28. März 2023
Wenn es nach der Ampel geht, dann sollen die Arbeitsbedingungen an Hochschulen noch weiter prekarisiert statt reformiert werden. Kettenbefristungen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Die Reformvorschläge des BMBF verschlechtern die Perspektiven des akademischen Mittelstandes, anstatt sie zu verbessern.
IMAGO / Panthermedia»Gute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen« – mit diesem markigen Zitat aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung beginnt ein kurzes Papier, das das Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) kürzlich veröffentlichte. Das BMBF möchte die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern und hat dazu auf vier Seiten Reformvorschläge gesammelt.
Die trafen jedoch auf heftigen Gegenwind. Denn anstatt verlässliche Beschäftigungsperspektiven zu schaffen, haben die vorgeschlagenen Reformen sogar das Potenzial, die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch prekärer als bislang zu gestalten.
In Deutschland gilt seit 2007 das sogenannte Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das vorsieht, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler maximal sechs Jahre vor der Promotion und sechs Jahre nach der Promotion befristet angestellt werden dürfen. Ist diese Zeit abgelaufen, müssen sie einen unbefristeten Vertrag erhalten – oder die Universität verlassen. Mit anderen Worten: Entweder sie ergattern einen der wenigen unbefristeten Verträge (in der Regel eine Professur) oder sie erhalten de facto ein Berufsverbot.
Bereits Ende 2020 sammelten Kritikerinnen und Kritiker des Gesetzes »95 Thesen gegen das WissZeitVG« und seit vergangenem Jahr beklagen unter #IchBinHanna zahlreiche Betroffene aus dem akademischen Mittelbau die Familienfeindlichkeit des Gesetzes und berichten über den Stress, den dieses arbiträre »Karriere-Ablaufdatum« bei ihnen auslöst.
»Dass der Hauptgrund für die Kettenbefristungen an den Unis die volatile Finanzierungssituation ist, wird kaum thematisiert.«
Jetzt – rund zwei Jahre später – scheint das BMBF die Klagen erhört und sich daran gesetzt zu haben, die ärgsten Probleme des WissZeitVG zu lösen. Nach zahlreichen Konsultationen, in denen das BMBF nach eigener Aussage mit Hochschulen, Gewerkschaften, und Beschäftigteninitiativen sprach, hat es im Kern zwei wesentliche Vorschläge gemacht: Zum einen soll die Mindestvertragslaufzeit für Promovierende auf drei Jahre und für Postdocs auf zwei Jahre angehoben werden. Zum anderen sollen Postdocs statt sechs Jahre maximal drei Jahre befristet beschäftigt werden können.
Keiner dieser Vorschläge kann allerdings substanziell etwas an der Situation der Mitarbeitenden ändern. Die Vorschläge gehen entweder am Problem vorbei oder verschlimmern die Situation der Beschäftigten sogar noch. Verwundern tut dies allerdings nicht. Das BMBF betont in seinem Papier explizit, dass die »grundlegende Systematik des WissZeitVG« erhalten bleibe.
Die Prekarität in der Wissenschaft ist vor allem auf zwei Gründe zurückzuführen. Der erste ist die Befristungshöchstgrenze, die das WissZeitVG vorschreibt.
Das BMBF verteidigte diese Regelung damals mit der Begründung, dass Universitäten nicht verpflichtet seien, wissenschaftliche Mitarbeitende zu befristen. Tatsächlich verbietet sogar eine EU-Richtlinie Kettenbefristungen. Das WissZeitVG erfüllt diese Richtlinie rein rechtlich damit, dass Angestellten nach sechs Jahren kein befristeter Vertrag mehr angeboten werden darf.
Allerdings haben Universitäten praktisch keine Möglichkeit, ihre Angestellten nicht zu befristen. Der zweite Grund ist nämlich die schlechte Finanzierung der Hochschulen. Die hochschuleigenen Mittel, die von den Ländern gestellt werden, reichen meist gerade aus, um das administrative Personal zu bezahlen. Fast alle Hochschulmitarbeiterinnen und -mitarbeiter mit Abschluss werden über Drittmittel – das heißt, zeitlich befristete Projekte – finanziert. Viele Verträge sind schlichtweg deswegen auf ein, zwei oder drei Jahre befristet, weil das der jeweiligen Projektlaufzeit entspricht. Nach Abschluss eines Projektes müssen die Mitarbeitenden in ein neues Projekt überführt werden – mit einem neuen, befristeten Vertrag.
Das BMBF versucht seit zwei Jahren, die Diskussion vor allem auf die in der Wissenschaft üblichen Vertragslaufzeiten zu lenken. Und grundsätzlich ist an dem Vorschlag, die Mindestvertragslaufzeiten zu verlängern, auch nichts auszusetzen. Allerdings sorgt das BMBF damit dafür, dass über die eigentliche Ursache der Befristungen – nämlich die desolate Finanzierungssituation der Universitäten – gar nicht erst diskutiert wird. Mit Erfolg: Das öffentliche Echo auf die Reformvorschläge hat sich hauptsächlich an der Verkürzung der Befristungshöchstgrenze für Postdocs von sechs auf drei Jahre aufgehängt. Dass der Hauptgrund für die Kettenbefristungen an den Unis die volatile Finanzierungssituation ist, wird dagegen kaum thematisiert.
