08. November 2024
Mit dem Label »feministische Außenpolitik« möchten liberale Feministinnen der Verteidigung deutscher Interessen einen progressiven Anstrich verpassen. Das zeigt sich in Gaza besonders deutlich.
Dass Bearbocks Politik noch nie feministisch war, zeigt sich in ihrer Nahost-Politik eindeutiger denn je.
Die Debatte um Deutschlands feministische Außenpolitik ist älter als der 21. Oktober dieses Jahres, aber nirgendwo zeigen sich die Widersprüche zwischen Anspruch und Realität stärker als an diesem Tag: Gemeinsam mit der NGO Hawar.help lädt das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) zu einer Pressekonferenz zum Thema »Femizide verhindern, Abtreibungen legalisieren«. Auf der Bühne sitzen namhafte Frauen aus Politik und Kultur, in der Mitte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.
Die Forderungen sind der kleinste gemeinsame Nenner aller feministischen Bewegungen – und doch regt sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Veranstaltung Widerstand. Und das liegt vor allem an der Anwesenheit Baerbocks. »Stoppt den Genozid an palästinensischen Frauen«, ruft eine Person im Raum. Vor der Tür protestieren Frauen mit Schildern, auf denen etwa »Frauenrechte sind kein weißes Privileg« zu lesen ist.
Die Bilder und Videos sorgen für starke Resonanz in den Sozialen Medien: Den Gründerinnen des CFFP wird »weißer Feminismus« vorgeworfen, prominente internationale Feministinnen ziehen sich aus dem Beirat zurück. Mit der Debatte wird etwas öffentlich diskutiert, das unterschwellig schon länger brodelt: Auch wenn das Auswärtige Amt in seinen 2023 veröffentlichten Leitlinien für eine feministische Außenpolitik von sich behauptet, das »Augenmerk auf Rechte, Repräsentanz und Ressourcenausstattung von Frauen und marginalisierten Gruppen zu legen«, sorgt es in der Praxis dafür, dass eben diese Rechte untergraben werden. Feministische Außenpolitik soll der deutschen Interessenvertretung schlichtweg einen progressiven Anstrich verpassen. Dass an Baerbocks Politik nichts feministisch ist, zeigt sich in der Gaza-Politik deutlicher denn je.
Gegenüber der taz erklärt die Gründerin des CFFP, Kristina Lunz, sie habe die Pressekonferenz auch mit Baerbock gemacht, »weil sie eine der wenigen PolitikerInnen ist, die sich aktuell für das Thema Schwangerschaftsabbruch einsetzt«. Tatsächlich setzt sich Baerbock schon länger gegen die Kriminalisierung von Abtreibung ein. Dass diese grundsätzlich strafbar sei, sei »vollkommen aus der Zeit gefallen«, erklärte sie etwa im Sommer. Baerbock kann für dieses Thema also weiterhin eine Bündnispartnerin sein – aber nur dann, wenn man ihre Politik als Außenministerin ignoriert oder sie einem schlicht egal ist.
Nach den USA ist Deutschland Israels zweitwichtigster Waffenlieferant. Seit August dieses Jahres wurden Lieferungen im Wert von 94 Millionen Euro genehmigt. Zusätzlich bekräftigt Baerbock ihre Unterstützung Israels rhetorisch weiter, wenn sie etwa davon spricht, dass »auch zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren, weil Terroristen diesen missbrauchen«.
»Es ist egal, ob sich deutsche Außenpolitik feministisch nennt oder nicht. Letztlich dient sie dazu, Kapitalinteressen durchzusetzen und die basieren auf der Ausbeutung von Unterdrückten, die besonders häufig Mädchen und Frauen sind. «
Baerbocks Worte wirken vollkommen entkoppelt von der Realität in Gaza und im Libanon. Vor wenigen Wochen erklärte ein UN-Bericht, dass es 350 Jahre dauern könnte, Gaza wieder aufzubauen, wenn der Küstenstreifen unter Blockade bleibe. Mehr als eine halbe Million Frauen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen, 175.000 sind lebensbedrohlichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. In keinem anderen Konflikt der letzten beiden Jahrzehnte wurden innerhalb eines Jahres so viele Frauen und Mädchen getötet wie in Gaza. Nicht umsonst klagt das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) gegen deutsche Kriegswaffenlieferungen nach Israel.
2023 stellte die Ampel einen Rekord für Rüstungsexporte auf, dieses Jahr könnte er erneut übertroffen werden. Die Waffen gehen auch an Länder wie Saudi-Arabien, Katar oder die Türkei und zeigen, dass man es mit der Islamismus-Bekämpfung doch nicht so wichtig nimmt, wenn es einem geopolitisch in den Kram passt. Die Waffen an die Türkei werden dabei auch unter anderem dafür verwendet, die kurdische Befreiungsbewegung und damit die Frauenrevolution in Nordost-Syrien zu zerschlagen. Vielleicht war deutsche Außenpolitik trotz seiner feministischen Leitlinien sogar nie so wenig feministisch wie jetzt.
Daraus ergibt sich für deutsche Feministinnen eine klare Handlungsanweisung: Widerstand und Protest gegen sie. Zaghaft hat das auch das CFFP versucht. Sie haben sich früh für einen Waffenstillstand ausgesprochen und betonen, wohl auch als Antwort auf den Protest vor der Pressekonferenz, dass Deutschland seine Waffenexporte nach Israel einstellen müsse. Die Sache ist nur: Das ist nicht glaubwürdig, wenn man sich mit der Außenministerin weiterhin auf eine Bühne setzt. Im Gegenteil, bewusst oder unbewusst, sorgt man dafür, dass Politikerinnen wie Baerbock sich nachwievor einen feministischen Anstrich verpassen können.
