23. Februar 2022
Im Wahlkampf forderten die Grünen noch eine sozial-gerechte Klimawende. Anstatt sich dafür einzusetzen, übernehmen sie finanzpolitische Positionen der FDP.
Eine soziale Wende wird mit der Finanzpolitik der Grünen in Zukunft nicht zu machen sein.
Die Grünen müssen sich entscheiden: Schlagen sie in der Finanzpolitik einen wirtschaftsliberalen oder progressiven Kurs ein? Wenn sie die Klimawende und die Vermögensexplosion der Superreichen tatsächlich bewältigen wollen, müssen sie sich in dieser Sache einig werden. Seit Jahren schon zerreibt sich die Partei in der Frage, wie weit links sie in der Steuerpolitik stehen will. Das zeigte sich auch im Wahlkampf der Bundestagswahl. Während die Parteiführung herumeierte, legte die Bundesarbeitgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen ein solides Positionspapier vor, das zwar keine Vermögensteuer, aber immerhin eine Vermögensabgabe forderte. Doch auch im Wahlprogramm finden sich finanzpolitische Maßnahmen, die zweifelsohne in die richtige Richtung weisen– allerdings sind diese teilweise so vage formuliert, dass sie schnell wieder verworfen werden können: die Ausnahme von Investitionen bei der Schuldenbremse, die Einführung der Vermögensteuer, die Reform der Erbschaftssteuer oder die Abschaffung der Abgeltungsteuer haben es alle nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.
Die Öffentlichkeitsarbeit der Grünen war jahrelang von progressiven Finanzpolitikern geprägt wie etwa dem ehemaligen finanzpolitischen Sprecher im Bundestag und promovierten Volkswirt Gerhard Schick, der nun die Bürgerbewegung Finanzwende leitet, oder dem ehemaligen Finanzexperten aus dem EU-Parlament und Wirtschaftswissenschaftler Sven Giegold, der nun Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck ist. Heute geben andere Personen den Ton an. Deren Positionen, Argumente und Rhetorik kommen denen von Lobbyverbänden und der FDP auffällig nahe. Lindner dürfte das freuen. Dabei wäre es insbesondere jetzt wichtig, Druck auf den Finanzminister auszuüben, um progressive Teilprojekte umzusetzen.
Während Robert Habeck im Wahlkampf und die Vize-Fraktionschefin, ehemalige finanzpolitische Sprecherin und Volkswirtin Lisa Paus in der letzten Legislaturperiode durchaus einen progressiven finanzpolitischen Kurs gefahren haben, ist der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz der wirtschaftsliberale Hardliner der Grünen und könnte hin und wieder sogar als Freidemokrat durchgehen. So bezeichnet er die Schuldenbremse als »eine Errungenschaft, weil sie die Interessen zukünftiger Generationen schützt« und kritisiert die Besteuerung hoher Vermögen mit fadenscheinigen Argumenten. Solche Positionen kommen der FDP wie gerufen. Bayaz führte zuletzt zwar auch ein Meldeportal für Steuerhinterzieher ein, machte sich für die Aufklärung im Wirecard-Skandal stark und zeigt grundlegende Bereitschaft, die Schuldenbremse zu reformieren. Gleichzeitig stützt er das wirtschaftsliberale Framing, dass es nur etwas faireren Wettbewerb bräuchte.
Der Berliner Finanzminister Daniel Wesener (ebenfalls kein Ökonom) gehört im Vergleich zu Bayaz immerhin einem progressiven Mitte-links-Bündnis an, dessen Koalitionsvertrag einige begrüßenswerte Schritte in Richtung einer Reformierung der Schuldenbremse beinhaltet. Doch auch er tönte neulich überaus konservativ. Ihm zufolge hätten die Finanzpolitiker der unterschiedlichen Parteien große Gemeinsamkeiten über die Parteifarben hinaus. Das zeigt jedoch eher, dass viele der Finanzminister nicht dem progressivsten Flügel ihrer Partei angehören und man untereinander den Konsens mit anderen fiskalkonservativen Kollegen sucht. Die Vorgaben der Schuldenbremse nimmt Wesener kritiklos hin und beschwert sich über mangelndes Geld und zu hohe Ausgaben. Dabei macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man an der schwarzen Null festhält oder die Schuldenbremse reformiert oder umgeht, um progressive Projekte wie einen Ausbau des Sozialstaats, Steuerentlastungen oder Investitionen zu ermöglichen. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn sich der finanzielle Spielraum einer progressiven Regierung auf einen Schlag um 10 oder 20 Prozent erweitern würde.
