25. Februar 2021
Der Konflikt um die privaten Gewinne aus Immobilien wird mit aller Härte ausgetragen werden: zwischen den Milliardären, ihren Lakaien in Amt und Würden – und uns.
Verdrängt die Armen, Latte für Latte« – so bringt die Stadtsoziologin Sharon Zukin in ihrem Buch Naked City auf eine Formel, wie in überfüllten Städten immer diejenigen ins Abseits gedrängt werden, die den steigenden Preisen nicht mehr gewachsen sind.
Dass die Wohnungsnot heute ein so vieldiskutiertes Thema ist, liegt aber daran, dass nicht mehr nur die Armen oder unteren Klassen von ihr betroffen sind – sonst könnte die liberale Öffentlichkeit das Problem wie üblich beschweigen. Es fehlt nicht nur an sozialem Wohnungsbau, sondern an bezahlbaren Wohnraum überhaupt. Und das kriegen nun auch diejenigen zu spüren, die sonst nicht direkt auf die Barrikaden gehen. Es ist, als lebten wir wie in Zeiten der Industrialisierung, als Friedrich Engels in Zur Wohnungsfrage schrieb: »Diese Wohnungsnot macht nur soviel von sich reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch das Kleinbürgertum mit betroffen hat.« Und tatsächlich ist heute wieder Druck auf dem Deckel.
Seit Jahrzehnten werden in immer wiederkehrenden Privatisierungswellen städtische Wohnhäuser an Immobilienkonzerne verkauft. Dabei handelt es sich um riesige Unternehmen wie Vonovia oder Deutsche Wohnen, deren größte Anteilseigner wiederum mächtige Vermögensverwalter wie Blackrock oder die norwegische Zentralbank Norges Bank sind. Wohnen ist im finanzialisierten Kapitalismus kein Menschenrecht – es muss sich rechnen. Immobilien sind kein Schutzraum, kein Ort, an dem man sich entfalten kann, sondern eine beliebte Geldanlage. Statt in Sanierungen oder in den dringend benötigten Neubau fließt das Geld der Mieterinnen und Mieter an die Shareholder und in Steueroasen ab. Besonders perfide wird das System dort, wo Leerstand von Eigentums- und Luxuswohnungen und Obdachlosigkeit in einer Stadt zusammentreffen.
Die Dynamik ist aber auch in der Breite dramatisch, weil der Mietspiegel seit den 1990er Jahren stetig steigt, die Löhne aber nicht. Inflationsbereinigt bedeutet das, dass wir einen immer größer werdenden Anteil unserer Einkommen für die Miete ausgeben. Und der Politik fällt es zunehmend schwer, das Steigen der Mietpreise aufzuhalten.
Nur unter diesen zugespitzten Bedingungen ist überhaupt zu erklären, warum der Berliner Mietendeckel des rot-rot-grünen Senats, der die Mieten für fünf Jahre »einfrieren« soll, eine so heftige politische Wirkung über die Stadt hinaus entfaltet hat. Für Konservative und Liberale ist dieses Deckeln bereits der Sozialismus – dabei kratzt es gerade einmal an der Oberfläche des Problems. Immerhin verschafft der Mietendeckel uns aber eine Atempause, in der wir uns auf die eigentliche Auseinandersetzung vorbereiten können.
Anfang des Jahres sammelte die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen in Berlin über unzählige Kleinstspenden etwa 40.000 Euro. Fast zeitgleich spendete der Immobilieninvestor Christoph Gröner der CDU erst 300.000, und dann noch einmal 500.000 Euro über sein »Gröner Family Office«. Vermutlich, damit die Partei sich besonders stark gegen den Mietendeckel einsetzt. Es sind auch CDU- und FDP-Abgeordnete, die vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe gegen den Mietendeckel klagen. Mit dem für dieses Jahr erwarteten Urteil steht und fällt, ob sich eine Stadt überhaupt in dieser Weise gegen Mietenexplosionen und Spekulation auf dem Wohnungsmarkt zur Wehr setzen kann.
Gleichzeitig ist es Initiativen und Mietervereinen in vielen Städten gelungen, Forderungen für eine andere Mietenpolitik aufzustellen und Menschen in Siedlungen und Stadtbezirken dafür zu mobilisieren. Und auch gesellschaftlich entstehen Mehrheiten für eine stärkere Regulierung der Mietenpolitik: Ganze 71 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger gaben 2020 laut ARD Deutschlandtrend an, den Mietendeckel zu befürworten.
Das Deckeln reicht allerdings nur, um etwas Zeit zu gewinnen und unsere Geldbeutel zu entlasten. Mittelfristig müssen Mietinitiativen und linke Politik jedoch darauf abzielen, den Wohnraum wieder von den Kapitalmärkten zu entkoppeln, um ihn dann langfristig zu vergesellschaften. Denn erst wenn sich mit unserem Wohnraum kein Gewinn mehr machen lässt, können wir end-lich nach den Bedürfnissen der Menschen und unserer natürlichen Umwelt bauen und wohnen.
Die Lösung besteht jedoch eben nicht in einem Produzentenkapitalismus, in dem wir Millionen von Kleinstbesitzern schaffen und jede und jeder sich individuell eine Wohnung kauft. Gleichzeitig wollen wir auch nicht, dass eine trockene Staatsbeamte in der Verwaltung uns Wohnungen zuteilt, also eine anonyme öffentliche Hand die Wohnungspolitik leitet. Das Problem ist ein gesellschaftliches und muss auch als solches gelöst werden. Das bedeutet, dass die Vergesellschaftung Formen finden muss – etwa Anstalten des öffentlichen Rechts –, in denen ein gesamtgesellschaftliches Interesse gewahrt wird, die Mieterinnen und Mieter aber selbst Entscheidungen treffen können. Der Rückkauf und die Vergesellschaftung der 240.000 Wohnungen, um die es in Berlin geht, würde laut Schätzungen der Kampagne etwa 8 bis 14 Milliarden Euro kosten, die über die Jahre durch die Mieteinnahmen selbst gedeckt werden könnten. Der Berliner Senat veranschlagt ungefähr 28 bis 40 Milliarden Euro. Das ist im Vergleich mit dem Steuerschaden von über 30 Milliarden Euro, der durch das Dividendenstripping im CumEx-Skandal für den Bund entstanden ist, oder der Bankenrettung von 2008, die 68 Milliarden Euro gekostet hat, noch relativ überschaubar.
Vor allem würde der Rückkauf der Wohnungen aber die Handlungsfähigkeit nicht nur der Politik, sondern auch der Menschen stärken. Gelingt es, in der zweiten Stufe des Volksbegehrens ausreichend Stimmen zu sammeln, sodass im September tatsächlich beim Volksentscheid über die Enteignung der großen Wohnkonzerne abgestimmt werden kann, dann könnte sich eine Mehrheit der Stadt ihren Wohnraum im wahrsten Sinne des Wortes zurückholen. Denn nach allem, was in den letzten Jahren und Jahrzehnten verramscht wurde – seien es Anteile der Bahn oder der Post, Bauland oder Kliniken – wäre das eine Art Rückeroberung. Und sie könnte Schule machen.
Bei aller Euphorie über das Mögliche sollten wir uns jedoch nichts vormachen. Der Konflikt um die privaten Gewinne aus Immobilien wird mit aller Härte ausgetragen werden: zwischen den Milliardären, ihren Lakaien in Amt und Würden – und uns. Das Jahr 2021 wird für diese Auseinandersetzung entscheidend sein.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.