurde untersagt, für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren. Es folgten mehrere Versuche, Andrés Arauz-Carlos Rabascall von der Präsidentschaftskandidatur abzuhalten. Obwohl die Versuche, die Rückkehr der Linken auszubremsen, scheiterten, drohte bis zuletzt eine Sabotage der Wahl.
Der Verzweiflung der Eliten kann die Verzweiflung der ecuadorianischen Bevölkerung gegenübergestellt werden. Die Corona-Pandemie hat in Ecuador fast 15.000 Todesopfer gefordert. Die Arbeitslosigkeit ist zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten im zweistelligen Bereich und das durch den IWF sanktionierte Spardiktat wird weiterhin umgesetzt. Vor diesem Hintergrund votiert Ecuadors Bevölkerung an den Wahlurnen wieder einmal für einen Ausstieg vom Neoliberalismus.
Am Sonntag hat Ecuador nun gewählt. Andrés Arauz, Ökonom und ehemaliger Wissenschaftsminister der Regierung von Rafael Correa, liegt laut Umfragen vorne, konnte jedoch die notwendigen 40 Prozent der Stimmen nicht erreichen. Ob er in der bevorstehenden Stichwahl gegen den Indigenen Kandidaten Yaku Pérez oder den ehemaligen Banker Guillermo Lasso antritt, ist noch unklar.
Gezeigt hat sich jedoch schon jetzt, dass Ecuadors Linke zurück ist – vier Jahre nachdem Rafael Correas Nachfolger Lenín Moreno der »Bürgerrevolution« den Rücken kehrte und sich stattdessen für den Neoliberalismus entschied.
Doch was könnte Ecuador unter einer Präsidentschaft von Andrés Arauz erwarten? Darüber hat mit ihm Denis Rogatyuk von JACOBIN América Latina vor der Wahl gesprochen.
Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen und die wirtschaftliche Erholung in Ecuador voranzutreiben?
Unser Hauptanliegen ist die Erholung der Wirtschaft. Diese hängt jetzt aber auch von der Erholung des Gesundheitssystems ab. Wir können jetzt viele Dinge angehen, aber die wirtschaftlichen Aktivitäten müssen wieder aufgenommen werden. Deshalb haben wir den Erwerb der Impfstoffe auch als Priorität betrachtet.
Wir wissen, dass wir sofortige Hilfe anbieten müssen, bis die Bevölkerung in Ecuador geimpft ist, bis Arbeitsplätze geschaffen wurden und der Staat seine Stärke zurückerlangt, um wieder die öffentliche Arbeit aufzunehmen. Deshalb schlagen wir ein Programm vor, dass die Auszahlung von 1.000 Dollar an 1 Million ecuadorianische Familien in der ersten Woche unserer Regierung vorsieht.
Die Ankurbelung der Familienwirtschaft (»la economía familiar«) wird einige Schulden decken können und es den Familien ermöglichen, sich Medikamente, Lebensmittel und Kleidung zu kaufen. Wenn noch etwas Geld übrigbleibt, kann man dieses für den Aufbau eines eigenen, kleinen Gewerbes nutzen. So können wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen, damit die Menschen wieder auf die Märkte und in die Läden gehen können und Geld in Zirkulation kommt.
Wie planen Sie die Rückzahlung der Schulden und die Kreditbedingungen des IWF neu zu verhandeln?
Wir werden zunächst die Ressourcen nutzen, die es in Ecuador bereits gibt, die aber wegen der Regierung im Ausland (in Miami, in Panama, in der Schweiz) gelagert sind. Dieses Geld muss zurück nach Ecuador, um unsere Entwicklung zu finanzieren – und nicht etwa die Kriegsvorhaben anderer Länder.
Danach werden wir mit unserem unabhängigen Wirtschaftsplan, der Wirtschaftswachstum anstrebt, menschenwürdige Bedingungen implementieren, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen und Arbeitsplätze und eine solide neue öffentliche Infrastruktur zu schaffen. Wenn der IWF uns mit diesem ecuadorianischen Plan helfen will, dann begrüßen wir das – aber an das derzeitige Abkommen mit dem IWF werden wir uns nicht halten.
