23. November 2021
Der palästinensische Theoretiker Edward Said hat nicht nur mutige Positionen vertreten. Sein Werk ist ein Vorbild für eine politisch engagierte Wissenschaft, die sich aus der Enge der akademischen Kultur befreit.
Edward Said in Venedig, 20. Mai 1995.
Es ist bekannt, dass sich Edward Said außerhalb seiner Berufstätigkeit für die Interessen Palästinas einsetzte. Zusammen mit einigen anderen – allen voran Noam Chomsky – wurde Said in den 1970er und 80er Jahren in den USA und Europa als eine Stimme der Rationalität, des Skeptizismus und des Mutes bekannt.
Er stellte die dominierenden, größtenteils im liberalen Zionismus verwurzelten Positionen zu Palästina/Israel in Frage, indem er die Komplizenschaft Washingtons mit der israelischen Besatzung, der Kolonisierung und den Verstößen gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte aufzeigte und für einen gerechten Frieden eintrat. Er war massiven Anfeindungen ausgesetzt, die von persönlichen Angriffen und Morddrohungen bis hin zu Brandanschlägen auf sein Büro an der Columbia University reichten.
Said präsentierte sich selbst gern als unabhängiger und ungebundener Dissident, und tatsächlich war er nie Mitglied einer der palästinensischen Parteien, Fraktionen oder Guerillagruppen gewesen. Die eigene Autonomie war für ihn immer zentral – ob es nun darum ging, ein unabhängiges Mitglied des Palästinensischen Nationalrats zu sein oder sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit einen intellektuellen und sogar epistemologischen Standpunkt zu verschaffen.
Saids großes Vorbild war dabei der im 18. Jahrhundert lebende italienische Philosoph und Rhetoriker Giambattista Vico, dessen Ideen und Werte ihn nachhaltig prägten. Vico nahm als Autodidakt eine Position ein, die zwischen den vorherrschenden, konkurrierenden empiristischen und rationalistischen Philosophien seiner Zeit stand. Said hatte zweifellos eine ähnliche Agenda.
»Texte, so schrieb Said 1975, müssen als Faktoren der Macht verstanden werden.«
Dennoch bestand Saids Arbeit zu Palästina auch darin, in vielen Netzwerken und Gruppen aktiv zu sein und diese zu mobilisieren. Seine »politische« und seine »akademische« Arbeit hatten dieselben Wurzeln – auch, wenn das nicht immer so scheint.
Der Schriftsteller Joseph Conrad behauptete einmal: »Ein Buch ist eine Handlung«. Said, der seine Doktorarbeit und sein erstes Buch über Conrad schrieb, stimmte dem voll und ganz zu. Schon früh in seiner Karriere zeigte Said ein ausgeprägtes Verständnis für das Schreiben als Handlungsakt – oder sogar als Ereignis. Dafür prägte er in den 1970er Jahren den Begriff der »Weltlichkeit« – ein Ausdruck des Gefühls, dass alles Schreiben, egal wie hochtrabend, irrational oder komplex es auch sein mag, in der Welt stattfindet und somit in Beziehung zu ihr steht.
Die Vorstellung, dass sich das Schreiben von den Kontexten seiner Entstehung lösen könnte, war Said verhasst. Man könne immer erkennen, dass Literatur – sei es ein modernistisches Gedicht oder ein philosophischer Essay – eine Beziehung (und sei es auch eine verleugnende) zum Ort und zur Zeit ihrer Entstehung habe. Ebenso müsse man auch das Lesen und die Interpretation stets als kontextbezogen betrachten.
Texte, so schrieb Said 1975 mit Verweis auf Friedrich Nietzsche, müssen als Faktoren der Macht verstanden werden und nicht als Beiträge zu einem demokratischen Austausch. Er begriff das Schreiben als Vorgang auf einem »homerischen Schlachtfeld«, wie es Fredric Jameson einmal bezeichnete, auf dem ein Text seinen Aufstieg oder seine Popularität oder sogar seinen hegemonialen Einfluss auf Kosten der Degradierung eines anderen Textes erkaufen muss.
