03. September 2021
Die schlimmste Hitzewelle seit 30 Jahren richtete in den griechischen Wäldern Verwüstung an. Wegen jahrelanger Sparpolitik fehlte es an der elementarsten Grundausstattung zur Bekämpfung der Brände. Die Gesellschaft steht am Rande des Kollaps.
Feuerbekämpfung auf Euböa
In den ersten beiden Augustwochen brachen auf dem griechischen Festland sowie den Inseln auf einer Fläche von etwa 100.000 Hektar mehr als 500 Brände aus. Die Bilder davon zeigen apokalyptische Szenen: Tote Störche fallen vom Himmel, erschöpfte Feuerwehrleute brechen ohnmächtig zusammen, Dorfbewohnerinnen bauen aus landwirtschaftlichen Pumpen eigene behelfsmäßige Feuerwehrautos, und ein syrischer Geflüchteter auf der Insel Euböa bringt Einheimische mit seinem Lieferwagen in Sicherheit.
Insgesamt 22 Nationen, darunter die USA, Frankreich, Israel, die Ukraine und Rumänien, eilten der griechischen Regierung unter der rechtskonservativen Partei Nea Dimokratia zu Hilfe, indem sie Löschflugzeuge, Hubschrauber und Feuerwehrleute für die Brandbekämpfung bereitstellten.
Als die Verstärkung eintraf, widersetzten sich die Einwohnerinnen teilweise den Evakuierungsbefehlen, um ihre Häuser aus eigener Kraft zu verteidigen. Daraufhin entbrannten öffentliche Debatten darüber, warum die griechischen Behörden überhaupt auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen sind. Außerdem wuchs die Empörung über die allgemeine Abwesenheit der Regierung vor Ort in einer Notsituation, die Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis selbst als »Naturkatastrophe eines nie dagewesenen Ausmaßes« bezeichnete.
Zahlreiche Bürgermeisterinnen prangerten an, dass nur »unzureichende« nationale Mittel für die Bekämpfung der Brände bereitgestellt wurden, und die Einwohnerinnen berichteten, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser in Notfällen mangels Alternativen von Einzelhändlerinnen und Privatpersonen gewährleistet werden musste. Ein Mann auf Euböa bemerkte: »Die Regierung tritt im Fernsehen auf und stellt es als großen Erfolg dar, dass wir nicht alle in den Bränden umgekommen sind. Dabei hätte sie Feuerwehrleute einstellen sollen statt Tausender neuer Polizeikräfte.«
Das Ausmaß der Brände und die rekordverdächtigen Temperaturen im Mittelmeerraum waren in der Tat beispiellos. Doch all die Bemühungen, die politische Verantwortung herunterzuspielen, beispielsweise, indem Brandstiftung und unvorhersehbare Wetterbedingungen als Entstehungsgründe für die Brände herangezogen wurden, laufen ins Leere. Denn die Feuer haben die Prioritäten der neoliberalen griechischen Regierung offengelegt, die skrupellos die Interessen des Privatkapitals vertritt.
In dem seltenen Fall, dass sich ein Politiker für etwas entschuldigt, kann man sicher sein, dass das Ausmaß des Schadens weitaus größer ist als behauptet. So auch als Mitsotakis inmitten der Kritik und Proteste auftrat, um den Tausenden Griechinnen und Griechen, die ihre Häuser, ihr Land und ihre Lebensgrundlage verloren hatten, sein Bedauern über die »Versäumnisse« der Regierung auszudrücken. »Wir haben getan, was menschenmöglich war«, sagte er, »aber in vielen Fällen war das nicht genug«. Diese Darstellung ist leicht zu widerlegen.
Die Regierung der Nea Dimokratia hat seit ihrem Amtsantritt systematisch die Mittel für die nationale Feuerwehr gekürzt. Im Jahr 2020 lehnte sie die Einstellung von 5000 neuen Feuerwehrleuten ab und stellte nur magere 1,7 Millionen Euro bereit, um eine Mindestausstattung zu gewährleisten, etwa ein Zehntel der benötigten Summe. Nach dem jüngsten Brand wurden erneut Forderungen laut, mindestens 5000 Feuerwehrleute einzustellen – eine Forderung, auf welche die Regierung noch nicht reagiert hat.
Im gleichen Zeitraum wurde das Ministerium für innere Sicherheit und Bevölkerungsschutz um 4500 neue Mitarbeiterinnen aufgestockt und der Verteidigungshaushalt mehr als verdoppelt. Damit gehört Griechenland zu einem der NATO-Länder mit den höchsten Militärausgaben im Verhältnis zum BIP. Während der Brände waren im gesamten Land nur 500 Feuerwehrleute im Einsatz. In den sozialen Medien wurde das mit satirischen Memes von fliegenden Polizeiautos, die die Brände mit Wasser besprengten, und Polizistinnen mit Feuerwehrmützen kommentiert.
Kriminelle Gleichgültigkeit
Die Prioritäten der griechischen Regierung sind in der Coroana-Pandemie besonders deutlich geworden. Anstelle des durch die Austeritätspolitik geschwächten öffentlichen Gesundheitswesens hat sie systematisch private Krankenhäuser und das Bankwesen subventioniert, indem sie die von der Pandemie betroffenen Unternehmen mit »Notkrediten« versorgte. Gleichzeitig nutzte sie den Ausnahmezustand, um neben anderen autoritären Reformen die Polizeibefugnisse massiv auszuweiten.
