16. Juni 2021
Das kürzlich verabschiedete Lieferkettengesetz soll Unternehmen für gravierende Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen. Doch ausgerechnet im brutalen Rohstoffsektor wird das wirtschaftsfreundliche Gesetz kaum Wirkung zeigen.
Minenarbeiter in Gauteng, Südafrika.
Am 16. August 2012 wurde ein wilder Streik von Bergleuten und Minenarbeitern im südafrikanischen Marikana von bewaffneten Streitkräfte und dem Sicherheitspersonal der Bergbaufirma Lonmin blutig beendet. 34 Bergarbeiter verloren dabei ihr Leben, mindestens 78 Personen wurden verletzt. Sie hatten für bessere Löhne, angemessene Unterkünfte und direkte Verhandlungen mit dem Management protestiert. Das »Massaker von Marikana« war die blutigste Auseinandersetzung seit dem Ende der Apartheid.
Deutsche Medien berichteten zwar über den Vorfall, doch es sollte weitere Jahre dauern, bis eine kleine Gruppe an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Verbindung nach Deutschland aufdeckte: Der deutsche Konzern BASF war zu der Zeit der wichtigste Großkunde des Bergbaukonzerns Lonmin. BASF stellte aus dem Platin, das die Minenarbeitenden für einen Hungerlohn tief aus der Erde holten, Katalysatoren und andere Produkte her. Im Anschluss an die Berichterstattung beauftragte BASF ein Audit bei Lonmin. Dieses identifizierte gravierende Mängel. In Reaktion darauf wurde jedoch lediglich ein Feuerwehrhaus errichtet. Die ausbeuterischen Niedriglöhne wurden nicht angehoben. Auch die Tatsache, dass sich Lonmin bei der Vergabe der Abbaulizenz zur Errichtung angemessener Unterkünfte verpflichtet hatte und dieser Zusicherung – mit Ausnahme von fünf Musterhäusern – nie nachgekommen war, blieb ohne Konsequenzen. Bis heute weigert sich BASF, seine Mitverantwortung für das Massaker von Marikana einzugestehen. An einem Entschädigungsfond, der für die Überlebenden und die Hinterbliebenen aufgelegt wurde, hat sich das Unternehmen nicht beteiligt.
Einige tausend Kilometer weiter im Nordwesten des Kontinents, genauer gesagt in der Region Boké in Guinea, wurde 2016 von der deutschen Bundesregierung eine Garantie für Ungebundene Finanzkredite (UFK) bewilligt, um die Bauxit-Versorgung einer Aluminiumschmelze in Stade bei Hamburg zu sichern. Was nicht gesichert wurde, war die Entschädigung für die Menschen in Boké. Sie verloren ihre landwirtschaftlichen Anbauflächen, ihre Wasserquellen und Einnahmemöglichkeiten. Das in der Region Boké gelegene Dorf Hamdallaye mit 105 Haushalten wurde inmitten der Corona-Pandemie auf karges Land mit undichten Häusern umgesiedelt, um den Bauxit-Abbau voranzutreiben. Für die Wasserversorgung der umgesiedelten Bevölkerung stehen gerade einmal sechs manuelle Wasserpumpen zur Verfügung.
Es ist keine Seltenheit, dass Gewalttaten, Umweltkatastrophen oder Menschenrechtsverletzungen im Rohstoffsektor bis nach Deutschland zurückverfolgt werden können, wie in den Beispielen aus Südafrika und Guinea. Der Abbau von metallischen und mineralischen Rohstoffen geht häufig mit Menschenrechtsverletzungen und mitunter auch gewaltsamen Konflikten einher. So schätzte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schon vor über zehn Jahren, dass 40 Prozent aller globalen Konflikte der letzten 60 Jahre mit dem Abbau von Rohstoffen in Verbindung stehen. Im Jahr 2019 wurden nach Angaben der britischen Nichtregierungsorganisation Global Witness 212 Umweltaktivistinnen und -aktivisten aufgrund ihres politischen Engagements ermordet. Der Bergbausektor war mit 50 Todesopfern der tödlichste aller Industriesektoren. Mit Kolumbien, den Philippinen und Brasilien sind drei rohstoffreiche Länder am stärksten betroffen.
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen den Abbau von Rohstoffen ist zunehmender Repression ausgesetzt. Verantwortlich dafür sind insbesondere die Regierungen der rohstoffexportierenden Staaten, die den Abbau forcieren und mitunter auch gewaltsam gegen Proteste vorgehen, wie auch die Bergbaukonzerne, da sie die Rohstoffe abbauen und weiterverarbeiten. Doch auch die rohstoffnutzende Industrie müsste ihrer Sorgfaltspflicht entlang ihrer Lieferketten nachkommen, um auf menschenrechtliche, soziale oder ökologische Missstände reagieren zu können.
