08. Juni 2023
Mikrofinanzierung und Fintech wurden als innovative Lösungen für die Armut im Globalen Süden verkauft. In der Regel haben sich stattdessen die Investoren auf Kosten der Armen bereichert, sagt der Ökonom Milford Bateman im JACOBIN-Interview.
Safaricom macht die Menschen erst von seinen Mikrofinanzdiensten abhängig, um dann die Preise in die Höhe zu treiben.
IMAGO / ZUMA WireSeit den 1980er Jahren verkaufen westliche Eliten die »Mikrofinanzierung« als eine Möglichkeit, die ökonomische Entwicklung des Globalen Südens zu unterstützen. Und zwar soll dies gelingen, indem man armen Gemeinden den Zugang zu Bankgeschäften und Krediten erleichtert. »Fintech«, kurz für Finanztechnologie, ist die jüngste Entwicklung dieses Konzepts, bei dem digitale Plattformen eingesetzt werden, um den Armen der Welt Finanzdienstleistungen anzubieten.
Nach Ansicht des Ökonomen Milford Bateman erweist sich das Versprechen von Mikrofinanzierung und Fintech jedoch als Illusion. Weit davon entfernt, den Lebensstandard der weltweit Ärmsten zu verbessern, haben Fintech- und Mikrofinanzprogramme die Menschen oft noch tiefer ins Elend geritten und gleichzeitig exorbitante Gewinne für die westlichen Investorinnen und Investoren hinter diesen Programmen erzielt. Im Interview mit Fabio de Masi erklärt Bateman, warum und wie Mikrofinanzierung und Fintech den Armen nicht geholfen haben, und stellt vielversprechende Fintech-Experimente des öffentlichen Sektors in Brasilien vor, die das Profitmotiv aus der Gleichung herausstreichen.
Dieses Interview ist Teil einer Reihe von Veröffentlichungen, die Fabio De Masi, ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und des Deutschen Bundestags, für ein Projekt mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung durchgeführt hat. Seine Studie »When Finance Meets Big Data: Financial Technology and the Scramble for Africa« sowie weitere Publikationen finden sich im Dossier »The Future of Money in Africa« der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das sich mit Themen wie Fintech, Krypto und Modern Monetary Theory (MMT) beschäftigt. Das Interview wurde nach der Veröffentlichung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung leicht aktualisiert und erweitert, um die Ernennung des ehemaligen CEOs von Mastercard zum neuen Präsidenten der Weltbank einzubeziehen.
Die Fintech-Branche und einige Entwicklungsberater behaupten, dass die finanzielle Integration in den digitalen Geldkreislauf den Armen hilft. Ähnliche Hoffnungen wurden ursprünglich mit der Mikrofinanzierung verknüpft. Wie siehst Du die finanzielle Eingliederung als Mittel zur Bekämpfung der Armut?
Es ist eine bizarre Geschichte. Eine Entwicklung, die mit einfachen Mikrokrediten begann, umfasste bald auch andere Finanzdienstleistungen – Sparen, Versicherungen, Leasing und so weiter – und wird heute als Mikrofinanzierung bezeichnet. Ihr führender Verfechter und Friedensnobelpreisträger von 2006, der Bankier Muhammad Yunus, verkündete wiederholt, dass die Mikrofinanzierung die weltweite Armut innerhalb einer Generation beseitigen würde.
Die Mikrofinanzierung wurde erstmals in den 1980er Jahren in Bangladesch und Bolivien bekannt. In den späten 2000er Jahren wurde jedoch die bittere Realität sichtbar: Mikrofinanzierung funktioniert nicht wirklich. Trotz Hunderten Milliarden von Dollar an Mikrokrediten, die an die Armen in der Welt vergeben wurden, lässt sich keine nennenswerte positive Auswirkung auf die weltweite Armut feststellen.
»Dabei geht es nicht so sehr um die Bekämpfung der weltweiten Armut, sondern vielmehr darum, den Aufbau von Finanzmärkten fortzusetzen.«
Nach und nach wurde eingeräumt, dass es zwar nicht gelungen war, den Globalen Süden umzukrempeln, aber weiterhin behauptet, dass einige der Armen in der Welt von Mikrofinanzierung profitiert hätten. Dies war zum Beispiel die Ansicht der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2019 und einst starken Befürworter des Mikrofinanzmodells, Abhijit Banerjee und Esther Duflo. Sie waren dann gezwungen, ihre Meinung zu ändern und zuzugeben, dass die korrekte Interpretation der Daten darin bestand, dass die Mikrofinanzierung wenig bis gar keine wirklich positiven Auswirkungen auf die Ärmsten hatte.
