16. Mai 2023
Das Ergebnis der Bremer LINKEN ist beachtlich. Doch es ist noch keine Rettung für die Bundespartei. Insbesondere in der Wirtschaftspolitik gibt es Nachholbedarf.
Wirtschaftssenatorin und Spitzenkandidatin Kristina Vogt von der LINKEN am Wahlabend, 14. Mai 2023.
IMAGO / EibnerBremen ist eine politische Ausnahme: In diesem kleinen Stadtstaat im Nordwesten zeigt DIE LINKE, wie man nicht verliert. Das liegt auch daran, dass Bremen – ähnlich wie Berlin – einer der wenigen Orte ist, an denen die Strategie der Partei aufgeht. Hier findet man eben jenes akademische, großstädtische Milieu vor, das sich nach dem Uni-Seminaren noch in Marx-Lesekreisen zusammenfindet. Das zeigt sich auch an der Zusammensetzung der Wählerschaft der Bremer LINKEN. Die Partei konnte bei der Bürgerschaftswahl am vergangenen Sonntag am stärksten bei den unter 30-Jährigen punkten, ebenso wie bei den Beamten und jenen, die über einen Hochschulabschluss verfügen. Arbeiter und Absolventinnen der Hauptschule oder der mittleren Reife machen den geringsten Teil ihrer Wählerinnen und Wähler aus. Man könnte sagen, dass die LINKE von einer Arbeiterpartei zu einer Partei des gehobenen öffentlichen Dienstes geworden ist.
Das ist nicht despektierlich gemeint. Der Erfolg gibt den Bremer Genossinnen und Genossen in diesem Fall Recht. Aber es wäre ein Fehler anzunehmen, dass man die Bremer Strategie einfach nur bundesweit übernehmen müsste, damit es mit der LINKEN wieder bergauf geht. Bremen ist nicht die Bundesrepublik. Die deutsche Bevölkerung besteht nun mal nicht überwiegend aus unter 30-jährigen Akademikern. Das zeigt sich allein an den unterschiedlichen Wahlergebnissen in Bremen und Bremerhaven. Während die Partei in der Stadt Bremen bei rund 12 Prozent liegt, sind es in der Stadt Bremerhaven nur 6 Prozent. Bei keiner anderen Bremer Partei ist der Unterschied zwischen den Städten so groß.
Das Land Bremen ist arm, das weiß jeder. Aber Bremerhaven ist noch ärmer. Im Jahr 2021 lag die Armutsquote in der Stadt Bremerhaven bei 33,5 Prozent – mehr als jeder dritte Bremerhavener lebt also in Armut. Die Infrastruktur der Stadt ist – wenn überhaupt vorhanden – marode. Die Arbeitslosenquote liegt in Bremerhaven bei rund 14 Prozent. Das ist deutschlandweit ein Spitzenwert. Die Unterbeschäftigungsquote beläuft sich sogar auf 18 Prozent. Auch deshalb spielte das Thema »Arbeitslosigkeit« für die Wahlentscheidungen in Bremerhaven eine wesentlich größere Rolle als in Bremen. In Bremerhaven wurden die rechtspopulistischen Bürger in Wut mit rund 22 Prozent zweitstärkste Kraft. Allerdings trafen 68 Prozent der BiW-Wähler ihre Wahlentscheidung nicht aus Überzeugung, sondern aus »Enttäuschung über die anderen Parteien«. Diese Menschen und die zahlreichen Nicht-Wählerinnen gilt es zu mobilisieren. Die Wahlbeteiligung bei den Wahlen im Land Bremen lag bei lediglich 58 Prozent – ein erschreckend niedriger Wert. Die Bremer Strategie ist also keine für ganz Deutschland.
