29. April 2021
Real Madrids Vorsitzender Florentino Pérez ist Bauunternehmer und Multimilliardär. Er war nicht nur ein zentraler Akteur der gescheiterten European Super League. Er verscherbelt auch ganze Stadtviertel, um sich zu bereichern.
Fußball und Immobiliengewerbe: In der Figur von Florentino Pérez konzentriert sich die wirtschaftliche Macht Spaniens.
Florentino Pérez ist es nicht gewohnt zu verlieren – zumindest nicht ohne eine staatliche Rettungsaktion, die seinen Verlust ausgleicht. In dieser Hinsicht war das Scheitern seiner European Super League für den milliardenschweren Vorsitzenden von Real Madrid eine neue Erfahrung. Mit dem spanischen Wirtschaftsfond »Key Capital Partners« erhielt er bei der US-Bank JP Morgen Chase eine Finanzierung in Höhe von fast 5 Milliarden Euro. Die Teilnahme von vierzehn anderen Top-Clubs aus Spanien, England und Italien schien gesichert. »Der Fußball muss sich entwickeln, wie alles im Leben«, behauptete Pérez in einem seiner seltenen Interviews – und erklärte die Notwendigkeit der Super League mit dem schwindenden Fernsehpublikum und den steigenden Vereinsschulden, die im Falle der spanischen Top-Clubs Real Madrid und FC Barcelona jeweils bei über 900 Millionen Euro liegen.
»Es funktioniert wie eine Pyramide: Wenn die großen Clubs mehr Geld haben, profitieren alle davon«, fuhr Pérez fort und bemühte dabei den typisch neoliberalen Talking Point des Trickle-Down-Effekts. Doch er hatte nicht damit gerechnet, wie stark sich Fans in ganz Europa gegen das Vorhaben wehren würden. Schon zwei Tage nach der Ankündigung zogen sich daraufhin sechs große Premier-League-Clubs aus der geplanten Super League zurück. Einen Tag später zogen weitere Vereine nach, sodass Real Madrid und der FC Barcelona als einzige Teams in der zukünftigen Super League verblieben. Pérez lang gehegter Traum war geplatzt.
In Spanien fielen die Reaktionen auf das zynische Unterfangen, das einzig und allein darauf abzielt, die TV- und Werbeeinnahmen des Fußballs einigen wenigen Eliteklubs zufließen zu lassen, eher verhalten aus – auch ein Anzeichen dafür, wie groß Pérez’ Einfluss auf die politischen und medialen Eliten des Landes ist. Die El País war die einzige überregionale Tageszeitungen die – wenn auch nur vorsichtige – Kritik an dem Schritt äußerte. Premierminister Pedro Sánchez von der Sozialistischen Partei äußerte sich öffentlich überhaupt nicht, obwohl seine Regierung Pérez’ Vorschlag in einer Erklärung ablehnte. An den Sozialen Medien in Spanien ging das Thema jedoch nicht vorbei, dort trendete der Hashtag #FlorentinoDimision (#FlorentinoRücktritt). Umfragen zeigten außerdem, dass auch eine beträchtliche Mehrheit der Real-Fans die Pläne ihres Vorsitzenden ablehnt.
Seit der Kontroverse um die Super League steht Pérez im Rampenlicht. In Spanien ist sein Name aber schon lange ein Synonym für zügellose wirtschaftliche Macht. Kaum ein anderer verkörpert Spaniens klientelkapitalistisches Regime besser: Pérez ist ein staatlich geförderter Oligarch, dessen Bauimperium auf dem Zugang zu öffentlichen Großaufträgen und privatisierten sozialen Dienstleistungen basiert. Gleichzeitig macht er sich für eine Politik stark von der in erster Linie die Superreichen profitieren. Im Zuge der brutalen Neoliberalisierung der vergangenen drei Jahrzehnte war Pérez bereits abseits des Fußballgeschäftes ein Vorreiter bei der Umgestaltung des spanischen Staates und der Wirtschaft.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1997 leitet Pérez die Baufirma ACS – mit anfänglicher finanzieller Unterstützung der als »los Albertos« bekannten Bankiers Alberto Cortina und Alberto Alcocer sowie der Familie March. Sie alle hatten enge Verbindungen zur Franco-Diktatur, insbesondere letztere gehörten zu den Hauptfinanziers von Francos Putsch im Jahr 1936. In den folgenden Jahrzehnten wurde ACS zu einem der größten Bauunternehmen der Welt. Bezogen auf den Umsatz, der außerhalb des Heimatlandes eines Unternehmens erwirtschaftet wird, ist ACS sogar Weltmarktführer.
