13. November 2022
Die diesjährige UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm asch-Schaich fällt in eine hochgradig destabilisierte Weltlage. Der globale Klimaschutz könnte weiter ins Hintertreffen geraten. Auch auf den Privatsektor ist kein Verlass.
US-Soldat im August 2013 in Farah, Afghanistan
Im ägyptischen Badeort Scharm asch-Schaich treffen sich Vertretungen der großen Mehrheit der Staaten auf der Welt, um über den globalen Klimaschutz zu beraten – nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. War die geopolitische Lage beim letzten Treffen im Herbst 2021 in Schottland bereits angespannt, so hat sie sich seither durch den russischen Angriff auf die Ukraine noch einmal deutlich verschlechtert.
Ist globale Kooperation über die Grenzen der neuen Machtblöcke unter solchen Vorzeichen überhaupt noch möglich? Dies bleibt abzuwarten, doch von einem vollständigen Scheitern der Konferenz gehen die meisten Beobachterinnen und Kommentatoren derzeit nicht aus. Zu einem gewissen Grad schien es bisher möglich zu sein, trotz der kritischen Situation über Fragen des Klimaschutzes zu verhandeln. Praktisch kein Land der Welt hat ein Interesse daran, dem Klimawandel ungebremst freien Lauf zu lassen – doch darüber, in welchem Zeitraum und mit welchen Methoden das Klima stabilisiert werden soll, und wie die richtige Mischung aus Klimaschutz und Anpassung an die Erderhitzung aussieht, gehen die Vorstellungen weit auseinander.
Ganz ohne Auswirkungen auf die Klimadiplomatie bleibt die geopolitische Lage aber nicht: Die vor einem Jahr in Glasgow gemeinsam von den USA und China verabschiedete Erklärung und die resultierenden Klimaverhandlungen – ein wichtiger Schritt bei der Koordinierung der Klimapolitik der beiden größten Volkswirtschaften der Welt – wurden nach dem Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, von chinesischer Seite ausgesetzt.
Dass die Konferenz in diesem Jahr ausgerechnet in einem Land stattfindet, in dem eine brutale Militärdiktatur herrscht, wirkt wie ein böses Omen für die internationale Klimabewegung. Eine Partizipation der Zivilgesellschaft, die schon bei vergangenen Klimakonferenzen deutlich zurückgedrängt wurde, ist nur noch in sehr engem Rahmen möglich. Bei aller berechtigten Kritik an den teilweise strategisch unklugen Protestformen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten ist doch bedenklich, wie sehr der juristische Raum für Dissens in den letzten Jahren vielerorts eingeschränkt wurde – auch in Deutschland.
Die Logik der internationalen Klimadiplomatie gibt vor, dass in Scharm asch-Schaich Nationalstaaten miteinander verhandeln – üblicherweise gruppiert in arm, reich und aufsteigend, in Erzeuger- und Verbraucherländer fossiler Energieträger, sowie nach dem Grad ihrer Verwundbarkeit infolge von Klimaveränderungen. Doch die Positionen der teilnehmenden Staaten sind im Wesentlichen dadurch bestimmt, welche Akteure innerhalb ihrer nationalen Machtgefüge das Sagen haben. Zumeist sind dies Vertreter der wichtigsten Industriezweige eines Landes. Lobbyistinnen laufen auch selbst in großer Zahl bei der Konferenz auf – in der Regel müssen sie sich aber keine großen Sorgen machen, dass die jeweiligen Regierungsvertreter sehr von ihren Prioritäten abweichen.
Selbst Staaten wie Venezuela und Bolivien, die nach eigenem Selbstverständnis ein alternatives Entwicklungsmodell zum globalen Kapitalismus verfolgen, können sich dieser Logik nur schwer entziehen. Auch sie sind – trotz durchaus vorhandenem Problembewusstsein für die Klimakrise – auf absehbare Zeit auf Devisenflüsse aus dem Export fossiler Energieträger angewiesen.
