15. Juni 2021
Die Grünen haben ihr Wahlprogramm festgelegt. Der Parteitag war eine Machtdemonstration der bürgerlichen Parteispitze.
Die sozialen und klimapolitischen Forderungen der Basis wurden von der Führungsriege ausgeschlagen.
Im Vorfeld der »Bundesdelegiertenkonferenz«, auf der über das Wahlprogramm der Grünen abgestimmt wurde, war die Nervosität der Parteiführung spürbar. Die Basis hatte über 3.000 Änderungsanträge an dem vom Parteivorstand erarbeiteten Wahlprogrammentwurf eingereicht. Viele davon sollten dem Programm eine sozialere und ökologischere Ausrichtung geben. In nahezu allen Abstimmungen setzte sich am Ende der Parteivorstand durch.
Insbesondere für die Grüne Jugend, aber auch für weitere linke Kräfte in der Partei ist das eine herbe Niederlage. Soziale Forderungen nach der Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne, einem höheren Spitzen- und Vermögenssteuersatz, einem höheren Mindestlohn, einer kommunalen Job-Garantie, aber auch klimapolitische Forderungen nach einem höheren CO2-Preis, einem Tempolimit auf Landstraßen und einem früheren Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor wurden von der ersten Riege der Parteiprominenz abgelehnt. So sprach sich Robert Habeck gegen einen höheren CO2-Preis und gegen höhere Spitzen- und Vermögenssteuersätze aus, Britta Haßelmann gegen die Jobgarantie, Chris Kühn gegen die Vergesellschaftung, Cem Özdemir gegen einen früheren Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor und Michael Kellner gegen das Tempolimit. Dieser geballten und ungewohnten Einigkeit der Parteiführung konnten die linken Kräfte der Partei nicht viel entgegensetzen. Die Geschlossenheit, mit der die Parteispitze gegen die linken Forderungen argumentierte, belegen, was schon der Programmentwurf erahnen ließ: Das bevorzugte Regierungsbündnis der Grünen ist nicht links, sondern rechts der Mitte zu verorten.
Die Parteispitze war auf dem Parteitag nicht um eine inhaltliche Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei bemüht, sondern um die maximale Offenhaltung aller Koalitionsoptionen. Eine klare strategische Ausrichtung auf Grün-Rot-Rot mit ambitioniertem sozial- und klimapolitischem Fokus ist im Wahlprogramm nicht zu erkennen. Es bricht zwar keine Brücken zu SPD und Linkspartei ab, aber es baut auch keine neuen. Ziel des Wahlprogramms ist vielmehr, zu einem zumutbaren Koalitionspartner für Union und FDP zu werden. Und die Abstimmungsergebnisse des digitalen Parteitags zeigen, dass die Mehrheit der Parteitagsdelegierten bereit ist, diesen bürgerlichen Kurs des Vorstandes mitzutragen.
Besonders bemerkenswert ist diese Entwicklung in der vermeintlichen Kernkompetenz grüner Politik: der Klimapolitik. Allzu gerne inszenieren sich die Grünen als bewegungsnahe politische Kraft – ganz nah dran an Fridays For Future und anderen Klimagerechtigkeitsinitiativen. Für schöne Fotos und unverbindliche Forderungen sonnt sich die Partei gerne in der Aufmerksamkeit außerparlamentarischer politischer Kräfte. Wenn es allerdings darum geht, die berechtigten Forderungen der Bewegungen konkret in das Wahlprogramm zu integrieren, ist bei den Grünen die Sorge ums Klima weniger groß als die Angst vor dem Verlust bürgerlicher Wählerstimmen.
