19. Juli 2023
Den Unis fehlt es an Geld. Nun sollen die Finanzmärkte helfen. Das ist Wahnsinn.
»Das Bafög macht aus der Studentin eine Schuldnerin.«
Illustration: Marco QuadriWährend sich Neoliberalismus und Globalisierung hier und da zurückziehen, ist die Finanzialisierung weiter auf dem Vormarsch. Einer der letzten Bereiche, den sie noch nicht vollständig einnehmen konnte, ist bisher die Bildung. Doch auch hier droht die »Zunahme der Bedeutung von Finanzmotiven, Finanzmärkten, Finanzakteuren und Finanzinstitutionen für das Funktionieren von Binnen- und Weltwirtschaft«, wie der Ökonom Gerald A. Epstein das Phänomen Finanzialisierung auf den Punkt bringt. Das kann bedeuten, dass Universitäten an die Börse gehen, Studierende sich auf Jahre verschulden oder Finanzinstitutionen sich in die Bildungspläne einmischen. Die Ursache des ganzen Übels: die Sparpolitik des Staates.
Die USA leiden bekanntermaßen an einem fortgeschrittenen Stadium von Finanzialisierung. So verfügen die privaten Universitäten Harvard, Yale, Stanford und Princeton zusammen über ein Vermögen von mehr als 164 Milliarden Dollar, das am Finanzmarkt investiert ist. Aus der Rendite kann zum Beispiel die Harvard University über ein Drittel ihrer Ausgaben finanzieren. Dazu kommen zu je ungefähr einem Fünftel die Einnahmen aus den Studiengebühren und aus Sponsoring-Verträgen. So konnte Harvard das Jahr 2022 mit einem Gewinn von über 400 Millionen Dollar abschließen – wohlgemerkt als Universität.
Hintergrund dessen ist die Privatisierung des US-amerikanischen Bildungswesens, durch die nicht nur Finanzmotive Einzug in Universitäten hielten, sondern die Universitäten auch selbst zu Akteuren auf dem Finanzmarkt wurden. Die Universitäten tun dies nicht einfach aus freien Stücken, sondern auch, weil sie es müssen. Denn da der Staat ihnen nicht die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellt, können sie ohne eine solche Finanzialisierung ihren Betrieb kaum aufrechterhalten.
Soweit ist es in Deutschland noch nicht, doch den Haupttreiber der Finanzialisierung haben wir auch hier: das unterfinanzierte Bildungssystem. Somit laufen auch deutsche Universitäten oft auf Schmalspur und sind auf Drittmittel angewiesen – unter anderem auf private. Dieser Finanzialisierungsdruck hat Folgen – wie zum Beispiel Industrieforschung, die allzu oft durch bemerkenswert arbeitgebernahe Forschungsergebnisse auffällt. Ob nun das von Arbeitgeberverbänden finanzierte Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München oder das von EON und RWE finanzierte Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln. Solche Förderung aus der Wirtschaft machte 2019 fast ein Fünftel der gesamten Drittmittel aus, die für Forschende allzu oft existenzentscheidend sind. Dabei geht es hierbei nur um 1,5 Milliarden Euro, die nötig wären, um konzernfinanzierte durch unabhängige und langfristige Forschung zu ersetzen – ein Klacks für einen finanziell handlungsfähigen Staat.
Doch weil diese Finanzierung ausbleibt, müssen die Bildungsträger auf andere Weise an Geld kommen. Und tatsächlich gibt es auch in Deutschland staatliche Universitäten, die am Finanzmarkt aktiv sind. So hat zum Beispiel die Freie Universität Berlin Wertpapiere im Wert von über 6 Millionen Euro, woraus sie genauso Rendite erzielt und genauso zu einer Akteurin am Finanzmarkt wird wie die US-Universitäten. Doch das ist nur die softe Variante.
Die harte, neoliberale Variante schwebte im Jahr 1999 dem SPD-Bildungspolitiker und ehemaligen Gründungsrektor der Universität Erfurt, Peter Glotz, vor. Er wollte zwei bis drei Universitäten erst privatisieren und dann an die Börse bringen. Denn »mit Bildung ist Geld zu verdienen«, so Glotz. Studiengebühren, Sponsoreneinnahmen und Forschungsarbeiten für die Wirtschaft würden öffentliche Gelder obsolet machen. Das Glotz-Modell hätte die finanzialisierten Universitäten in den USA sogar noch übertroffen. Denn dort sind nicht die Universitäten selbst börsennotiert, sie verwalten nur ihr Kapital an der Börse. Das macht einen fundamentalen Unterschied. Denn in den USA fließen die Gewinne aus dem Finanzmarkt in die Bildung, während bei dem Glotz-Modell die Gewinne aus der Bildung an den Finanzmarkt fließen. Damit steigt der Druck nach profitabler Bildung immens.