Das mag sehr abstrakt oder »literarisch« klingen. Im folgenden Zitat sehen wir wie Said diese Überlegungen praktisch einsetzt:
»Politische Ideen wie der Zionismus müssen in zweierlei Hinsicht historisch untersucht werden: 1) genealogisch, um ihre Herkunft, ihre Verwandtschaft und Abstammung, ihre Verbindungen sowohl mit anderen Ideen als auch mit politischen Institutionen aufzuzeigen; 2) als praktische Systeme zur Akkumulation (von Macht, Land, ideologischer Legitimität) und Verdrängung (von Menschen, anderen Ideen, vorheriger Legitimität).«
An dieser Stelle plädiert Said für die Analyse des Zionismus als »weltliche« politische, intellektuelle und kulturelle Bewegung. Der Zionismus müsse nicht nur hinsichtlich seines historischen Kontexts und seiner Wurzeln verstanden werden, sondern auch im Hinblick auf seine »weltliche« Fähigkeit, andere Ideen und Menschen zu verdrängen.
Mit anderen Worten: Saids literaturkritischer Ansatz lieferte ihm wirkungsvolle Werkzeuge für die politische Analyse eines so mächtigen ideologischen Systems wie dem Zionismus. Seine akademischen Überlegungen setzte er ganz offen auch für politische Zwecke ein.
Die Verschränkung von Wissenschaft und Politik geht bei Said jedoch noch weiter. Das obenstehende Zitat steht am Anfang von »Zionism From the Standpoint of its Victims« (»Der Zionismus vom Standpunkt seiner Opfer«), einem seiner brillantesten Essays, der erstmals 1979 in Social Text veröffentlicht und im selben Jahr in sein Buch The Question of Palestine aufgenommen wurde.
In diesem Essay, der eine große Menge an historischem, politischem und intellektuellem Material zusammenstellt, setzte Said den Zionismus mit dem europäischen imperialen Wettlauf des späten 19. Jahrhunderts in Verbindung und zitiert eine Vielzahl liberaler europäischer Standpunkte aus demselben Jahrhundert, über das vermeintliche historische Schicksal der Jüdinnen und Juden, in deren angebliche Heimat »zurückzukehren«.
»Said wies darauf hin, dass es der palästinensischen Erfahrung im Vergleich zum übermächtigen Narrativ des Zionismus an einem gegensätzlichen narrativen Ausdruck und an der daraus resultierenden Autorität fehle.«
Er zeigt darin auf, dass die zionistische Bewegung sich lange vor 1948 in quasi-militärischen Begriffen ausdrückte und dass die Bevölkerung und die Kultur, die der Zionismus beiseiteschob (in genau den oben verwendeten »weltlichen« Begriffsfeldern), einen erkenntnistheoretischen Dreh- und Angelpunkt darstellten, von dem aus man letztlich das aussagekräftigste und fundierteste Wissen über den Zionismus gewinnen kann. Den Zionismus vom »Standpunkt seiner Opfer« zu betrachten, bedeutete, die wichtigste Art von Wissen über den Zionismus zu erlangen – genauso wie für Georg Lukács das Klassenbewusstsein der Opfer des Kapitalismus das ultimative kritische Bewusstsein gegenüber dem Kapital darstellte.
Ein weiteres wertvolles Beispiel dafür, wie Saids literaturkritisches Fachwissen seine politischen Schriften beeinflusste, ist der Essay »Permission to Narrate« (»Erlaubnis zum Berichten«), der 1984 in der London Review of Books und im Journal of Palestine Studies veröffentlicht wurde. Was auf den ersten Blick wie eine lange Rezension von Büchern über den Libanonkrieg und die Massaker in den dortigen Lagern wirkte, entwickelte sich schließlich zu etwas anderem.
Zwar lobte Said Bücher wie Jonathan Randals The Tragedy of Lebanon und insbesondere Noam Chomskys The Fateful Triangle, er äußerte aber auch grundlegende Kritik an beiden Autoren. Obwohl Said ihre Darstellung und Analyse des palästinensischen Dilemmas im Libanon als überzeugend und wichtig einstufte, war er der Meinung, dass keiner von ihnen in der Lage war, das Schicksal der Palästinenser in narrativen Begriffen zu denken.
