09. Januar 2023
Er war einer der klügsten Ökonomen und Vordenker der deutschen Linken: Ein Nachruf auf Axel Troost (1954–2023).
Natürlich war Axel Troost eine intellektuelle und politische Koryphäe. Aber am stärksten in Erinnerung bleiben werden mir Axels Lebenslust, seine Herzlichkeit und sein Humor. In der LINKEN gab es 2019 eine innerparteiliche Debatte um die Sinnhaftigkeit einer CO2-Steuer. Wie für ihn typisch war Axel Troost nicht einfach nur dafür. Er schrieb mit einem Kollegen für die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Papier, in dem er begründete, warum linke Politik zur Abwendung des Klimawandels nicht nur, aber eben auch auf eine CO2-Steuer setzen sollte, die er mit dem ihm eigenen Humor als »weder Superheld, noch Superschurke« charakterisierte. Unbeirrt fleißig und diskussionsfreudig wie Axel war, folgte er nicht nur der Einladung meiner LINKEN Kreistagsfraktion im tiefsten Westen der Republik, um mit uns dazu zu diskutieren, er besuchte auch gleich vier Städte und Kreisverbände in Nordrhein-Westfalen, die ihn alle mit Kusshand als Referent empfangen wollten: Axels Ruf als überragend kompetenter Fachmann eilte ihm weit voraus.
Und in der Tat argumentierte er stringent, auf hohem Niveau, aber doch immer verständlich und massenkompatibel. Als sich in der Diskussion unvermeidlich ein Vertreter der Wachstumskritik meldete, fertigte Axel ihn nicht einfach ab, sondern erklärte bestimmt, aber freundlich, warum ihn diese Perspektive nicht überzeuge, so sehr er die ökologische Zielrichtung auch teile. Im Anschluss an die Veranstaltung konnte man in der Kneipe einen herzlichen, interessierten und munter weiter diskutierenden Genossen erleben, mit dem man gut essen, trinken und lachen konnte. Anders als man es von vielen anderen Parteifreundinnen und -freunden der linken Parteielite gewohnt war, gab es nicht jeweils einen Axel für die Vorder- und einen anderen für die Hinterbühne, sondern er schien stets derselbe zu sein. Vermutlich gingen ihm auch deswegen alle Strömungsspielchen ab, die sich in Hinterzimmern abspielten und in der LINKEN immer mehr überhandnahmen.
Axel Troost war im besten Sinne ein Brückenbauer. Am bekanntesten war er sicherlich als Vermittler zwischen Wissenschaft und Politik: Nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre in Marburg und einer Promotion wurde er Geschäftsführer der Arbeitsgruppe für Alternative Wirtschaftspolitik (besser bekannt als Memorandum-Gruppe), der er bis zu seinem Tode blieb. Die Arbeitsgruppe war Mitte der 1970er Jahre von drei linken norddeutschen Wirtschaftsprofessoren gegründet worden, als die Helmut-Schmidt-Regierung auf einen Sparkurs einschwenkte. Seit 1977 gab sie jedes Jahr ein Memorandum heraus, das wegen der immer stärker neoklassisch argumentierenden Empfehlungen des Sachverständigenrats als »Gegengutachten« zu den Wirtschaftsweisen aufgenommen wurde. Axel, der 1970–73 Mitglied der SPD und 1976–84 Mitglied der DKP gewesen war, blieb zwanzig Jahre parteilos, bis er in den 2000er Jahren eine zentrale Rolle bei der Gründung der WASG einnahm. Für die aus der Vereinigung von WASG und PDS entstandene LINKE zog er 2005–2017 und dann nochmals kurz als Nachrücker 2021 in den Bundestag ein, wo er sich über die eigene Fraktion hinaus einen Namen als Finanz- und Wirtschaftspolitiker machte.