Welches Großprojekt Ecuadors wird die Handschrift von Andrés Arauz tragen?
Gerade stehen wir vor der großen Herausforderung, erfolgreich aus der Pandemie herauszukommen. Große Meilensteine können wir gerade nicht ins Visier nehmen, weil wir zuerst diese Krise überstehen müssen.
Um ehrlich zu sein: Die größte Errungenschaft unserer Regierung wird sein, zu zeigen, dass es eine Regierung geben kann, die die Menschenwürde achtet. Wir werden die Krise nicht nutzen um den Reichsten mehr Macht zu geben und nach unten zu treten. Im Gegenteil: Wir werden zeigen, dass es eine Regierung geben kann, die im Sinne der Bevölkerung handelt.
Wenn wir die Pandemie hinter uns haben, werden die ersten Jahre darauf ausgerichtet sein, der Zukunft den Weg zu ebnen und die Bildung in das Zentrum des gesellschaftlichen Wandels zu stellen. Ich träume davon, dass wir das beste Bildungssystem in Lateinamerika haben. Wir werden Wissenschaft, Technologie, Innovation und das Internet nutzen, um zu zeigen, dass junge Ecuadorianer und Ecuadorianerinnen die Akteure ihrer Gesellschaft sind und den Wandel herbeiführen können, den unser Land braucht.
Fühlen Sie sich als Teil der Indigenen Bevölkerung? Wie beurteilen Sie die Indigene Ideologie vom Guten Leben (»Sumak Kawsay«)? Wird sie Eingang in Ihre künftige Regierung finden?
Ich fühle mich als Teil des Plurinationalen und Interkulturellen Staates, wie es in der neuen Verfassung von Ecuador verankert ist. Ganz Lateinamerika ist plurinational und interkulturell, und es ist wichtig, dass wir lernen das zu bekräftigen, was in der Verfassung steht. Es ist wichtig, dass wir die verschiedenen Akteure anerkennen, die Teil unserer Kulturen sind. Wir müssen aus der kolonialen und neokolonialen Logik herauskommen und beginnen zu verstehen, dass unsere Vielfalt unser größter Reichtum ist.
Ich bin der Indigenen Bevölkerung unserer Heimat, aber auch der Afro Community – den Montubios in Ecuador – sehr verbunden. Wir müssen zur Einheit aufrufen. Dieses Land darf nicht länger unter den Machkämpfen der Politiker leiden und es kann nicht länger mit der repressiven Politik leben, die unserer Gesellschaft so viel Leid und Schaden zugefügt hat, wie im Oktober 2019.
Wir müssen das Land wieder vereinen. Dieser Prozess sollte von dem Fundament eines Zukunftsprojektes wie der Verfassung des guten Lebens (»Constitución del Buen Vivir«) ausgehen. An dieser Utopie sollten sich alle in ganz Ecuador orientieren, unabhängig von Ethnie oder Nationalität. Wir müssen diese Einigkeit aufbauen.
Wie werden die zukünftigen Beziehungen zu CONAIE (»Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador«) und anderen Indigenen Bewegungen aussehen?
Ich sehe sehr gute Möglichkeiten, den Plurinationalen und Interkulturellen Staat gemeinsam mit der CONAIE auszubauen – aber auch mit den Indigenen Völkern und Nationalitäten unserer Heimat, mit den Indigenen Basisorganisationen, mit den Dorfgemeinschaften, die auf ecuadorianischem Boden sind. Wir müssen die Bewässerungssysteme verbessern und Fortschritte machen bei produktiven Projekten, bei der Kreditvergabe und bei der Unterstützung zum Aufbau von kleinen Ersparnissen und Kreditgenossenschaften. Und wir brauchen ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem, das unsere Indigenen und überlieferten Sprachen bewahrt.
