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10. Juni 2025

Die Bankenlobby im Klassenzimmer

Finanzkonzerne drängen an Schulen und verkaufen Werbung für ihre Geschäftsmodelle als neutrale und alternativlose »Finanzbildung«. Eine an den Lebensrealitäten und Zukunftssorgen von Jugendlichen orientierte ökonomische Bildung sieht anders aus.

Erster Schultag in Wien, Aufnahme vom 4. September 2023. Mit dabei: Christoph Wiederkehr von den NEOS – damals Bildungsstadtrat, inzwischen österreichischer Bildungsminister.

Erster Schultag in Wien, Aufnahme vom 4. September 2023. Mit dabei: Christoph Wiederkehr von den NEOS – damals Bildungsstadtrat, inzwischen österreichischer Bildungsminister.

IMAGO / photonews.at

Die sechsjährige Lena blättert durch ihr neues Heft mit dem Titel »Geldgeschichten«. »Das schenkt euch die Bildungsdirektion!«, sagt ihre Lehrerin. Auf Seite 2 strahlt Lena das Logo der Bank Austria entgegen, auf Seite 15 winkt die BAWAG mit einem »digitalen Taschengeldkonto«. Auf zwanzig Seiten finden sich insgesamt 24 Firmenlogos samt QR-Codes zum Online-Marktplatz Shöpping.at. Das klingt absurd, ist aber Realität: In Wien ließ die Bildungsdirektion im Herbst 2024 90.000 »Geldgeschichten«-Hefte an alle Volksschulkinder im Alter von sechs bis zehn Jahren verteilen.

Die involvierten Geschäftsbanken nutzen die Verteilung des Heftes offenbar gezielt, um Kinder für ihre eigenen Produkte und Dienstleistungen zu interessieren und so frühzeitige Kundenbindung zu betreiben. Damit verstößt das Heft gegen das Werbeverbot an österreichischen Schulen, das aggressive Geschäftspraktiken in Lernmaterialien für Kinder, insbesondere in Volksschulen, untersagt.

Wie das möglich ist? Proteste von Lehrkräften oder Eltern blieben aus und die Bildungsdirektion Wien, die dagegen aktiv werden müsste, ist Teil des Problems: Sie verweist auf die positive Kooperation mit den Konzernen im Sinne der Finanzbildung »für alle Kinder«.

Die Kampagne der Finanzkonzerne

Beispiele wie diese gibt es etliche. Banken und Konzerne dringen unter dem Deckmantel der »Finanzbildung« immer dreister in die Klassenzimmer ein. Das dient den Konzernen nicht nur zur Imagepflege, sondern auch zur Suche nach neuen Zielgruppen und Profitquellen. Beworben werden dabei neben Taschengeldkonten auch Produkte zur gewinnorientierten Pensionsvorsorge.

Die Finanzkonzerne gehen dabei strategisch vor: Seit Jahren finanzieren sie Studien, die angeblich belegen, wie finanziell ungebildet die Jugendlichen von den Schulen ins Leben entlassen werden. Zugleich kritisieren sie die aktuellen Schulfächer, diffamieren die Unterrichtsmaterialien als weltfremd, links und wirtschaftsfeindlich und reden das Niveau der Lehrkräfte und deren Ausbildung schlecht.

Als letzten Schritt unterstützen sie Thinktanks und Stiftungen im Bereich Finanzbildung, um eigene Schulmaterialien zu produzieren oder Gratis-Workshops anzubieten – als »Lösung« für ein Problem, das sie selbst erfunden haben. Die Finanzakteure reden also erst das System kaputt und verkaufen dann die eigenen Produkte als Rettung.

»Das Internationale Netzwerk zur Finanzbildung der OECD wurde 2008 gegründet und gibt der fehlenden Finanzbildung der Bevölkerung (Mit-)Schuld an der globalen Finanzkrise.«

Parallel zu solchen privatwirtschaftlichen Strategien bekommen Finanzkonzerne Unterstützung aus der politischen Sphäre: Seit Jahren koordinieren die OECD und die Europäische Kommission europaweit die Einführung von nationalen »Finanzbildungsstrategien«. Das österreichische Finanzministerium hielt dazu im Jahr 2020 einen Dialog mit Stakeholdern aus dem Bereich Finanzbildung ab.

