22. März 2024
Vor zehn Jahren stemmte sich die EU mit aller Kraft gegen einen linken Aufbruch. Heute schaut sie einem rechten Aufbruch zu.
»Außerhalb von gehobeneren Kreisen und den etablierten Medien hat sich kaum eine europäische Öffentlichkeit herausgebildet.«
Spätestens seit der Invasion der Ukraine weht in der EU ein neuer Wind des Europapatriotismus. Zusammengeschweißt durch eine unmittelbare militärische Bedrohung gehen die politischen Klassen Europas wieder mit geradem Rücken durch die Welt – nach Jahren, die von ökonomischen Krisen, politischen Umbrüchen und dem Austritt Großbritanniens aus der Union gekennzeichnet waren.
Gerade der russische Angriff und der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien samt Fake News machen deutlich, dass es, wie Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen sagt, eine »mutigere Union« braucht, die »entschlossen und solidarisch« für die Demokratie kämpft, und zwar »Tag für Tag«.
Doch hinter den starken Worten steht die europäische Demokratie ziemlich schwach da. Bei den letzten EU-Wahlen im Jahr 2019 lag die Wahlbeteiligung zum ersten Mal seit zwanzig Jahren über 50 Prozent. In vielen Mitgliedstaaten außerhalb der Kernländer erreichte sie bestenfalls 30 Prozent.
»Die EU ist zwar nicht antidemokratisch, aber eindeutig nichtdemokratisch.«
Obwohl europäische Dachverbände von politischen Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen längst zur Norm geworden sind, bleibt »Europa« ein äußerst kopflastiges Unternehmen. Die Freizügigkeit innerhalb Europas hat zwar die Mobilität der Menschen, insbesondere der Beschäftigten, erhöht, aber außerhalb von gehobeneren Kreisen und den etablierten Medien hat sich kaum eine europäische Öffentlichkeit, geschweige denn ein europäischer Demos herausgebildet.
Der einzige Bereich der Union, in dem die Vereinigung wirklich zu funktionieren scheint, sind die Märkte. Seitdem die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl vor fast 75 Jahren gegründet wurde, beruht die europäische Einigung auf der vorgeblichen Harmonisierung wirtschaftlicher Interessen in Form gemeinsamer Märkte. Und zumindest aus Sicht der Arbeitgeber war dies ein gutes Geschäft, wie das stetige Wachstum des BIP auf dem Kontinent und die sprunghaft ansteigende Zahl der Millionärinnen und Milliardäre belegen. Aber kann ein gemeinsamer Markt allein – sei er auch mit von der Leyens »Waffensystemen Made in EU« ausgerüstet – einen Kontinent zusammenhalten?
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Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.