02. Mai 2024
In Deutschland leben 800.000 Menschen allein von passivem Einkommen aus ihren Großvermögen. Die sind aber niemals mitgemeint, wenn es heißt, die Bevölkerung sei faul geworden. Nur wer zum Leben arbeiten muss, wird angehalten, noch mehr zu arbeiten.
Wer zu reich ist, um zu arbeiten, ist per Definition nicht »faul«, sondern »genießt das Leben«.
Dass die Generation Z ausnahmslos aus faulen Hunden besteht und nichts im Kopf hat als das arbeitsfreie Schlaraffenland, können wir uns seit einem Jahr tagtäglich in Talkshows anhören und in Leitartikeln lesen. Die jungen Leute wagen es glatt, an Work-Life-Balance zu denken und sorgen sich nicht zuerst um ihren Arbeitgeber oder ihr Land, sondern um sich. Pfui, wie egoistisch! Wir alle kennen diese Predigten mittlerweile auswendig.
Da braucht es so langsam eine neue Erzählung, um die protestantische Arbeitsmoral im Lande zu schüren – und die dürfte den deutschen Boomern gar nicht gefallen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte nämlich vor wenigen Tagen: Ganz Deutschland droht, seine Arbeitsmoral zu verlieren.
Diese These stellte der Bloomberg-Kolumnist Chris Bryant auf, und natürlich stürzten sich deutsche Medien sofort darauf, etwa der Spiegel, der alarmiert fragte: »Sind wir Deutschen einfach zu faul?«
Gern wüsste ich, wer mit diesem »Wir« gemeint ist. Es gibt immerhin viele Menschen, die hierzulande ganz ohne Arbeit leben wie Gott in Frankreich. In Deutschland gibt es über 800.000 Privatiers. Das heißt: 800.000 Menschen, die nur davon leben, was ihr riesiges Vermögen abwirft, wenn wir dem Statistischen Bundesamt Glauben schenken dürfen. Dieses schrieb nämlich vor ein paar Jahren: »1 Prozent der Bevölkerung finanzierte seinen Lebensunterhalt überwiegend durch das eigene Vermögen (einschließlich Ersparnisse, Zinsen sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung). Das waren rund 0,8 Millionen Personen.«
»Welche Faulpelze könnte man denn noch produktiv einspannen, damit die Wirtschaft ins Laufen kommt? Etwa Journalisten, die so schreibfaul sind, dass sie einfach nur Bloomberg-Texte umformulieren, um Klicks zu generieren?«
Würde der Spiegel-Autor diese Menschen als faul bezeichnen? Unrecht hätte er nicht, immerhin leben sie nur davon, Erwerbstätige für sich arbeiten zu lassen, und knöpfen ihnen dann auch noch horrende Mieten ab. Ich fürchte aber, diese Rentiers sind nicht gemeint. Nun, welche Faulpelze könnte man denn noch produktiv einspannen, damit die Wirtschaft ins Laufen kommt? Etwa Journalisten, die so schreibfaul sind, dass sie einfach nur Bloomberg-Texte umformulieren, um Klicks zu generieren? Sollte man diese Leute mit einem Blaumann ausstatten und ans Fließband stellen oder in die Kliniken karren, damit sie dem Pflegemangel Abhilfe schaffen? Wahrscheinlich sind auch diese Schreiberlinge nicht in dem angeblich faulen »Wir« mitgemeint.
In Wahrheit handelt es sich natürlich um eine Ansage an die arbeitende Bevölkerung, die seit über fünfzig Jahren keine nennenswerte Senkung der Wochenarbeitszeit erleben durfte, die derzeit mit Reallohnverlusten zu hadern hat und im vergangenen Jahr über 700 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet hat. Um das noch einmal zu wiederholen: In diesem Land werden 700 Millionen unbezahlte Überstunden in einem Jahr geleistet, und dennoch sind sich Kolumnisten nicht zu blöde, den Mangel an Arbeitsmoral zu beweinen.
Besonders schön wird diese Predigt da, wo sie sich selbst widerspricht: Der Bloomberg-Kolumnist beklagt die geringe Arbeitslust der Deutschen und erkennt selbst die »hohen Fehl- und Krankenzeiten, die sich auch auf hohe Arbeitsbelastung zurückführen ließen«. Und was hilft bei zu hoher Arbeitsbelastung? Natürlich noch mehr Arbeit! Keine weiteren Fragen, euer Ehren.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.