07. November 2025
Um zu einer gerechteren Gesellschaft zu kommen, braucht es ein anderes Geldsystem, findet die Juristin Katharina Pistor. Im Interview spricht sie über das Problem mit Krypto, die Zukunft des Euro und darüber, wie demokratische Banken funktionieren könnten.

Geld ist die Infrastruktur des globalen Kapitalismus, so die Juristin Katharina Pistor. Sie hat sich mit ihrer Forschung zu den juristischen Grundlagen globaler Kapitalmärkte einen Namen gemacht. Jetzt widmet sie sich dem Geldwesen. Dieses bildet in ihrer Analyse gemeinsam mit dem Rechtswesen die Grundlage der globalen Kapitalakkumulation.
Das Frankfurter Institut für Sozialforschung hat die an der Columbia Universität in New York tätige Juristin dieses Jahr für die alljährlich stattfindenden Adorno-Vorlesungen eingeladen. Im Rahmen von drei Vorlesungen führt sie in die Grundlagen einer kritischen Analyse des Geldwesens ein und spricht sich für ein anderes, sozial gerechtes Geldwesen aus – sehr zum Leidwesen der zahlreich teilnehmenden Banker. Im Gespräch mit Jacobin erklärt sie, was Kryptowährungen und der Aufstieg Chinas für das Geldsystem bedeuten und wie sie sich ein sozial gerechtes Geldsystem vorstellt.
Der Untertitel Deiner Vorlesung lautet »Neuordnung des Geldwesens«. Wie muss denn das Geldwesen neu geordnet werden?
Zunächst müssen wir verstehen, wie das Geldsystem funktioniert und wie es so geworden ist. Auf der Basis können wir dann diskutieren und entscheiden, ob man das System für tragfähig und kompatibel mit normativen Vorstellungen an eine Demokratie hält. Meine Schlussfolgerung: Dieses System steht einer gerechteren Gesellschaft im Wege und trägt zur Erosion unserer Demokratie, zu Umweltschäden und zahlreichen weiteren Problemen bei. Vieles kann man auf das Geldsystem zurückführen. Wenn wir also ein anderes Geldsystem brauchen, stellt sich die Frage: wie sollte es aussehen?
Bevor wir in die Frage gehen, wie so ein Geldsystem aussehen könnte, würde zur Analyse des aktuellen Systems gehen. In den Vorlesungen sagst Du, dass Kryptowährungen für Dich kein Geld sind. Warum?
Krypto ist nicht gleichzusetzen mit staatlichem Geld. Und das ist der Anspruch, den Bitcoin am Anfang erhoben hat. »Wir sind Substitut, ein neues Geldwesen und brauchen den Staat nicht«, hieß es. Das Problem für Krypto ist, dass es zwei der wesentlichen Funktionen des Geldes nicht erfüllen kann. Es ist weder ein stabiler Wertmesser, noch ist es ein Wertaufbewahrungsmittel. Es ist volatil, volatiler als viele andere Finanzinstrumente. Daran zeigt sich für mich, dass es ein spekulatives Finanzinstrument und kein Geld ist.
Es ist also nur ein Tauschmittel?
Genau, wie so viele andere Finanzinstrumente auch wird es als Tauschmittel benutzt. Aber es kann die Funktionen, die ein Geldsystem skalierbar, nachhaltig und stabil macht, nicht erfüllen. Da tut sich jetzt etwas mit den Stablecoins. Aber das zeigt, wie wenig überzeugend das System ist. Sie sagen: »Wir kreieren eine Alternative zum staatlichen Geldsystem. Aber wir können sie nur stabilisieren, indem wir staatliche Gelder als Sicherheit dahinter stellen.« Dann habe ich eine Hybrid-Version, die sich an staatlichem Geld festhält, wie es auch die Banken machen. Dann haben wir von der Struktur her nichts Neues.