Wie einige andere spanische Bau- und Infrastrukturunternehmen ist ACS dank staatlicher Großzügigkeit zu einem Global Player aufgestiegen. Spanien erlebte vor 2008 einen Wirtschaftsboom, der solche Eingriffe möglich machte. 1996 war der liberal-konservative José María Aznar zum Premierminister gewählt worden, der eine Neuausrichtung des spanischen Kapitalismus einleitete. Es folgte eine Welle von Privatisierungen, die Ausweitung der inländischen Kapitalmärkte und ein neuer wirtschaftlicher Wachstumsmotor: Finanzen und Bauwesen. Wie der Soziologe Ruben Juste in seinem Buch IBEX 35 darlegt, verfolgte Aznar nicht einfach nur eine möglichst marktfreundliche Reformagenda. Vielmehr ging es ihm darum, den spanischen Staat »langfristig, über seine physische Anwesenheit in der Regierung hinaus« zu prägen.
Um das zu erreichen, versuchte Aznar einen neuen gesellschaftlichen Konsens zu etablieren, indem er individuellen Wohlstand und Wohneigentum versprach. Außerdem schuf er durch seine Volkspartei, die Partido Popular, ein enges Geflecht aus finanziellen Anreizen und Förderungen bestimmter Unternehmen. Vor allem für die Baukonglomerate eröffnete dieses Netzwerk der Patronage den Zugang zu zwei wesentlichen Ressourcen: öffentliche Aufträge und Kredite auf Pump (durch Spaniens politisch kontrollierte regionale Sparkassen, bekannt als »cajas«).
Die großen öffentlichen Bauprojekte (Autobahnen, Flughäfen, Hochgeschwindigkeitszüge), die von der Partido Popular durchgeführt wurden, waren für Florentino Pérez und seine Firma ACS eine wichtige Einnahmequelle. Währenddessen finanzierte die Caja Madrid – geleitet von Pérez persönlichem Vertrauten Miguel Blesa – den Kauf von Millionen von ACS-Aktien (wodurch Pérez der größte Shareholder des Unternehmens wurde). Sie stellte außerdem die Geldmittel für zentrale Verpflichtungen von Real Madrid, darunter auch ein 76-Millionen-Euro-Darlehen für den Kauf von Cristiano Ronaldo. Und das auf dem Höhepunkt der Finanzkrise als Kredite für kleine und mittlere Unternehmen eingefroren waren.
Von Spaniens Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen hat Clece, das Dienstleistungsunternehmen von ACS, am meisten profitiert. Dieses betreibt inzwischen öffentliche Kindergärten, Krankenhausreinigungs- und Verpflegungsdienste, Obdachlosen- und Frauenhäuser, Straßenreinigungs- und Müllabfuhrdienste, Tageszentren für behinderte Menschen und Pflegeheime. Darüber hinaus beschäftigt Clece Tausende von Pflegekräften in der Verwaltung der kommunalen Haushaltshilfe in Städten wie Madrid und Barcelona. Das Geschäftsmodell ist klar: Die Arbeitsbedingungen der überwiegend weiblichen Angestellten und die Qualität grundlegender öffentlicher Dienstleistungen werden geopfert, um massive Gewinne zu erzielen.
Im Jahr 2003, im letzten Jahr von Aznars Amtszeit, waren fünf der zehn höchstdotierten Bauunternehmen in Europa spanisch – mit ACS an der Spitze. Im Baugewerbe und im Fußball konnte Spanien seine wirtschaftliche Machtposition behaupten. Und in der Person von Florentino Pérez vereint sich beides zu einer unaufhaltsamen Kraft. Die Präsidentenloge im Stadion von Real Madrid, dem Santiago Bernabéu, wurde so zum spanischen Zentrum der Macht.
»Real Madrid steht über der Regierung«, soll Pérez gegenüber der sozialistischen Parteipolitikerin Matilde Fernández gesagt haben – und genau so scheint er seine eigene Position wahrzunehmen. Theoretisch ist Real ein von den Fans kontrollierter Club, im Besitz von mehr als 80.000 »socios« (Gesellschaftern). Eine Klausel des Vereinsstatuts besagt jedoch, dass jeder Kandidat für den Vorsitz eine Garantie in Höhe von 15 Prozent des Club-Budgets hinterlegen muss. Durch diese finanzielle Hürde konnte Pérez den Verein in den vergangenen zwei Jahrzehnten dominieren.
