07. August 2023
Die Beschäftigten der LGBTQ-Dating-App Grindr in den USA haben mit großer Mehrheit dafür gestimmt, eine gewerkschaftliche Vertretung im Unternehmen aufzubauen. Im JACOBIN-Interview sprechen zwei Beteiligte über ihre Beweggründe und Forderungen.
Ein Banner der weltgrößten LGBTQ-Dating-App Grindr schmückt anlässlich des Börsengangs des Unternehmens das Gebäude der New York Stock Exchange.
IMAGO / Levine-RobertsAm 20. Juli hat die Belegschaft der beliebten Dating-App Grindr angekündigt, dass sie sich bei den Communications Workers of America (CWA) gewerkschaftlich organisieren wird. Eine qualifizierte Mehrheit der Grindr-Beschäftigten hat die notwendigen Anträge unterschrieben und bittet das Unternehmen um die freiwillige Anerkennung der neuen Gewerkschaft Grindr United.
Sie fordern unter anderem mehr Arbeitsplatzsicherheit in der unbeständigen Tech-Branche, Garantien, dass sie nicht gezwungen werden, im Büro statt im Home-Office zu arbeiten, sowie eine Vertretung im Vorstand von Grindr. Die Organizer erklären, ihre Forderung nach gewerkschaftlicher Vertretung begründe sich zum Teil in den Enthüllungen, dass der neue CEO George Arison Anti-LGBTQ-Politiker unterstützt und für sie gespendet habe.
Im Interview sprechen mit zwei Mitglieder von Grindr United, Jack Alto und Quinn McGee, über ihren Einsatz für die Gewerkschaftsgründung.
Was hat Euch bei Grindr dazu gebracht, eine Gewerkschaft aufzubauen?
JA: Man muss zunächst sagen, dass wir und viele unserer Mitarbeitenden unsere Jobs, unser Büro und unsere Firma wirklich mögen. Wir wollen sicherstellen, dass es ein nachhaltiger Arbeitsplatz mit sinnvollen Prioritäten bleibt. Wir mussten leider erleben, dass einige gute Mitarbeitende entlassen oder zur Kündigung gedrängt wurden – aus unterschiedlichen Gründen, teils auch kleinen Dummheiten ihrerseits. Das muss nicht sein. Wir wollen eine Gewerkschaft haben, um über solche Dinge ernsthaft diskutieren zu könnenund sinnvolle Lösungen für die Arbeitsgestaltung und gegenseitige Unterstützung zu finden.
QM: Ich arbeite gerne für Grindr. Die Firma hat eine wunderbar lebendige queere Kultur. Unsere Arbeitsplätze und das gesamte Unternehmen sind so aufgebaut, dass queere Lebensfreude wirklich ermöglicht und gelebt wird. Wir wollen sicherstellen, dass die Dinge, die wir an Grindr lieben, in einem Vertrag verankert sind, der nicht einseitig geändert werden kann, und der es uns ermöglicht, das Unternehmen als Ganzes zu stärken sowie Menschen zu halten, denen die ideellen Unternehmensziele am Herzen liegen.
Wir haben schon jetzt, vor Gründung einer gewerkschaftlichen Vertretung, Zugang zu einigen hervorragenden Leistungen. Etwa zu trans-inklusiven Unterstützungsfonds, über die unter anderem auch geschlechtsangleichende Verfahren abgedeckt werden können, und die für mich und viele Mitarbeitende schon ein wirklicher Rettungsanker waren. Wir haben relativ viel bezahlten Urlaub und eine gute Arbeitskultur. Wir wollen sicherstellen, dass dies auf Dauer erhalten bleibt und nicht über Bord geworfen wird, um im nächsten Quartalsbericht ein paar Cents mehr an Umsatz vorweisen zu können.
Gab es trotz dieser positiven Dinge einen speziellen Anlass oder bestimmte Entwicklungen, die Euch dazu gebracht haben, eine Gewerkschaft zu gründen?
JA: Es gab mehrere Warnzeichen. Gleichzeitig beobachten wir in der gesamten Branche überaus arbeiterfeindliche Trends, darunter viele Entlassungen und schlecht durchdachte Maßnahmen wie die erzwungene Rückkehr aus dem Home-Office ins Büro. Bei Twitter mussten sich die Mitarbeitenden zu einem bestimmten Grad an Loyalität und Arbeitsintensität verpflichten, womit unserer Meinung nach die Beschäftigten nicht als mündige, berufstätige Erwachsene respektiert werden.