Du gehst sogar noch weiter, indem Du argumentierst, dass die finanzielle Eingliederung den Armen schaden könnte. Wie kommt das?
Mikrofinanzinstitutionen haben enorme wirtschaftliche Renten mit den Ärmsten erwirtschaftet. Es ist kein Zufall, dass wir die schädlichsten Auswirkungen der Mikrofinanzierung genau dort finden, wo sie am stärksten Fuß gefasst hat: unter anderem in Bosnien, Südafrika, Kambodscha, Indien, Bolivien, Kenia, Kolumbien, Peru und Sri Lanka. In diesen Ländern entwickelten sich die Mikrofinanzinstitute zu einigen der profitabelsten Unternehmen der Welt.
Die meisten ihrer Kundinnen und Kunden lebten in Armut, doch in der Hoffnung auf Besserung stürzten sie sich nur allzu oft in noch tiefere Schulden. Sie verloren ihre Sicherheiten, die sie für ein Mikrodarlehen verpfändet hatten – Häuser, Grundstücke, Ausrüstung und so weiter – und mussten mit ansehen, wie ihre Gemeinden so ausgelaugt wurden, dass nur noch wenige produktivitätssteigernde Arbeitsplätze existierten.
Aber hat die Mikrofinanzierung die finanzielle Inklusion der Ärmsten in den digitalen Geldkreislauf erreicht?
Ja, in den 2000er Jahren hat die Mikrofinanzbranche die finanzielle Inklusion im Globalen Süden auf ein neues Niveau gehoben und so etwas wie eine »fast vollständige« finanzielle Integration erreicht. Dies wurde auf vielen Veranstaltungen gefeiert, vor allem auf denen der einflussreichen Microcredit Summit Campaign.
Prinzipiell nützt es den Armen der Welt, wenn ihnen mehr und bessere Finanzdienstleistungen zur Verfügung stehen. Aber der Schlüssel liegt in der Art und Weise, wie man die finanzielle Eingliederung gestaltet. Bisher geht es dabei nicht so sehr um die Bekämpfung der weltweiten Armut, sondern vielmehr darum, den Aufbau von Finanzmärkten fortzusetzen, die die Armen als Kundschaft einschließen, damit Investorinnen und Investoren davon profitieren.
Warum diskutieren wir zwanzig Jahre später immer noch über finanzielle Eingliederung, wenn sie die Armut nicht verringern konnte?
Als in den späten 2000er Jahren klar wurde, dass die Mikrofinanzierung nicht funktioniert, sprach man davon, die Fortschritte bei der Förderung der finanziellen Inklusion seien »nicht ausreichend«. Man argumentierte, dass wir nun dringend die »letzte Meile« gehen müssten, um eine »vollständige« finanzielle Inklusion zu erreichen.
Aber wie kann es sein, dass eine »fast vollständige« finanzielle Integration keine wirklich positive Auswirkung auf das weltweite Armutsniveau hatte, aber nun noch ein bisschen mehr finanzielle Inklusion die weltweite Armut beenden können soll? Diese weit verbreitete Behauptung ergab absolut keinen Sinn. Und doch wurde und wird sie weithin geglaubt.
Warum ist das so?
Diese Behauptungen sind in Wirklichkeit nichts anderes als ein Vorwand, um das Angebot an Mikrofinanzierungen weiter auszubauen. Die Mikrofinanzindustrie erkannte in den 1990er Jahren, dass sie tatsächlich verdammt viel Geld verdienen kann, wenn sie bis in die ärmsten Gemeinden vordringt. Einige Beispiele wie Compartamos Banco México, SKS Microfinance Limited in Indien und ACLEDA in Kambodscha zeigten, dass ein ausreichend großes Mikrofinanzinstitut mit der richtigen Organisation und kreativem Einsatz von Sicherheiten eine Menge Geld für seinen CEO und seine Investorinnen und Investoren verdienen kann.