Ein höherer CO2-Preis und ein schnellerer stufenweiser Anstieg des Preises in der Zukunft war eine der Kernforderungen, welche die Bewegung Fridays For Future an die Grünen stellte. Diesen Vorschlag, der sich an »wissenschaftlichen Berechnungen orientiert«, vertrat der Klimaaktivist Jakob Blasel auf dem Parteitag. In seiner Gegenrede warnte Habeck vor einem »zu großen Sprung« und belehrte Blasel mit der Plattitüde, dass es »die Wissenschaft« nicht gebe. Diese Szene steht exemplarisch für den Umgang der Grünen mit ambitionierter Klimapolitik: In der Selbstwahrnehmung hält sich das Partei-Establishment für die Speerspitze fortschrittlicher Klimapolitik. Was sie fordern, ist in ihren Augen das Maximum dessen, was möglich ist – alles, was darüber hinausgeht, sei unrealistisch.
Die Klimaforderungen der Grünen sind derart moderat, dass sie vor allem für ihr Kernklientel, das akademische Bürgertum, mit keinen großen Einschränkungen verbunden sind. Die Partei scheut gleichermaßen davor zurück, die sozial-ökologische Wende mit der dringend benötigten grundsätzlichen Transformation unseres Wirtschaftssystems zu verbinden. Die Grünen hätten sich dafür entscheiden können, der parlamentarische Arm der Klimagerechtigkeitsbewegung zu sein – stattdessen entschieden sie sich dazu, der parlamentarische Arm des akademischen Bürgertums zu werden.
Auch in einer anderen Frage deckt sich die Selbstwahrnehmung der Grünen nicht mit der Realität: Die Partei ist keineswegs so geeint, wie sie es gerne hätte. Darüber kann auch die Parteitagsdekoration, die ansonsten ästhetisch genau das spiegelt, wofür die beourgeoise Wohlfühlpartei stehen möchte, nicht hinwegtäuschen. Die Parteiführung ist zwar mit Verweis auf die fast einhellig abgelehnten Änderungsanträge darum bemüht, den Eindruck der Geschlossenheit aufrechtzuerhalten – und die mediale Berichterstattung hat diesen Spin erstaunlicherweise in weiten Teilen ebenso aufgriffen. Doch auch wenn die Abstimmungsergebnisse relativ eindeutig aussehen, kann von einer geschlossenen Partei nicht die Rede sein.
Denn auch wenn in Führungsfragen Einigkeit herrscht und das Programm letztendlich mit der Zustimmung einer großen Mehrheit beschlossen wurde, sollte nicht übersehen werden, dass es keine einzige der Kernforderungen der linken Kräfte in das Wahlprogramm geschafft hat. Dieses Programm ist kein Kompromiss, sondern ein Manifest des Vorstandes. Die Grüne Jugend und die ansonsten von der Partei hofierten politischen Bewegungen sind die großen Verlierer des Parteitags. Das Versprechen progressive Forderungen von der Straße in die Parlamente zu tragen, wurde in keiner Weise eingelöst.
Die Diskussion um bewaffnete Drohnen bot einen Vorgeschmack darauf, welche Zerreißproben auf die Grünen zukommen könnten, sollte es zu einer Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung kommen. Die Bundestagsfraktion der SPD hatte die Anschaffung dieser Waffensysteme (mit dem Verweis auf zusätzlichen Gesprächsbedarf) in der großen Koalition unlängst noch erfolgreich blockiert. Auch die Grünen hatten die Aufrüstung 2017 in ihrem Wahlprogramm noch mehrheitlich abgelehnt. Auf dem vergangenen Parteitag hat sich jedoch eine knappe Mehrheit von 347 Delegierten dafür ausgesprochen, Bedingungen für den Einsatz bewaffneter Drohnen zu prüfen. Demgegenüber schlossen 343 Delegierte einen solchen Einsatz grundsätzlich aus. Die Grünen gehen damit auch außenpolitisch weiter auf Distanz zu SPD und der LINKEN und suchen den Anschluss an die Mitte-rechts-Parteien. Spätestens mit diesem Parteitag ist endgültig klar, dass die Grünen kein Bündnispartner für eine linke Politik sein wollen.
Jonas Becker ist Volkswirt und promoviert an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Jonas Becker ist Volkswirt und promoviert an der Humboldt Universität zu Berlin.