06. Dezember 2024
Seitdem Hannovers SPD die rot-grüne Koalition platzen ließ, regiert dort eine inoffizielle Deutschlandkoalition. Diese hat mit ihren Kürzungsplänen linke Kulturvereine ins Visier genommen: Um Gelder zu entziehen, sollte die umstrittene Extremismusklausel rehabilitiert werden.
Oberbürgermeister Belit Onay von den Grünen hat keine Mehrheit mehr, nachdem die SPD die rot-grüne Koalition wegen Streitereien um eine autofreie Innenstadt platzen ließ.
Leiser Bass klingt aus der oberen Etage, im Innenhof stehen viele Menschen und unterhalten sich angeregt, die Stimmung ist gut. An der Außenfassade prangt ein Graffiti, das sich mit den feministischen Protesten im Iran solidarisiert, nebenan befindet sich ein Infoladen und ein Büro. Das ist das UJZ Kornstraße, umgangssprachlich einfach nur »Korn« genannt, in der hannoverischen Nordstadt. Wer sich einmal in der links-autonomen Szene in Hannover bewegt hat, weiß um die Gewichtung dieses Orts. Hier finden alternative Veranstaltungen statt, politische Gruppen nutzen die Räume, jede Woche gibt es Mahlzeiten zum Selbstkostenpreis. Darüber hinaus steht die Korn auch jedem offen, der sich in der kalten Jahreszeit etwas aufwärmen oder einfach Zeit mit Freundinnen und Freunden verbringen möchte.
Ein solcher Ort ist nicht selbstverständlich und wurde in den 1970ern von der Hausbesetzerszene erkämpft. Doch eben dieser Ort findet sich neuerdings unter Beschuss durch eine, für hannoverische Verhältnisse, überraschende Konstellation im Rat der Stadt. Die Sozialdemokraten haben sich mit den Liberalen und Konservativen zusammengetan und wollen nicht nur der Korn, sondern auch anderen alternativen Vereinen die Leistungen kürzen oder gar entziehen. Das Instrumentarium dazu bietet ein altes CDU- Herzensprojekt.
Die politische Landschaft der niedersächsischen Landeshauptstadt mutet auf den ersten Blick progressiv an. Bei der Wahl zum Oberbürgermeister im Jahr 2019 wurde Belit Onay gewählt, der erste grüne OB einer Großstadt. Die SPD ist traditionell in Hannover sehr stark und stellte bis 2019 kontinuierlich den OB der Stadt. Nach einem schwerwiegenden Korruptionsskandal um den Ex-OB Schostok verloren sie jedoch den Posten des OB und nachfolgend die Stellung der stärksten Fraktion im Rat der Stadt an die Grünen. Trotzdem formierte sich ein grün- rotes Bündnis im Rat der Stadt, welches die Politik Onays trug.
Die CDU und die FDP spielten in der Kommunalpolitik eigentlich keine große Rolle. Dies änderte sich mit dem Bruch der Koalition im November 2023. An den Plänen des OB-Onay für eine autofreie Innenstadt entzündete sich ein Koalitionsstreit, in dem die SPD den Grünen »ideologische Starrheit« vorwarf und die Koalition aufkündigte. Des Weiteren wurde auch auf Misstrauen unter den Koalitionspartnern verwiesen. Die Grünen wiesen diese Gründe als »vorgeschoben« ab und forderten die SPD zur Rückkehr auf. Die ganze Situation wurde noch durch Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden Lars Kelich (SPD) angeheizt: »Autofahren ist so geil.« Die SPD wollte von nun an mit wechselnden Mehrheiten regieren, OB-Onay ist seitdem ohne Mehrheit im Rat und das Projekt der autofreien Innenstadt liegt auf Eis.
»Der Haushaltsentwurf sieht massive Kürzungen im Kulturbereich vor, die vorrangig Kulturinstitutionen treffen, die unter dem Verdacht stehen, links-grün-alternativ zu sein.«
Aus dem System der wechselnden Mehrheiten wurde allerdings nichts. Seit dem Bruch regiert in Hannover eine inoffizielle Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP gegen die Grünen und Onay. Und eben diese Deutschland-Koalition befindet sich aktuell in Beratungen für einen Haushalt, der es in sich hat. Dieser Haushaltsentwurf sieht nämlich massive Kürzungen im Kulturbereich vor, die vorrangig Kulturinstitutionen treffen, die unter dem Verdacht stehen, links-grün-alternativ zu sein. Eher bürgerliche Organisationen wie der Kunstverein, das Literaturbüro und das Wilhelm-Busch-Museum werden verstärkt unterstützt, während bei Orten wie der Korn massiv gekürzt wird. Gerade die Kürzungsvorschläge, die das Kargah betreffen – ein Kulturzentrum, das 1980 von Exil-Iranerinnen und -iranern gegründet wurde und Flüchtlingshilfe anbietet –, stießen auf breite Empörung.