»Fintech wird oft als ›Mikrofinanzierung auf Steroiden‹ beschrieben.«
Was mit den Menschen und ihren Gemeinden geschah, interessierte sie nicht wirklich. Ebenso wenig nahmen sich die Finanzinstitute der Wall Street die Zeit, darüber nachzudenken, wie sich die Ausweitung des Angebots an äußerst profitablen Subprime-Hypotheken letztlich auf die glücklosen Menschen auswirken würde, die diese Kredite abgeschlossen hatten und von denen viele benachteiligten Bevölkerungsgruppen angehörten.
Das explosive Wachstum des weltweiten Angebots an Mikrofinanzierungen fand in den 2010er Jahren unter dem Deckmantel der »Ausweitung der finanziellen Inklusion« statt. Dieses Wachstum wurde in Wirklichkeit von den CEOs, den Aktionärinnen und sogar vielen externen Beratern vorangetrieben, die alle sehr gut daran verdienten. Darüber hinaus förderten auch internationale Entwicklungsinstitutionen wie die Weltbank und USAID sowie die wichtigen westlichen Regierungen – vor allem die US-amerikanische und die britische – dieses rasante Wachstum.
Wie verhält sich Fintech zu Mikrofinanzierung?
Fintech wird oft als »Mikrofinanzierung auf Steroiden« beschrieben. Es handelt sich eindeutig um die nächste Phase in der Entwicklung des Mikrofinanzmodells. Seine Geschichte begann Ende der 2000er Jahre, als klar wurde, dass das System nicht funktioniert hatte und, was noch schlimmer war, dass es viele negative wirtschaftliche und soziale Folgen für die Armen hatte.
Doch genau zu diesem Zeitpunkt kam eine Innovation namens Fintech auf, die das klassische Mikrofinanzmodell praktisch obsolet machte und die Mikrofinanzierung ins digitale Zeitalter katapultierte. Die Investorinnen und Investoren sahen eine unglaubliche Chance und ergriffen sie. Eine neue Runde der Gewinnmaximierung auf Kosten der Armen in der Welt hatte begonnen.
Bringt die Bereitstellung von Finanztechnologie den Ärmsten gar keine Vorteile?
Viele Innovationen, auch Finanzinnovationen, sind anfangs für die Armen von Vorteil. Die Probleme beginnen in der Regel, wenn solche Finanzinnovationen kommerzialisiert und privatisiert werden. Sobald private Fintech-Unternehmen einen kritischen Kundenstamm erobern und Oligopolisten oder sogar Monopolisten werden – und das ist das Ziel dieser skalierbaren datengesteuerten Geschäftsmodelle – ändert sich die Situation radikal. Die Armen sind nicht mehr die Nutznießer der jeweiligen Finanzinnovation, sondern zunehmend ihre Opfer.
»Viele Innovationen, auch Finanzinnovationen, sind anfangs für die Armen von Vorteil. Die Probleme beginnen in der Regel, wenn sie kommerzialisiert und privatisiert werden.«
Das sahen wir erstmals in Kenia bei M-Pesa, der legendären Geldüberweisungsplattform, die Anfang der 2010er Jahre die globale Fintech-Bewegung gewissermaßen ins Leben rief. M-Pesa wurde mit Hilfe der damaligen internationalen Entwicklungsagentur Großbritanniens, DFID, ins Leben gerufen. Alle Beteiligten beteuerten, gute Absichten zu haben, und hofften, dass M-Pesa ein großartiger Weg sein würde, der armen Bevölkerung in Kenia zu helfen. Eine ganze Reihe akademischer Entwicklungsökonomen wurde sofort mit großzügigen Mitteln ausgestattet, um die M-Pesa-Story zu untermauern.
Doch dann geriet M-Pesas Mutterkonzern Safaricom unvermeidlich unter den Druck der Investorinnen und Investoren und entwickelte sich schnell zu einem der ausbeuterischsten Unternehmen Afrikas, wenn nicht der Welt. Seine Gewinne übertrafen die vieler westlicher Konzerne. Noch schlimmer ist, dass andere Fintechs dieses Modell jetzt nachahmen.