In diesem Punkt argumentiert Said in Anlehnung an die Feststellung des Historikers Hayden White, dass Narrative immer mit Fragen der Autorität verbunden sind. Said wies darauf hin, dass es der palästinensischen Erfahrung im Vergleich zum übermächtigen Narrativ des Zionismus (jüdisches Nationalbewusstsein, Organisation, Kolonisierung und schließlich Staatsgründung) an einem gegensätzlichen narrativen Ausdruck und einer Idee sowie an der daraus resultierenden Autorität fehle.
»Said war nicht nur ein Universitätsprofessor, der sich in seiner Freizeit mit Aktivismus beschäftigte. Vielmehr bilden seine politischen Aktivitäten die Grundlage seiner akademischen Arbeit.«
Das zionistische Narrativ war demnach in der Lage, die Entstehung einer palästinensischen Erzählung sowohl ideologisch als auch buchstäblich zu blockieren, indem die israelischen Streitkräfte beim Einmarsch in Beirut die Archive der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) stahlen. Dies ist ein weiteres Beispiel für Saids Überzeugung, dass Politik und Ideologien Teil eines »weltlichen« Kampfes sind.
Said war also nicht nur ein Universitätsprofessor, der sich in seiner Freizeit mit Aktivismus und medialer Berichterstattung beschäftigte. Vielmehr bilden seine politischen Aktivitäten die Grundlage seiner akademischen Arbeit. Dieser Punkt wird in Timothy Brennans kürzlich erschienener, Biografie über Said, Places of Mind, sehr deutlich.
Brennan ändert beziehungsweise korrigiert unser Bild von Said in einer Vielzahl von wichtigen Aspekten. Said selbst hatte sein Interesse an politischer Arbeit in der katastrophalen Niederlage von 1967 begründet. Brennan dagegen zeigt auf, dass der junge Edward bereits als Teenager politische Ansichten über Palästina und sein Schicksal artikuliert hatte und diese leidenschaftlich zum Ausdruck brachte. Er offenbart auch die wichtige Beziehung zwischen Said als jungem Professor an der Columbia und seinem brillanten trotzkistischen Kollegen F. W. Dupee.
Dupee war neben Lionel Trilling ein bedeutender Vertreter der als »New York Intellectuals« bekannten Gruppe akademischer Intellektueller. Doch während Trilling in seiner kritischen Arbeit unter Berufung auf Matthew Arnold eine distanzierte, desinteressierte Haltung an den Tag legte, war Dupee engagiert, parteiisch, kämpferisch und sowohl ein wortgewandter Straßenkämpfer als auch ein analytischer Wissenschaftler. Dupee war Saids wichtigster Mentor in dessen früher Professorenlaufbahn. Es ist auch seinem Einfluss zu verdanken, dass Said seine frühen literarischen Essays nicht in ausschließlich akademischen Zeitschriften, sondern in para-akademischen Organen wie der Partisan Review, der wichtigsten Plattform der New Yorker Intellektuellen, veröffentlichte.
Im Kontrast zu Saids Selbstdarstellung als politisch unabhängiger Akteur porträtiert Brennan ihn als Aktivisten und Netzwerker mit außergewöhnlichem Elan und Engagement. Seit Anfang der 1970er Jahre stand Said im regelmäßigen und intensiven Austausch mit einer Vielzahl von Personen und Organisationen, die entweder von ihm inspiriert waren, von ihm unterstützt wurden oder ihn um Rat gefragt hatten. Die Liste dieser Organisationen umfasst dissidente jüdische Organisationen, die American Civil Liberties Union, die Democratic Socialists of America und das European Coordinating Committee of Non-Governmental Organizations.