Nichtsdestotrotz hat die überwältigende Mehrheit der Menschheit – die Arbeiter- und Mittelklassen aller Staaten der Welt – ein gemeinsames Interesse daran, das Weltklima zu stabilisieren. Nur die wirklich Reichen haben die Mittel, sich von den Auswirkungen der Klimakrise freizukaufen – zumindest für einige Zeit. Sie sind es auch, die als Anteilseigner über große Teile der fossilen Infrastruktur der Welt verfügen. Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass auch die Mittelklasse, gerade in reicheren Ländern, an ihrem Betrieb mitverdient – etwa durch die Investitionen von Pensionsfonds. Ihr Einkommen setzt sich typischerweise sowohl aus Löhnen wie aus Kapitaleinkünften zusammen. Doch im Gegensatz zu Milliardären ist der zu erwartende Schaden durch Klimaveränderungen für sie um ein Vielfaches höher als die möglichen Gewinne aus diesen Anlagen. Darüber hinaus verursacht Klimaschutz reale wirtschaftliche Kosten – Ressourcen müssen in die notwendigen Investitionen fließen statt in den Konsum oder in eventuell ertragreichere fossile Projekte. Es müssen also entweder die Löhne, oder aber die Profite zumindest zeitweilig sinken – und die Eliten der meisten Staaten haben diesbezüglich eine klare Präferenz.
Die Klimakrise ist also eine Klassenfrage, bei der, zumindest auf lange Sicht, ein winziger Kreis von Nettoprofiteuren dem gesamten Rest der Menschheit gegenübersteht. Dies ist der zugrundeliegende Konflikt, der in Scharm asch-Schaich bei den Gesprächen zwischen überwiegend kapitalistischen Staaten immer wieder durchscheint, aber nie offen verhandelt wird.
Ärmere Staaten verfolgen bei dieser Konferenz insbesondere das Ziel, dass reiche Länder konkrete finanzielle Zusagen machen, sie beim Klimaschutz, vor allem aber bei der Anpassung an Klimaveränderungen zu unterstützen. Besonders gefährdete Länder, wie etwa Inselstaaten, fordern einen solchen Kompensationsmechanismus für Klimaschäden mit Nachdruck ein. Die reichen Länder sträuben sich jedoch gegen rechtsverbindliche Abkommen dazu. Der Konflikt um die Frage des Ausgleichs von Klimaschäden dominiert die Konferenz. Zwar liegen finanzielle Zusagen einzelner Staaten vor, doch noch gibt es keine Einigung in dieser Frage.
Interessant dürfte auch sein, ob sich auf der Konferenz die Pläne des neu gewählten brasilianischen Präsidenten Lula da Silva zur Gründung einer »OPEC für Regenwälder« mit anderen tropischen Staaten wie Indonesien und der Demokratischen Republik Kongo konkretisieren werden. Ein solches Bündnis würde sich dafür einsetzen, dass reiche Staaten endlich einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Waldschutz in diesen Ländern leisten und damit der besonderen Wichtigkeit der Tropenwälder für das Weltklima Rechnung getragen wird. Voraussetzung dafür wäre, alternative Einnahmequellen zum Holzabbau und zur exportorientierten Landwirtschaft zu fördern.
Doch auch andere Länder haben ihre eigenen Agenden mitgebracht: Die USA wollen den Emissionshandel ausbauen und international besser vernetzen sowie den Privatsektor weltweit stärker in den Klimaschutz einbinden – Finanzierung von der Wall Street inklusive. China und Indien bestehen darauf, dass die reichen Staaten der Erde – also vor allem die westliche Welt – vor 2050 klimaneutral werden sollen. Sie selbst wollen ein oder zwei Jahrzehnte später nachziehen. Beide Länder leiden bereits heute enorm unter den Auswirkungen veränderter Wetterbedingungen. In China ist es inzwischen eine der obersten politischen Prioritäten geworden, die Nahrungsmittelversorgung zu sichern, wobei der Klimaschutz eine zentrale Rolle spielt. Gleichzeitig sehen sowohl Indien als auch China fossile Energieträger weiterhin als absolut notwendig für ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung an – zumindest in den nächsten Jahrzehnten.
Die Regierungen vieler Erzeugerländer fossiler Brennstoffe – ob nun arm wie Ecuador oder reich wie Norwegen – haben in der Vergangenheit zumindest angedeutet, dass sie langfristig auf andere Einnahmequellen und Wirtschaftsstrukturen setzen müssen. Es mangelt jedoch an konkreten Zeitplänen für die Transformation. Keines der rund dreißig Länder der Welt, deren Wirtschaft in erster Linie vom Export fossiler Brennstoffe abhängt, hat einen überzeugenden Entwurf für die Zeit nach dem Ausstieg – wohl auch deshalb, weil ein Großteil ihrer nationalen Eliten noch nicht so richtig daran glaubt, dass diese wirklich kommt.