M-Pesa wurde zu einer Innovation, die den Armen in Kenia Kaufkraft entzog. Das erkennen nun zunehmend auch Wissenschaftlerinnen und Entwicklungsökonomen sowie einige Leute aus der Praxis an. Bis zu einem gewissen Grad versucht die kenianische Regierung seit etwa 2020 auch, Safaricom und andere neu gegründete Fintech-Plattformen in die Schranken zu weisen, indem sie die Vorschriften verschärft, die Steuern erhöht und so weiter. Doch zumindest bisher haben sich diese jüngsten Bemühungen nur minimal ausgewirkt.
Die gängige Geschichte, wie die finanzielle Inklusion den Armen helfen sollte, geht kurz gesagt so: Menschen, die über keine Bankkonten verfügen, erhalten Kredite, die wiederum die Produktivität steigern, indem sie ihnen ermöglichen, bessere landwirtschaftliche Werkzeuge oder Düngemittel zu kaufen, oder indem sie Inventar für kleine Geschäfte bereitstellen. Wenn wir uns Mikrofinanzierung und Fintech ansehen, hat sich das bewahrheitet?
Nun, schauen wir uns die Erfahrungen Südafrikas nach der Apartheid an. Die Mikrofinanzierung wurde in den frühen 1990er Jahren von Institutionen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der US-Regierung aggressiv vorangetrieben. Ihr Argument war, dass mehr Mikrofinanzierungen das Kleinunternehmertum in der schwarzen Bevölkerung fördern und das schreckliche Erbe von Armut, Arbeitslosigkeit und Entbehrungen schnell beseitigen würden.
Das Mikrofinanzmodell erwies sich jedoch in mehrfacher Hinsicht als Katastrophe für die schwarze Bevölkerung des Landes. Die Beträge, um die es bei Mikrokrediten ging, waren so gering, dass damit vor allem unternehmerische Aktivitäten unterstützt wurden, die dem nackten Überleben dienten und insgesamt wenig bis gar keine nachhaltigen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Gemeinschaft hatten.
»Man könnte auch argumentieren, dass die Lotterie die Armut beseitigt, weil man einige Gewinner sieht, die jetzt einen Rolls-Royce fahren.«
Ja, in Südafrika wurden viele neue Kleinstunternehmen mit Hilfe von Mikrokrediten gegründet, und einige wenige waren recht erfolgreich, aber fast ebenso viele dieser neuen Unternehmen brachen schnell wieder zusammen. Andere erwirtschafteten so gut wie keinen Gewinn und versuchten auf jede erdenkliche Weise – auch mit unethischen und manchmal illegalen Mitteln – im Geschäft zu bleiben. Es kam also nicht zu einer nachhaltigen Armutsbekämpfung, sondern lediglich zu dem, was Ökonomen als »Job Churn« bezeichnen: dem ständigen Ein- und Ausstieg von Kleinstunternehmen – ein Prozess, der wenig bis gar keine positiven Auswirkungen auf die lokale wirtschaftliche Entwicklung hat.
Wie einer der weltweit führenden Entwicklungsökonomen, Ha-Joon Chang, feststellt, müsste Afrika wirtschaftlich bereits viel erfolgreicher sein, wenn Kleinstunternehmen wirklich so positive Auswirkungen hätten. Denn es weist verglichen mit allen anderen Weltregionen die höchste Zahl von Kleinstunternehmen pro Kopf auf.
Diese Kredite führten also nicht zu mehr Investitionen und Produktivität?
Kleinstunternehmen werden das Produktivitätswachstum weder in Afrika noch anderswo erhöhen. Diese teuren Mikrokredite und die jetzt noch teureren digitalen Mikrokredite tragen nicht dazu bei, dass Kleinstunternehmen oder die lokale Wirtschaft florieren.
Ja, die wenigen Kleinstunternehmen, die in Afrika erfolgreich waren, wurden gefeiert, ausgezeichnet und öffentlich ausgestellt. Aber diese Taktik ist ein bisschen wie die Lotterie. Man könnte auch argumentieren, dass die Lotterie die Armut beseitigt, weil man einige Gewinner sieht, die jetzt einen Rolls-Royce fahren. Aber das kann man nur behaupten, wenn man die Tatsache ignoriert, dass die überwältigende Mehrheit das Geld, das sie für ihr Lotterielos ausgegeben hat, einfach verloren hat.
