19. Mai 2020
Die neoliberale Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit: den Reichen geht es gut – aber immerhin sind ein paar von ihnen Frauen oder Angehörige einer Minderheit.
Christine Lagarde auf dem World Economic Forum in Davos, 2013.
Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist ein jährliches Halli Galli für die globale Schicht der Superreichen und ihrer Bediensteten. 2018 erregte das Treffen Aufmerksamkeit, weil nach fast 50 Jahren das erste Mal alle Meetings von Frauen moderiert wurden. Die Organisatorinnen erinnerten damit an das Fortbestehen geschlechtlicher Ungleichheit, gerichtet an eine Versammlung, die selbst nur zu 21 Prozent aus Frauen besteht.
Statt deswegen zur Sektflasche zu greifen, sollten wir uns den Einspruch der US-amerikanischen Philosophin Nancy Fraser ins Gedächtnis rufen, dass solche Formen weiblicher Repräsentation kaum mehr sind als oberflächliche Ablenkungsmanöver, »Verkörperungen eines neoliberalen Feminismus, der in allererster Linie privilegierten Frauen weiterhilft.«
Inwiefern dieser Feminismus des einen Prozents mit neoliberalem Denken zusammenhängt, bringt der Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels auf den Punkt:
»Dass sich die Kluft zwischen Armen und Reichen vergrößert ist im Grunde okay, solange die immer erfolgreichere Elite so ähnlich aussieht wie der abgeschlagene Rest. Das Modell sozialer Gerechtigkeit bedeutet hier nicht, dass die Reichen weniger und die Armen mehr haben sollten. Die Reichen sollen haben, was immer sie haben, solange ein angemessener Anteil von ihnen Frauen und Angehörige von Minderheiten sind.«
Christine Lagarde, damalige Direktorin des Internationalen Währungsfonds und Vorsitzende des Forums, versuchte in ihrer Eröffnungsrede einen Wortwitz, als sie betonte, dies sei ein »Panel, kein Manel«.
Hillary Clintons Niederlage in der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 gibt Anlass, ihre feministische Glaubwürdigkeit zu hinterfragen. 1995 hatte sie in einer berühmten Rede bei der 4. Weltfrauenkonferenz der UNO erklärt, dass Frauenrechte ein für alle mal als Menschenrechte anzusehen seien. Doch ihre Politik zur Unterstützung reproduktiver Rechte, etwa auf Verhütungsmittel und Abtreibungen, bleibt hinter umfassenderen Ansätzen vieler entwickelter Demokratien zurück, die zum Beispiel Regelungen zu Kinderbetreuung und Vaterschaftsurlaub als Teil der Gleichung ansehen.
Du hast ein Abo, aber hast dich noch nicht registriert oder dein Passwort vergessen?
Klicke hier!
Rose Worden lebt in New York und forscht zu Entwicklung und Sicherheit am Horn von Afrika und der MENA-Region (Nordafrika und Naher Osten).