13. November 2020
Während viele in der Pandemie gerade über die Runden kommen, hat das oberste 1 Prozent satte Vermögenszuwächse verbucht. Fabio De Masi fordert daher, die Kosten der Corona-Krise durch eine Vermögensabgabe zu finanzieren. JACOBIN hat mit ihm über seinen Vorschlag gesprochen.
Ohne Vermögensabgabe könnten Sozialkürzungen drohen, betont Fabio De Masi.
Die Corona-Pandemie löste eine heftige Wirtschaftskrise aus. Beim Ausbruch der zweiten Infektionswelle beschloss die Bundesregierung ein weiteres Konjunkturpaket sowie Hilfsmaßnahmen für Unternehmen, um die Effekte des Teil-Lockdowns abzumildern. Gleichzeitig hält sie an einer Rückkehr zur Schuldenbremse fest. Und das bedeutet Austerität.
Die LINKE schlägt stattdessen vor, die Staatsausgaben zu erhöhen und die Auswirkungen der Corona-Krise durch eine Vermögensabgabe zu finanzieren. Diesen Vorschlag ließ die Linksfraktion durch das DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) prüfen, welches das Konzept am 4. November in einer Studie für angemessen befand.
JACOBIN hat mit dem LINKE-Politiker Fabio De Masi über seinen Vorschlag gesprochen. De Masi ist stellvertretender Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag.
Mitten in der Corona-Krise forderst Du eine Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre. Warum?
Wir wollen die Vermögensabgabe erst nach der Krise erheben. Wir müssen aber vor der Bundestagswahl Klarheit darüber haben, wer den Abwasch macht, wenn die Bundesregierung ab 2022 wieder die Schuldenbremse einhalten will. Und ich finde, das sollten das oberste 1 Prozent in diesem Land tun und nicht diejenigen, die wie die Pflegekräfte oder Kassiererinnen den Laden am Laufen gehalten haben. In der aktuellen Notsituation darf der Staat Kredite aufnehmen. Und das ist auch sinnvoll, um Unternehmen und Jobs nicht sterben und dann auch die Steuereinnahmen nicht wegbrechen zu lassen.
Welchen Effekt wird eine Rückkehr zur Schuldenbremse haben?
Wenn man nach der Corona-Krise wieder zur Schuldenbremse zurückkehrt und fast keine Kredite mehr aufnimmt, ist dies eine Bremsung von 100 auf null. Dann drohen Kürzungen bei Investitionen und Sozialstaat oder man muss die Steuern erhöhen. Und wenn man die Steuern erhöht, dann wenigstens bei denen, die in der Krise profitiert haben und denen es nicht weh tut.
Wie Du bereits erwähntest plant die Bundesregierung schon übernächstes Jahr zur Schuldenbremse zurückzukehren. Dass die Auswirkungen der Corona-Krise bis dahin abgeklungen sind, ist nicht sehr wahrscheinlich. Was kommt nach der Bundestagswahl auf uns zu?
Das wird ein Stück weit davon abhängen, wie sich die Wirtschaft entwickelt und erholt. Aber die Schuldenbremse würde so brutal reinhauen, dass die Bundesregierung sie mit Haushaltstricks umgehen muss. Egal was die erzählen. Alles andere wäre Selbstmord.
Nur wollen sie das nicht zu laut sagen. Und zwar nicht, weil die Schuldenbremse erfolgreich wäre und tatsächlich Schulden bremst – sie bremst vielmehr die Investitionen. Die Schuldenbremse ist einfach hervorragend, um Druck auf die Staatsausgaben zu machen und etwa Privatisierungen von Autobahnen zu fördern. Das ist viel teurer für die Steuerzahler, als wenn der Finanzminister einen Kredit aufnimmt. Weil dann müssen die Steuerzahler den Konzernen auch die Rendite finanzieren und der Staat kann sich billiger Geld leihen.
Jetzt forderst Du ja keine Vermögenssteuer, sondern eine Vermögensabgabe.
Ich fordere auch eine Vermögenssteuer. Aber die Vermögensabgabe ist für eine besondere Last gedacht. Es gab sie schon mal nach dem Zweiten Weltkrieg und theoretisch kann man mit dieser einmaligen Abgabe auch stärker die Substanz besteuern, als dies bei einer jährlichen Vermögenssteuer zulässig wäre. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mal Abgaben von 50 Prozent. Aber das wollen wir gar nicht. Wir wollen mit der Abgabe einen Einstieg in die Wiedererhebung der Vermögenssteuer.
