04. Dezember 2025
Der Neo-Western »Eddington« zeichnet die Corona-Jahre als den Zenit einer Kultur, in der selbstgerechte Posen die Gesellschaft beschäftigen, während materielle Fragen unpolitisch geklärt werden – eine Geschichte, die weit über die USA hinaus gilt.

Sheriff Joe Cross und Bürger- meister Ted Garcia geraten über Covid-Restriktionen aneinander.
Wie sind wir nur da reingeraten, wo wir heute sind? Das ist eine Frage, die wir uns nicht allzu gerne stellen, vor allem, wenn sie uns an eigenes Fehlverhalten erinnern könnte. Da kommt es uns ganz recht, wenn die unbeirrt fortschreitende Gegenwart die jüngere Vergangenheit in einen Schleier des Vergessens hüllt, der uns sanft von dieser Zumutung entbindet.
Ganz ohne diesen Hang zur Verdrängung lässt sich nicht erklären, mit welcher einhelligen Vehemenz Ari Asters neuer Film nach seiner Premiere im Wettbewerb der letzten Filmfestspiele von Cannes zerrissen wurde. Eddington ist das erste große filmische Werk, das sich an eine genaue Beleuchtung der gesellschaftlichen Zerwürfnisse während der Corona-Pandemie wagt. Und die Heftigkeit der Reaktionen legt nahe, dass sie sich nicht gegen das Werk allein, sondern ebenso gegen die Wirklichkeit richten, die es uns zurückspiegelt.
Der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchautor wurde nach Filmen wie Hereditary und Midsommar noch als Hoffnung des modernen Horrorkinos gefeiert. Nun aber wird ausgerechnet jener filmischen Stimme, die den Art Horror neu belebte (ein Subgenre, das gesellschaftliche Ängste, Traumata und Machtverhältnisse mit den Mitteln einer kunstvollen, symbolisch aufgeladenen Ästhetik seziert) mit dem wohl vernichtendsten aller Urteile bedacht – einem Urteil, das obendrein recht komfortabel jede ernsthafte Auseinandersetzung schon im Ansatz unterbindet: dem der Belanglosigkeit.
»In präzise beobachteten Szenen zeigt Aster, wie eine scheinbar banale Geste allmählich zu einer Handlung von politischer Tragweite und schließlich zur moralisch geladenen Chiffre gesellschaftlicher Zugehörigkeit wird.«
Eddington sei eine »selbstgefällige Parodie« (The Observer), die »aus einigen uninteressanten und unoriginellen Gedanken eine schwere, geschmacklose Mahlzeit macht« (The Guardian), die »abgestanden wie die Schlagzeilen von gestern« schmecke (The New Yorker). Die Übereinstimmung der Urteile in Cannes war stellenweise so groß, dass sich die Kritiken beinahe wie Variationen desselben Textes lasen. Ironischerweise verweist aber gerade diese Einhelligkeit weniger auf ein Versagen als auf ein Wesensmerkmal des Films.
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Arabella Wintermayr ist Filmkritikerin, Journalistin und TV-Redakteurin. Ihre Kritiken erscheinen unter anderem in der taz, im Freitag und bei ZEIT Online.