Dennoch wäre es irreführend zu behaupten, dass die Welt keinerlei Fortschritte beim Klimaschutz gemacht habe: Die weltweiten CO2-Emissionen haben in den letzten Jahren annähernd ein Plateau erreicht – das heißt, sie steigen deutlich langsamer als im letzten Jahrzehnt. Ein neuer Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) geht davon aus, dass sie selbst ohne weitere Klimaschutzmaßnahmen der Staaten ungefähr auf dem derzeitigen Niveau verbleiben und ab den 2030er Jahren langsam fallen werden. Dadurch ist die erwartete Temperaturerhöhung bis zum Jahr 2100 in den letzten zehn Jahren um ein ganzes Grad gesunken. Wie schnell die Emissionen mit Maßnahmen sinken könnten, hängt davon ab, wie ambitioniert die Klimapolitik der wichtigsten Emittenten ausfällt. Mit Sicherheit kann das niemand vorhersagen und tatsächliche Emissionsminderungen lassen auf sich warten – dennoch hat sich der Ausblick für das Weltklima laut der IEA in den letzten Jahren deutlich verbessert.
Der Bericht widerspricht noch einer weiteren, weit verbreiteten Einschätzung, wonach der Krieg in der Ukraine zu einer globalen Renaissance fossiler Energieträger führe. Das Gegenteil sei der Fall: Europa reaktiviert zwar derzeit Kohlekraftwerke, baut seine Infrastruktur für den Import von Flüssiggas aus und wird damit abhängiger von Lieferanten wie den USA und Katar. Doch beides ist deutlich teurer als die Energie aus Russland es war. Dadurch werden die deutlich günstigeren erneuerbaren Energien noch attraktiver und können das kurzfrisitge Wiederaufleben der Fossilen mittelfristig wieder verdrängen – vor allem, wenn Speichertechnologien wie die Wasserstoffelektrolyse immer ausgereifter werden.
Dasselbe gilt auf globaler Ebene, da das ausfallende Angebot Russlands und die Umverteilung der europäischen Nachfrage die Preise weltweit in die Höhe treibt. Zwar steigen kurzfristig die Investitionen in fossile Energieproduktion, doch der mittelfristige Ausblick wird laut Bericht durch die erhöhten Preise eher gedämpft. Die IEA ist alles andere als eine radikale Klimaschutzorganisation oder ein Fanclub für erneuerbare Energien: Ihre Prognosen werden als tendenziell vorsichtig und konservativ eingeschätzt; in der Vergangenheit sagte die Institution deutlich niedrigere Zuwächse für erneuerbare Energien voraus, als tatsächlich eintraten.
Zu allzu viel Optimismus besteht dennoch kein Anlass. Alles in allem bleibt es dabei: Es passiert viel zu wenig, viel zu spät. Das 1,5-Grad Ziel sieht die IEA immer noch in weiter Ferne, selbst wenn alle Staaten der Welt ihre ambitioniertesten Klimaschutzziele umsetzen sollten. Die Auswirkungen der Klimaveränderungen, wie etwa die Dürren und Überschwemmungen, die Indien und Pakistan allein im vergangenen Jahr erlitten, sind jedoch jetzt schon katastrophal. Sie verursachten nicht nur millionenfaches menschliches Leid, sondern brachten ganze Gesellschaften an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Auch in Deutschland spürt die Arbeiterklasse die gestiegenen Lebensmittelpreise bereits empfindlich – häufigere Missernten durch mehr Extremwetterereignisse und Spekulationsgeschäfte in einem insgesamt volatileren Umfeld treiben sie zusätzlich in die Höhe.
Weltweit gilt: Wer nicht mindestens zur oberen Mittelschicht gehört, fühlt den Klimawandel und seine Auswirkungen schon im Hier und Heute, überwiegend in negativer Weise. Eine rational agierende Weltgemeinschaft würde jetzt alles technisch und politisch Mögliche tun, um so weit wie möglich von 1,5 Grad und mehr Erwärmung fernzubleiben. Weniger als ein Prozent der globalen Wirtschaftsleistung wird für Klimaschutz aufgewendet – ein Bruchteil dessen, was die Staaten der Welt für das Militär ausgeben.
