26. Juli 2023
Die neue finnische Regierung macht deutlich, wie kompatibel neoliberale und rechtsradikale Politik sind. Die Linke muss dem begegnen, indem sie sich sowohl Rassismus und Nationalismus als auch der Sparpolitik entgegenstellt.
Die Regierung von Ministerpräsident Petteri Orpo schießt gegen Migrantinnen und Arbeiter.
IMAGO / LehtikuvaNicht einmal zwei Wochen dauerte es, bis Finnlands neue Rechtsregierung ihre erste Krise erlebte. Wie sich herausstellte, hatte Wirtschaftsminister Vilhelm Junnila von der nationalistischen Finnenpartei (Perussuomalaiset, früher auch bekannt als Wahre Finnen) in der Vergangenheit mit rechtsextremen Codes und Zeichen hantiert. Hinzu kamen »Witze«, in denen er seine Verehrung für Adolf Hitler andeutete. In einem Misstrauensvotum erhielt er nicht einmal die Unterstützung aller Kabinettsmitglieder und musste einige Tage später zurücktreten.
Junnila ist nicht der einzige kontroverse Politiker in seiner Partei. Mehrere andere Abgeordnete der Finnenpartei sind bereits wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Der ideologische Führer der Partei, Jussi Halla-aho, der jetzt Sprecher des finnischen Parlaments ist, schrieb einmal, sein Wunschtraum wäre, dass Ausländer diverse linke und liberale Politikerinnen vergewaltigen würden. Die neue Finanzministerin Riikka Purra, aktuell Vorsitzende der Finnenpartei, begann ihre politische Laufbahn im Jahr 2008 mit einem Kommentar in Halla-ahos Online-Gästebuch, in dem sie sich rassistisch über Migranten äußerte.
Allerdings ist die Finnenpartei nur der Juniorpartner in der Regierung. Sie sind die Erfüllungsgehilfen, die zweite Geige und die benötigte Unterstützung, um Neoliberalismus und Austerität in Finnland auf ein neues Niveau zu heben. Hier zeigt sich die finnische Variante eines Modells, das in ganz Europa umgesetzt wird.
Die Regierung wird angeführt von der Nationalen Sammlungspartei, die sozusagen der parlamentarische Arm des finnischen Kapitalismus ist. Ihr Chef Petteri Orpo ist nun Ministerpräsident. Die Partei war 1918 ursprünglich als konservativ-nationalistische Bewegung gegründet worden, präsentiert sich seit den 1990er Jahren aber als modernes Zuhause für Kosmopolitinnen, Umweltschützer und liberale Feministinnen – vorausgesetzt, diese können mit einer Wirtschaftspolitik der Privatisierung, Deregulierung, Steuersenkungen und einer radikal unternehmensfreundlichen Haltung in Finnland leben.
Das Programm der neuen Regierung entspricht zweifelsfrei diesen Zielen. Es beinhaltet Geldstrafen für Arbeiter, die sich an wilden Streiks beteiligen, Einschränkungen für Solidaritätsstreiks, und eine Regelung, nach der im Falle einer Erkrankung schon der erste verpasste Arbeitstag unbezahlt bleibt. Außergewöhnlich ist, dass sich die Regierung auch in Tarifverhandlungen einmischt: Sie hat verfügt, dass Gewerkschaften nicht für bessere Tarifverträge kämpfen dürfen, wenn Lohnerhöhungen von der Industrie vorgeschlagen werden.
Es ist klar, dass die neue Regierung versucht, einen Konflikt mit der Arbeiterbewegung – und mit den Institutionen des Wohlfahrtsstaats – zu provozieren. Neben einer arbeiterfeindlichen Agenda enthält ihre To-Do-Liste das sogenannte »6+3«-Modell für Sparmaßnahmen: In der aktuellen Legislaturperiode (also in den kommenden vier Jahren) sollen sechs Milliarden Euro ausgegeben werden, in der nächsten nur noch drei. Geschafft werden soll dies durch umfassende Kürzungen im Gesundheits- und Sozialwesen, einschließlich einer strengen Bedürftigkeitsprüfung bei Leistungen wie der Sozialhilfe – dem letzten Strohhalm, der ausschließlich für die ärmsten Bürgerinnen und Bürger gedacht ist.