»Saids Arbeit für die AAUG, trug dazu bei, dass das FBI eine Akte über ihn anlegte, die an seinem Lebensende zu einem 238-seitigen Dossier angewachsen war.«
Said gestaltete Forschungspläne und gab Denkfabriken, Zeitschriften und Verlegerinnen den Anstoß, neue Arbeiten in Betracht zu ziehen. Er unterbreitete dem Verlag Columbia University Press Vorschläge für neue Veröffentlichungen und unterstützte die Schaffung neuer Abteilungen und Studienprogramme. Ebenso setzte er sich für Bildungsprojekte im Nahen Osten ein. Said sprach sich dafür aus, dass arabische Staaten Studienprogrammen für Amerikastudien einrichteten und dass die USA Studiengänge für Arabistik schafften.
Bereits 1972 unterstützten Said und seine Frau Mariam eine Büchersammlung für die Birzeit-Schule für Mädchen in Ramallah. Ein Jahrzehnt später gründeten sie den Palestine Defense Fund. Viele Jahre lang setzten sich Said und sein alter Weggefährte Ibrahim Abu-Lughod für die Gründung einer offenen palästinensischen Universität im Westjordanland ein. Gegen Ende seines Lebens enthüllte er, dass er ein Archiv mit mehr als 9.000 Fotos von Palästinenserinnen und Palästinensern seit 1948 angelegt hatte. Said setzte sich für die Durchführung einer palästinensischen Volkszählung ein und erstellte ein Profil des palästinensischen Volkes für das Institute of Policy Studies.
Zudem war er in der 1967 gegeründeten Association of Arab-American University Graduates (AAUG) aktiv. Diese erlangte besondere Bedeutung, als arabische Amerikanerinnen und Amerikaner im Zuge der »Operation Boulder« der Nixon-Regierung offener Schikane ausgesetzt waren. Saids Arbeit für die AAUG, die ihn schließlich zum Vizepräsidenten machte, trug dazu bei, dass das FBI eine Akte über ihn anlegte, die an seinem Lebensende zu einem 238-seitigen Dossier angewachsen war. Es besteht kein Zweifel daran, dass Saids Feinde – und davon es gab viele – ihn für einen energischen und beeindruckenden Aktivisten hielten.
In einem bisher kaum beachteten Aufsatz aus dem Jahr 1982, »Opponents, Audiences, Constituency and Community« (»Gegner, Publikum, Anhängerschaft und Gemeinschaft«) nimmt Said offen Stellung zur Rolle der Kritik »in der Welt«. Er weist darauf hin, dass die meisten meisten Denkschulen der Literaturkritik dazu tendieren, selbstbezogen zu sein und er merkt an, dass der Druck der akademischen intellektuellen Arbeit, selbst vermeintlich »radikale« Intellektuelle dazu veranlasst, sich nicht in Angelegenheiten außerhalb ihres Fachgebiets einzumischen. Diese Verengung lehnt Said ab – und plädiert stattdessen für eine Praxis der »Einmischung«.
Statt sich der internen Politik des akademischen Diskurses zu fügen – die, so argumentierte er, sogar den Marxismus entradikalisieren könne – drängt Said auf eine engagierte, politisierte (»weltliche«) Überschreitung der Grenzen der akademischen Diskurse und Praktiken. Diese Grenzüberschreitungen bezeichnet er als »Einmischung«. Das mag auf den ersten Blick an das geläufige Konzept der Interdisziplinarität erinnern, hat aber eine radikale Stoßrichtung, die über die akademische Sphäre hinausreicht.
»Saids Einmischungen standen in völligem Gegensatz zu der quasi-religiösen Kultur der trockenen ›Theorie‹ oder des frommen Ästhetizismus.«
Brennan hebt hervor, dass dieser Aufsatz nicht nur zeigt, dass Said für eine politisierte, kluge Kritik eintrat, sondern auch, dass er ein sehr ausgeprägtes Gespür für die Politik der Medien und den Zugang zu Informationen hatte. Die Welt, in der Said den Text in den frühen 1980er Jahren schrieb, wurde bereits von international agierenden Medienmogulen beherrscht. Inmitten dieses Umfeldes bestand er darauf, dass die Aufgabe aktivistischer Kritik darin bestehe, in die politischen Darstellungen – sei es von Palästina, »Terrorismus« oder anderen Themen – auf undogmatische, säkulare und nicht-autoritäre Weise einzugreifen. Dies stand in völligem Gegensatz zu der quasi-religiösen Kultur der trockenen »Theorie« oder des frommen Ästhetizismus.