Man muss zum aktuellen Vorschlag der Vermögensabgabe aber auch sagen, dass man diese über einen Zeitraum von 20 Jahren abbezahlen kann. Wir haben das analog zur Tilgung der Kredite der Schuldenbremse gemacht. Wenn man z.B. eine Abgabe von 10 Prozent hat, dann kommt man auf 0,5 Prozent pro Jahr. Und wenn man da dann noch die Freibeträge mitreinrechnet, sind das oft nur 0,1 Prozent des Nettovermögens. Selbst mit 30 Prozent über 20 Jahre ist man unter den Renditen des obersten 1 Prozents.
Das bedeutet, die Vermögenskonzentration wird gar nicht verringert, sondern nur gebremst. Allerdings haben wir ja auch Forderungen nach höherer Besteuerung von Spitzeneinkommen und wollen nicht den Weg zur Vermögenssteuer versperren, sondern dafür die Tür öffnen.
Du hast gerade schon die Freibeträge angesprochen, die mit zwei Millionen für Privatvermögen und fünf Millionen für Betriebsvermögen recht hoch angesetzt sind. Auf Kapitalseite stößt der Vorschlag trotzdem auf Entrüstung. Liberale Ökonomen wie etwa Clemens Fuest (ifo-Institut) haben den Vorschlag als völlig absurd verschrien. Wovon sieht man sich hier bedroht?
Ja, das wüsste ich auch gern. Es gibt ja etwa in den USA eine höhere Besteuerung von Vermögen als in Deutschland. Die wissen natürlich, dass viele Leute die Schnauze voll haben und unseren Vorschlag unterstützen. Deswegen müssen sie Märchen erzählen, dass dann der Untergang droht. Die sind sich einfach darüber im Klaren, wessen ökonomische Interessen sie vertreten, oft klarer als Linke. Unsere Abgabe trifft nur die oberen 0,7 Prozent der Erwachsenen.
Es gibt manchmal in Steuerdebatten so ein Stockholm-Syndrom. Immer wenn man Vermögensabgabe sagt und damit die Quandts und Klattens meint, reden einige über die Oma mit Häuschen, die man enteignen wolle. Divide et impera. Teile und herrsche. Deswegen müssen Linke cool bleiben. Maulheldentum nach dem Motto »Wir müssen viel heftiger zulangen« wäre tödlich.
Gerade erst zeigte der länderübergreifende Steuerbetrug durch Cum-Ex-Geschäfte wieder, dass Superreiche stets Wege finden, um Besteuerungen zu umgehen. Müssten wir bei einer Vermögensabgabe Ähnliches befürchten?
Nein, denn bei einer Vermögensabgabe kann man einen rückwirkenden Stichtag einführen, zu dem die Steuerschuld ermittelt wird. Wer danach seinen Privatjet in die Schweiz bringt, ist weiterhin darauf steuerpflichtig. Versuche, eine Besteuerung zu umgehen, wird es immer geben. Deswegen braucht man mehr Personal in der Steuerfahndung.
Viele stehen jetzt während der Corona-Krise aufgrund von Jobverlust, Betriebsschließungen und Umsatzrückgängen unmittelbar vor einer Existenzkrise. Würde eine Vermögensabgabe diese Menschen unterstützen?
Die Vermögensabgabe soll verhindern, dass bei öffentlichen Investitionen und sozialer Sicherheit die Axt kommt. Es gibt jetzt zwar Rettungspakete, etwa die kürzlich beschlossene Erstattung von 75 Prozent des Vorjahresumsatzes für vom Lockdown betroffene Betriebe. Das ist gut. Aber es gibt natürlich auch die indirekt betroffenen Betriebe, wie die Weinhändler, die Restaurants beliefern, oder Selbstständige, die nur Betriebskosten, aber keinen Lebensunterhalt erstattet bekommen. Und die Mehrwertsteuersenkung wurde, wie befürchtet, nur wenig an die Preise weitergegeben und hat vor allem Unternehmen geholfen, die hohe Umsätze erzielen.
Neben der Corona-Krise steht uns noch eine weitere Krise bevor, nämlich die ökologische. Dass die Umsetzung von Maßnahmen für den Klimaschutz nach sehr massiven Investitionen verlangen, ist auch klar. Heißt das, wir werden die ökologische Wende über Steuern finanzieren müssen?