Weseners Haltung wird deutlich als er Berlin dafür lobte, in der Corona-Krise nicht der »Schuldenweltmeister« in Deutschland gewesen zu sein. Übersetzt bedeutet das: Selbst die rot-rot-grüne Berliner Regierung nutzt nicht alle Spielräume, um progressive Projekte umzusetzen. Wenn man sich damit rühmt, weniger Schulden gemacht zu haben als etwa Markus Söder oder Schulden schneller tilgen zu wollen als Armin Laschet, stützt man bloß deren Argumentation, die besagt, dass Schulden generell schlecht seien und nicht etwa ein valides Mittel, um die Wirtschaft anzukurbeln, Jobs zu schaffen und die Klimawende voranzubringen.
Daneben leisteten sich Abgeordnete der Grünen auch einige finanzpolitische Ausreißer. Zwar sprach sich Lisa Paus mehrmals für eine Übergewinnsteuer auf Krisengewinne und eine Vermögensabgabe für Superreiche aus. Gleichzeitig schloss sie Steuersenkungen als Entlastung in Zeiten explodierender Energiepreise aus. Ihrer Auffassung nach, seien Steuersenkungen wegen der Inflation nicht umzusetzen.
Im Falle einer nachfrageseitigen Inflation würde das durchaus Sinn ergeben: Stünden wir kurz vor der Vollbeschäftigung, würde die Wirtschaft zu überhitzen drohen. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass man die steigenden Energiekosten nicht kompensieren dürfe. Da die gegenwärtige Inflation aber nicht nachfrageseitig, sondern angebotsseitig ist, macht die Ampel genau das – wenn auch für viel zu wenige Leute und mit zu wenig Geld. Die Umfinanzierung der EEG-Umlage oder der Heizkostenzuschuss wirken beide ähnlich nachfrageseitig wie eine Steuersenkung. Doch das Argument, wonach es keinen finanziellen Spielraum gäbe, um kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, stützt das Mantra der FDP. So betonte Lindner erst kürzlich wieder, dass die fiskalischen Mittel 2022 begrenzt seien, obwohl die Schuldenbremse ausgesetzt ist.
Auch die aktuelle finanzpolitische Sprecherin der Grünen und Betriebswirtin Katharina Beck übernimmt in ihren Argumenten Framings der Liberalen. Sie fordert zwar eine Reform der Erbschaftsteuer, hinsichtlich der Vermögensteuer erklärte sie jedoch: »Ich finde auch, dass man die Betriebsvermögen von einer Vermögensteuer ausnehmen sollte.« Im Wahlprogramm war noch von Begünstigungen, nicht aber von einer Freistellung die Rede. Dieser kleine Unterschied ist nicht zu vernachlässigen. Eine Begünstigung könnte bedeuten, dass Betriebsvermögen mit 0,5 Prozent und Privatvermögen mit 1 Prozent besteuert würden. Das ist zwar lange nicht hoch genug, aber ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wenn man aber Betriebsvermögen komplett ausnimmt, wird man das Ziel, Multimillionäre und Milliardärinnen zu besteuern, verfehlen.