Aus den Reihen der Deutschland-Koalition ließ man verlauten, einzelne Kürzungen könnten noch zurückgenommen werden, wenn sich die jeweiligen Vereinsvorstände der Finanzierungsempfänger mit politischen Äußerungen zurückhalten würden. Einige Kürzungsanträge wurden daraufhin zurückgenommen, nur eben nicht für die Faust oder auch Kargah.
Am 15. November demonstrierte vor dem Rathaus ein breites Bündnis, während in den zuständigen Fachausschüssen Bürgeranfragen von der Tagesordnung gestrichen wurden und Beifallsbekundungen der Gäste rüde unterbrochen wurden. Die Kürzungspläne sind vor diesem Hintergrund auch als politischer Schlag gegen Orte linker Gegenkultur zu verstehen. Nachdem einzelne Kürzungsanträge zurückgenommen wurden, sollte nun die Finanzierung des UJZ Kornstraße daran gekoppelt werden, dass es keinen Organisationen seine Räume zur Verfügung stellt, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Konsequenz daraus wäre, dass Organisationen wie die Rote Hilfe, die Rechtsberatungen für Betroffene von staatlicher Repression anbietet, aus der Korn vertrieben würden.
Bei dieser Methode handelt es sich rechtsdogmatisch um eine Extremismusklausel. Diese war ein Herzensprojekt der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Mit einer solchen Klausel sollte verhindert werden das »linksextreme« Organisationen vom Staat gefördert werden. Dies wurde zeitweise von der SPD selbst stark kritisiert, da die Extremismusklausel vor allem Initiativen gegen Rechtsextremismus blockierte. Dass die SPD nun selbst auf diese Methode zurückgreift, lässt tief blicken. Auch vor Verwaltungsgerichten hatte die Klausel damals wenig Bestand, so wurde vor allem der unklare Extremismusbegriff des Verfassungsschutzes kritisiert.
Einen faden Beigeschmack erhält der ganze Vorgang, wenn man sich vor Augen hält, dass eine solche Methode bei der politischen Rechten keine Anwendung findet. Regelmäßig stellt die Stadt der rechtsextremen AfD öffentliche Räume zur Verfügung und muss dies auch (rechtlich gesehen) weiterhin tun, solange die Partei nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Dass bei derartigen Veranstaltungen auch Rednerinnen und Redner auftreten könnten, die in anderen Ländern der Republik im Bericht des Verfassungsschutzes stehen, dafür hat die Deutschland-Koalition keine Lösungen.
»Auch wenn infolge des öffentlichen Drucks die inoffizielle Deutschlandkoalition von ihren Kürzungsplänen fürs Erste abgerückt ist, muss die politische Linke in Zukunft auf derartige Angriffe gewappnet sein.«
Als sich Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere auf ein Ende der Extremismusklausel im Jahr 2014 einigten, war das Konzept umfassend diskreditiert. Im Bundestag wurde die Klausel von den Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke umfassend abgelehnt und das Dresdener Verwaltungsgericht erklärte eine derartige Verwaltungsvorschrift für rechtswidrig. Im Vorfeld hatte ein Rechtsgutachten, welches Wolfgang Thierse (SPD) in Auftrag gegeben hatte, deren Rechtmäßigkeit in Frage gestellt und einen Verstoß gegen Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit) geltend gemacht. In mehreren Bundesländern startete die Jugendorganisation des DGB Kampagnen, mit denen sie als »Plattform Extrem Demokratisch« gegen die Klausel mobilisierte. Kurzum die Extremismusklausel wurde derartig kritisiert, das an ein Festhalten nicht zu denken war. Nach zehnjähriger Abwesenheit wird diese autoritäre Methode nun mit parteiübergreifendem Konsens wieder ins Feld geführt.
Auch wenn infolge des öffentlichen Drucks die inoffizielle Deutschlandkoalition von ihren Kürzungsplänen fürs Erste abgerückt ist (im Jugendhilfeausschuss wurde ein Änderungsantrag beschlossen, der ein Streichen der Extremismusklausel vorsieht und somit die Korn zu Teilen entlastet), muss die politische Linke in Zukunft auf derartige Angriffe gewappnet sein. Denn infolge von steigenden Kosten für die Aufrüstung Deutschlands und den sich verschärfenden sozialen Krisen bei gleichzeitigem Investitionsstau werden die öffentlichen Kassen weiter klamm bleiben, die wirtschaftliche Lage schlecht und Angriffe auf derartige Zentren weiter zunehmen.
Spyro Marasovic ist freier Autor und studiert Rechtswissenschaften in Hannover.