Am ersten Tag unserer Regierung werden wir den Notstand der Indigenen Sprachen ausrufen. Dadurch kann das Indigene Justizsystem erhalten werden – das ist nicht nur für politische Handlungen wichtig, sondern auch für Verwaltungsverfahren in unseren Gemeinden, damit die Menschen nicht mehr in die Hauptstadt fahren müssen, um ihre Probleme zu lösen. Die Umsetzung des Plurinationalen und Interkulturellen Staates wird von einem Plurinationalen und Interkulturellen Team verwaltet.
Glauben Sie, dass die Sabotageversuche gegen Ihre Kandidatur Ihrer Kampagne geschadet haben? Und wenn ja, in welcher Weise?
Sie haben versucht, die Stärke, die unsere Kampagne innerhalb der ecuadorianischen Bevölkerung entfaltet hat, zu schwächen. Aber das haben sie nicht erreicht. Die Bevölkerung hat eine große Solidarität und Sympathie für unsere Vorschläge, welche im Sinne der Mehrheit formuliert sind. Unsere Identität ist zuerst patriotisch, dann demokratisch und dann progressiv. Diejenigen, die versucht haben, uns Fallen zu stellen, haben dafür gesorgt, dass wir die Herzen der Ecuadorianer und Ecuadorianerinnen noch besser erreicht haben.
Aber die ecuadorianische Bevölkerung hat auch rebellische Herzen.
Natürlich – diese Rebellion ist absolut gerechtfertigt nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Jahren unter einer ruchlosen Regierung, die uns geschadet hat. Für eine Sache bin ich der Regierung von Moreno jedoch dankbar – sie hat eine gewisse Energie wiedererweckt, die Empörung der Jugend, die mehrere Jahre lang verborgen war und die im Oktober letzten Jahres wieder auftauchte.
Es gibt jetzt ein viel kritischeres Bewusstsein für die Rolle der Politik in unserer Gesellschaft. Dadurch wird es uns gelingen, eine Zukunft mit Würde zurückzugewinnen – gemeinsam mit der Jugend, gemeinsam mit den Indigenen, mit den Frauen unseres Landes, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern.
Der derzeitige Gesundheitsminister hat den Impfstoff sogar vor dem medizinischen Personal erhalten, das in der Pandemie direkt an der Front arbeitet. Was halten Sie davon?
In meinen Augen ist das ein Skandal. Sie haben nur 8.000 Dosen bestellt – das reicht für gerade einmal 4.000 Geimpfte –, und dabei haben sie dann noch nicht einmal dem medizinischen Personal den Vortritt gelassen. Stattdessen gaben Sie den Impfstoff weiter an ihre Familien und Freunde, und haben so die ecuadorianische Bevölkerung hintergangen. Das ist unverzeihlich. Ich glaube, dass Sie mit harten Konsequenzen rechnen müssen, weil sie das Vertrauen missbraucht haben und weil der Gesundheitsminister, der selber Arzt ist, seinen ärztlichen Eid verletzt hat.
Ich denke, wir müssen beim Impfstoff noch schneller vorankommen. Unsere Priorität ist, dass die ecuadorianische Bevölkerung zuerst geimpft wird – unser Gesundheitspersonal, unsere Soldaten, unsere Polizistinnen und unsere Lehrer, damit die Kinder und Jugendlichen wieder in die Schule gehen können. In einer Gesellschaft wie der unseren, ist es wichtig, die Rolle von Männern und Frauen neu auszugleichen. Frauen, vor allem Mütter waren diejenigen, die von den Auswirkungen der Pandemie am härtesten getroffen waren, weil sie sich zu Lehrerinnen, Krankenschwestern, Betreuerinnen, Rektorinnen, Hausmeisterinnen und Verwalterinnen verwandeln mussten – zusätzlich zu ihrem normalen Job und der Hausarbeit.
Der Impfstoff ist unverzichtbar. Wir müssen die Versorgung mit dem Impfstoff diversifizieren. Deswegen haben wir uns zunächst auf den Oxford-Impfstoff fokussiert, der in Argentinien hergestellt wird, damit er im gesamten ecuadorianischen Staatsgebiet verfügbar sein kann.