Ich glaube nicht, dass wir das tun sollten und ich will erklären, warum. Ich würde eher sagen, man sollte Investitionen über Kredite finanzieren, genauso wie Unternehmen auch.
Wenn man jetzt Investitionen gegen den Klimawandel unterlässt, etwa wegen der Schuldenbremse oder weil sich alles aus den Steuereinnahmen finanzieren muss, dann steht man am Ende vor einem viel größeren ökonomischen – und auch ökologischen – Problem, weil der Klimawandel durch Anpassungskosten, durch Wetterextreme in 20 und 30 Jahren noch viel teurer sein wird.
Man kann über Kredite sehr viel mehr Investitionen vorfinanzieren, als man das nur über Steuern kann. Deswegen ist mein Credo: Laufende Ausgaben des Staates wie für den Sozialstaat über Steuern und Abgaben zu finanzieren, aber Investitionen möglichst über Kredite. Denn wenn wir eine Universität bauen, die noch unsere Enkelkinder nutzen, ist es doch normal, dass die nicht nur die heutigen Steuerzahler finanzieren sollen – oder wir nur den Hörsaal bauen, aber das Dach erst später. Zumal die Zinsen zurzeit im Keller sind.
Befürworter der Modern Monetary Theory (MMT), die gerade einen ziemlichen Aufwind erfährt, schlagen auch vor, Investitionen des Staates über Zentralbanken anstatt über Steuern zu finanzieren. Wie schätzt Du die Chancen für diesen Ansatz innerhalb der aktuellen politischen Kräfteverhältnisse ein?
Die MMT ist eine Analyse und kein politisches Programm. Da die Zentralbank Geld in Umlauf bringt bzw. den Banken Guthaben auf ihren Konten schafft, finanzieren Zentralbanken ohnehin auch Staatsausgaben. Derzeit kauft die EZB 80 Prozent aller Staatsanleihen in der Pandemie. Steuern werden erst erhoben, wenn das Geld bereits im System ist. Deswegen finanzieren Steuern Ausgaben streng genommen nicht.
Die MMT sagt verkürzt, wir haben nicht einen Mangel an Geld, sondern die Ressourcen – also die Arbeitskräfte, Maschinen, Rohstoffe – entscheiden darüber, wie viel oder was wir produzieren können. Erst wenn Vollbeschäftigung existiert, würde zu viel Geld die Preise bzw. die Inflation treiben. Da eine Zentralbank in eigener Währung nie Pleite gehen kann, sei auch nicht Staatsverschuldung das Problem. Diese sei eher ein Instrument, die Inflation zu steuern. Wenn die Wirtschaft heiß läuft, solle der Staat weniger ausgeben und umgekehrt.
Die Analyse teile ich. Es macht aber einen Unterschied, ob man zum Beispiel ein großes Land wie die USA oder ein kleines Land wie Malawi ist. Wenn ein Land wie Malawi anfängt, mit viel frischem Geld der Zentralbank seine Ausgaben zu stemmen, würde das die Währung abwerten. Wenn Malawi aber viel aus Europa und den USA importiert, würde dies die Inflation treiben.
Daher spielen auch die Industriepolitik und die Wirtschaftsstruktur eine wichtige Rolle. Burkina Faso unter Thomas Sankara ist da ein gutes Beispiel. Dort wollte man sich nicht von Entwicklungshilfe und den damit verbundenen Auflagen abhängig machen. Es fehlte zwar an Geld, aber es gab gleichzeitig sehr viele Menschen, die arbeitslos waren. Sankara ließ einfach Gleise verlegen und die Leute bekamen etwas zu essen. Und das hat am Anfang sehr gut funktioniert. Man hat das einfach gemacht und es in der eigenen Währung bezahlt. Aber irgendwann stößt man an Grenzen. Deswegen ist der Ansatz der MMT vor allem für große geschlossene Währungsräume interessant, für den US-Dollar oder die Eurozone.
Wenn einige MMT-Hooligans – meistens jüngere Studenten – dann jedoch behaupten, man bräuchte gar keine Steuern mehr, weil das Geld ja von der Zentralbank komme, ignorieren sie diese Einschränkungen. Und sie tun so, als sei Wirtschaft eine Maschine von Professoren ohne Klassen, ohne Interessen, oder als sei es unerheblich, ob der Milliardär oder die Putzfrau mehr Steuern zahlt.
Die linken MMTler fordern ja auch eine Jobgarantie.