Aber dennoch: DIE LINKE hat in Bremen auch schlichtweg gute Arbeit geleistet. Mit der Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt und der Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard hat sie zwei sehr beliebte und erfolgreiche Spitzenkandidatinnen zur Wahl aufgestellt. Beide sind beim Beliebtheits-Ranking der Bremer Politikerinnen und Politiker immer ganz vorne mit dabei. Die Bodenständigkeit der beiden Frauen, die in der Regierung eine pragmatische linke Politik gemacht haben, trug maßgeblich dazu bei.
DIE LINKE ist seit 2019 Mitglied der rot-grün-roten Landesregierung in Bremen. Es ist die erste Regierungsbeteiligung der Linkspartei in einem westdeutschen Bundesland. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Partei es geschafft hat, die besonders wichtigen Bereiche Gesundheit und Wirtschaft zu besetzen. Claudia Bernhard lenkte die Hansestadt mit einer ruhigen Hand durch die Pandemie. Das unaufgeregte Pandemie-Management fand deutschlandweit Beachtung – auch, weil Bremen eine breit angelegte und gut durchdachte Impfkampagne auf den Weg brachte. Bremen hatte deutschlandweit die höchste Impfquote. Ein weiterer Erfolg der Gesundheitssenatorin ist die Finanzierung, Eröffnung und Planung von insgesamt vier Hebammenzentren in Bremen und einem Hebammenzentrum in Bremerhaven. Sowohl die Krankenhaus-Investitionen als auch die Stellen im Gesundheitsdienst haben sich nahezu verdoppelt.
All das ist beachtlich, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Bremen für DIE LINKE noch eine Menge zu tun gibt. Sollte die Partei weiterhin Teil der Landesregierung bilden, darf sie nicht auf den Posten der Gesundheitssenatorin verzichten. Ebenso muss DIE LINKE darauf beharren, dass Kristina Vogt ihre Arbeit als Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa fortsetzen kann.
Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass die Schuldenbremse ausgesetzt wird, um bis 2027 ein Investitionspaket über 2,5 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen – für Investitionen in den ÖPNV, in die Wärmeversorgung und den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft. Mit der Eröffnung eines 10-Megawatt-Elektrolyseurs hat Bremen hier erst kürzlich den ersten Schritt gemacht. Gemeinsam mit dem Stahl-Hersteller Arcelor-Mittal hat Bremen einen Prozess angeschoben, damit in der Hansestadt künftig mithilfe von Wasserstoff grüner Stahl produziert wird – so geht nachhaltige Industriepolitik. Auch die Sanierung von Schulen, KiTas und Krankenhäusern soll über dieses Investitionspaket geregelt werden.
Mittlerweile bildet in Deutschland nur noch jedes fünfte Unternehmen selbst aus. Mit dem Ausbildungsfonds hat Bremen ein Instrument geschaffen, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Der Mechanismus ist recht einfach erklärt: Alle Unternehmen, die wirtschaftlich dazu in der Lage sind, zahlen in diesen Fonds ein. Wenn ein Unternehmen ausreichend ausbildet, bekommt es aus dem Fonds mehr Geld ausbezahlt, als es einbezahlt hat. Je mehr man ausbildet, desto höher sind die finanziellen Ansprüche aus dem Fonds. Darüber hinaus finanziert der Fonds auch ein Zusatz-Angebot für Azubis: zusätzliche Unterrichtsangebote, Deutschkurse, Kurse in den Bereichen Digitalisierung oder für soziale Kompetenzen. Der Fonds kann gerade in pädagogischen und didaktischen Bereichen unterstützen – also genau dort, wo die Betriebe es selbst häufig nicht können.
Neben dem Ausbildungsfonds ist noch eine weitere Maßnahme gegen den Fachkräftemangel geplant: ein Aus- und Weiterbildungscampus für klimarelevante Berufe, der mit 100 Millionen Euro vom Land Bremen finanziert wird. Außerdem wurde der Mindestlohn in Bremen für den öffentlichen Dienst auf 12,29 Euro erhöht und wird im März 2024 um weitere 2 Euro ansteigen, da er an die untersten Entgeltgruppen gekoppelt wurde.