Diese verrückte Idee wurde tatsächlich schon einmal in Deutschland ausprobiert: So setzte sich die Anfang der 2000er gegründete Private Hanseuniversität zum Ziel, »als allererste deutsche Privat-Uni Gewinne erzielen zu können«. Sie versprach nach einigen Jahren »zweistellige Umsatz- und Eigenkapitalrenditen«. Doch das scheiterte. Rund ein Jahrzehnt später schaffte es die Universität Brüssel, eine Anleihe an der Börse zu platzieren. Der Rektor begründete das mit dem Ausspruch: »Eine Uni, die wachsen will, braucht externe Investoren.« Dass neoliberale Vorlieben als objektive Notwendigkeit hingestellt werden, ist nicht neu.
Nicht nur die Bildungsstätten werden finanzialisiert, sondern auch die Menschen, die sie besuchen, sind zunehmend auf die Finanzwirtschaft angewiesen. Denn ohne irgendeine Form von Bildungskredit schaffen es die wenigsten finanziell durch das Studium. Dahinter steckt die Idee des umgekehrten Generationenvertrags. Man bekommt nicht Geld ausgezahlt, nachdem man es eingezahlt hat, sondern man bekommt es zuerst und zahlt es dann zurück.
Das stärkt nochmal das Finanzmotiv hinter dem Studium: Es war schon vorher so, dass man nach dem Studium seiner Passion gegebenenfalls von einem schlechten Gehalt leben muss – jetzt soll man auch noch Berge an Studienkosten abtragen. Darüber möchte zum Beispiel der Princeton-Universitätspräsident Christopher L. Eisgruber hinwegtäuschen. In einem Beitrag in der Washington Post unterstellt er den Menschen schamlos, dass sie Ausgaben in der Zukunft überbewerten – im Gegensatz zu den möglichen Einnahmen. Und wie es sich für einen Marketingtext gehört, beziffert er auch gleich die Rendite eines Princeton-Abschlusses: 14 Prozent bei einer vierzigjährigen Karriere.
»Was, wenn wir aus Studenten ein Finanzprodukt machen? Wertpapierkennnummer A12UD9, handelbar an der Düsseldorfer Börse. Quasi: kluge Köpfe als Kapitalanlage.«
Auch die verschiedenen Studiendarlehen in Deutschland führen zwangsläufig zu einer solchen Finanzialisierung der Studienwahl: ob durch Bafög, Studienkredit oder am härstesten durch Studierendenanleihen. Der humanste Weg ist dabei noch das Bafög, bei dem man in aller Regel einen Teil der Summe erlassen bekommt. Doch auch das Bafög macht aus der Studentin eine Schuldnerin.
Der Studienkredit der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist einen Zacken schärfer. Ihn nehmen vor allem Menschen in Anspruch, die wirklich in Not sind. Dabei ist er jedoch verdammt teuer. Denn die KfW ermöglicht den Kredit aus Eigenmitteln und erhält dafür nur in Ausnahmesituationen politische Rückendeckung. Deswegen muss sie sich an dem Interbankenzins EURIBOR orientieren und Ausfallrisiken sowie die Verwaltungskosten aufschlagen. Daher lag schon während der Niedrigzinsphase der Zins des KfW-Studienkredits mit 3–4 Prozent deutlich über normalen Konsumkrediten. Und in der Energiepreiskrise bekamen Studierende in finanzieller Not dann sogar 8 Prozent aufgedrückt. Wie hoch der Zins ist, kann über die Jahre viele tausende Euro Unterschied machen. Einen solch teuren Studienkredit dürfte es nicht geben – es wäre ein Leichtes, ihn durch eine sozialstaatliche Absicherung zu ersetzen.
Weil der Zinssatz des Studienkredits derart hoch ist, haben sich die Studierenden der Privatuni Witten/Herdecke selbst Abhilfe geschaffen. Sie platzieren regelmäßig eine Studierendenanleihe an der Börse, um die Finanzierung ihrer Studiengebühren zu bewerkstelligen. Der Zinssatz der Anleihe liegt bei knapp 4 Prozent, also ungefähr halb so hoch ist wie bei der KfW. Die Studierenden bewerben das euphemistisch mit den Worten: »Was, wenn wir aus Studenten ein Finanzprodukt machen? Wertpapierkennnummer A12UD9, handelbar an der Düsseldorfer Börse. Quasi: kluge Köpfe als Kapitalanlage.« In Wirklichkeit liefert dieses Modell leistungslose Einkommen für die Investorinnen und Investoren auf Kosten der Studierenden.