»Zu dem Migrationsfokus der Finnenpartei gesellt sich zunehmend eine auf Austerität ausgerichtete Wirtschaftspolitik, die sich nur in Details von der Sammlungspartei unterscheidet.«
In der Vergangenheit hat die Nationale Sammlungspartei oft mit den Sozialdemokraten koaliert. 2019 bis 2023 stellte die Sozialdemokratie in einer Fünf-Parteien-Koalition ohne die Sammlungspartei die Ministerpräsidentin Sanna Marin. Marins »Skandale« beschränkten sich bekanntlich darauf, dass sie ausgelassen feierte – rassistische Aussagen leistete sie sich keine. Vorherige blau-rote Große Koalitionen dienten traditionell dazu, zu deregulieren und eine Politik zu machen, die sich an den Interessen der Unternehmen orientiert – allerdings mit Augenmaß und in Absprache mit den Gewerkschaften, die der Sozialdemokratie nahestehen.
Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei. Die Linke weiß, dass die Sozialdemokratie dazu neigt, sich selbst zu zerstören, wenn sie mit den Konservativen koaliert. Doch auch die Neoliberalen waren selten zufrieden mit diesen Koalitionen. Zwar konnten sie ihre gewünschten Reformen und Kürzungen stets durchsetzen, das war ihrer Ansicht nach aber nicht genug. Die Zusammenarbeit mit der radikalen Rechten bietet ihnen nun ganz neue Methoden, ihre Agenda durchzusetzen. Selbst im liberalen Flügel der Nationalen Sammlungspartei ist es für viele kein Problem, eine restriktive Einwanderungspolitik und eine Aufweichung der finnischen Klimaziele als Gegenleistung für neoliberale Wirtschaftsreformen mitzutragen.
Die Finnenpartei war 2015 bis 2017 bereits einmal an der Regierung beteiligt. Auch damals kam es zum Desaster. Als die von Halla-aho angeführten migrationsfeindlichen Hardliner die Macht in der Partei übernahmen, wurde sie von den Koalitionspartnern schnellstens ausgebootet. Die gemäßigte Fraktion der Partei spaltete sich ab und endete in der politischen Bedeutungslosigkeit.
Die moderne Finnenpartei hat das ausdrückliche Ziel, weniger Migration aus dem Nahen Osten und Afrika nach Finnland zuzulassen. Es ist ihr gelungen, mehrere einwanderungsfeindliche Punkte im Regierungsprogramm unterzubringen – höhere Vermögensnachweise für einwandernde Fachkräfte, verschärfte Staatsbürgerschaftsregeln, gekürzte Quoten für die Aufnahme von Menschen aus Flüchtlingslagern. Die Botschaft ist klar, sowohl für Menschen, die nach Finnland kommen wollen, als auch für die Wählerschaft der Partei: Einwanderer sind hier nicht willkommen.
Zu dem Migrationsfokus der Finnenpartei gesellt sich zunehmend eine auf Austerität ausgerichtete Wirtschaftspolitik, die sich nur in Details von der Sammlungspartei unterscheidet. Letztendlich kann die Partei vor ihren Anhängern alles mit einem einfachen Credo rechtfertigen: Wenn »die Linken« meckern, hat man alles richtig gemacht.
So war es für die Finnenpartei genauso einfach wie naheliegend, sich mit der neoliberalen Sammlungspartei zu verbünden wie umgekehrt. Die Finnenpartei hat sogar implizit ihre bisherige Ablehnung der EU-Mitgliedschaft aufgegeben (sie wird zwar immer noch in den Parteiprogrammen erwähnt, aber die Parteiführung hat versprochen, dieses Vorhaben während der Regierungszeit nicht voranzutreiben).
Bei den anderen großen außenpolitischen Themen – NATO-Integration und Unterstützung für die Ukraine – wird die neue neoliberal-rechte Landesführung die Haltung der Vorgängerregierung fortführen. Diese ist allerdings in sämtlichen im finnischen Parlament vertretenen Parteien Konsens.