Zusätzlich wurde durchgesetzt, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nur Unternehmen in die Auswahl kommen, die Tariflöhne zahlen – und das gilt auch für EU-weite Ausschreibungen. Diese Maßnahmen haben dafür gesorgt, dass Bremen im Jahr 2021 deutschlandweit das zweitstärkste Wirtschaftswachstum und 2022 sogar das stärkste Wirtschaftswachstum verzeichnete, was als Verdienst von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt zu werten ist.
Sollte DIE LINKE weiterhin Teil der Bremer Landesregierung bleiben und die Senatorin für Wirtschaft und Arbeit stellen, könnte sich ein Blick in Richtung Österreich lohnen. Dort hat man es mit dem »Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal« (MAGMA) geschafft, die Langzeitarbeitslosigkeit in der Gemeinde Gramatneusiedl auf 0 Prozent zu senken.
In Bremen gibt es noch immer rund 16.000 Langzeit-Arbeitslose – also Menschen, die seit mindestens zwölf Monaten ohne Job sind. Mithilfe eines Modellprojekts für eine Bremer Jobgarantie könnte der Versuch gestartet werden, diese Menschen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Jeder Langzeitarbeitslose würde vom Land ein unverbindliches Jobangebot erhalten. In einem mehrwöchigen Kurs würden die Interessen, die Kompetenzen und die Probleme der Menschen besprochen werden, um ihnen einen Job anbieten zu können, der eine möglichst langfristige Perspektive bietet. Diese Jobs sollten einen gesellschaftlichen Mehrwert erfüllen. So könnten innerhalb der Maßnahme Bänke für den öffentlichen Raum gebaut, Parks und Denkmäler gepflegt, Flächen begrünt oder Spielplätze restauriert werden. Was für Aufgaben anfallen, könnten die Bremer Beiräte für ihren jeweiligen Bezirk selbst bestimmen. Auch die Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Bezirke könnten Anliegen einbringen, die sich ihrer Meinung nach für das Programm dieser Jobgarantie eignen. Entscheidend wäre dabei, ein derartiges Modellprojekt für mehrere Jahre anzulegen, damit es über die gesamte Legislaturperiode erprobt werden kann.
In Bremen spielen die Stahlwerke von Arcelor Mittal eine gewichtige Rolle. Allein im Bremer Stahlwerk sind rund 3.200 Menschen beschäftigt. Diese Jobs und den Standort gilt es zu sichern. Mithilfe einer öffentlichen Investitionsgesellschaft, die man einmalig großzügig mit Kapital und einer Kreditermächtigung ausstatten würde, könnten groß angelegte Infrastrukturprojekte angeschoben werden. Viele öffentliche Gebäude und Einrichtungen, ebenso wie Straßen oder Brücken sind sanierungsbedürftig. Auch der Ausbau des Fernwärme-Netzes im Land könnte über diese Gesellschaft unter öffentlicher Regie stattfinden. Der Vorteil einer solchen Gesellschaft: Sie ist von der Schuldenbremse ausgenommen. Da das Land Bremen lediglich einen Vermögenswert gegen einen anderen tauscht, gelten diese Ausgaben als finanzielle Transaktion.
Das große Infrastrukturprojekt für das Land Bremen könnte zudem mit Abnahmegarantien – etwa für nachhaltig produzierten Stahl oder nachhaltig produzierten Zement – verknüpft werden. Je nachhaltiger der Baustoff über die gesamte Produktions- und Lieferkette ist, desto mehr eher wird er bei Projekten der Investitionsgesellschaft abgenommen. Das gibt den Produzenten einerseits die Sicherheit, dass sich Investitionen in die Umstellung der Produktion auch lohnen und setzt andererseits Anreize dafür, künftige Investitionen möglichst nahe um und im Land Bremen zu tätigen, um so Lieferwege zu verkürzen und die Bilanz aufzubessern. So ließen sich existierende Industrie-Arbeitsplätze in Bremen halten und eventuell sogar neue dazugewinnen. Auch könnte so der Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft weiter vorangetrieben werden. Die Umstellung der Produktion ist mit erheblichen Kosten und auch Unsicherheiten verbunden. Eine solche Abnahmegarantie könnte einen Teil der Unsicherheiten nehmen und die Kosten damit rechtfertigen.
