05. Dezember 2024
Immer wieder wird Christian Lindner beim Lügen ertappt. Weil ihm ausnahmsweise kritische Fragen gestellt werden, glaubt er, die Medien hätten sich gegen ihn verschworen. Vielleicht erlebt die FDP tatsächlich bald ihren D-Day - und zwar dann, wenn sie aus dem Parlament fliegt, meint Ole Nymoen.
Will mehr Musk und Milei wagen: Christian Lindner in der Talkshow Caren Miosga, Berlin, 1. Dezember
Jahrelang war Christian Lindner für seine Souveränität sowie brillante Rhetorik bei öffentlichen Auftritten bekannt. Als die 2013 tot geglaubten Liberalen vier Jahre später ihr Comeback schafften und wieder in den Bundestag einzogen, wurde sein Charisma zur Lebensversicherung der Partei. Von dieser Aura ist heute, nach drei Jahren Ampel und einem Monat Entlassungs-Skandal, wenig übrig geblieben. Der FDP-Chef sieht seine Felle davonschwimmen, weil die Unwahrheiten der Partei-Spitze immer offenkundiger werden – und wähnt sich nun in einem journalistischen Schauprozess, weil ihm ausnahmsweise einmal kritische Fragen gestellt werden.
Das ist der arme Mann als deutscher Bundespolitiker nicht gewohnt. Normalerweise sind Berichterstatter hierzulande so handzahm, dass man sich fragt, wozu sie überhaupt eine Pressefreiheit brauchen, kritische Nachfragen verbieten sich für beinahe alle Fragesteller der Nation, die nicht gerade Tilo Jung heißen. Nun aber hat die FDP es mit ihren notorischen Lügengeschichten rund ums D-Day-Papier tatsächlich einmal geschafft, Zeitungsherausgeber und Talkshow-Master gleichermaßen gegen sich aufzubringen.
»Es ist schlicht keine kluge Idee, die eigene Regierung absichtlich zu sabotieren und diesen Plan dann in einem Papier festzuhalten, das sich so liest, als hätten ein paar angehende Unternehmensberater Game of Thrones nachspielen wollen.«
Mit einer Verschwörung hat das gleichwohl nichts zu tun. In Wahrheit ist es schlicht keine kluge Idee, die eigene Regierung absichtlich zu sabotieren und diesen Plan dann in einem Papier festzuhalten, das sich so liest, als hätten ein paar angehende Unternehmensberater Game of Thrones nachspielen wollen: »Beginn der offenen Feldschlacht« – dass man mit solchen Losungen bei Hauptstadtjournalisten nicht gut ankommt, ist wahrlich kein Wunder.
Das bürgerliche Publikum, das der FDP eigentlich wohlgesonnen ist, scheint von den Intrigen ebenso abgestoßen zu sein, die Umfragewerte lagen in den letzen drei Wochen quasi durchgehend bei unter 5 Prozent. Lindners Versuche, das Ampel-Aus im Nachhinein als Wahrnehmung staatspolitischer Verantwortung und selbstlosen Dienst am Volk zu framen, überzeugen niemanden. Das deutsche Bürgertum hat seinen Macbeth zwar gern auf der Theaterbühne, aber ungern in der Regierung.
Nun versucht der FDP-Chef als nächstes, das vulgär-liberale Publikum für sich zu gewinnen. Bei Miosga forderte er, »mehr Milei und Musk« zu wagen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Javier Milei, der kürzlich im Interview mit dem Economist den Klimawandel und die Pressefreiheit als »Kulturmarxismus« bezeichnete, sowie Elon Musk, der sich verhält wie ein 15-jähriger Incel im Körper von Baron Harkonnen, sind die Vorbilder von Deutschlands freiheitlichstem Freiheitsfreund!
Dummerweise gibt es hierzulande kaum jemanden, den er damit abholen kann, denn im »sozialpartnerschaftlich« geprägten Deutschland will fast niemand die Kettensäge ans Wirtschaftsmodell anlegen. Ob es genug Bundesbürger gibt, die sich am liebsten bei Don Alphonso, Henryk M. Broder, Roland Tichy und Dieter Nuhr über das politische Zeitgeschehen informieren, und die die FDP nun über die 5-Prozent-Hürde hieven könnten, ist fraglich. Und selbst wenn: Wahrscheinlich sind sie längst bei der AfD gelandet und fühlen sich dort sehr wohl. In knapp zweieinhalb Monaten könnte es daher so weit sein, dass die FDP ihren ganz eigenen D-Day erlebt. Dann nämlich, wenn wir von ihr befreit werden.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.