In diesem vermeintlichen Dialog gaben Finanzunternehmen den Ton an. Aus der ausführlichen und kritischen Stellungnahme von Attac Österreich schaffte es beispielsweise nur ein einziger Satz in den Abschlussbericht. Verabschiedet wurde die österreichische Finanzbildungsstrategie im Jahr 2021 – vorgestellt vom damaligen ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel und dem Bankmanager Andreas Treichl von der Ersten Stiftung.

Erziehung im Sinne des Kapitals

Auch in Deutschland existiert – auf Betreiben der FDP – seit dem Jahr 2024 eine derartige Finanzbildungsstrategie. Die wissenschaftliche Studie »Finanzbildung als politisches Projekt« der Otto Brenner Stiftung in Kooperation mit Attac Deutschland hat sich eingehend damit beschäftigt. Ihr Autor Thomas Höhne kritisiert die Strategie scharf:

»Statt neutrale, unabhängige finanzielle Bildung zu fördern, verfolgt die Initiative die parteipolitische Agenda der FDP. Hauptziel scheint es zu sein, möglichst viele Menschen zum Investieren an den Finanzmärkten zu bewegen. Dass dies nur für einen Teil der Bevölkerung überhaupt möglich ist, bleibt weitgehend unthematisiert. Zudem ignoriert die Initiative seit Jahrzehnten gewachsene zivilgesellschaftliche Strukturen und Angebote zur ökonomischen Bildung und privilegiert privatwirtschaftliche und lobbyistische Akteure.«

Auch die Finanzbildungsstrategien internationaler Organisationen fördern ein marktradikales Weltbild und lassen kritisches ökonomisches Denken außen vor. Etwa das Internationale Netzwerk zur Finanzbildung der OECD wurde 2008 gegründet und gibt der fehlenden Finanzbildung der Bevölkerung (Mit-)Schuld an der globalen Finanzkrise.

Im Zentrum der OECD-Finanzbildungsstrategien steht der Begriff der »Financial Literacy« – also der »Finanzkompetenz«. Diesem Begriff liegt das Menschenbild eines Homo oeconomicus, eines nutzen- und gewinnmaximierenden Individuums zugrunde. Beim »Financial-Literacy«-Konzept werden Zielgruppen (aus)gemacht und problematisiert: Die Schuld für finanzielle Probleme wird ihnen selbst zugeschrieben.

Besonders Frauen sind nach dieser Lesart selbst schuld an sozialen Phänomenen wie Altersarmut. Sie müssten nur bessere Finanzentscheidungen treffen, zum Beispiel risikofreudiger investieren oder besser vorsorgen. Dementsprechend ist die »Zunahme der Anzahl von Personen, die in die Kapitalmärkte investieren oder in einen freiwilligen Altersvorsorgeplan einzahlen, insbesondere der Anteil der Frauen« ein Erfolgs-Indikator auch der österreichischen Finanzbildungsstrategie.

Was Jugendliche sich wünschen

Laut einer aktuellen Jugendstudie des Radiosenders Ö3 würden 83 Prozent der österreichischen Jugendlichen ein Fach Finanzbildung einführen, wenn sie die Bildungspolitik zu verantworten hätten. Hinter diesem Wunsch steckt das Bedürfnis nach praxisnahen Informationen und relevanten Tipps: »Wie kann ich mir selbst ein Konto anlegen und was muss ich dabei beachten?« oder »Was ist eine Steuererklärung und wie mache ich die?« Das deckt die schulische und außerschulische Bildung oft nicht ab und hier besteht tatsächlich ein Defizit. In dieser Hinsicht werden Jugendliche in Pflichtschulen zu wenig auf die Realität des Alltags vorbereitet.

Doch ein Großteil des Wunsches nach »mehr Finanzbildung« kommt wohl aus den werbegetriebenen Angeboten und der Ideologie der Finanzindustrie. Diese trichtert bereits Kindern und Jugendlichen ein, dass die Finanzialisierung der Gesellschaft ein Naturgesetz sei – mit allen negativen Folgen wie Renditedruck, Vorherrschaft des Shareholder Value, Finanzkrisen sowie Ausbeutung von Natur und Beschäftigten. Fünfzig Jahre Neoliberalismus und immer mehr Finfluencer lassen die Jugendlichen an den großen Reichtum durch Spekulation glauben. Die technologischen Möglichkeiten und der einfache Zugang zu Finanz-Apps verstärken den Trend.