»Als die ganzen Tech-Bros bei Trumps Amtseinführung in der ersten Reihe saßen, haben viele gesagt, das sei jetzt der Kniefall der Tech-Industrie vor Trump. Ich habe gesagt, das ist eine feindliche Übernahme des Staates mit Trumps Hilfe.«
Krypto ist also keine Gefahr für die Geldordnung?
Es ist insofern eine Gefahr, als wir wieder ein neues Finanzinstrument haben, das sich zunehmend an den Staat bindet und im Notfall wieder rausgehauen werden muss. So entwickelt sich das Finanzsystem. Man macht was Neues, der Staat schränkt es nicht ein und nachträglich wird es dadurch legitimiert, dass der Staat einspringt. Letztendlich wird so der Versicherungsschutz, der den von Staaten regulierten Banken gewährt wird, an Krypto übertragen, damit das System nicht kollabiert.
Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, hat in der Financial Times vorgeschlagen, dass Stablecoins Zugriff auf die Zentralbankreserven erhalten sollen. Wie ordnest du das ein?
Das darf man nicht tun. Es ist eine Katastrophe. Damit legitimiert man sie. Damit macht man die Gesellschaft verantwortlich für die Exzesse eines neu geschaffenen privaten Kreditgeldsystems.
Es wäre die Privatisierung von Gewinn und die Sozialisierung von Verlusten, die wir aus der Krise ab 2007 kennen. Damals wie heute zirkulierte das Argument: »Jetzt existieren sie halt. Jetzt müssen wir sie, um systemische Krisen mit massiven Auswirkungen zu vermeiden, im Krisenfall retten.«
Genau so läuft’s. So läuft es immer. »Wenn ich groß genug bin, müsst ihr mich raushauen«, heißt es. Das machen wir dann auch und schmeißen soziale Ressourcen in Systeme, die Spekulation im Exzess betreiben. Aber weil ihr Untergang auch für alle anderen so kostspielig wäre, geht die Zentralbank oder der Staat rein und rettet sie alle. Das ist kein funktionierendes System. Das ist moral hazard. Sie setzen darauf, dass der Staat hinter ihnen steht, und kombinieren das mit einer Ideologie der freien Märkte. Das ist scheinheilig.
Die libertäre Ideologie vom Abbau des Staates wird ja derzeit unter anderem von Javier Milei, Donald Trump und ihren Verbündeten im Silicon Valley propagiert. Einerseits fordern sie den Rückbau des Staates, andererseits brauchen sie einen starken Staat, der ihre Profite absichert. Wie kann das funktionieren?
Was in den USA seit Januar passiert, ist ein privates Takeover des Staates durch die Tech-Industrie. Als die ganzen Tech-Bros bei Trumps Amtseinführung in der ersten Reihe saßen, haben viele gesagt, das sei jetzt der Kniefall der Tech-Industrie vor Trump. Ich habe gesagt, das ist eine feindliche Übernahme des Staates mit Trumps Hilfe. Sie wollen ran an die Computersysteme der wichtigsten Agenturen und Ministerien und ihre Daten. Die wollen sie monetarisieren. Sie haben begriffen, und das ist ja das Scheinheilige an der ganzen Geschichte, dass sie ohne die Institution des Staates nicht weit kommen.
Die Daten, die sie vom Staat kriegen können, etwa unsere Sozialversicherungs-Daten, sind qualitativ etwas völlig anderes, als was sie aus dem Internet scrapen können. Letztendlich geht es um Geldmacherei mithilfe der staatlichen Institutionen. Diese bieten ihnen einen Skalierungseffekt, um an qualitativ bessere Informationen und Ressourcen zu kommen, zu denen sie sonst keinen Zugang haben.
»Ich glaube, dass es ein multipolares Geldsystem geben wird. Ich glaube nicht, dass irgendeine Geldhierarchie naturgegeben ist. Sie wird gesellschaftlich gestaltet.«
Was glaubst Du, wie entwickelt sich das weiter?