Privatvermögen in der Form von Aktien, Immobilien und Autos machen zwar einen hohen Anteil am Gesamtvermögen der gehobenen Mittelschicht aus, bei den Superreichen sind jedoch vor allen Dingen die Vermögen aus eigenen Unternehmen ausschlaggebend: 70 Prozent des Vermögens des obersten 1 Prozents, fast 90 Prozent des Vermögens des obersten 0,1 Prozents und fast 100 Prozent des Vermögens des obersten 0,01 Prozents stammen aus Betriebsvermögen. Nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft liegt der Anteil des Betriebsvermögens beim Gesamtvermögen des obersten 1 Prozents bei 60 Prozent. Auch wenn die Zahlen auseinandergehen, ist dennoch unstrittig, dass der Anteil des Betriebsvermögens am Gesamtvermögen mit steigendem Vermögen zunimmt. Genau diese Zahlen führen Lobbyverbände wie die Stiftung Familienunternehmen an, um zu argumentieren, dass eine Vermögensteuer, die Betriebsvermögen beinhaltet, Vermögen »aufzehrt«. Das ist angesichts solch einer moderaten Vermögensteuer eine Nebelkerze, da Betriebsvermögen eine Rendite erzielen und außerdem hohe Freibeträge gelten (selbst bei Vorschlägen der Linkspartei).
Wenn Katharina Beck und Danyal Bayaz implizieren, die Vermögensteuer sei eine Substanzbesteuerung , stärkt das die Argumentation der Arbeitgeberseite. Da hilft es dann auch nichts, eine höhere Erbschaftsteuer zu fordern, da die Arbeitgeberseite auch dort vor der Substanzbesteuerung warnt.
Doch dem nicht genug. In einer Regierungsbefragung wollte Katharina Beck kürzlich von Christian Lindner wissen, wie er Deutschland als Standort der Sustainable Finance entwickeln wolle. Becks Formulierung dieser Frage strotzte vor überströmendem Enthusiasmus für die Finanzmärkte. Ihr zufolge seien die Finanzmärkte Ermöglicher der Klimawende. Die Finanzindustrie habe »richtig Lust« auf die Transformation und wünsche sich »bessere Rahmenbedingungen« für den grünen Finanzmarkt. Bessere Regulierungen sind ohne Zweifel notwendig – diese sollten sich jedoch nicht danach richten, was sich die Finanzindustrie »wünscht«, sondern ihr vielmehr kritisch gegenüberstehen. Ansonsten wird die Klimawende durch die Finanzmärkte bestimmt werden. Die renommierte Professorin für Makrofinanzen und Expertin für grüne Finanzmärkte Daniela Gabor beschrieb Becks Framing daher auch treffend als »grünen Ordoliberalismus«.
Eine führende Finanzpolitikerin der Grünen macht sich hier zum Sprachrohr von Konzerninteressen. Anstatt einer staatlich-gelenkten Industriepolitik fordert sie indirekt eine finanz-gelenkte Risikominderung. Sie übernimmt den Sprech der Marketingabteilung von Finanzgiganten, wenn sie argumentiert, dass diese ja nur zu gerne nachhaltig investieren würden, dafür aber bessere Regeln benötigten.
Auch Christian Lindners neuer »Chefvolkswirt«, der neoliberale Ökonom Lars Feld, hat in den Reihen der Grünen seine Fans. Feld spricht sich unter anderem für ein Sparjahrzent für südeuropäische Länder, ein höheres Renteneintrittsalter und eine harte Schuldenbremse aus. Daher ist es besonders besorgniserregend wenn Danyal Bayaz Felds Perspektive lobt. Damit ist Bayaz nicht alleine, auch der wirtschaftspolitische Sprecher im Bundestag und Politikwissenschaftler Dieter Janecek betonte bei einer Befragung von Christian Lindner im Bundestag, wie sehr er Feld schätze.
»Finanzpolitisch vage bis neoliberal« lautete der Titel eines Artikels, den ich in Reaktion auf das Sondierungspapier verfasste. Im Koalitionsvertrag hat sich diese Linie verfestigt. Die Grünen haben das perfekte finanzpolitische Personal für das Regierungsprogramm der Ampel. Woran es den Grünen mangelt, ist progressiver Wirtschaftskompetenz. Dabei wäre diese gerade deswegen vonnöten, um Linders neoliberalem Kurs etwas entgegenzusetzen. Stattdessen spielen sie ihm die Bälle zu und übernehmen wirtschaftsliberale Positionen. Die grüne Finanzpolitik ist damit perfekt für den grünen Kapitalismus. Die Ziele einer ökologischen und sozialen Wende werden damit jedoch auf keinen Fall erreicht werden können.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.