Dabei ist es mitunter unmöglich, seine persönlichen Geschäftsinteressen von denen des Vereins zu unterscheiden. Laut Recherchen einiger Journalistinnen und Wirtschaftswissenschaftler, scheint die Marke Real Madrid bei Vertragsschließungen zwischen ACS und ausländischen Regierungen eine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Mit wichtigen internationalen Spielerverpflichtungen für den Club, wie dem Kolumbianer James Rodríguez, dem mexikanischen Stürmer Javier Hernández und dem costaricanischen Torhüter Keylor Navas, fielen Pérez’ Firma Bauverträge im Wert von Hunderten von Millionen Dollar von den jeweiligen Regierungen zu.
Doch der umstrittenste Deal, an dem Pérez als Vereinsvorsitzender beteiligt war, war der Verkauf des Trainingsgeländes von Real Madrid im Jahr 2001, um an diesem Standort das neue Finanzviertel der Stadt entstehen zu lassen. Für Pérez selbst war es ein Win-Win-Szenario: Er konnte mit seinem 500-Millionen-Euro-Deal die aufkeimenden Schulden des Clubs tilgen, während ACS im Gegenzug einen Großteil der Aufträge des riesigen Bauprojektes erhielt.
Das Projekt veränderte die Hauptstadt radikal und vertiefte die Kluft zwischen dem wohlhabenden Norden und der Arbeiterklasse im Süden. Ein riesiges Erholungsgebiet in der Nähe des Stadtzentrums (das dem Club in den 1950er Jahren von der franquistischen Diktatur abgetreten worden war) wurde in ein Geschäftsviertel umgewandelt. Pérez’ enge Beziehungen zur PP-geführten Regierung der Stadt beschleunigten den Prozess enorm und sicherten Real Madrid einen Geldsegen, welcher die »galácticos« – die Starfußballer des Vereins – finanzierte.
»Die Stadt kann nicht umgestaltet werden, nur um die Schulden [eines Fußballclubs] zu bezahlen«, beharrte Matilde Fernández, die damals Sprecherin der Sozialistischen Partei in der Region Madrid war. Fernández betonte, dass hier eine mächtige Person die demokratisch ausgehandelten städtebaulichen Regeln umgehe, nur um die eigenen Interessen durchzusetzen. Der Sportjournalist José María García ging noch weiter und beschrieb das Ganze als »den größten Sportskandal seit der Rückkehr zur Demokratie«.
Schon bevor die Immobilienblase im Jahr 2008 platzte, prägten Korruption und Vetternwirtschaft die öffentlichen Institutionen des Staates. Der Ex-Podemos-Abgeordnete und Schriftsteller Manolo Monereo beschrieb Spaniens Cliquenwirtschaft einmal einprägsam als »la trama« (das Komplott). Seiner Analyse nach waren die Regierungsparteien und Baumagnaten nicht nur offen durch Korruption miteinander verbandelt, sondern tauschten auch Personal untereinander und boten sich gegenseitig politischer Gefälligkeiten.
Oligarchen wie Pérez verschaffte dieses System eine beinahe unantastbaren Position. »Florentino verliert nie«, lautete kürzlich eine Schlagzeile nachdem der Oberste Gerichtshof im vergangenen November entschieden hatte, dass der Staat für die 1,35 Milliarden Euro Schulden aufkommen muss, die Pérez den spanischen Banken für ein gescheitertes Castor-Gasprojekt schuldet, eine gewaltige öffentlich-private Partnerschaft mit ACS.
Während der Amtszeit der linken Bürgermeisterin Manuela Carmena veröffentlichte das Madrider Rathaus einen Bericht, demzufolge die großen Baufirmen den öffentlichen Auftraggebern überhöhte Kosten berechnet hatten. In Bezug auf die Umgestaltung der Autobahn M30 in Madrid, bei der ACS einer der drei Hauptauftragnehmer war, stellte der Bericht fest, dass »Kosten weit überschritten wurden ohne jegliche Bescheinigungen oder Dokumente, die diese rechtfertigen, und Millionen von Euro für Infrastruktur und (Wartungs-)Dienstleistungen gezahlt wurden, die nicht existierten oder nie fertiggestellt wurden. Ursprünglich waren 2,5 Milliarden Euro veranschlagt, die endgültigen Kosten waren mit 6,5 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch.«
Das Scheitern der European Super League hat international eine interessante Debatte über die Machtkonzentration in der Sportbranche angestoßen. Der Zusammenbruch der ESL war ein wichtiger Schlag gegen das hyperkommerzialisierte Modell des Clubfußballs. In Spanien jedoch bleiben Pérez und die wirtschaftliche Macht, die er repräsentiert, auch weiterhin außerhalb der demokratischen Reichweite.
Eoghan Gilmartin ist Journalist und Übersetzer, der für »Jacobin« und »Tribune« über spanische Politik berichtet.
Eoghan Gilmartin ist Journalist und Übersetzer, der für »Jacobin« und »Tribune« über spanische Politik berichtet.