Was es in der Vergangenheit bereits gegeben hat, sind sogenannte Company States wie die British East India Company. Das waren die größten kolonialen Unternehmen. Manche waren schlimmer als andere. Aber die Idee, dass man basierend auf Profitmechanismen Menschen und Territorien regiert, war immer menschenverachtend. Die englische Krone hat aber schließlich die British East India Company abgelöst.
Und ihr vorher privat gehaltenes Territorium wie auch ihre Schulden auf die Kolonialregierung übertragen, die über Steuern der Bevölkerung gezahlt werden mussten.
Genau. Und die umgekehrte Geschichte passiert gerade in den USA. Es wird die Logik einer hochkapitalistischen Privatwirtschaft auf staatliche Strukturen übertragen und so öffentliche Güter vereinnahmt. Damit wird das Allgemeinwohl unter die Kontrolle derer gestellt, die Zugriff auf die staatlichen Strukturen haben.
In Deiner Herangehensweise steht der US-Dollar im Zentrum einer globalen Geldhierarchie. Wie lange funktioniert das noch? Vor allem in Anbetracht dessen, dass Donald Trump die USA wirtschaftlich nicht gerade stärkt und unter anderem die Peoples Bank of China, die chinesische Zentralbank, massive Kreditlinien vergibt. Von 2001 bis 2021 belief sich das Volumen auf circa 170 Milliarden US-Dollar und ist seitdem sicher weitergewachsen. Gibt es bald eine neue Hierarchie im Geldwesen?
Ich glaube, dass es ein multipolares Geldsystem geben wird. Ich glaube nicht, dass irgendeine Geldhierarchie naturgegeben ist. Sie wird gesellschaftlich gestaltet. Es hat immer verschiedene Währungen nebeneinander gegeben. Auch innerhalb der USA wurden bis zur Einführung des Greenbacks der spanische Dollar, der Sterling und lauter verschiedene Währungen genutzt. Ähnliches sehe ich auf uns zukommen, wenn immer mehr Akteure aus dem Dollar rausgehen.
Aber: Es gibt keine alternative Währung, die in internationalen Transaktionen eine solche Präsenz hat und so nachgefragt ist. Es könnte also eine multipolare Welt geben, wo viel über den Renminbi läuft, aber der ist noch stark von China kontrolliert und nicht weitläufig zugänglich. Auch wird der Euro eine größere Rolle spielen.
Der Euro?
Ich denke schon. Er ist eine der größten Währung neben dem Dollar. Als Absicherung spielt er in gewissen Währungsgebieten eine wichtige Rolle. Es wird aber grundsätzlich eine wesentlich volatilere Situation entstehen. Und man sieht ja schon, dass in den Handelstransaktionen viele vom Dollar weggehen. Früher war klar: Öl, aller großer internationaler Handel, wurde in Dollar abgewickelt. Das ändert sich.
Es sind immer noch über 40 Prozent des Import- und Exporthandels in US-Dollar notiert.
Das wird auch noch lange so bleiben. Es ist schwierig, da rauszukommen. Aber ich glaube, dass es eine Diversifizierung gibt, sowohl der Finanzakteure als auch der Handelsakteure. Das wird zunehmen, wenn der Dollar weiter so volatil bleibt, wie er es derzeit ist.
»Ich kann ein Unternehmen nach dem Recht von Luxemburg oder den Niederlanden gründen und es in Deutschland betreiben und auf diese Weise deutsche Gesetze wie das Mitbestimmungsgesetz umgehen.«
Wir haben jetzt vor allem auf der Geldebene gesprochen. In Deinem letzten Buch Der Code des Kapitals sprichst Du vor allem über Kapitalmärkte. Du hast geschrieben, dass globales Kapitalrecht auf dem Recht New Yorks und Londons basiert, da andere Kapitalmärkte deren Rechtssysteme übernehmen. Verschiebt sich das auch, oder ist das weniger dynamisch als die Hierarchien des Geldwesens?