Weiterhin sollte das Land Bremen bei besonders kostspieligen Investitionen direkte Unterstützung leisten, wie beim Bau des Elektrolyseurs von Arcelor Mittal. Solche Investitionshilfen des Landes sollten aber an den Erhalt des Standortes und der Arbeitsplätze sowie die Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung durch die Beschäftigten geknüpft sein. Auch Unternehmensbeteiligungen des Landes, die sich nach der Größe der Investition richten, wären eine sinnvolle Möglichkeit.
Über die Nord LB (Nord Landesbank) könnte die Landesregierung die Ausgabe von Innovationsanleihen anstoßen. Mithilfe dieser Anleihen könnte überschüssiges Kapital aus der Privatwirtschaft abgeschöpft werden, das andernfalls mitunter in fossile Investitionen fließen würde. Das so eingesammelte Kapital könnte wiederum zweckgebunden und zu attraktiven Konditionen an innovative kleine und mittelständische Betriebe oder an die Bremer Stadtbezirke ausgegeben werden.
Für DIE LINKE in Bremen gibt es also viel zu tun. Insbesondere muss sie ihren Blick auf Bremerhaven intensivieren. Mithilfe der Jobgarantie und einer aktiven Industriepolitik des Landes könnten in den kommenden vier Jahren wichtige Schritte gegangen werden, um beide Städte in eine wirtschaftlich stabilere Zukunft zu führen und Arbeiterinnen und Arbeiter wieder an die Partei zu binden. Die Zusammenarbeit der norddeutschen Bundesländer bei Themen wie Wasserstoff und erneuerbare Energien spielt ebenso eine gewichtige Rolle und sollte weiter vorangetrieben werden.
Ein solches linkes Programm ist ambitioniert, aber nicht ausgeschlossen. Völlig klar ist, dass es nur in einer Koalition mit SPD und Grünen umgesetzt werden könnte. Der SPD-Spitzenkandidat und amtierende Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat angesichts des Erfolges der Bürger in Wut darauf hingewiesen, dass man das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit ernster nehmen muss. Und darunter versteht er auch soziale Sicherheit: Die Grundlage für eine erfolgreiche Politik seien eine gute wirtschaftliche Entwicklung, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und gut bezahlte Jobs. Die SPD dürfte also mit den hier vorgeschlagenen Maßnahmen einverstanden sein.
Weniger entschlossen sind eher die Grünen. Die Partei musste eine heftige Wahlniederlage hinnehmen, was sowohl bundes- als auch landespolitische Gründe hatte. Die Spitzenkandidatin und bisherige Senatorin für Mobilität und Klimaschutz hat nach der Wahlniederlage angekündigt, nicht mehr für ein Amt als Senatorin zur Verfügung zu stehen. Offen bleibt, wie sich die Grünen aufstellen und wo sie ihre Schwerpunkte setzen wollen.
Zudem steht der SPD und den Grünen auch die Möglichkeit einer Ampel-Koalition offen. Vor allem der SPD sollte allerdings klar sein, dass mit einer FDP in der Landesregierung das formulierte Ziel von mehr sozialer Sicherheit nicht zu erreichen sein wird. Die LINKE darf ihre Vision für Bremen davon aber nicht abhängig machen und sollte auf ihren Kurs beharren. Regierungsbeteiligung ja – aber nicht um jeden Preis.