Die meisten Befürworter der Mikrofinanzierung ignorieren wichtige Nachteile, weil sie es so leichter haben, Regierungen im Globalen Süden das Mikrofinanzmodell zu »verkaufen« – vor allem das Exit-Phänomen [dass Unternehmen mangels lokaler Nachfrage oder wegen Überschuldung aus dem Markt ausscheiden], das selbst der leitende Ökonom der Weltbank, David McKenzie, kürzlich eingestand.
Wie wurden diese Kredite stattdessen verwendet? Finanzieren die meisten Mikrokredite eher den Konsum als Unternehmen und Investitionen?
Es überrascht nicht, dass viele Menschen, die Mikrokredite nutzten, schnell die Sinnlosigkeit der Gründung eines neuen Kleinstunternehmens erkannten und in die Richtung argumentierten: »Ich kann nicht als Straßenverkäufer arbeiten, denn es gibt schon zwanzig Verkäufer in unserer Straße. Das Leben ist zu kurz, also nutze ich den Kredit doch lieber, um Lebensmittel zu kaufen, die Ausbildung meiner Kinder zu finanzieren oder für einen medizinischen Notfall eines Verwandten aufzukommen!« Viele hofften, dass ihnen in Zukunft eine formelle Anstellung, eine Erbschaft oder ein Glücksspielgewinn dabei helfen würde, die Schulden zu begleichen.
So wurden Mikrokredite eher dafür verwendet, Konsumbedürfnisse zu befriedigen, als in Kleinstunternehmen investiert. Und hier traten noch mehr Probleme auf, denn wenn das Mikrodarlehen nicht zur Schaffung von zusätzlichem Einkommen führt, wie soll man dann die Schulden bedienen? Das unvermeidliche Ergebnis war, dass sich Länder wie Südafrika in Volkswirtschaften mit einer der höchsten Verschuldungsquoten der Welt verwandelten. Kenia, Ruanda, Tansania und andere Länder hatten eine ähnliche Entwicklung, aber Südafrika sticht in vielerlei Hinsicht hervor.
Wer waren die Gewinner und Verlierer in diesem Mikrofinanzspiel in Südafrika?
Abgesehen von einer winzigen Anzahl von Erfolgsgeschichten hat die schwarze Gemeinschaft in Südafrika nicht wirklich von Mikrokrediten profitiert. Aber für diejenigen auf der anderen Seite der Gleichung – die Kreditgeberinnen und Investoren – lief es, nun ja, glänzend.
Diese Klasse setzt sich aus den alten Finanzeliten Südafrikas zusammen, die hinter der Capitec Bank und der African Bank standen, den beiden einstmals größten Mikrokreditbanken des Landes. Lange Zeit machte die Capitec Bank spektakuläre Gewinne mit ungesicherten Mikrokrediten, obwohl sie wusste, dass die Vergabe teurer Mikrokredite an die wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsgruppen – wie die Bergbauarbeiter in Südafrika – diesen eindeutig mehr schadet als nützt. Dennoch wuchsen diese beiden Mikrokreditbanken sehr schnell, indem sie viele Millionen neuer Kundinnen und Kunden aus den ärmsten schwarzen Gemeinden gewannen. Sie hofften, die enormen Gewinne, die sie mit ihrem riskanten, unbesicherten Kreditgeschäft erzielten, nutzen zu können, um sich schließlich zu regulären Banken zu entwickeln.
»Das steigende Angebot an Mikrokrediten hat einen winzigen Prozentsatz der Wirtschaftselite Südafrikas spektakulär reich gemacht.«
Die Capitec Bank stand Anfang der 2010er Jahre kurz vor dem Zusammenbruch. Ihr Aktienkurs stürzte ab und ihr CEO wurde entlassen. Doch dann brach ihr Hauptkonkurrent, die African Bank, zusammen, und das rettete die Capitec Bank. Nachdem die Eigentümer der Capitec Bank und ihr neuer CEO gerade so davongekommen waren, beschlossen sie, ihre massiven Gewinne vom Tisch zu nehmen und sich auf neue, weniger risikoreiche Geschäftsbereiche zu verlagern, zum Beispiel auf die Betreuung der Mittelschicht in Südafrika und die Finanzierung etablierter formeller KMU [Anm.: kleiner und mittlerer Unternehmen]. Jetzt gibt es die TymeBank, die mit Hilfe von Fintech in den Bereich der unbesicherten Kredite eingestiegen ist.