Dabei ist die Kausalkette recht offensichtlich: Es ist absurd anzunehmen, dass Universitäten und Forschungseinrichtungen ihre besten Mitarbeitenden einfach so gehen lassen wollen. Denn der Erfolg von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern färbt auch auf die Universitäten ab, an denen sie beschäftigt sind, und kann zu mehr Fördermitteln führen oder den internationalen Ruf stärken. Exzellente Forschende verlassen die Wissenschaft in der Regel aus einem anderen Grund: Ihre Universitäten können ihnen keine Perspektive bieten, selbst wenn sie es wollten.
Wie also kann das Dilemma um das WissZeitVG gelöst werden? Unumgänglich ist, dass die Höchstbefristungsdauer aus dem WissZeitVG gestrichen wird. Das würde das Ablaufdatum von wissenschaftlichen Karrieren eliminieren und damit verhindern, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach sechs Jahren gewissermaßen »zwangsexmatrikuliert« werden.
Kettenbefristungen wird auch das allerdings nicht verhindern. Und da Kettenbefristungen auch jetzt schon nicht erlaubt sind, braucht eine Reform des WissZeitVG ein zweites Standbein, nämlich Geld.
»Von der aktuellen Ausgestaltung des WissZeitVG profitiert vor allem die Wirtschaft.«
Zum einen gibt es viele Aufgaben an Universitäten und Hochschulen, die dauerhaft erfüllt werden müssen, aber derzeit nicht ohne Drittmittel finanziert werden können, wie zum Beispiel die Lehre. Für solche Aufgaben muss die Grundausstattung der Hochschulen erhöht werden, damit Universitäten mehr Lehrenden unbefristete Verträge anbieten können: »Dauerstellen für Daueraufgaben«, wie die Kritiker des WissZeitVG es treffend nennen.
Zum anderen gibt es nach wie vor zu wenige Tenure-Track-Stellen. Als Tenure-Track wird im akademischen Betrieb eine spezielle Qualifikationszeit für promovierte Wissenschaftlerinnen bezeichnet, an deren Ende in der Regel eine Anstellung als Professor folgt, die nicht mehr unter das WissZeitVG fällt. Der Mangel an diesen Stellen wird schon seit Jahren beanstandet, da er dazu führt, dass viele Postdocs aus dem wissenschaftlichen Betrieb entfernt werden, während sie auf eine solche Stelle warten.
Und zuletzt könnten sogar Verträge von Drittmittelprojekten entkoppelt werden, um Befristungen zu vermeiden. Universitäten sollten in der Lage sein, langfristig laufende Projektmittel zu garantieren, um auch längere Vertragslaufzeiten anbieten zu können.
Nach wie vor stehen alle Zeichen auf »Weiter so«. Von der aktuellen Ausgestaltung des WissZeitVG profitiert vor allem die Wirtschaft, die damit billige und gut ausgebildete Arbeitskräfte bekommt. Mit Christian Lindner im Finanzministerium und klammen Länderkassen bleibt jede Hoffnung auf bessere Ausstattung der Hochschulen außer Reichweite. Ohne einen fundamentalen Wandel der Finanzierungsstruktur von Hochschulen wird das Problem der Kettenbefristungen bestehen bleiben.
Die Veröffentlichung der Reformvorschläge traf erwartungsgemäß auf heftige Kritik vonseiten des akademischen Mittelbaus. Diesmal hat das BMBF sofort reagiert: Man wolle die Reformvorschläge nochmals überdenken. Außerdem haben sich unerwarteterweise Professorinnen und Professoren auf die Seite des Mittelbaus geschlagen. Mit der FDP am Steuer von BMBF und Finanzministerium ist allerdings nicht davon auszugehen, dass in der derzeitigen Legislaturperiode irgendeine Besserung der Verhältnisse zu erwarten ist. Im Gegenteil: Jeder Gesetzesvorschlag aus dem BMBF hat das Potenzial, die Beschäftigungsverhältnisse noch weiter zu prekarisieren, wie an den aktuellen Reformvorschlägen deutlich wird.
Um den Druck auf die Verantwortlichen aufrechtzuerhalten, muss jedoch betont werden, dass für eine echte Reform nicht nur das BMBF in der Verantwortung steht. Auch SPD und Grüne täten gut daran, sich und ihren Koalitionspartner daran zu erinnern, was sie vor gerade einmal anderthalb Jahren gemeinschaftlich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben haben: »Gute Wissenschaft braucht verlässliche Arbeitsbedingungen.«