Viele der neuen Wählerinnen und Wähler der Finnenpartei mussten gelockt und mit finanziellen Vorteilen umworben werden. Ein Grund für das gute Abschneiden der Finnenpartei bei den Wahlen dürfte das Versprechen gewesen sein, die Lebenshaltungskosten zu senken (die nach wie vor hoch sind), insbesondere die Spritpreise. Im Koalitionsvertrag ist dies freilich nicht mehr zu finden und die geplanten Sparmaßnahmen sowie die arbeiterfeindliche Politik dürfte vor allem die Mittelschicht in den Kleinstädten spüren – die Basis der Finnenpartei.
An den Koalitionsverhandlungen waren außerdem zwei kleinere Parteien beteiligt. Die sozialkonservativen Christdemokraten konnte ihre Kernthemen – wie die Gegnerschaft zu Schwangerschaftsabbrüchen oder Trans-Rechten – nicht durchsetzen, scheinen aber mit einem Platz am Regierungstisch zufrieden.
Anders war es bei der Schwedischen Volkspartei (SFP), der einzigen Partei aus Marins ehemaliger Regierung, die auch in der neuen mitvertreten ist. Die SFP, die gegründet wurde, um die Interessen der schwedischsprachigen Gemeinschaft in Finnland – immerhin 5,2 Prozent der Gesamtbevölkerung – zu vertreten, hat sich immer gerne als eine Partei dargestellt, die sich um Minderheiten und die Umwelt kümmert.
Die Beteiligung an einer Regierung mit einer nationalistischen Partei ist für die SFP daher nicht unproblematisch. Doch was die Partei schon immer ausgezeichnet hat, ist ihr ausgeprägter Pragmatismus. Ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen hätte dem Ansehen der Partei schaden können. Hinzu kommt, dass man in Sachen Neoliberalismus ohnehin die gleichen Werte vertritt wie die Sammlungspartei.
Ganz grundsätzlich zeigt sich an der SFP, wie sinnlos die Unterscheidung zwischen Liberalen und Konservativen inzwischen ist. Selbst in Fragen wie der Migration konzentrierten sich die liberalen Argumente oft auf wirtschaftliche Aspekte. So werden möglichst billige ausländische Arbeitskräfte gegenüber Asylsuchenden bevorzugt. Bei einer solchen Sichtweise treten die Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Asyl, oftmals in den Hintergrund.
»Die Grünen haben eine neue Parteivorsitzende gewählt, die zwar die nationalistischen Tendenzen der Regierung kritisiert, aber Teile der arbeiterfeindlichen Gesetzgebung unterstützt.«
Auch in Umweltfragen haben sich die liberalen Politikerinnen und Politiker viel mehr damit beschäftigt, ob das formale Regierungsziel der CO2-Neutralität bis 2035 beibehalten werden soll oder nicht, als mit konkreten Umweltmaßnahmen. Im Wesentlichen heißt das, dass man einfach dem finnischen Pro-Atom-Konsens folgt und ansonsten nicht viel mehr tut.
Es ist immer noch möglich und denkbar, dass die Finnenpartei den Liberalen irgendwann zu toxisch wird. So haben die SFP-Ministerinnen und -Minister beim Misstrauensvotum allesamt gegen Junnila gestimmt. Und nach Bekanntwerden von Purras rassistischen Äußerungen schrieb der liberale Europaminister Anders Adlercreutz einen Blogeintrag, in dem er klar machte, aus Sicht seiner Partei stehe die Regierungskoalition bereits auf Messers Schneide.
Letzten Endes läuft der liberale Widerstand jedoch auf die Sorge um das eigene Image hinaus. So lobte Adlercreutz im selben Artikel die Wirtschaftspolitik der Regierung, äußerte aber – neben Befürchtungen in Bezug auf die Menschenrechte – seine Bedenken darüber, dass die Finnenpartei dem internationalen Ansehen Finnlands schaden könnte. Dies könne nämlich zu weniger Investitionen aus dem Ausland führen. Insgesamt sieht es aber danach aus, dass die Regierungsparteien ihre Widersprüchliche ausräumen können werden.
Ähnliche Positionierungsschwierigkeiten gibt es auch bei einigen Oppositionsparteien. Die finnischen Grünen haben eine neue Parteivorsitzende gewählt, die zwar die konservativ-nationalistischen Tendenzen der Regierung kritisiert, gleichzeitig aber Teile der arbeiterfeindlichen Gesetzgebung unterstützt. Sie und die Zentrumspartei – die am weitesten rechts stehende Partei in Marins ehemaliger Regierung – wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Kritik an der Regierung für ihre schlimmsten Vergehen und dem Bemühen, nicht allzu polarisierend aufzutreten.