In Deutschland treffen gesetzliche Vorhaben bis heute auf massive Gegenwehr. Als die Bundesregierung unter der Federführung des Auswärtigen Amts im Jahr 2014 begann, einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zu erarbeiten, war die Kritik von Seiten der Wirtschaftsverbände groß. Als der Plan dann im Jahr 2016 verabschiedet wurde, gab es anstatt gesetzlicher Regelungen lediglich Prüfempfehlungen, die Aufschluss darüber geben sollten, ob deutsche Unternehmen ihren Verpflichtungen schon freiwillig nachkommen. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste gesetzlich nachgebessert werden.
Obwohl das Wirtschaftsministerium die Prüfung, wie auch die unternehmerischen Anforderungen verwässerte, scheiterte die freiwillige Verpflichtung so krachend, dass selbst in der industrienahen CDU/CSU der Widerstand gegen ein Sorgfaltspflichtengesetz bröckelte. Das Auswärtige Amt schrieb im Dezember 2020:
»Im maßgeblichen Erhebungsjahr 2020 erfüllten 13 bis 17 Prozent der betrachteten Unternehmen die NAP-Anforderungen (›NAP-Erfüller‹). Weitere 10 bis 12 Prozent der Unternehmen befinden sich ›auf einem guten Weg‹, die NAP-Anforderungen zu erfüllen: Sie haben noch Defizite, haben jedoch auch schon gute Praktiken. Damit wurde der von der Bundesregierung gesetzte Zielwert von mindestens 50 Prozent ›NAP-Erfüllern‹ verfehlt.«
Die Voraussetzungen für ein Ende der Freiwilligkeit waren erfüllt. Im Jahr 2019 gründete sich daraufhin die »Initiative Lieferkettengesetz«. In diesem Bündnis schlossen sich mehr als 125 NGOs und Gewerkschaften zusammen, um sich für ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz einzusetzen. Während die Industrieverbände weiter blockierten, brachte die Zivilgesellschaft konstruktive Vorschläge für das sogenannte Sorgfaltspflichtengesetz ein. Erste Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz wurden im letzten Frühjahr vom Arbeitsministerium formuliert, das mittlerweile die Federführung übernommen hatte. Ein Jahr später, im Februar 2021, stand dann der erste Gesetzesentwurf.
Schon kurz danach warnten die Industrieverbände BDI und BDA vor einem Lieferkettengesetz. Vor der Abstimmung im Parlament schalteten sie ganzseitige Anzeigen in der deutschen Presse gegen das Gesetz. Der Wirtschaftsflügel der Union unterstützte diese Blockadehaltung. Der Wirtschaftsrat der CDU hielt Abgeordnete sogar dazu an, das »linksideologische Projekt« aufzuhalten. Vorerst mit Erfolg: Im Mai dieses Jahres wurde die Verabschiedung im Bundestag kurzfristig von der Tagesordnung genommen. Damit übernahmen Teile der CDU/CSU die Positionen des Arbeitgeberverbandes BDA, der behauptete, das Gesetz sei »überregulierend und überflüssig«.
Anfang Juni 2021 wurde das Gesetz dann doch noch verabschiedet. Das ist zum einen ein Erfolg für die »Initiative Lieferkettengesetz«, die sich gegen die Blockade der Industrieverbände durchgesetzt hat. Dennoch bleibt aus rohstoffpolitischer, menschenrechtlicher und ökologischer Perspektive offen, wie wirkungsvoll das Gesetz sein wird, denn es weist beachtliche Schwachstellen auf. Und die Gefahr ist groß, dass die Debatte über die Einhaltung von Menschenrechten in den nächsten Jahren abgewürgt werden wird, da nun auf die Umsetzung des Sorgfaltspflichtengesetzes verwiesen werden kann.
Das Gesetz wird im Rohstoffsektor in seiner jetzigen Fassung kaum Wirkung entfalten. Das liegt zum einen daran, dass deutsche Unternehmen, die mehr als 3.000 Mitarbeitende haben (ab 2024 gilt dies auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden), nur für ihre unmittelbare Lieferkette eine umfassende Sorgfaltspflicht gewährleisten müssen. Nur die direkten Zulieferer müssen also kontrolliert werden. Der Rohstoffsektor ist aber weit verzweigt. Es gibt keine bedeutenden Abbaukonzerne und nur wenig direkte Importeure. Daher bräuchte es eine Verankerung einer umfassenden Sorgfaltspflicht inklusive verpflichtender Risikoanalyse entlang der gesamten Lieferkette. Zudem sollte das Sorgfaltspflichtengesetz nicht von der Größe der Betriebe abhängen. Vielmehr sollte das Risiko der Verletzung von Menschenrechten die Maßgabe sein. Der Anwendungsbereich sollte insbesondere auf Hochrisikosektoren wie den Bergbau und den Rohstoffhandel ausgeweitet werden und das Gesetz auch für wesentlich kleinere Betriebe mit deutlich unter 1.000 Mitarbeitenden gelten.
