02. Juli 2024
Frankreichs Präsident hat Neuwahlen ausgerufen, um zu zeigen, dass das Land noch hinter ihm steht. Das ging nach hinten los. Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs deuten darauf hin, dass der rechtsextreme Rassemblement National das Parlament dominieren wird.
Mit den vorgezogenen Neuwahlen hat sich Macron selbst ins Abseits katapultiert, Paris, 7. Juni 2024.
IMAGO / ABACAPRESSDas Blatt wendet sich für Emmanuel Macron. Nach der ersten Wahlrunde der vorgezogenen Parlamentswahlen zeigt sich ein unmissverständliches Ergebnis: Die Zentrumskoalition des Präsidenten wurde auf einen bitteren dritten Platz verwiesen und erhielt nach Auszählung am Montagmorgen nur knapp 21 Prozent der Stimmen. Das sind 4 Prozent weniger als die Macron-Kandidierenden in der ersten Runde der letzten Wahlen im Jahr 2022 erzielten. Damit lag das Lager des Präsidenten sowohl hinter dem rechtsextremen Bündnis von Marine Le Pen als auch hinter dem linken Bündnis der Neuen Volksfront.
»Der Druck auf die Kandidierenden der Linken und der Mitte wächst, sich zugunsten derjenigen Kraft zurückzuziehen, die am ehesten in der Lage ist, Le Pens Partei zu besiegen.«
Die Abstimmung am Sonntag bestätigte die dominante Position des rechtsextremen Rassemblement National, einen Monat nach seinem Sieg bei den EU-Wahlen vom 9. Juni, was Macron überraschenderweise dazu veranlasste, die Nationalversammlung aufzulösen. Das Rassemblement National von Marine Le Pen, das mit einer Minderheit der Mitte-Rechts-Partei Les Républicains verbündet ist, kam mit 33 Prozent der Stimmen auf den ersten Platz. Auf Platz zwei landeten die Kandidaten der Neuen Volksfront mit rund 28 Prozent.
Der Parteivorsitzende des Rassemblement National (RN) und voraussichtliche Premierminister Jordan Bardella deutete das Ergebnis am Sonntagabend als »unmissverständliche Entscheidung, die den klaren Wunsch nach Veränderung bestätigt«. Mit Verweis auf die Niederlage der Koalition des Präsidenten stellte der 28-jährige Bardella die Stichwahlen am 7. Juli als eine Wahl zwischen der rechtsextremen Kraft und der »Allianz des Desasters« dar. Damit meinte er die Neue Volksfront (NFP) von Jean-Luc Mélenchon, die das Land in Unordnung, Aufstände und wirtschaftlichen Ruin stürzen würde.
Macrons Versuch, politisches Momentum zurückzugewinnen und eine dreijährige Regierung als gelähmter Präsident durch Neuwahlen abzuwenden, ist nach hinten losgegangen. Die Ergebnisse variieren von Region zu Region, aber die Verbündeten des Präsidenten befinden sich in einer schwierigen Position hinter den dominierenden Blöcken von RN und NFP, was eine klare Dreiteilung des französischen Wahlraums zur Folge hat. Die Abstimmung am kommenden Sonntag wird darüber entscheiden, wie verheerend Le Pens Sieg in den Stichwahlen ist, in denen kein Kandidat eine Mehrheit erreichen konnte.
Nicht bei allen wird es dabei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem RN geben. Tatsächlich machen die Dreierwettbewerbe nur etwas mehr als die Hälfte der Stimmen der Stichwahl am 7. Juli aus. Der Druck auf die Kandidierenden der drittplatzierten Linken und der Mitte wächst, sich zugunsten derjenigen Kraft zurückzuziehen, die am ehesten in der Lage ist, Le Pens Partei zu besiegen.
Alle Kandidierenden, die mindestens 12,5 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler hinter sich versammeln konnten, sind technisch gesehen berechtigt, an der Stichwahl teilzunehmen. Die hohe Zahl möglicher »Dreiecksarrangements« in diesem Jahr in der zweiten Runde ist zum Teil auf die stark gestiegene Wahlbeteiligung zurückzuführen. Mit einer Wahlbeteiligung von 67 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler wurde in der ersten Runde ein Anstieg um fast 20 Prozentpunkte gegenüber den Parlamentswahlen 2022 verzeichnet. Die Wahlbeteiligung nähert sich dem Niveau der vorgezogenen Neuwahlen in Frankreich im Jahr 1997 an, als ein Linksbündnis dem Mitte-Rechts-Präsidenten Jacques Chirac eine »cohabitation« aufzwang.