»Zukunftsfähige finanzielle Bildung hat aufzuzeigen, dass ›die Wirtschaft‹ kein Naturphänomen ist, das nur den profitorientierten Sektor – die ›Privatwirtschaft‹ – meint.«

Wer aber mit Jugendlichen ernsthaft über Geld und ihre Sorgen spricht, findet heraus: Neben Fantasien von Status und Reichtum steckt dahinter vor allem ein Bedürfnis nach (finanzieller) Sicherheit und nach einem guten, sorglosen Leben.

Wie kann und soll man also im Schulunterricht den Alltagssorgen und Zukunftsvorstellungen der Jugendlichen begegnen? Am besten durch die bereits bestehende fächerübergreifende Wirtschafts- und Finanzbildung. In Österreich erhielt das verpflichtende Fach »Geografie und wirtschaftliche Bildung« im Schuljahr 2023/24 einen neuen Lehrplan. Es fördert fächerübergreifend lebensnahe Kompetenzen, die an den Fragen und Problemen der Schülerinnen und Schüler ansetzen.

Von (durchaus kritikwürdigen) Wissenstests wie PISA bekommt das Fach ein gutes Zeugnis. Demnach »liegt die Finanzkompetenz der österreichischen Schülerinnen und Schüler signifikant über dem OECD-Schnitt sowie auch über dem EU-Schnitt«. Laut einer Studie der österreichischen Nationalbank aus dem Jahr 2024 liegen Österreichs Erwachsene bei der »Financial Literacy« international sogar auf Platz zwei von vierzig – hinter Deutschland. Das entspricht so gar nicht dem negativen Bild, das die »Studien« des Finanzsektors zeichnen.

Als Konsequenz sollten das Fach Geografie und wirtschaftliche Bildung sowie die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte weiter gestärkt und die Unterrichtsmaterialien weiter verbessert werden. Die Schülerinnen und Schüler verdienen fachlich geprüfte, pädagogisch adäquate und wissenschaftlich fundierte Unterrichtsmaterialien zur Finanzbildung, die ihre vielfältigen Lebensrealitäten respektieren.

Zum Beispiel ist die selbstverständliche Annahme vieler Lehrbücher, dass jedes Kind Taschengeld erhalte und lernen müsse, damit zu haushalten, problematisch. Es gibt in Österreich 376.000 armuts- und ausgrenzungsgefährdete Kinder. Diese mit der Vorstellung zu konfrontieren, dass Taschengeld eine Selbstverständlichkeit sei, geht an ihren Lebensrealitäten vorbei und wirkt beschämend.

Gemeinwohlorientierte Finanzbildung

Zukunftsfähige finanzielle Bildung hat aufzuzeigen, dass »die Wirtschaft« kein Naturphänomen ist, das nur den profitorientierten Sektor – die »Privatwirtschaft« – meint. Wirtschaften ist ein gesellschaftlicher Prozess, der alle betrifft und zu dem alle beitragen. Sorgende Tätigkeiten, die oft explizit nicht der Profitlogik unterliegen, sind ebenso zentraler Teil »der Wirtschaft« wie die Ausbeutung von Mensch und Natur.

Ökonomische Schulbildung muss sich an den Erfahrungen und Lebensrealitäten der Schülerinnen und Schüler orientieren, das heißt von ihren alltäglichen Fragen ausgehen und sie dazu befähigen, sich eine kritische Sicht zu verschaffen. Ein Gebot der Bildungsarbeit lautet dabei, dass kontroverse Themen auch kontrovers diskutiert gehören. Pädagoginnen und Pädagogen sollten thematisieren, dass sich ökonomische Sichtweisen ergänzen oder ausschließen können und auf jeden Fall miteinander verglichen werden sollen. Nur durch kritische Auseinandersetzung können scheinbare Wahrheiten hinterfragt und neue Erkenntnisse erlangt werden.

Auf diesem Wege würde Finanzbildung den bloßen Erwerb von Information und die Betonung individueller »Selbstverantwortung« überschreiten. Letztlich hilft gute (Finanz-)Bildung den Lernenden auch, ihre eigenen Interessen in der Welt zu verstehen – und entsprechend zu handeln. Sie fördert Kooperation und kollektives Handeln zur Lösung wirtschaftlicher Probleme und geht damit weit über individuelles Orientieren, Entscheiden, Handeln und Optimieren hinaus.