Das ist, glaube ich, noch viel sattelfester. Das ist auch deswegen so, weil Recht sehr portabel ist oder gemacht werden kann. Die Rechtswahl der Parteien einer Transaktion oder eines Unternehmens wird von anderen Rechtsordnungen in der Regel anerkannt. Auch hier könnte es eine Verschiebung geben, aber noch hat sich an der Dominanz von New Yorks und Londons Recht auf Kapitalmärkten nichts geändert. Was es dazu bräuchte, wäre eine koordinierte gesetzgeberische oder richterliche Entscheidung vieler Länder, die besagt: »Wir akzeptieren fremdes Recht nicht mehr.«
Die Frage, die dem Zugrunde liegt, ist die, welches Recht gilt, wenn ein Vertrag zwischen zwei Parteien abgeschlossen wird, die nicht in der gleichen Jurisdiktion sind. Welches Recht ist anwendbar? Dürfen sie das selbst wählen? Im internationalen Privatrecht ist es schon lange so, dass die Parteien sich das frei aussuchen können. Selbst wenn ich aus den USA bin und Du aus Deutschland, könnten wir einen Vertrag nach Schweizer Recht abschließen. Dasselbe gilt für Unternehmen. Unternehmen als rechtliche Struktur wurden zunächst einmal nach dem Recht bestimmt, wo das Unternehmen angesiedelt ist und galten nur innerhalb dieser Jurisdiktion.
In den USA wurde das im 19. Jahrhundert ausgefochten und gekippt. Der Europäische Gerichtshof hat diese Argumentation in einer Reihe von Entscheidungen seit 1999 übernommen. Die Versuche, ausländische Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland unter deutsches Recht zu stellen, wurden als Verstöße gegen den freien Kapitalverkehr eingestuft. Ich kann also ein Unternehmen nach dem Recht von Luxemburg oder den Niederlanden gründen und es in Deutschland betreiben und auf diese Weise deutsche Gesetze wie das Mitbestimmungsgesetz umgehen.
Auch für die Wahl des Rechts, das meine Verträge bestimmen soll, ist es mir als Unternehmen und Finanzakteur erst einmal egal, was mit dem US-Dollar passiert. Ich kann trotzdem New Yorker Recht für meine Verträge im Privatrecht nutzen. Das machen viele, denn New Yorker Recht ist sehr angepasst an die Wünsche der Finanzindustrie und englisches Vertragsrecht auch. Daran ändert sich also so schnell nichts. Da können die Chinesen nicht viel gegen machen. Müssen sie aber auch nicht. Sie benutzen es einfach auch.
Also sind die Pfadabhängigkeiten wesentlich stärker und es stellt keine Gefährdung des chinesischen Kapitalismusmodells dar?
Genau. Die Rechtswahl wird auch in China relativ frei zugelassen, wobei es mit der Währungswahl eine andere Geschichte ist.
In dieser Vorlesung fokussierst Du Dich aufs Geldwesen. Vorher hast Du vor allem über Kapital geschrieben. Woher der Wechsel?
In meinem neuen Buch definiere ich Kapitalismus als ein System, das soziale Ressourcen nimmt, um privaten Reichtum und Macht zu schaffen. Die beiden wichtigsten sozialen Systeme, die dafür genutzt werden, sind das Rechtssystem und das Geldsystem. Mit dem Rechtssystem habe ich mich seit Code des Kapitals ausführlich beschäftigt, aber das Geldsystem ist der andere wichtige Pfeiler.
»Die meisten Leute haben nicht den Nerv oder die Zeit, sich ständig mit solchen Themen zu beschäftigen. Es muss delegierbar sein. Aber der Prozess darf nicht hinter den Schranken einer unabhängigen Zentralbank, die politisch unantastbar ist, verschwinden.«
Was können wir denn durch die Analyse des Geldsystems über die Akkumulation von Kapital lernen?