Seit es feministische Außenpolitik in den deutschen Diskurs geschafft hat, formulieren linke Feministinnen Kritik daran. Die politische Soziologin Rosa Burç erklärte, feministische Außenpolitik laufe Gefahr »einen neuen Legitimationsraum für interventionistische Außenpolitik zu schaffen«. Helin Dirik schrieb in der Analyse und Kritik, dass »ein kapitalistisch und imperialistisch handelnder Staat nicht an den Verhältnissen rütteln wird, die Frauen und queere Menschen weltweit in die Armut treiben, ausbeuten, Gewalt aussetzen und marginalisieren.« Daraus folgt: Es ist relativ egal, ob sich deutsche Außenpolitik feministisch nennt oder nicht. Letztlich dient sie immer dazu, Kapitalinteressen durchzusetzen und diese basieren auf der Ausbeutung von Unterdrückten, die besonders häufig Mädchen und Frauen sind.
»Mit diesem Selbstverständnis ist es nicht möglich, tatsächlich empfänglich für eine Kritik zu sein, die die kolonialen Kontinuitäten der feministischen Außenpolitik erkennt. Dafür müsste man sich so weit umstrukturieren, dass man nicht mehr gemeinsam mit den Mächtigen am Tisch sitzt, sondern sie zu politischen Gegnerinnen erklärt.«
Eine solche Kritik, die den grundsätzlichen imperialen Charakter feministischer Außenpolitik ins Zentrum stellt, konnten Organisationen wie das CFFP lange ignorieren oder als interessanten Diskussionsbeitrag abtun. In ihrem neuen Buch Empathie und Widerstand rechtfertigt die Gründerin Kristina Lunz ihre Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz etwa so: Weil man für eine »glaubwürdige und pragmatische globale Demilitarisierung und Abrüstung« eintrete, müsse man an diese Orte gehen. »Wir sind davon überzeugt, dass wir genau in diesem Umfeld nach und nach dazu beitragen können, dass Menschenrechtspolitik zunehmend auch als Sicherheitspolitik anerkannt wird«, heißt es da.
Mit diesem Selbstverständnis ist es nicht möglich, tatsächlich empfänglich für eine Kritik zu sein, die die kolonialen Kontinuitäten der feministischen Außenpolitik gerade daran erkennt, dass nicht etwa Innen- oder Wirtschaftspolitik mit diesem Label versehen werden. Dafür müsste man sich im Prinzip ja selbst auflösen oder zumindest so weit umstrukturieren, dass man nicht mehr gemeinsam mit den Mächtigen am Tisch sitzt, sondern sie zu politischen Gegnerinnen und Gegnern erklärt.
Die Widersprüche der Praxis von Zentren wie dem CFFP sind aber inzwischen so deutlich, dass sie auch von Personen mit institutioneller Anbindung an internationale Organisationen oder Parteien geäußert werden. Dazu zählt etwa Kavita Nandini Ramdas, die früher Präsidentin des Global Fund for Women war. Gemeinsam mit Sanam Naraghi Anderlini, Direktorin des International Civil Society Action Network (ICAN), verkündete sie öffentlich, den Beirat des CFFP zu verlassen, unter anderem weil man ihr aufgrund ihrer Gaza-Positionen den Mund verboten hätte. Inzwischen wurde der Beirat aufgelöst.
Hauptaugenmerk ihres Statements war aber keine Kritik an feministischer Außenpolitik per se, sondern Kritik an der Leerstelle von Gaza in diesen Diskursen. Das CFFP bestreitet in einer Stellungnahme, die Mitglieder seines Beirats in ihrer Meinungsäußerung zu Gaza eingeschränkt zu haben. Einige Tage später wurde auch ein offener Brief von ehemaligen Mitarbeiterinnen veröffentlicht, die der Organisation unter anderem eine systematische Benachteiligung von marginalisierten Mitarbeiterinnen vorwerfen, insbesondere wenn sie sich für die Rechte von Palästinenserinnen einsetzen.
Das CFFP tat die Kritik in den ersten Tagen nach dem Event als misogynen Shitstorm ab. Dabei haben sie nicht nur Unrecht: Immer, wenn die Handlungen von Frauen im Internet viel Resonanz auslösen, ist darunter auch misogyne Abwertung. Gesellschaftliche Missstände spiegeln sich in Diskussion im Internet, legitime Kritik wird mit unverhältnismäßigen Angriffen und Desinformation vermischt. Auf einer persönlichen Ebene ist nachvollziehbar, dass es inmitten eines Shitstorms nicht möglich ist, das eine vom anderen zu trennen.
Aber den politischen Charakter der Kritik komplett beiseite zu wischen, ist Teil liberal-feministischer Abwehrstrategien. Des feministischen Friedens willen sollte man sich, so die Idee, mit Kritik »aneinander« zurückhalten. Vor wenigen Tagen wurde dann doch umgeschwenkt. Das CFFP erklärte, man würde sich jetzt auch der legitimen Kritik »inmitten des Hasses und der Lügen« widmen. Dass daraus eine ehrliche Auseinandersetzung folgt, die über Repräsentationspolitik hinausgeht, ist unwahrscheinlich. Vielleicht darf aber künftig auch eine Palästinenserin gemeinsam mit Baerbock auf der Bühne stehen.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.