Da es im Gesetz auch keine ausreichenden zivilrechtlichen Haftungsregeln gibt, kann nicht gewährleistet werden, dass die zugesprochenen Rechte auch wirklich in Anspruch genommen werden können. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen können weiterhin nicht in Deutschland gegen Profiteure dieser Verletzungen klagen. Viele Rechtsverletzungen durch Umweltschädigungen treten zudem erst in ferner Zukunft auf, wenn etwa das Grundwasser vergiftet ist oder sich Erkrankungen häufen. Um auch diese auftretenden Rechtsverletzungen abzudecken, braucht es eine Sorgfaltspflicht, die umfassender, eigenständiger und umweltbezogener definiert ist.
Die Entwicklung um das Lieferkettengesetz in Deutschland hat zwar auf europäischer Ebene Bemühungen um eine europäische Regulierung befeuert, doch auch hier wurde ein angekündigter Entwurf vom Sommer in den Herbst 2021 verschoben. Die Industrielobby setzt derweil alles daran, jede verbindliche Regelung zu torpedieren. Sowohl in Deutschland wie auch auf europäischer Ebene bleibt der entscheidende Punkt unangetastet, nämlich die Haftung von Unternehmen und die Klagemöglichkeiten für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen. Die Weigerung von BASF, sich an den Schadensersatzforderungen der Hinterbliebenen und Überlebenden in Marikana in irgendeiner Weise zu beteiligen, zeigt, dass ein gesetzlicher Rahmen hier unbedingt notwendig ist.
Die Lieferkettengesetze in Deutschland und Europa sind nur kleine Schritte. Hätten Unternehmen wie BASF am Ende der Lieferkette frühzeitig auf eine gütliche Einigung gedrängt, dann hätte das Massaker von Marikana womöglich verhindert werden können. Gleiches gilt für die Menschenrechtsverletzungen in Guinea. Die Bundesregierung hätte bei der Vergabe von den UFK-Garantien die Sorgfaltspflicht der Unternehmen besser prüfen müssen.
Die asymmetrischen globalen Ausbeutungsstrukturen werden aber mit Gesetzen alleine nicht aufgehoben. Unseren Überkonsum werden Lieferkettengesetze nicht antasten. Unsere rohstoffintensive Mobilität, unser rohstoffintensives Wohnen, Konsumieren und Produzieren werden etwas gerechter werden, weil Unternehmen jetzt die schwersten Verstöße in ihren Lieferketten aufdecken und eindämmen müssen. Doch Gesetze für Sorgfaltspflichten sind kein Ersatz für eine umfangreiche Rohstoffwende. Denn neben wirkungsvollen Sorgfaltspflichtengesetzen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene muss unsere unnachhaltige Rohstoffnutzung, die durch globale Handelsabkommen abgesichert ist, grundsätzlich in Frage gestellt werden.
Im EU-Parlament wird im Ausschuss für Umweltschutz erstmals über Reduktion debattiert. In Europa haben die Niederlande in ihrer Kreislaufwirtschaftsstrategie ebenso Reduktionsziele angegeben. Auch für Deutschland sollte aus einer Perspektive der internationalen Gerechtigkeit der Primärrohstoffbedarf in absoluten Zahlen gesenkt werden. Das könnte unter anderem durch eine Mobilitätswende ermöglicht werden, da die Autoindustrie zu den Hauptverbrauchern metallischer Rohstoffe zählt. Das hieße aber auch, auf entwicklungspolitischer Ebene die Demokratisierung von Bergbauvorhaben zu fordern. Denn nur so kann die Mitsprache und auch die Entscheidungsmacht in die rohstoffreichen Regionen verschoben werden.
Hannah Pilgrim koordiniert bei PowerShift das zivilgesellschaftliche Netzwerk Arbeitskreis Rohstoffe.
Michael Reckordt arbeitet bei PowerShift zur deutschen Rohstoffpolitik und für eine umfassende Rohstoffwende.
Hannah Pilgrim koordiniert bei PowerShift das zivilgesellschaftliche Netzwerk Arbeitskreis Rohstoffe.
Michael Reckordt arbeitet bei PowerShift zur deutschen Rohstoffpolitik und für eine umfassende Rohstoffwende.