Im System des Kapitalismus gehört beides zusammen. Im Kapitalismus wird versucht, Erwartungen auf künftige Gewinne und Rendite heute schon realisierbar zu machen, heute schon in Geld umzumünzen. Dafür brauche ich zum einen rechtliche Konstrukte, die diese künstlichen Erwartungen rechtlich so fassbar machen, dass sie durchsetzbar und damit auch handelbar werden. Das andere, was ich brauche, ist die Realisierbarkeit der Profite, wofür ich das Geldwesen brauche. Denn ich möchte meine Erwartungen auf künftige Gewinne schon jetzt in eine Yacht umwandeln und das Zwischenglied hierfür ist das Geld.
Die Infrastruktur der Kapitalakkumulation, könnte man sagen?
Genau.
Wie würde für Dich im Gegensatz dazu ein sozial gerechtes Geldwesen aussehen?
Ein aus meiner Sicht interessanter Ansatz ist, das Zahlungssystem vom Kreditsystem zu trennen. Kredit muss außerdem nicht die einzige Art und Weise sein, wie wir Investitionen kanalisieren. Das könnte auch über staatliche Geldschöpfung oder eine Geldschöpfung durch zweckgebundene Staatsbanken erfüllt werden.
Die Ökonomin Grace Blakely schlägt in der Frage eine sogenannte Volksvermögensverwaltung vor.
Die Frage ist, ob man das zentral oder über auf spezifische Themen spezialisierte Banken organisiert. Es gäbe verschiedene Wege, wie genau sich das organisieren ließe und da bin ich erst einmal agnostisch. Kritisch ist es, dass Investitionsentscheidungen demokratisch gedeckt und legitimiert werden müssen. Zeitgleich müssten solche Entscheidungen schnell gefällt werden können. Deswegen kann nicht alles basisdemokratisch gekoppelt sein.
Dazu kommt, dass die meisten Leute nicht den Nerv oder die Zeit haben, sich ständig mit solchen Themen zu beschäftigen. Es muss delegierbar sein. Aber der Prozess darf nicht hinter den Schranken einer unabhängigen Zentralbank, die politisch unantastbar ist, verschwinden.
Welche Rolle würden Zentralbanken und digitales Zentralbankgeld in Deinem Geldsystem spielen?
Bei digitalem Zentralbankgeld sehe ich wirklich großes Potenzial. Leider wollen die aktuellen Zentralbanken gerade nicht in diese Richtung gehen. Dabei könnte digitales Zentralbankgeld als Zahlungssystem für die Bevölkerung die Banken ersetzen, also die Mittelsmänner abschaffen. Es könnten einfach alle Menschen bei der Zentralbank ein digitales Wallet haben. Wenn ich so sicherstellen kann, dass Menschen Zahlungen erhalten und auch in Krisenzeiten an ihr Geld kommen, dann entfällt der Hebel, warum Banken in Krisenzeiten immer herausgehauen werden müssen.
»Ich hoffe, dass wenn digitale Zentralbankwährungen geschaffen werden, die Effekte der Krise aufgefangen werden können und dass dies die Schnittstelle zum neuen System wird. Aber da müssten die Zentralbanken mitdenken.«
Damit würde der Staat wieder autonomer. Die Zentralbanken wollen das nicht machen, weil sie Angst haben, damit den Banken eine wichtige Grundlage ihrer Existenz zu entziehen und somit in den Abgrund zu treiben und dann doch wieder retten zu müssen. Aber: wenn man ein digitales Geldsystem richtig aufbaut, wäre es in der nächsten großen Bankenkrise einfacher, sich von den Banken nicht erpressen zu lassen.