Bei der Stichwahl am 7. Juli zeichnet sich eine Konfrontation zwischen den Kandidierenden des Rassemblement National und der Neuen Volksfront ab. Laut einem Tracker der Financial Times gingen 296 der RN-Kandidierenden als Erstplatzierte in die zweite Runde, gefolgt von 156 Erstplatzierten für die NFP und 65 für Macrons Koalition, Ensemble. An zweiter Stelle steht der Rassemblement National mit 117 Kandidierenden, gefolgt von 158 für die Linke und 154 für Macrons Verbündete. Insgesamt haben sich 291 drittplatzierte Kandidierende aus den drei führenden Blöcken für die zweite Runde qualifiziert. Bei einigen Wettbewerben wird es jedoch keine Stichwahl geben: 85 Kandidierende haben die 50-Prozent-Hürde genommen, um die erste Runde der Wahl zu gewinnen.
Die Stichwahlen am 7. Juli könnten Überraschungen bringen, je nachdem, wie viele Kandidatinnen und Kandidaten in den kommenden Tagen zugunsten der konkurrenzfähigeren nicht-RN-Kräfte ausscheiden. Nichtsdestotrotz wird weithin vorausgesagt, dass Le Pen und ihre Verbündeten als größter und am besten positionierter Block hervorgehen werden, um diesen Monat eine neue Regierung zu bilden. Laut Prognosen des Meinungsforschungsunternehmen Ipsos könnte die extreme Rechte zwischen 230 und 280 Sitze gewinnen. Das sind zwar weniger als die 289 Sitze, die für eine absolute Mehrheit erforderlich sind, doch die größte Fraktion in der Nationalversammlung erhält in der Regel als erstes die Chance, eine Minderheitsregierung zu bilden. Bardella hat bereits erklärt, dass der RN nur dann in eine Regierung eintreten wird, wenn seine Koalition die absolute Mehrheit erlangt – ein Standpunkt, von dem er leicht zurücktreten kann, wenn es der Partei gelingt, Unterstützung von Mitte-Rechts zu erhalten.
»Die Demokratie hat gesprochen, und die Französinnen und Franzosen haben den Rassemblement National und seine Verbündeten an die Spitze gesetzt und den Macron-Block praktisch ausradiert«, sagte Le Pen am Sonntagabend. Nachdem sie sich die Wiederwahl in ihrem Wahlkreis Pas-de-Calais gesichert hatte, rief Le Pen die unentschlossenen Wählerinnen und Wähler in der Stichwahl dazu auf, sich der rechten »Koalition der Freiheit, der Sicherheit und der Einheit« anzuschließen.
»Der Macronismus ist zusammengebrochen.«
Es ist ein harter Kampf, dennoch versuchen auch Frankreichs linke Kräfte Zuversicht auszustrahlen. »Der Macronismus ist zusammengebrochen«, sagte Aurélie Trouvé, Kandidatin von France Insoumise-NFP, die ebenfalls in ihrem Wahlkreis Seine-Saint-Denis, nördlich von Paris, wiedergewählt wurde. »Gegen die Rechtsextremen gibt es nur noch eine Kraft, die in der Lage ist, eine alternative Regierung zu bilden, und das ist die Neue Volksfront«, so Trouvé gegenüber France Info. »Diese Abstimmung war für den Präsidenten eine schwere und unmissverständliche Niederlage«, kommentierte Jean-Luc Mélenchon von France Insoumise das Wahlergebnis und stellte die NPF als einzige ernsthafte Alternative zur rechtsextremen Regierung dar.
Das Linksbündnis hat den nicht-RN-Parteien ein Friedensangebot gemacht, indem es vorschlug, seine drittplatzierten Kandidierenden zurückzuziehen und anderen Kräften im Kampf gegen die Rechtsextremen den Vortritt zu lassen. »Im Einklang mit unseren Prinzipien und unserer konstanten Position bei allen vorangegangenen Wahlen werden wir niemals zulassen, dass der RN gewinnt«, sagte Mélenchon. »In Situationen, in denen [die Rechtsextremen] in Führung gehen und wir an dritter Stelle stehen, werden wir unsere Kandidaturen zurückziehen ... Unser Aufruf an die Wählerinnen und Wähler ist klar und direkt: keine einzige weitere Stimme, kein einziger Sitz mehr für den RN.«
Die Reaktion der Macronisten und des Mitte-Rechts-Establishments war jedoch bestenfalls lauwarm – und im Einklang mit einer Kampagne, die weitgehend auf dem Argument beruhte, dass die Rechtsextremen genauso bedrohlich und »extrem« sind wie das Bündnis der Neuen Volksfront, in dem France Insoumise den Ton angibt. Am 24. Juni behauptete Macron, dass entweder eine RN- oder eine Linksregierung das Land in einen »Bürgerkrieg« zu stürzen drohte. Und letzte Woche versuchte die scheidende Ministerin Aurore Bergé, den Block des Präsidenten – und nicht Le Pen – als die bessere Barrikade gegen die Linke darzustellen.