Ja, und deswegen sind Kapitalisten auch nicht besonders begeistert von der MMT, selbst wenn das bedeutet, dass sie dadurch geringer besteuert würden. Die wissen ganz genau, dass ihnen eine Politik der Vollbeschäftigung schadet. Wenn Vollbeschäftigung herrscht, werden die Gewerkschaften wieder mächtiger und dann werden die Löhne wieder höher. Und deswegen haben Kapitalisten ein Interesse an einem bestimmten Grad der Unterbeschäftigung.
Auch wenn man wie Deutschland eine relativ hohe Beschäftigung hat, dann wurde über Arbeitsmarktreformen dafür gesorgt, dass die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt wurde, das ist vor allem im Niedriglohnsektor so.
Ich halte die Jobgarantie für eine sehr sinnvolle Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Es geht ja nicht nur darum, dass die Leute Geld haben, sondern dass die Leute soziale Beziehungen haben. Das Ziel der Arbeiterbewegung war ja nicht die Produktion abzuschaffen, indem sich möglichst viele durch Geld, das andere erarbeiten, der Produktion entziehen und Depressionen bekommen, sondern dass wir darum kämpfen, was und wie produziert wird. Das Grundeinkommen würde die soziale Gerechtigkeit privatisieren. Jeder kriegt einen Scheck und verwirklicht sich danach selbst. Neben den vielen Problemen wie der Subvention von Niedriglöhnen und der Spaltung der arbeitenden Bevölkerung ist dies auch weltfremd – wie im Kolonialmärchen von Robinson Crusoe, der angeblich alleine auf der Insel klarkam. Aber dann war da noch ein fröhlicher Sklave, der Freitag hieß und Bock hatte für Robinson zu schuften, und das Baumaterial gab es umsonst.
Die Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Dafür gibt es keine Abkürzung. Weder durch MMT noch BGE.
Die politische Resonanz auf die Vermögensabgabe war einigermaßen erwartbar: Die Union ist strikt dagegen, die Grünen haben sich nicht klar positioniert, bei der SPD gibt man sich erst einmal offen für den Vorschlag. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine SPD unter Scholz solch ein Konzept mitträgt?
Die Reaktionen waren doch super. Alle reden darüber. Genau das wollte ich! Ich hatte die Vermögensabgabe kaum vorgestellt, da waren die Kolumnen in den Zeitungen schon geschrieben. Die sind sofort vorgeprescht, weil sie wissen, dass das eine populäre Forderung ist.
Ich glaube, diesen Konflikt scheut Olaf Scholz. Er spricht lieber über Erhöhungen der Einkommenssteuern. SPD und Grüne setzt das unter Druck, ohne dass die Tür zugeht. Das nützt uns. Ob Scholz das machen würde, ist uninteressant. Er wird sowieso nicht Kanzler.
Ist der Vorschlag in der breiten Bevölkerung mehrheitsfähig?
Ja, das zeigen Umfragen sehr deutlich. Unser Problem als LINKE ist aus meiner Sicht, dass die Leute solche Vorschläge sehr sinnvoll finden, aber uns nicht mehr zuhören, weil sie andere Sachen bei uns schräg finden.
Der französische Ökonom Piketty sagt, es gäbe eine Business-Rechte und eine Kultur-Linke. Weil Linke immer stärker über Identität, korrektes Sprechen und andere Symbole sprechen, die vielen Menschen fremd sind, erlauben wir der Rechten, uns auf diesem Spielfeld als elitär vorzuführen. Trump konnte so in den USA auf Clinton als Wall-Street-Tante zeigen, die Arbeiter im Rust Belt verachtet, aber weiter Politik für Reiche machen, ohne dass die das merken. Natürlich müssen wir gegen Rassismus oder für die Stärkung der Frauen kämpfen. Aber schwarze Mädchen in den USA haben nicht bessere Chancen im Leben, weil Kamala Harris gut tanzt, sondern wenn ihre Mütter und Väter einen höheren Mindestlohn oder eine Krankenversicherung haben. Und ein alter weißer Wurstverkäufer bei Rewe hat oft mehr mit einer afrikanischen Reinigungskraft in Manhattan zu tun, als diese mit der Aufsichtsrätin in Nigeria. Die Aufsichtsrätin kennt dennoch Rassismus, aber sie hat andere Möglichkeiten sich zu wehren, als die Reinigungskraft.
Fabio De Masi ist Ökonom, ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments für die Linkspartei und zählt zu den einflussreichsten progressiven Wirtschaftspolitikern in Deutschland. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Finanzmacht und Finanzkriminalität.