»Studierenden in den USA wurde erschwert, Insolvenz anzumelden – um ihre Verschuldung abzusichern.«
Am verrücktesten sind aber sogenannte Humankapitalverträge. Wie die Soziologin Morgan Adamson erklärt, wird der Studienkredit in diesem Fall nicht über eine vereinbarte Rate abgegolten, sondern über einen Anteil am späteren Einkommen. Solche Vereinbarungen gehen auf Ideen des Gründervaters der bürgerlichen Nationalökonomie Adam Smith und des neoliberalen Vordenkers Milton Friedman zurück. Letzterer entwarf sogar selbst ein solches Programm an der Yale University.
Für manche Studierende mag eine solche Wette attraktiver sein, da sie die Belastung in die Zukunft und das Risiko auf den Kreditgeber verschiebt. Doch das hat seinen Preis: Beim Investor muss dann mehr Rendite rausspringen als bei einem normalen Kredit. Daher wird eine Investorin das Aufgehen ihrer Investitionen auch auf anderen Wegen unterstützen, beispielsweise indem sie Ratschläge anbietet, netzwerkt oder Fähigkeiten weitergibt – alles natürlich mit dem Ziel, der Studentin möglichst viel Mehrwert abzupressen. Denn die Investorin wird nicht bloß mit einem Zins an der Produktivität beteiligt, sondern mit einem Anteil, der mitunter weit höher ausfallen kann.
Ähnlich wurde es in Yale tatsächlich umgesetzt. Jedoch mit dem Unterschied, dass Kohorten gebildet wurden, sodass höhere zukünftige Einkommen die geringeren Einkommen ausgleichen sollten. Für eine maximale Dauer von 35 Jahren wurden dann alle 1.000 Dollar 0,4 Prozent des Einkommens fällig. Die Zahlungen hielten an, bis die ganze Gruppe ihre Schulden abbezahlt oder einzelne von ihnen 150 Prozent des Kreditbetrags plus Zinsen zurückgezahlt hatten. Auch dieses Programm scheiterte. Die Teilnehmenden erzielten insgesamt ein niedrigeres Einkommen als erwartet. Denn die Erfolgreichen unter ihnen verabschiedeten sich nach den 150 Prozent, wodurch die Restlichen mit einer kaum begleichbaren Schuld und regelmäßig tickenden Zinsen verblieben. Jahrzehnte zerstörter Existenzen später wurden die Restschulden der Kohorte abgewickelt.
Trotz seines Scheiterns ist dieses Modell weiterhin Vorbild für etliche andere Programme in USA und der ganzen Welt, die zu noch härterer Ausbeutung einladen. Ein prominenter Absolvent jenes Yale-Programms führte etwas ähnliches auch auf staatlicher Ebene ein – es war kein geringerer als Bill Clinton. Zeitgleich wurde den Studierenden erschwert, Insolvenz anzumelden – um ihre Verschuldung abzusichern, wie Susanne Soederberg von der Queens University festhält. Daneben wurden die großen staatlichen Anbieter für Studienkredite privatisiert, was unter anderem höhere Zinssätze und niedrigere Anforderungen für die Kredite zur Folge hatte.
»Wenn Studierende zu Schuldnern werden, bedeutet das für sie doppelte Ausbeutung im späteren Leben.«
Daraufhin sprang die Finanzialisierung der Studierenden auf die Kreditgeber über: Sie bündelten die Kredite – sichere zusammen mit unsicheren – und verkauften sie weiter. Dadurch mussten sie nicht erst auf die Zahlungen in der Zukunft warten, sondern bekamen den Wert sofort. Und wie könnte diese Geschichte anders enden: Natürlich kaufte der US-amerikanische Staat in der Finanzkrise die Studienkredite wieder auf.
Wenn Studierende zu Schuldnern werden, bedeutet das für sie doppelte Ausbeutung im späteren Leben: die primäre Ausbeutung durch die Lohnarbeit in der Privatwirtschaft und die sekundäre Ausbeutung über die Bezahlung des Zinses. Ihre Verschuldung wirkt dabei disziplinierend im Sinne des Kapitals. Denn wer nicht nur seinen Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch noch einen Kredit abbezahlen muss, denkt zweimal darüber nach, einen schlechten Job zu kündigen oder zu streiken und damit seine Anstellung zu riskieren.