»Wir werden keine Wahlempfehlungen für nationale Abstimmungen geben. Die Französinnen und Franzosen sollen selbst entscheiden«, schrieben die Führer des Mehrheitsflügels der Mitte-Rechts-Republikaner, die sich weigerten, dem umstrittenen Parteivorsitzenden Éric Ciotti in ein offenes Bündnis mit Le Pen zu folgen, in einer Presseerklärung. Die Mitte-Rechts-Tageszeitung Le Figaro sprach sich hingegen klar für den Rassemblement National aus. »Wer kann ernsthaft behaupten, dass Bardella und Mélenchon gleich wären?«, schrieb Alexis Brézet im Leitartikel des konservativen Blattes vom 1. Juli. »Das Programm des RN ist in vielerlei Hinsicht besorgniserregend, aber was ihm entgegensteht, ist Antisemitismus, Islamo-Linke, Klassenhass und Steuerhysterie.«
»Es ist Zeit für eine breite, klare demokratische und republikanische Allianz für die zweite Runde«, schrieb der Präsident am Sonntagabend in einer lakonischen Erklärung an Agence France-Presse. In einer anderen Pressemitteilung schien die Koalition Ensemble des Präsidenten die Bedingung der gegenseitigen Achtung der »Werte der Republik« hinzuzufügen, um einen eventuellen Rückzug der Kandidaturen zu rechtfertigen.
Andere Verbündete Macrons haben sich da offener gezeigt. Der amtierende Premierminister Gabriel Attal sagte, dass alle Ensemble-Kandidierenden, die den dritten Platz belegten, zugunsten der stärksten Anti-RN-Kraft zurücktreten sollten. »Die Lehre des heutigen Abends ist, dass die Rechtsextremen an der Schwelle zur Macht stehen. Wir haben ein klares Ziel: zu verhindern, dass eine absolute Mehrheit des Rassemblement National die Nationalversammlung dominiert und das Land regiert«, so Attal. Clément Beaune, amtierender Abgeordneter in Paris und ehemaliger Verkehrsminister des Mitte-Links-Flügels der Koalition des Präsidenten, schrieb auf X: »Wer auch immer es ist, wir müssen für den Kandidierenden stimmen, der gegen einen Kandidierenden des RN antritt.«
Sollte der Rassemblement National am kommenden Sonntag keine absolute Mehrheit erlangen, sind mehrere Szenarien denkbar – nicht zuletzt ein Vorstoß des RN, um potenzielle Koalitionspartner von Mitte-Rechts zu ködern. Alle Szenarien deuten auf eine längere Periode politischer Instabilität hin, da es dem Präsidenten verfassungsmäßig untersagt ist, die Nationalversammlung vor Ablauf eines Jahres aufzulösen.
Aus der Ferne betrachtet, wird von der Bildung einer »technischen« Anti-RN-Regierung gesprochen, die sich auf die Stimmen der Macronisten, der Dissidentenfraktion der rechten Mitte und Teile der Neuen Volksfront stützen müsste. In seiner Rede am Sonntagabend klammerte sich Attal immer noch an die Hoffnung, dass bei einer ungültigen Nationalversammlung der zentristische Block des Präsidenten als Dreh- und Angelpunkt für die Bildung von Mehrheiten für bestimmte Gesetzesvorlagen dienen könnte. In einem ersten Versuch, an die linke Mitte zu appellieren, deutete das Büro von Attal später am Abend an, dass die Regierung eine Verschärfung der Arbeitslosenversicherung, die am 1. Juli in Kraft treten sollte, zurückziehen würde.
All das ist wilde Spekulation. Letztlich lässt sich aus dem gestrigen Abend nur eines mitnehmen: der fortschreitende Aufstieg des Rassemblement National.
Harrison Stetler ist ein freier Journalist und Lehrer aus Paris.