In seinem knappen, aber brillanten Überblick über die englische Literaturkritik und die »öffentliche Sphäre«, The Function of Criticism (1984), stellt Terry Eagleton fest, dass das Vorhandensein einer aufgeschlossenen Öffentlichkeit eine der wesentlichen Voraussetzungen für einen radikalen, politischen oder aktivistischen Kritiker bildet. Er argumentiert, dass Raymond Williams, obwohl er ein bedeutender und viel gelesener Schriftsteller war, unter dem Fehlen einer breiten und energischen linken Kultur in Großbritannien während der Nachkriegszeit litt.
Williams hat mit seinen Büchern, seiner Arbeit in der Erwachsenenbildung und in seiner Belletristik hart daran gearbeitet, ein solches Publikum zu gewinnen. Auch Said bemühte sich, ein Publikum für seine Positionen zu Palästina zu finden. Wenn er sich als einsamer Dissident inszenierte, spiegelte sich darin sein Gefühl der Isolation. Es war aber auch seine Art in Debatten Position zu beziehen und dabei seine individuellen Qualitäten wie Charisma, Mut, Eloquenz und Belesenheit einzusetzen.
Said beherrschte nicht nur einen oder zwei, sondern ein ganzes Spektrum an intellektuellen Stilen. Eines seiner denkwürdigsten, aber auch unbekanntesten Projekte war die Publikation After the Last Sky (1986), die Jean Mohrs großartige Fotografien von Palästinenserinnen und Palästinensern, die in der Zeit nach der Nakba aufgenommen wurden, mit Kommentaren von Said kombinierte.
Wie immer gab es einen sehr unmittelbaren und handfesten Anlass für die Entstehung dieses Buches. 1983 war Said Berater für die internationale UN-Konferenz zur Palästina-Frage in Genf. Im Palais des Nations, in dem die Konferenz stattfand, sollte eine Ausstellung von Mohrs Fotografien gezeigt werden.
Doch einige der arabischen »Frontstaaten«, die angeblich Israels stärkste Gegner sind, kooperierten mit Israel, um die Veröffentlichung von Bildunterschriften zu verhindern, die über die Angabe des Aufnahmeortes der einzelnen Fotos hinausgingen. Said und Mohr umgingen dieses Manöver, indem sie ein Buch mit einer Auswahl der Fotos herausgaben, zu denen Said nach Belieben Kommentare schreiben konnte. Ein treffenderes Beispiel für »Einmischung« kann man kaum finden.
Relativ spät in seiner Karriere schrieb Said regelmäßige Kolumnen für die arabische Presse. Viele dieser Artikel wurden in seinen drei letzten Bänden politischer Essays zusammengestellt: Peace and Its Discontents (1995), The End of the Peace Process (2000) und posthum From Oslo to Iraq and the Roadmap (2004). Diese Essays thematisieren hauptsächlich Saids scharfe Kritik am Oslo-Prozess, den er von Anfang an als Betrug und Katastrophe für die Palästinenserinnen und Palästinenser begriff.
Sie wurden in Publikationen wie Al Ahram Weekly, Al Hayat oder Le Monde Diplomatique veröffentlicht. Beim Verfassen dieser Beiträge, die sich sowohl an ein populäres als auch an ein politisches Publikum richteten, hatte Said mit Sicherheit ein großes Vorbild vor Augen: Jonathan Swift, den brillantesten und bissigsten englischsprachigen Polemiker.
Der irische Dichter, Kirchenmann und Pamphletist des 18. Jahrhunderts hatte Said schon lange fasziniert (Brennan zufolge versuchte er zweimal, ein Buch über ihn zu veröffentlichen). In Swifts wütenden Essays, die er vor allem schrieb, nachdem er in den frühen 1700er Jahren bei der britischen Regierung in Ungnade gefallen war, fand Said eine intellektuelle Leistung vor, die sich ideal mit seiner Haltung gegenüber der palästinensischen Befreiungsbewegung kombinieren ließ.