»Sowohl in Wien als auch im Bund überlässt die SPÖ den Bereich Finanzbildung den neoliberalen NEOS, die dabei einen verengten Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge fördern.«

Finanzbildung ist kein neutrales Fach – sie ist ein umkämpftes Feld. Die Politik ist aufgerufen, die schulische Indoktrination von Kindern durch Finanzkonzerne zu stoppen und sie vor dem Einfluss von Lobbys und ihrer Ideologie zu schützen. Kinder sollten eine Bildung erfahren, die den Namen auch verdient. Versteckte Interessen von Lobby- und Interessenverbänden der Finanzindustrie haben an Schulen nichts verloren. Anstelle von Vertretern des Finanzsektors sollten gerade in Schulen Personen zum Entwerfen von Bildungskonzepten eingeladen oder ausgebildet werden, die keine Gewinninteressen vertreten.

In diesem Sinne arbeitet in Österreich das Netzwerk Wir alle machen Wirtschaft – für eine zukunftsfähige Wirtschaftsbildung daran, dem Lobby-Einfluss entgegenzuwirken. Es besteht aus Lehrkräften, Expertinnen und Experten sowie zivilgesellschaftlichen Akteuren, hat Anfang 2025 ein gleichnamiges Buch herausgegeben, das für diese Frage sensibilisiert, und stellt auch konkrete Unterrichtsmaterialien für eine gemeinwohlorientierte ökonomische Bildung bereit.

Was bringt die neue Regierung?

Auch ins Übereinkommen der neuen österreichischen Regierung hat es die »Finanz- und Wirtschaftsbildung« geschafft. Gefordert werden eine »umfassende Finanzbildung und Stärkung der Financial Literacy«, mit Fokus auf »Sparen, Versicherungen, Veranlagungsinstrumente« unter »Berücksichtigung von Konsumentenschutzaspekten« und »Überschuldungsprävention«. Das Regierungsabkommen gleicht dabei einer Aneinanderreihung von politischen Vorhaben der verschiedenen Parteien. Die konkrete Umsetzung birgt viel Potenzial für Konflikte.

Angesichts der erwähnten Ö3-Jugendstudie forderten NEOS, ÖVP und SPÖ allesamt »mehr Finanzbildung an Schulen«. Von ÖVP und NEOS wurde dabei ein eigenes Schulfach ins Rennen gebracht, das jedoch »im Vollausbau mit 2 Wochenstunden in allen Schulformen [...] einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag« kosten würde. Die Umsetzung dieses Vorhabens steht angesichts der Budgetkürzungen in den Sternen, da es schwer zu argumentieren ist, ein neues, teures Fach einzuführen.

Angesichts der Kräfteverhältnisse in der Regierung sind in dieser Angelegenheit kaum Verbesserungen zu erwarten, zumindest sollte aber die SPÖ einschneidende Verschlimmerungen verhindern können. Dafür wäre allerdings dringend notwendig, die Leerstelle der SPÖ im Bereich der Finanzbildung zu schließen: Denn sowohl in Wien als auch im Bund überlässt sie diesen den neoliberalen NEOS, die dabei einen verengten Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge fördern.

In der Wiener SPÖ-NEOS-Koalition landeten die (Finanz-)Bildungsagenden bei den NEOS und auf Bundesebene wanderten sie vom roten Finanzminister Markus Marterbauer zur ÖVP-Staatssekretärin Barbara Eibinger-Miedl. Diese ließ nun eine »Weiterentwicklung« der Finanzbildungsstrategie verlautbaren. Laut dem NEOS-Bildungsminister Christoph Wiederkehr soll schon ab Herbst 2025 in fünfzig Schulen ein eigenes Schulfach »Wirtschaft, Innovation und Nachhaltigkeit« eingeführt werden.

Aus pädagogischer und politischer Sicht ist es fragwürdig, Wirtschaft als eigenes Fach, isoliert und in viele Einzelteile zerlegt zu unterrichten. Vor allem wirtschaftsnahe Gruppen wie Banken, Stiftungen, die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer treiben diese Idee voran. Das Beste, was sich progressive Kräfte derzeit von der Regierung in der Frage Finanzbildung erhoffen können, ist wohl leider Stillstand.

Mario Taschwer ist Ökonom und Politikwissenschaftler und arbeitet als wirtschaftspolitischer Referent bei Attac Österreich. Er koordiniert das Netzwerk »Wir alle machen Wirtschaft – Netzwerk für zukunftsfähige Wirtschaftsbildung«.