Eines der größten Hindernisse für den Klimaschutz weltweit könnten in den nächsten Jahren die veränderten Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft darstellen. Die massiven Produktionsunterbrechungen und gestörte Lieferketten während der Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, aber auch geopolitische Spannungen etwa zwischen den OPEC-Staaten oder China und den USA haben die Inflation in vielen Ländern der Welt stark ansteigen lassen. Die Zentralbanken allen voran die US-amerikanische Federal Reserve reagieren darauf mit massiven Zinserhöhungen.
Dies mindert erstens die Bereitschaft zu Investitionen (auch in die Klimawende – von den Wind- und Solarparks bis zur Speichertechnologie). Denn bei höheren Zinskosten muss ein Projekt höhere Renditen abwerfen, um wirtschaftlich zu sein. Gleichzeitig steigt der Anreiz, die fossile Infrastruktur weiterzubetreiben, da diese bereits ausfinanziert ist. Ganz konkret bedeutet dies, dass klimafreundliche Investitionen verschoben oder abgesagt werden.
Zweitens bedeuten höhere Zinskosten in den USA, dass Investoren ihr Geld aus weniger reichen Ländern abziehen. Diese Kapitalflucht könnte viele grüne Transformationsprojekte in weniger entwickelten Ökonomien gefährden. Denn dadurch wertet der Dollar im Vergleich zu den anderen Währungen auf, wodurch in Dollar verkaufte Technologieimporte teurer werden, aber auch die Zahlungskonditionen für Dollar-Schulden härter werden. Schon in der Niedrigzinsphase ab 2008 war das Risiko-Ertragsprofil solcher Projekte für private Investoren oft zu unattraktiv, weshalb der Finanzsektor Staaten dazu drängte, die Investitionsrisiken zu sozialisieren – und gleichzeitig weitere öffentliche Güter zu privatisieren, versteht sich. Doch sollte Kapital tatsächlich in großem Stil zurück in den Dollarraum fließen, wäre dieses Paradigma hinfällig – und in der Tat gibt es erste Anzeichen dafür.
Unter rein pragmatischen Gesichtspunkten sind für wirklich effektiven Klimaschutz deshalb stärkere planende Eingriffe in die Kapitalallokation notwendig. Denn das Grundproblem für den Klimaschutz besteht darin, dass zu wenig investiert wird, und wenn, dann in die falschen Technologien und Projekte. Die gesamte Energieerzeugung, fast jeder industrielle Prozess sowie ein großer Teil der Landwirtschaft müssen in wichtigen Aspekten umgebaut werden – eine Aufgabe, zu der der Privatsektor alleine weder in der Lage noch willens ist.
Der Grundgedanke eines Green New Deal bleibt richtig: Nur die öffentliche Hand kann die langfristigen Projekte in Angriff nehmen, die notwendig sind, um die Stabilität des Weltklimas zu sichern. Neben der technischen Transformation der meisten Wirtschaftssektoren gehört dazu auch die Bereitstellung von universell verfügbaren öffentlichen Gütern und Dienstleistungen wie einem flächendeckenden öffentlichen Verkehrsnetz, die einen Bruchteil der Energie der äquivalenten privaten Versorgung benötigen.
Zu wirklicher Koordination beim Klimaschutz ist die Welt derzeit nicht in der Lage und zu den erforderlichen wirtschaftlichen Hilfen und Schadensersatzzahlungen an ärmere Staaten und die Opfer der bereits katastrophalen Klimaschäden sind die reichen Länder nicht bereit. Klimaschutz wird auf globaler Ebene weiter halbherzig und chaotisch betrieben werden, ohne auch nur das Mindeste an Solidarität für jene aufzubringen, die die Erderhitzung am wenigsten zu verantworten haben und am meisten unter ihr leiden.
Auf globaler Ebene gibt es keinen Plan für das Klima. Das heißt nicht unbedingt, dass nichts passiert. Doch solange sich die internationalen Beziehungen entlang sich verhärtender geopolitischer Machtblöcke und konkurrierender wirtschaftlicher Interessen strukturieren anstatt Kooperation im Interesse der großen Mehrheit anzustregen, und in den meisten Staaten die politische Macht zwischen neoliberalen Technokraten und mehr oder weniger nationalistischen Reaktionären wechselt, wird sich an dieser Grundkonstellation wenig ändern.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.