Im Norden Athens, der mit am stärksten von den Bränden betroffen war, versuchte die Regierung, ihre Untätigkeit zu rechtfertigten, indem sie behauptete, der Wald sei nicht zugänglich oder sie sei von Stürmen überrascht worden. Solche Vorwände wurden von den Einheimischen schnell ins Lächerliche gezogen, die Luftaufnahmen der vielen befahrbaren Straßen durch das Gebiet und meteorologische Berichte über windstille Wetterbedingungen veröffentlichten und so die die »kriminelle Gleichgültigkeit« des griechischen Staates anprangerten.
Eine Anwohnerin berichtete, wie sie am Tag nach dem Brand die verkohlten Überreste ihres Hauses besuchte und dabei feststellte, dass vor dem unversehrten Haus ihres Nachbarn, einem einflussreichen Geschäftsmann, ein Feuerwehrauto stand. Dieser hatte das Fahrzeug offenbar mit behördlicher Genehmigung in Beschlag genommen, und die Feuerwehrleute erklärten der Frau, sie dürften das Haus des Geschäftsmannes nicht verlassen, um Brände auf anderen Grundstücken zu löschen.
Derartige Korruption ist alltäglich – und typisch für die derzeitige griechische Regierungselite, die seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2019 versucht, das Privatkapital zu schützen und das Land gleichzeitig einer »Schocktherapie« zu unterziehen. Unter dem Deckmantel des Gesundheitsnotstands setzte die Regierung im Rahmen des sogenannten »Griechenland 2.0«-Programms eine Reihe von Reformen durch. Dazu gehört der Bergbau in Naturschutzgebieten und die Privatisierung des Stromnetzes, die Abschaffung der Immunitätsgesetze für Universitäten und die einschneidendsten Veränderungen des Arbeitsrechts in den vergangenen Jahrzehnten.
Von der durch die Brände verursachten Zerstörung werden wieder dieselben Interessen profitieren– vor allem durch die illegale Erschließung von Flächen, die voraussichtlich auf verbranntem öffentlichem Land stattfinden wird, erleichtert durch Griechenlands miserables Waldkataster. Das wäre eine weitere Gelegenheit zur Beschaffung neuer Einnahmequellen für eine räuberische Privatwirtschaft. Ein wütender und erschöpfter Feuerwehrmann kommentierte das während des Höhepunkts der Brände in einem Social-Media-Post folgendermaßen: »Haben die Villen, die ihr baut, noch irgendeinen Sinn, wenn es um euch herum kein Grün mehr gibt? Wie zum Teufel wollt ihr da oben atmen und wir hier unten?«
Das neoliberale Credo prägt auch die Reaktion der griechischen Regierung auf die Klimakrise. Im Gegensatz zu vielen rechtskonservativen Regierungen hat Nea Dimokratia die Bedrohung durch den Klimawandel bereitwillig anerkannt und ein 44 Milliarden Euro schweres Reformprogramm angekündigt, das einige der radikalsten Ziele zur Dekarbonisierung unter den EU-Ländern enthält. Aber der Plan zur Erreichung dieser Ziele beruht auf denselben Säulen, die alle Vorhaben der Nea Dimokratia kennzeichnen: Privatisierung, Marktwirtschaft und minimale öffentliche Investitionen – ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen.
Beispielsweise verabschiedete die Regierung 2020 ein umstrittenes neues Umweltgesetz, das die Errichtung privater Windkraftprojekte auf den Inseln und dem Festland ermöglicht, bei denen Umweltschutzvorschriften kaum oder gar nicht beachtet werden. Ein politischer Ökologe aus Athen erklärte dazu: »Der Klimawandel dient als Alibi für alles, auch für den griechischen Kapitalismus. Die Klimapolitik der Nea Dimokratia basiert auf der typisch neoliberalen Ideologie, dass der Markt uns vor dem Armageddon retten wird.«
Als Mitsotakis im Mai in einer Rede zur Klimakrise erklärte, Griechenland müsse »diese große existenzielle Krise in eine große Chance verwandeln«, bezog er sich dabei nicht etwa auf die Möglichkeiten, einen sozialen Wandel voranzutreiben, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder Investitionen im öffentlichen Sektor zu tätigen – sondern lediglich auf die Gelegenheit, gute Geschäfte zu machen.
Angesichts der Kritik am Umgang der Regierung mit den Bränden hat der Ministerpräsident Entschädigungssummen von 6.000 Euro pro geschädigten Haushalt und 4.500 Euro für geschädigte Personen angekündigt. Das sind magere Beträge im Vergleich zum Ausmaß der Zerstörung. Während im ganzen Land neue Flammen auflodern, wehrt sich die Regierung weiter dagegen, substanzielle Mittel bereitzustellen, um die wirtschaftlichen Folgen für Einzelpersonen und kleine Unternehmen zu lindern und eine der Herausforderung gewachsene Löschtruppe aufzustellen. »Alles muss sich ändern«, sagte Mitsotakis der Nation nach den Bränden dieses Monats. Mit Blick auf die Zerstörung, die die Brände hinterlassen, und einer weiteren drohenden Wirtschaftskrise empfinden viele Menschen in Griechenland das Gleiche.
Zoe Holman ist eine australische Journalistin und Autorin. Sie lebt in Athen und arbeitet zu Sozialem, Migration und dem Nahen Osten.
Zoe Holman ist eine australische Journalistin und Autorin. Sie lebt in Athen und arbeitet zu Sozialem, Migration und dem Nahen Osten.