Das hat auch eine ganze Reihe makroökonomischer Folgen. Denn den Zinskosten auf der einen Seite entsprechen Zinseinnahmen auf der anderen Seite. Je nachdem, aus wessen Tasche in wessen Tasche sie fließen, erhöht das die soziale Ungleichheit. Gleichzeitig reduziert die Schuldenlast die gesellschaftliche Nachfrage. Denn wer mit seinem Geld einen Kredit abbezahlen muss, kann es nicht für andere Dinge ausgeben. Insofern belastet die Finanzialisierung nicht nur die einzelnen Schuldnerinnen und Schuldner, sondern auch die Wirtschaft insgesamt. Dabei gewinnt in erster Linie die Finanzwirtschaft – sowohl die einzelnen Investorinnen und Investoren als auch der Finanzsektor an sich, dessen systemische Relevanz steigt.
Um eine so weitgehende Finanzialisierung zu ermöglichen – von den Studierenden über die Rektoren der Börsen-Universitäten bis hin zur Politik –, braucht es auch eine Finanzialisierung der Köpfe. Dabei geht es nicht einfach um ein Seminar zu finanzieller Bildung oder wie man eine Steuererklärung macht – beides täte neoliberalen Politikerinnen und Politikern mal ganz gut. Die Finanzialisierung der Köpfe beginnt schon mit Formaten wie der »Börse vor acht« in der ARD, die allein schon durch ihre prominente Platzierung die Finanzialisierung unserer Gesellschaft normalisiert. Dabei wird allzu oft ein unkritisches Bild von Finanzthemen gezeichnet. Von der Wirtschaftswissenschaft, wie sie an den meisten Universitäten gelehrt wird, ganz zu schweigen.
Dann kommt es den Universitäten auch nicht komisch vor, wenn sie etwa mit dem börsennotierten Finanzbildungsunternehmen MLP kooperieren. Ganz vorne mit dabei die Goethe-Universität Frankfurt, wo man sich sogar über den Career-Service der Universität bei »Lehrveranstaltungen« des Unternehmens anmelden kann. Dort drehen dann MLP-Angestellte den Studierenden auf Provisionsbasis diverse Finanzprodukte an, von der Altersvorsorge bis zur Immobilienfinanzierung. Die Bürgerbewegung Finanzwende bewertet diese Verträge als »unrentabel, ungeeignet oder viel zu teuer«.
Der Ökonom Pierre-Yves Gomez macht für die Finanzialisierung der Wirtschaft in hohem Maße die Wirtschaftswissenschaft und insbesondere die höhere Managementausbildung mitverantwortlich: Erstens habe die kritische Finanzbildung gegenüber der technischen Finanzbildung versagt – daher wird auch kaum kritisch auf die Finanzialisierung reflektiert. Zweitens übernahmen die Universitäten die Bewertungsmethoden des Finanzwesens in die Lehre – etwa Ratings und Ranglisten für Publikationen. Das hat Gomez zufolge die Forschenden von der Realität abgekoppelt, sodass sie nur noch mit Gleichgesinnten verkehren. Und drittens fingen jene Management-Universitäten an, ihre Expertinnen und Experten wie die in der Finanzindustrie zu bezahlen. Das brachte sie in Finanznot, woraufhin sie Studiengebühren einführten. Und das wiederum lässt Studierenden der Wirtschaftswissenschaften einen Job in der Finanzindustrie naheliegender erscheinen – Stichwort Rendite des Studiums.
Von der Studierendenanleihe über Studiengebühren bis hin zur Industrieforschung – sie alle haben eine gemeinsame Grundlage: die Sparpolitik. Wenn man dem Staat seinen finanziellen Handlungsspielraum nimmt – ihn also in seiner Fähigkeit einschränkt, Steuern zu erheben oder Schulden aufzunehmen – dann ist er gezwungen, die Verantwortung abzugeben: an Universitäten, die sich dann selbst finanzieren müssen; an Studierende, die die Rechnung bezahlen müssen; an Spekulanten und Konzerne, die ihre Gunst der Stunde wittern. Die Folgen sind fatal. Doch auch der Ausweg ist offensichtlich. Es braucht nicht weniger Staat in der Bildung, sondern mehr.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.