Wir arbeiten hier, weil wir diese Community, ihre User und dieses Produkt lieben, und wir wollen es weiter ausbauen. Dabei gibt es aber auch Probleme. Das Unternehmen könnte sich zum Beispiel entscheiden, nur noch Menschen einzustellen, die an bestimmten Orten in Präsenz arbeiten können. Ich möchte aber nicht zu einem Arbeiter zweiter Klasse gemacht werden, nur weil ich nicht in einer der zehn größten Städte der USA wohne. Es gibt viele Gründe, warum Menschen an unterschiedlichen Orten leben und arbeiten: Familie, Sozialleistungen, Lifestyle, der Wunsch, mehr Natur zu genießen und so weiter. Ich glaube nicht, dass man Angestellte in ein Büro zwingen sollte, einfach nur, damit vor Ort Leute am Schreibtisch sitzen. Das ist in der heutigen Zeit wirklich unnötig und albern.
Also, es gab mehrere Warnzeichen und solche Dinge wie das erzwungene Loyalitätsversprechen bei Twitter. Ich möchte nicht in einem Unternehmen oder einer Branche arbeiten, in der die Arbeitskultur auf Angst beruht. Ich möchte einen Arbeitsplatz, an dem wir alle als Erwachsene respektiert werden, an dem wir unser Bestes geben, an dem wir gute Tage haben und an dem wir auch mal schlechte Tage haben können. Manchmal muss ich – aus welchem Grund auch immer – etwas weniger arbeiten und lasse es das Team wissen, und manchmal bin ich voller Energie und kann vielleicht sogar mehr Aufgaben übernehmen. Solche Regelungen kann man gut erreichen, wenn man kommuniziert und wenn man von seinen Chefs als Person respektiert wird.
»Wir fordern eine garantierte Abfindung, wenn wir entlassen werden. Unser CEO hat genau das in seinem Vertrag stehen. Das ist toll für ihn – und wir wollen das auch.«
QM: Das letzte Jahr war ein wichtiges Jahr für Grindr; vor allem in der zweiten Jahreshälfte gab es viele Veränderungen. Das Unternehmen ging an die Börse und im Zuge dessen wurde die Führungsriege komplett ausgetauscht. Die Leute, die das Unternehmen zu dem gemacht hatten, was es Ende letzten Jahres war, sind jetzt alle weg.
Es gibt viele Überschneidungen zwischen der LGBTQ-Community und Menschen, dem Glauben an die Wirkmacht von Gewerkschaften. Wir, die Leute, die bei Grindr arbeiten, sind Mitglieder dieser Community und fühlen uns als Verbündete, die die queere Lebenserfahrung in den Mittelpunkt stellen wollen. Da wir aus benachteiligten Communities kommen, die systematisch unterrepräsentiert sind, mussten wir unsere Kraft in der Gemeinschaft finden. Dass wir uns als Beschäftigte bei Grindr untereinander solidarisieren, ist vielleicht keine Überraschung, aber besonders schön ist, dass die Menschen, die unsere App nutzen, sich ebenfalls begeistert davon zeigen, dass wir das tun.
Wir wollen die gewerkschaftliche Repräsentation. Denn die Sicherheit, die unsere neuen Chefs in ihren Verträgen erhalten haben, ist etwas, das wir alle haben sollten. Sie haben Verträge, die ihnen garantieren, dass sie nicht ins Büro gehen müssen, die ihnen eine Abfindung garantieren, die ihnen Beistand bei Problemen zusichern. Das ist schön und gut und großartig für sie – aber wir sollten das alle haben.
In unserer Branche, zumindest hier in New York und an vielen anderen Orten, ist Vertrauensarbeitszeit der Standard. Diese beruht aber auf einer Kultur der Angst und nicht auf einer Kultur des tatsächlichen Vertrauens. Ich glaube, dass eine der besten Möglichkeiten, Vertrauen und Sicherheit am Arbeitsplatz zu schaffen, darin besteht, sich das Vertrauen der Angestellten zu verdienen und sich für die Sicherheit der Menschen, mit denen man arbeitet, einzusetzen. Die Gewerkschaft ist eine Möglichkeit, wie wir das füreinander tun können, um zu vermeiden, dass wir in diese Kultur der Angst abgleiten, wie es manchmal in börsennotierten Konzernen geschieht.