»Autorität ist weder etwas Mysteriöses noch etwas Naturwüchsiges.«
Swift hatte zudem ein Modell des »Schreibens für den Augenblick« entworfen – eine Art des Schreibens, das flüchtig, an den Anlass gebunden, ja sogar parasitär für diesen Anlass oder für das, was es bekämpfte, war, und doch auch entschlossen war, Feinde und Rivalen zu beeinflussen oder zu übertönen. Swifts Satire über die literarisch-politische Debatte, The Battle of the Books, enthält etwa eine Darstellung der Bücher in der St. James Library in London, die aus ihren Regalen klettern, um sich auf dem Boden des Lesesaals zu bekriegen. Said verstand seine politischen Interventionen auf ähnliche Weise.
In seinen späteren Jahren plädierte Said auch für kollektive oder zumindest kollegiale Arbeit. Er freundete sich mit dem großen französischen Soziologen Pierre Bourdieu an, der ihn ins Collège de France einlud. Bourdieu, ein nicht-marxistischer Radikaler der französischen Linken, verbrachte einen großen Teil seiner Karriere damit, zu untersuchen, wie die Gesellschaft das produziert und reproduziert, was er »kulturelles Kapital« nennt – die soziale Girlande, die sich aus Herkunft, Bildung sowie der institutionellen und wirtschaftlichen Lage zusammenfügt.
Bourdieus meisterhafte Studien über die französische akademische Welt, über die »noblesse d’état«, die den französischen Staat leitet, oder über die Fähigkeit kultureller Institutionen, Autorität zu verleihen, sind wahrscheinlich auf Saids Wohlwollen gestoßen. In seinem Buch Orientalismus schreibt er:
»Autorität ist weder etwas Mysteriöses noch etwas Naturwüchsiges. Sie bildet sich, strahlt aus, und zieht Kreise, setzt sich durch, wirkt überzeugend, gewinnt Einfluss, begründet Geschmacks- und Wertekanons, wird praktisch ununterscheidbar von gewissen Ideen, die sie als wahr würdigt, und von aus ihr erwachsenen Traditionen, Wahrnehmungen und Urteilen. Vor allem kann und muss man Autorität analysieren.«
Eines von Bourdieus letzten großen Projekten war sein außergewöhnliches Buch Das Elend der Welt (1993), eine erschütternde Darstellung des Lebens der Armen und Ausgegrenzten in Frankreich. Es basierte auf umfangreicher Feldforschung und wurde zusammen mit einem Team von Schriftstellern und Forschenden verfasst. Es erschien zu einem Zeitpunkt, als Bourdieu selbst begann, öffentlich kritische Positionen zum Neoliberalismus in seiner französischen Ausprägung zu beziehen.
In Humanism and Democratic Criticism, Saids posthum erschienenem Werk über den Wert philologischer Ansätze für die Kultur, findet sich auch ein später Aufsatz über die öffentliche Rolle der Intellektuellen. Es ist ein Plädoyer für das, was Bourdieu als »kollektiven Intellektuellen« bezeichnet hat – eine kollegiale, gruppenbezogene, intellektuelle Identität, die in Bourdieus Worten »eine unersetzliche Rolle spielen könnte, indem sie dazu beiträgt, die sozialen Bedingungen für die kollektive Produktion realistischer Utopien zu erschaffen«.
Die Situation in Palästina mag von jeder Hoffnung auf »realistische Utopien« weit entfernt sein, aber Saids Bemühungen, sowohl als Einzelner als auch als Teil einer größeren Gruppe von Aktivisten und Wissenschaftlerinnen, können ein mächtiges und ermutigendes Vorbild für diejenigen von uns sein, die in seinem Sinne arbeiten.
Conor McCarthy lehrt an der Universität Maynooth, Irland. Er ist der Autor des Buchs »The Cambridge Introduction to Edward Said« (2010).
Conor McCarthy lehrt an der Universität Maynooth, Irland. Er ist der Autor des Buchs »The Cambridge Introduction to Edward Said« (2010).