Das wäre für mich ein wesentlicher Bestandteil eines gerechten Geldsystems. Wenn man sagt, wir trennen Zahlungs- von Kreditsystem, dann wird das Zahlungssystem durch digitales Zentralbankgeld gesichert. Ich glaube aber nicht, dass Zentralbanken diejenigen sein sollten, die darüber bestimmen, ob ich eine Hypothek bekomme. Also muss man überlegen, wie das laufen würde. Private Kreditvergabe an sich finde ich nicht verdammenswert, aber sie muss nicht mit Geldschöpfung verbunden sein.
Also eine Mischung aus öffentlichem Zahlungswesen, Demokratisierung der Geldschöpfung und privater Kreditvergabe?
Genau, ja.
Die große Frage ist natürlich: Wie kommen wir dahin?
Ich argumentiere in meinem neuen Buch The Law of Capitalism and How to Transform It, dass man das System aus sich heraus umstrukturieren muss. Aber bei den Machtverhältnissen in Finanz- und Geldwesen kommen wir da nur durch eine massive Krise raus. Ich sage das nur nach langer Bedenkzeit und nicht leichtfertig. Ich habe 2008 argumentiert, dass die Bankenrettungen sein mussten. Es ging nicht anders, weil das Risiko, das System kollabieren zu lassen, zu groß war.
Der Ökonom Hyman Minsky hat gesagt, dass in einer Krise Liquidität in das System gepumpt werden muss, und danach alles invalidiert, alles für rechtswidrig erklärt werden muss, was zur Krise beigetragen hat. Aber das passiert nicht. In dem Moment, wo ich das System stabilisiert habe, legitimiert es sich selbst. Das politische Möglichkeitsfenster, etwas zu ändern, ist dann wieder zu. Das haben wir 2008 gesehen. Wir haben das System nicht geändert.
Deswegen befürchte ich, dass wir eine Krise brauchen. Das Risiko ist, dass es auch in totalen Faschismus abgleiten kann. Deswegen sage ich das mit sehr großem Vorbehalt, aber realistisch gesprochen, weil dieses Finanzsystem eine solche Macht auch über die staatlichen Stellen und die Zentralbank hat, geht es nicht anders. Es ist für mich derzeit realistisch betrachtet nicht anders vorstellbar. Ich hoffe, dass wenn digitale Zentralbankwährungen geschaffen werden, die Effekte der Krise aufgefangen werden können und dass dies die Schnittstelle zum neuen System wird. Aber da müssten die Zentralbanken mitdenken.
»Wie Kräfteverhältnisse sich formieren, kann man nicht planen. Das ist nicht vorhersehbar. Es ist ein bisschen wie russisches Roulette.«
Man bräuchte also auf der einen Seite die technischen Möglichkeiten, die Reformen durchzusetzen, und auf der anderen Seite im Moment der Krise die richtigen politischen Kräfteverhältnisse, damit wir nicht in den Faschismus abgleiten.
Das Problem daran ist: wie Kräfteverhältnisse sich formieren, kann man nicht planen. Das ist nicht vorhersehbar. Es ist ein bisschen wie russisches Roulette. Deswegen zögere ich, das so zu sagen, aber durch Reformen kommen wir da nicht hin.
Was gibt Dir denn Hoffnung?
Seit 2008 ist eine wirklich umfassende Literatur entstanden, verfasst von einer ganzen Menge schlauer Leute, die sich gute Gedanken über das Finanz- und Geldsystem und Alternativen dazu gemacht haben. 2008 hat es das in dem Ausmaß nicht gegeben, da gab es keine sichtbaren Alternativen. Man musste das System so wie es war irgendwie retten.
Wir haben jetzt eine bessere Wissensbasis, brauchen also nur noch die richtigen politischen Kräfteverhältnisse und dann sind wir gut auf die nächste Krise vorbereitet?
Im Prinzip ja. Jedenfalls gibt mir das mehr Hoffnung als alles andere. Wir haben die Technologien. Und wir haben die Erfahrung aus der Covid-Krise, dass der Staat agieren kann. Auch in kürzester Zeit.