Deswegen nochmals: Vieles von dem, was wir fordern, haben wir bereits – oder unsere Chefs haben es bereits und wir fordern es auch für uns. Wir wollen das vertraglich festhalten. Und ich denke, das ist ein richtiger und wichtiger Kampf.
JA: Queer zu sein bedeutet auch, eine heteronormative Gesellschaft in Frage zu stellen und zu fragen: Gibt es Möglichkeiten, wie wir es besser machen können? Gibt es Menschen, die unterdrückt werden, die eine helfende Hand brauchen? Wir sehen dies als eine Möglichkeit, die queere Erfahrung in den Mittelpunkt zu stellen. Wir wollen ausdrücklich aufeinander aufpassen, weil wir wissen, wie fragil Einzelpersonen und Familien in einer individualistischen, konsumorientierten Gesellschaft sind und wie schwach unsere Unterstützungsnetzwerke sind. Das sind Dinge, die wir aufbauen und umsetzen müssen, um uns gegenseitig zu schützen und zu unterstützen.
Es klingt so, als sei mangelnde Verständigung zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung gewesen, eine Gewerkschaft zu gründen – und insbesondere die Rückkehr aus dem Home-Office ins Büro.
JA: Es gibt kaum Verständigung über unsere Interessen. Wir hatten noch kein explizites oder verpflichtendes »Return-to-Office«, aber wir wollen uns nicht böse überraschen lassen. Wie gesagt, wir sehen die Warnzeichen. Wir wollen nicht, dass wir oder unsere Mitarbeitenden negative Auswirkungen zu spüren bekommen.
QM: Je besser die Bedingungen, desto richtiger und wichtiger ist es, eine Gewerkschaft aufzubauen. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir möglichst sicherstellen, dass für alle hier Sicherheit und Garantien gelten. Das ist übrigens im Interesse beider Seiten, denn das Unternehmen muss bei Tarifverträgen und fest ausgehandelten Sozialleistungen nur noch einen Arbeitsvertrag erstellen und ihn nicht mit jeder einzelnen Person aushandeln.
Ich bin sicherlich nicht so naiv zu glauben, dass wir uns aktuell in den allerbesten Umständen befinden. Es ist eine unbeständige Zeit für unsere Branche. Es ist eine unbeständige Zeit für den Planeten. Wir befinden uns außerdem in einer wirklich unbeständigen Zeit für queere Menschen – nicht nur in anderen Ländern, sondern auch hier in den USA, wo in den Bundesstaaten zuletzt viele Anti-Trans-Gesetze eingebracht wurden.
Ich habe das Glück, in New York zu leben, aber ich bin eine Trans-Person und würde sehr gerne nicht in einer transphoben Hölle leben, auf die so viele Menschen, die viel Macht haben, hinzudrängen scheinen. Ich kann keine Gesetze ändern, aber ich kann den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, insbesondere den Schwächeren unter uns, helfen, ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit bei der Arbeit zu finden. Manchmal fühlt sich das nicht ausreichend an, aber das ist das, was wir im Moment füreinander tun können.
Welche Forderungen hofft Ihr, mit der Gewerkschaft durchzusetzen?
QM: Wie gesagt: Vieles von dem, was wir verlangen, sind Dinge, die wir informell bereits haben, von denen wir aber wollen, dass sie uns vertraglich zugesichert werden. Wir wollen die Garantie, dass wir von überall aus arbeiten können. Die meisten von uns – vor allem diejenigen, die nach 2020 eingestellt wurden – wurden als Remote-Arbeitskräfte eingestellt. Fernarbeit ist humane Arbeit: Sie ermöglicht es uns, uns um unsere Familien oder unsere Haustiere zu kümmern und erspart uns stundenlanges Pendeln. Das wollen wir in einem Vertrag festgehalten haben. Unser CEO hat genau das in seinem Vertrag stehen. Das ist toll für ihn – und wir wollen das auch.
Außerdem wollen wir eine garantierte Abfindung, wenn wir – aus welchen Gründen auch immer – entlassen werden. Auch hier gilt: Unser CEO hat genau das in seinem Vertrag stehen. Das ist toll für ihn – und wir wollen das auch.