Die Linken reagierten auf die Wahlergebnisse zunächst mit Apathie. Die Fans der Regierung von Marin hofften zunächst, die neue Regierungskoalition könnte an einem Skandal zerbrechen, bevor sie überhaupt ernsthaft zusammenfindet. Dieser Dornröschenschlaf ist inzwischen jedoch vorbei. Zumindest wurden aufgrund der Skandale bei der Finnenpartei bereits die ersten Protest-Demonstrationen gegen die neue Regierung angemeldet.
Die Spannungen zwischen dem liberalen Wunsch, das progressive Image Finnlands aufrechtzuerhalten, und dem nationalistischen Wunsch, Zustimmung für rechtsradikale Äußerungen zu erhalten, lassen sich leicht ausnutzen. Rassistische Ausfälle dürfen nicht geduldet werden; und tatsächlich bewirkte der Druck der Opposition und der Öffentlichkeit bereits den Rücktritt von Junnila und Purras Entschuldigung (wie halbherzig diese auch gewesen sein mag).
Es ist nach wie vor möglich, dass die internen Spannungen zu einem baldigen Ende der Koalition führen, bevor diese wirklichen Schaden anrichten kann. Für den Fall, dass dies nicht der Fall ist, sollte man sich bei Sozialdemokraten und Linken aber auf einen längeren Kampf einstellen. Dabei geht es nicht um die »Alltagsskandale« der Rechten, sondern um eine deutliche Kritik an der neoliberalen Regierungspolitik.
Klar ist: Die Haltung der Regierung ist ein Schuss vor den Bug der Arbeiterschaft und der Gewerkschaften. Eine mögliche Reaktion von deren Seite könnte den eintägigen Generalstreik von 2015 in den Schatten stellen. Die Unterstützung der Linken für die Gewerkschaften wird dabei entscheidend sein. Sobald die Austeritätsmaßnahmen umgesetzt werden, werden viele Menschen die Auswirkungen der Kürzungen auf ihre örtlichen Schulen, Kindertagesstätten und Gesundheitseinrichtungen spüren. Der Kampf für kommunale Einrichtungen und Leistungen in den Klein- und Vorstädten wird dabei zentral sein.
Die Regierung könnte darüber hinaus gezielt versuchen, die Grenzen der finnischen Verfassung auszutesten. Die Verfassung, die in den 2000er Jahren in Kraft getreten ist, war ein leuchtender Stern in einer Zeit, die ansonsten vor allem von neoliberaler Politik geprägt war. In ihr sind die Grundlagen und die Logik des finnischen Wohlfahrtsstaats festgeschrieben. Die Verfassung ist außerdem ein potenzielles Hindernis für einen Großteil der Einwanderungspolitik der Finnenpartei. Denn zu ihren Grundlagen gehören neben dem Wohlfahrtsstaatsmodell auch internationale Menschenrechtsabkommen.
Die weiteren Entwicklungen in Finnland könnten über die Landesgrenzen hinaus von Bedeutung sein. Im benachbarten Schweden sind die Mitte-Rechts-Parteien inzwischen auf die parlamentarische Unterstützung durch die rechtsradikalen Schwedendemokraten angewiesen. Letztere sind zwar nicht direkt an der Regierung beteiligt, aber möglicherweise noch einflussreicher als die Finnenpartei. Auch in Spanien erwägen die Konservativen, mit der rechten Vox zu koalieren.
Das Schicksal beziehungsweise der (Miss-) Erfolg der finnischen Koalition kann ein Barometer dafür sein, ob zukünftig eine Verknüpfung von Austerität und rechtsradikalen Gesellschaftsansichten möglich ist und wie funktionsfähig eine solche Kooperation wäre. Die »Brandmauer«, die Liberale und Konservative von Nationalisten trennt, wird überall in Europa von Jahr zu Jahr dünner und durchlässiger. Darauf zu reagieren und eigene Lösungen durchzusetzen ist die große Aufgabe für die Linke, europaweit.
Tatu Ahponen lebt in Tampere, Finnland. Er ist Mitglied der Linksbündnisses und stellvertretendes Mitglied des Parteirats.