Wie sehen Sie Ecuadors Zukunft in Lateinamerika und einer multipolaren Welt? Welche Art von Beziehungen erwarten Sie mit China und der neuen Regierung in den Vereinigten Staaten?
Wir wollen weiterhin vielfältige Beziehungen mit allen Ländern der Welt aufbauen. Wir wollen den Austausch in der Bildung, in der Wissenschaft und in der Technologie aufbauen, um Zugang zu den neusten Erfindungen aus der ganzen Welt zu haben, und die Entwicklung Ecuadors voranzutragen. Unsere Grundsätze werden Frieden, Demokratie und Entwicklung sein. Dies sind die gleichen Grundsätze, auf denen die Gründung der Vereinten Nationen ruht.
Wir glauben an Multilateralismus. Wir sind gegen die unipolare Welt. Wir müssen uns von dem Hegemonieanspruch einzelner Länder wegbewegen, der insbesondere in der westlichen Hemisphäre vorherrscht. Wir werden weiterhin Beziehungen zu unseren Freunden in China aufbauen und in Asien im Allgemeinen. Wir wollen gute Beziehungen zu jedem Land der Welt haben, zu den USA, Europa, Kanada, den eurasischen Ländern und Russland.
Unsere wichtigste Priorität ist jedoch die lateinamerikanische Integration. Wir brauchen unser eigenes Lateinamerika, und ich werde persönlich die regionale Integration in unserem Land wiederherstellen.
Während der Regierung von Rafael Correa wurde Ecuador als die Hauptstadt Südamerikas angesehen, weil dort die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) ihren Hauptsitz hat.
Lenín Moreno beschloss, den Status Ecuadors als Hauptstadt Südamerikas aufzugeben – das war unverzeihbar. Wir hoffen, dass wir zur UNASUR zurückkehren können. Wir hoffen, sie auch zu verbessern. Die UNASUR soll nicht nur ein Projekt der Integration zwischen Regierungen oder Politikern sein, sondern auch für die Integration der Menschen. Wir bemühen uns um ein Programm für den Bildungsaustausch – vergleichbar etwa mit dem europäischen Erasmus-Programm –, bei dem Studierende aus allen lateinamerikanischen Ländern ein Auslandssemester in einem anderen Land der Region absolvieren können. Das wird dazu beitragen, Beziehungen zwischen den Menschen Lateinamerikas aufzubauen, die über Jahrzehnte Bestand haben werden.
Einer der Hauptkritikpunkte der Opposition ist, dass Sie ein Klon von Rafael Correa seien. Was halten Sie von diesen Vergleichen?
Nun Klone sind wir nicht. Rafael ist ein Freund und Weggefährte. Wir sind uns politisch über die Bedürfnisse unseres Landes einig, aber wir sind die verbesserte Version. Ich gehöre zu einer neuen Generation, und wir werden dem politischen Vorschlag der Bürgerrevolution Energie, Jugend, Innovation, Kreativität und Aktualität einflößen.
Sollten Sie gewählt werden, wer wird regieren? Sie oder Correa?
Wenn ich am 24. Mai den Amtseid auf die Verfassung schwöre, werde ich respektieren, was in der Verfassung steht. Die Verfassung besagt, dass der Entscheidungsträger der Präsident der Republik ist. Der Präsident der Republik werde ich sein und Rafael einer meiner wichtigsten Berater.
Andrés Arauz ist Ökonom und Präsidentschaftskandidat der UNES (»Unión por la Esperanza«, deutsch: Union für die Hoffnung).
Anmerkung der Redaktion: In der Einleitung des Interviews stand ursprünglich, Andrés Arauz trete in der Stichwahl gegen Guillermo Lasso an. Ferner stand in einer früheren Fassung des Interviews »multipolar« statt »unipolar«. Der Text wurde am 09.02.2021 aktualisiert.
Denis Rogatyuk ist Journalist und arbeitet für El Ciudadano, sowie für eine Reihe weiterer Publikationen wie Jacobin, Tribune, Le Vent Se Leve, Senso Comune, und The Grayzone.