»Unsere wahrscheinlich größte Forderung ist, dass wir – als Mitglieder dieser Community, als die Leute, die diese App entwickeln – jemanden von uns in den Firmenvorstand wählen möchten.«
Wir haben bei Grindr derzeit eine ausgezeichnete Krankenversorgung und Sozialleistungen. Dazu gehören auch Leistungen wie geschlechterangleichende Verfahren. Das ist eines der Dinge, die Grindr zu dem wundervollen queeren Ort machen, der es bisher war, und uns auf eine Art und Weise unterstützt, die in der Arbeitswelt viel zu selten ist. Auch das wollen wir in einem Vertrag stehen haben, damit es uns nicht mehr weggenommen werden kann.
Unsere wahrscheinlich größte Forderung ist, dass wir – als Mitglieder dieser Community, als die Leute, die diese App entwickeln – jemanden von uns in den Firmenvorstand wählen möchten. Wir arbeiten Tag für Tag – metaphorisch gesagt – im Maschinenraum von Grindr. Wir sind der Meinung, dass unsere Erkenntnisse und Standpunkte auf der höchsten Ebene dieses Unternehmens vertreten sein sollten. Ich bin zuversichtlich, dass auch der Vorstand selbst jemanden von uns im Board of Directors begrüßen würde. Vieles von dem, was sie entscheiden, hat schließlich mit dem Alltag der Angestellten zu tun, und ich hoffe doch sehr, dass sie unsere Perspektive hören wollen.
JA: Hinzu kommt, dass wir als mündige Angestellte respektiert werden. Wir möchten die großartige Unternehmenskultur, die wir aktuell haben, beibehalten. Außerdem sind wir sehr auf unsere Community bedacht, auf die Menschen, die Grindr nurtzen. Wir würden gerne mehr Gleichberechtigung und Intersektionalität schaffen und die Lebenswelt unserer User widerspiegeln. Wir haben so viele Menschen, die beispielsweise Spanisch sprechen. Wir möchten auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen berücksichtigen und sicherstellen, dass wir es nicht nur als gesetzliche Verpflichtung ansehen, die App für sie barrierefrei zu gestalten. Es gibt auch eine moralisch-ethische Verpflichtung zur Barrierefreiheit.
Seit wann läuft die gewerkschaftliche Organisierung bei Grindr und was hat sich seitdem getan?
QM: Das fing Ende Dezember an. Kurz vor Neujahr, am 29. Dezember, habe ich das Telefon in die Hand genommen und mich bei Menschen gemeldet, auf die ich mich freundschaftlich und kollegial immer verlassen konnte. Ich wollte herausfinden, ob die Leute überhaupt an einer gewerkschaftlichen Organisierung interessiert wären. Es kam dann schnell zu einem Netzwerk-Effekt, denn diese Leute sprachen wiederum andere Leute an, mit denen sie ein Vertrauensverhältnis haben.
Zwar hatten wir schon früher über die Gründung einer Gewerkschaft gesprochen. Das Thema war bereits 2022 in kleinen Gruppen aufgekommen, aber wie das bei solchen Dingen oft der Fall ist, verlief es im Sande. Nun hatten wir 2023 ein paar wilde Monate. Wir haben festgestellt, dass wir auf eine überwältigende Mehrheit der Angestellten zählen können. Eine große Mehrheit unserer Leute will bindende Verträge und Abmachungen mit der Chefetage.
JA: Im Laufe des Frühlings und des Sommers gab es dann diverse weitere Entwicklungen. Mehrere Leute wurden aus unterschiedlichen Gründen gefeuert oder sind gegangen. Diese Warnsignale dürften dazu beigetragen haben, dass wir die qualifizierte Mehrheit für eine Gewerkschaftsgründung bei Grindr erreicht haben. Viele haben erkannt, dass ihr Arbeitsplatz ohne eine Gewerkschaft stärker gefährdet ist; dass die Existenz und der Fortbestand ihres Arbeitsplatzes mit einer Gewerkschaft viel besser gesichert sind. Deshalb kamen sie mit an Bord.
Ihr habt einige Male von Warnsignalen gesprochen. Welche waren das konkret?
JA: Ich denke, das wichtigste Signal war, dass die Community und die Beschäftigten bei der Neubesetzung der Führungsetage überhaupt nicht beachtet wurden. Es gab Berichte über gewisse politische Spenden unseres neuen CEOs. Diese führten uns vor Augen, dass das Auswahlverfahren für das neue Management nicht unbedingt im Interesse und Einklang mit den Wünschen unserer Belegschaft stand.