Ein Brückenbauer war Axel Troost aber auch zwischen Ost und West. Schon seine Berufstätigkeit hatte ihn nach der Wende 1990 ins brandenburgische Teltow und nach Rostock geführt. Diese Erfahrungen mögen dem gebürtigen Hagener geholfen haben, aus dem angestammten Bremen, das bis heute Sitz der Memorandum-Gruppe ist, nach Leipzig zu wechseln. Vier Mal setzte ihn der dortige Landesverband der LINKEN auf seine Bundestagsliste. Wichtige Bande knüpfte Axel Troost weiterhin über die Partei hinaus. Mit der Perspektive, fortschrittliche Regierungsmehrheiten jenseits von Union und FDP zu schaffen, engagierte er sich beim Institut Solidarische Moderne (ISM).
»In einer LINKEN, in der Ökonomen nicht eben im Überfluss vorhanden sind, reißt sein Fehlen eine große und schmerzhafte Lücke.«
Im Umfeld der Eurokrise wurde er oftmals zum intellektuell-politischen Gegenspieler von Sahra Wagenknecht. Er kritisierte ihre Losung von der angeblichen »Enteignung der Sparer« durch die Niedrigzinspolitik der EZB ebenso wie Positionen aus dem linken Spektrum, die auf einen Rückbau oder eine Auflösung der Eurozone abzielten. Gemeinsam mit der zweimaligen SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan, dem damaligen Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske und dem früheren Berliner Wirtschaftssenator der LINKEN Harald Wolf plädierte er in einer Streitschrift für einen fortschrittlichen Umbau der EU. In den letzten Jahren konnte Axel an das Thema seiner Doktorarbeit anknüpfen, die die Staatsverschuldung zum Gegenstand hatte. Wie er in Referaten zur Wirtschaftspolitik unter der Corona-Pandemie sowie zum Klimawandel deutlich machte, werde beides nicht zu stemmen sein, solange die Schuldenbremse weiterhin gelte.
Brücken bauen konnte Axel auch zwischen den Generationen. Obwohl er nicht nur ein phänomenales Fachwissen, sondern auch bemerkenswert viel politische Erfahrung auf dem Buckel hatte, trat er nie besserwisserisch auf, sondern versuchte Mitstreiterinnen und Mitstreiter für seine Positionen zu gewinnen. Er zeigte sich erfreut über die Verjüngung der Partei und ihres Vorstands und suchte die Zusammenarbeit. Im vergangenen Jahr gründete er mit anderen einen regelmäßig virtuell tagenden Gesprächskreis für linke Wirtschaftspolitik, in dem sich konstruktiv und auch mal kontrovers ausgetauscht wurde. Bis zuletzt, etwa zur Frage der starken Preissteigerungen stand er Gliederungen der Partei als Referent zur Verfügung, wenn er nicht etwa mit Verweis auf Großvaterpflichten einen anderen Termin erbat.
Axel Troosts täglicher Newsletter kam zuverlässiger und pünktlicher und hatte zudem auch mehr Leserinnen und Leser als viele linke Magazine. So gefüllt waren seine Rundbriefe, so gehaltvoll seine Stellungnahmen und Ausarbeitungen, dass man über sein Arbeitspensum auch nach seiner Zeit im Bundestag nur staunend mutmaßen konnte. In einer LINKEN, in der Ökonomen nicht eben im Überfluss vorhanden und viele Mitglieder an wirtschaftspolitischen Fragen nicht unbedingt im Übermaß interessiert sind, reißt sein Fehlen eine große und schmerzhafte Lücke. Wie viele andere hat mich sein Tod überrascht. Noch Anfang Dezember hatten wir in Berlin bei einer linken Großveranstaltung zusammen gesessen. Am 6. Januar ist Axel Troost, für viele unerwartet, nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.
Alban Werner ist Politikwissenschaftler. Er war von 1999 bis 2004 Mitglied bei der SPD. Seit 2005 ist er bei der Linkspartei aktiv. Seine Texte erschienen unter anderem in »Sozialismus« und »Das Argument«.