17. Juni 2022
Die AfD präsentiert sich gerne als Partei, die das politische Zentrum demontiert. Die Dokumentation »Eine deutsche Partei« zeigt, dass sie sich vor allem selbst zerlegt.
Ließen sich zwei Jahre über Schulter schauen: AfD-Funktionäre wie Frank-Christian Hansel.
Gespenstisch oder auch auf skurrile Weise unterhaltsam – so könnte man die Szenen aus Simon Brückners Dokumentarfilm über die Alternative für Deutschland beschreiben. In Eine deutsche Partei zeigt der Filmemacher die Zerrissenheit der mittlerweile zehn Jahre alten Partei mit einer so beeindruckenden Genauigkeit, wie es bisher kaum ein Text zustande brachte. Fast zwei Stunden lang taucht man als Zuschauerin in die Parallelwelt dieser Partei ein.
Zwischen 2019 und 2021 folgte er sowohl Parteiaktivisten als auch Mandatsträgern und sammelte über 500 Stunden Material. Die Gefilmten scheinen zwischendurch wie im Big-Brother-Haus vergessen zu haben, dass sie aufgezeichnet werden. Immer wieder beschleicht einen das Gefühl, eigentlich nicht zuschauen zu dürfen, so nah kommt Brückner seinen Protagonisten. Diese Einblicke sind besonders und zugleich beruhigend banal. Man verfolgt, wie die Bundestagsfraktion um ein Sozialstaatspapier streitet oder Aaron Kimmig von der Jungen Alternative mit einer Rede vor Corona-Demonstrierenden scheitert, wie in einem Kaff Kundgebungen vor einer Handvoll Zuschauerinnen und Zuschauer abgehalten werden, wie schleppend der Haustürwahlkampf läuft. So richtig es auch war, vor Jahren schon vor der Faschisierung in diesem Land zu warnen: Diese Dokumentation entmystifiziert einiges an dieser Partei, die sich selbst in der pathetischen Rolle als mutige Märtyrerin am besten gefällt.
Die Stärke von Brückners Dokumentarfilm liegt zweifelsfrei darin, dass er die Interpretation der Szenen der Zuschauerin überlasst. Es wird weder belehrt noch moralisiert. Damit hebt sich Eine deutsche Partei wohltuend von der üblichen Berichterstattung über die AfD ab. Dadurch wollte er auch »Distanz schaffen zu den Reflexen«, wie er im Gespräch erzählt. Und das gelingt. Man erwischt sich dabei, beinahe empathisch auf die Figuren zu blicken, manchmal belächelt man sie, oder man schaudert vor der bräsigen Selbstgefälligkeit rechter »Intellektueller« und ihren Tiraden gegen die Gleichheit.
An politischer Haltung fehlt es diesem Film dennoch nicht. Diese verdeutlicht sich vor allem in der geschickten Montage der Szenen. Etwa wenn man einer Rede des ehemaligen AfD-Politikers Heinrich Fiechtner bei einer Corona-Demo vor dunkler Kulisse folgen muss und dieser im nächsten Moment zu Partymusik gegen Masken einstimmt. Die Realität dieser Partei liefert solch skurriles Material, aber es ist dennoch eine Kunst, sie so zu schneiden, dass daraus am Ende ein Bild entsteht.
Brückner bezeichnet seinen Eindruck von der Partei selbst als »Kippbild«, denn tatsächlich sind die Flügelkämpfe und Konfliktlinien nicht immer eindeutig. Manchmal wirkt es, als würden sich die libertär-marktradikalen Kräfte durchsetzen, dann wieder drängen völkische Stimmen durch, die dem Flügel nahestehen. Weil Brückner sowohl im Berliner Abgeordnetenhaus wie auf dem Brandenburger Land gefilmt hat, wird vor allem klar, dass sich die Partei nicht nur entlang der Parteiflügel zerteilt, sondern auch zwischen Stadt und Land, Funktionärinnen und Funktionären sowie einfachen Mitgliedern. Es sind letztlich Probleme, mit denen sich fast alle Parteien herumschlagen. Der Film zeigt, dass die AfD einfach nicht mehr in der Lage ist, gesellschaftliche Krisen, wie die sogenannte Flüchtlingskrise 2015, für sich zu nutzen. Die Kräfte treiben in entgegengesetzte Richtungen, und stellen die Partei vor die Zerreißprobe.
Vor allem wird deutlich, dass die Flügelkämpfe nicht steuerbar sind. Während die einen meinen, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sei vorteilhaft, weil man sich dadurch als wirklich staatskritische Alternative hervortut, befürchten die anderen, dadurch das gemäßigt-konservative Image zu verlieren und unwählbar zu werden. Die Wahrheit ist: beides stimmt und keiner Kraft gelingt es, eine Verbindung zwischen diesen Positionen herzustellen. Einst war noch von einer »konservativen Revolution« die Rede, die bis in die CDU hineinreichen sollte. Dieses Projekt ist durch die Fliehkräfte der Krisen der letzten Jahre zerschellt.
Besonders beklemmend ist, dass man sich in manchen Szenen spiegelbildlich in DIE LINKE hineindenkt, die vor ähnlich programmatisch-strategischen Fragen steht und sich ebenso in internen Machtkämpfen verliert. Auch die Linkspartei kämpft um die richtige Positionierung während der Corona-Krise, auch sie ringt um Kohärenz, wo sie aus ihrer Geschichte heraus grundverschiedene Strömungen vereinen muss – diese Parallele suggeriert der Film zwar an keiner Stelle, aber er lässt die Assoziationen eben zu. Man muss keine Verfechterin der Hufeisentheorie sein, um zu verstehen, dass jede Partei, die sich als Alternative zum politischen Zentrismus positioniert, widersprüchliche Alltagsvorstellungen vereinen muss – vor Aufkommen der AfD tat das DIE LINKE vor allem in Bezug auf die Agenda-Politik von SPD und Grünen.
Diese Art der »Systembeobachtung mit ethnographischer Haltung«, wie Brückner sie selbst beschreibt, bietet einzigartige Einblicke. Sie liefert aber keine Erklärungen dafür, welche gesellschaftlichen Verhältnisse den Aufstieg der AfD erst ermöglichten. Der Film eröffnet den Blick auf die Binnenwidersprüche, kapselt sie aber auch künstlich von den gesellschaftlichen Widersprüchen ab – eine häufige Leerstelle, wenn über die AfD gesprochen wird. Man ist zu sehr beschäftigt mit den Personen auf der Bühne. Interessant wäre es, auch einmal den Wählerinnen und Wählern zuzuhören. Was hält sie bei der Partei oder warum wandern sie nun enttäuscht wieder ab, weil die Partei das Protestpotenzial eben doch nicht mehr zu bündeln vermag.
Nur an einer Stelle im Film droht der Parteivorsitzende Tino Chrupalla damit, die Dreharbeiten abzubrechen, damit der Richtungsstreit nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Er stellt die einzig richtige Frage: »Wem nützt es?« Und in der Tat, der Partei nutzt dieser Film überhaupt nicht. Er zeigt sie, wie sie ist. Allen anderen ist er gerade deswegen sehr nützlich.
Simon Brückner, Eine deutsche Partei, 110 Minuten, Filmstart: 16. Juni.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.