QM: Konkret gab es Medienberichte, dass unser neuer CEO George Arison sowohl rhetorisch als auch finanziell Politiker unterstützt hat, die ganz klar dem entgegenstehen, was für die Grindr-Belegschaft extrem wichtig ist. Ich denke, wir freuen uns alle sehr, dass wir hier die Chance haben, eine Plattform aufzubauen und zu erhalten, die für die gesamte Queer-Community sicher ist und die sowohl als Arbeitsplatz als auch als Plattform trans-inklusiv ist.
»Bei Grindr hat sich nach dem Börsengang eine gewisse Angst-Kultur entwickelt.«
Was George mit seinem Geld macht, ist seine Privatsache. Ich selbst hätte aber nicht die gleichen Entscheidungen getroffen, was finanzielle oder lautstarke Unterstützung für gewisse politische Themen angeht. Was wir als Menschen, die in diesem Unternehmen mit George zusammenarbeiten, jetzt tun können, ist, uns gegenseitig aufzubauen, uns kollektiv zu stärken und dafür zu sorgen, dass wir alle an einem Strang ziehen. Schließlich würden wir uns lieber voll darauf konzentrieren, einen großartigen Ort für alle Menschen in der LGBTQ-Bewegung zu schaffen, als uns darüber Gedanken zu machen, was George mit seinem Geld gemacht hat.
Also kurz gesagt: Der neue CEO hat Geld an homophobe Politiker gespendet – und das spielte eine Rolle beim Organisieren und Motivieren der Leute bei Grindr.
JA: Exakt.
QM: Ehrlich gesagt hätte es mich auch sehr überrascht, wenn diese Reaktion ausgeblieben wäre.
Wie viele Menschen haben sich bisher dem Antrag auf Gewerkschaftsgründung angeschlossen? Und wie viele wird sie repräsentieren?
QM: In die Diskussion sind rund hundert Menschen involviert. Deutlich mehr als zwei Drittel von ihnen haben unterschrieben und damit ihre Unterstützung zugesagt. Wir wollten sichergehen, dass wir auf jeden Fall eine qualifizierte Mehrheit erreichen.
Wir haben deswegen mehr Unterstützung eingeworben als wir eigentlich gebraucht hätten. Es sollte kein Tanz auf Messers Schneide werden. Wir wollen zeigen, dass es etwas gibt, was die große Mehrheit der Leute bei Grindr will: nämlich sich mit dem Management auf Augenhöhe zusammenzusetzen und Verträge abzuschließen, die nicht einseitig und aufgrund der Launen der Börse geändert werden können. Das Dumme an der derzeitigen Konstellation ist, dass so viel von dieser wunderbaren Community, die aufgebaut wurde, um queere Lebensfreude zu feiern, wegen der Launen von Leuten, die an der Wall Street Geschäfte machen, ausgelöscht werden könnte.
Wenn ich »dumm« sage, ist das natürlich noch nett formuliert. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir uns am besten gegenseitig schützen können, wenn wir einen Vertrag haben, der feststeht, unabhängig davon, was die Leute an der Wall Street tun. Das bringt Sicherheit.
Solche Verträge und Einigungen würden es uns Beschäftigten auch erleichtern, den Mund aufzumachen, Verbesserungen anzuregen und nicht einfach nur das Notwendige zu machen. Bei vielen Unternehmen geht es darum, das Notwendige zu tun – und nicht zwangsläufig das Beste oder Richtige. Die Leute, die bei Grindr arbeiten, wollen aber mehr. Wollten wir nicht das Richtige oder das Beste erreichen, würden die meisten von uns sicherlich nicht hier arbeiten. Viele von uns möchten für das Richtige, das Gute kämpfen und nicht nur für das, was am einfachsten und bequemsten ist.
Wie hat das Unternehmen bisher reagiert?
QM: Gar nicht. Seit unserer Ankündigung herrscht absolutes Schweigen seitens der Geschäftsleitung. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die Gewerkschaft, sondern buchstäblich in Bezug auf alles. Wir haben seit dem 20. Juli nichts mehr von der Geschäftsleitung gehört.
Wie zufrieden seid Ihr mit den Entwicklungen beim Gewerkschaftsaufbau bisher?
JA: Ich persönlich fühle mich nach der Abstimmung wieder sehr viel sicherer in meinem Job. Ich kann mich auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich nicht mehr fürchten muss, sofort rausgeschmissen zu werden. Und es ist wundervoll, zu sehen, wie viele Kolleginnen und Kollegen diese Sache unterstützen, aktiv ihre Stimme erheben und sagen: »Ja, das ist es, was wir wollen. Wir wollen Mitspracherecht.« Außerdem ist es schön, die öffentliche Reaktion unserer User, auch von berühmten Usern, sowie von anderen Gewerkschaften und Organisationen, die uns ebenfalls unterstützen, mitzubekommen.
QM: Klar, es wäre einfacher, das hier nicht zu tun. Alle bleiben individuell, unabhängig, kümmern sich um sich selbst. Eine Gewerkschaft zu gründen, ist ein radikaler Akt der Liebe und Fürsorge für sich selbst und für die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet. Es bedeutet, dass man persönlich vielleicht etwas riskiert, um die Bedingungen für alle zu verbessern. Ich freue mich sehr, dass so viele meiner Mitarbeitenden die Kraft gefunden haben, dies für sich selbst und füreinander zu tun. Das ist es ja auch, was ich grundsätzlich bei Grindr mag: Wir arbeiten mit Humor, mit queerer Lebensfreude und mit Offenheit. Diese Gewerkschaftsgründung ist nicht nur das Beste, was ich je bei der Arbeit gemacht habe – sie ist das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe.
Wie kann eine Gewerkschaft Eurer Ansicht nach den Arbeitsplatz verändern?
QM: Angesichts der vielen Entlassungen in unserer Branche und der Veränderungen innerhalb unserer eigenen Belegschaft hoffen wir, dass es einfach weniger Angst gibt. Angst, dass die eine Kollegin plötzlich nicht mehr da ist und niemand weiß, warum sie rausgeschmissen wurde. Bei Grindr hat sich nach dem Börsengang leider auch eine gewisse Angst-Kultur entwickelt und ich denke, das ist kein Zufall.
Wir wollen konkrete, verbindliche Pläne zur Leistungssteigerung, bevor wir einfach so entlassen werden. Wir müssen wissen, ob wir unsere Ziele erreichen – was natürlich bedeutet, dass wir uns gemeinsam konkrete Ziele setzen müssen. Wenn wir das in einer Vereinbarung festhalten, wenn wir also klar wissen, ob wir die Erwartungen erfüllen oder nicht, und wenn wir dies korrigieren können, bevor wir eines Tages aus heiterem Himmel entlassen werden, dann gibt es viel weniger Angst. Niemand kann gut arbeiten, wenn Angst herrscht.
Habt Ihr persönlich etwas aus der bisherigen Erfahrung der gewerkschaftlichen Organisierung mitgenommen?
JA: Ich habe gelernt, dass man seinen Job nicht hassen muss, um sich eine Gewerkschaft zu wünschen und diese aufzubauen. Man kann durchaus seine Arbeit mögen – tatsächlich ist das sogar ein fantastischer Grund, sich zu organisieren und dafür zu sorgen, dass es so bleibt.
QM: Würde ich so unterschreiben.
JA: Außerdem habe ich gelernt, dass die arbeitdenen Menschen in den USA, insbesondere in der Tech-Branche, zumeist falsch darüber informiert sind, was Gewerkschaften eigentlich sind und wie sie funktionieren.
QM: Fast so, als wäre es Absicht, oder? [Lacht.]
JA: Andererseits sind viele andere vorangegangen und waren ein Vorbild für uns – zum Beispiel die Angestellten bei Sega oder bei Activision oder bei Trevor Project oder bei Alphabet oder bei Citizen oder bei Apple. Wir hoffen, dass wir dazu beitragen können, Stigmatisierungen abzubauen, Aufklärung zu betreiben und die Vorteile der gewerkschaftlichen Organisierung aufzuzeigen.
Wie geht es jetzt weiter?
QM: Wir bleiben erst einmal hoffnungsfroh, dass das Grindr-Management unsere Gewerkschaft aus freien Stücken anerkennt. Eine klare Mehrheit der Belegschaft fordert das. Je schneller wir als Verhandlungspartner anerkannt werden, desto schneller können wir tatsächlich Verhandlungen führen und unsere Forderungen offiziell vorbringen.
Jack Alto ist Software-Ingenieur bei Grindr.
Quinn McGee ist Produktmanager für Vertrauen und Sicherheit bei Grindr.