Das steigende Angebot an Mikrokrediten hat einen winzigen Prozentsatz der hauptsächlich afrikaanischen [Anm.: gemeint sind die Nachfahren der sogenannten burisch-stämmigen Einwanderer, die das niederländisch geprägte Afrikaans sprechen] Wirtschaftselite Südafrikas spektakulär reich gemacht. Schaut man sich die Liste der hundert reichsten Personen Südafrikas an, findet man darunter auch die Eigentümer der Capitec Bank. Aber den ärmsten schwarzen Gemeinden hat die Mikrofinanzierung nichts gebracht. Vereinfacht gesagt, brauchten die schwarzen Gemeinden nicht wirklich Mikrokredite; sie brauchten Kredite für kleine Unternehmen zu erschwinglichen Konditionen und Laufzeiten sowie geschäftliche und technische Unterstützung. Aber genau das haben sie nicht bekommen.
Finanzialisierung und Mikrofinanzierung scheinen einen Widerspruch zu überbrücken, der sich aus der Schwächung der Lohnabhängigen in der Einkommensverteilung ergibt: Sie unterstützen die Konsumnachfrage armer Menschen durch Kredite und ermöglichen so, Armutslöhne aufrechtzuerhalten. Doch wie können die Menschen ihre Schulden bedienen, wenn ihre Unternehmen scheitern?
Nun, in Südafrika begannen viele Beschäftigte, Mikrokredite in Anspruch zu nehmen, um bis zu ihrer nächsten Lohnauszahlung zu überleben. Dies eröffnete den Mikrofinanzinstituten die Möglichkeit, sogenannte Pfändungsbeschlüsse zu verwenden. Diese berechtigten sie, die Mikrokreditraten automatisch von den Löhnen abzuziehen, die die Schuldner von ihren Arbeitgebern erhielten.
Das System der Pfändung schützte also die Mikrokreditinstitute vor dem Risiko eines Zahlungsausfalls, indem sie direkt auf einen Teil des Lohns ihrer Schuldner zugreifen konnten, um das Mikrodarlehen zurückzuzahlen – manchmal bis zu 50 Prozent. Soweit ich weiß, wird dieses System jetzt in Frage gestellt, weil es zu massiven sozialen Verwerfungen geführt hat, aber in der Zwischenzeit wurden den schwarzen Gemeinschaften auf unethische Weise riesige Summen entzogen.
»Das Ergebnis ist, wie beabsichtigt, eine wesentlich diszipliniertere, flexiblere und billigere Arbeitskraft.«
Die Mikrofinanzierung begann mit sozialen Sicherheiten, bei denen die Mikrokreditinstitute Kreditnehmergruppen von zum Beispiel zehn Frauen bildeten, sodass, wenn eine von ihnen ihr Mikrodarlehen nicht zurückzahlte, die anderen neun Mitglieder der Gruppe einen Betrag beisteuern mussten, um die Zahlung zu decken. Dies war eine Offenbarung in der Finanzwelt, denn damit wurden die Armen im Globalen Süden trotz unzureichender Sicherheiten zum ersten Mal als »bankable« angesehen.
Aber die Dinge änderten sich mit der Zeit. Wenn man große Mikrofinanzinstitutionen aufbaut, kommt man an einen Punkt, an dem man sich nicht mehr mit den Kosten und dem Aufwand befassen kann, diese Gruppen von zehn Frauen zu organisieren, um sozialen Druck hinter dem Schuldendienst aufzubauen. Also greift man zunehmend auf althergebrachte Arten von Sicherheiten zurück.
In Kambodscha müssen die Kundinnen und Kunden mehr als in jedem anderen Land der Welt ihre Landtitel als Sicherheit übergeben, und wenn sie ihre Schulden nicht begleichen können, zwingt die Mikrofinanzinstitution sie informell, ihr Land zu verkaufen, um die ausstehenden Schulden in voller Höhe zurückzuzahlen. In Bosnien musste man zwei Personen aus dem Familien- und Freundeskreis unter Vertrag nehmen, die dann für die Rückzahlung des Kredits bürgten, wenn man in Verzug geriet. Die Pionierarbeit für diese Form der Pfändung wurde in Ländern wie Südafrika geleistet.
Welche Probleme verursachte das Pfändungssystem in Südafrika?
Das Pfändungssystem spielte auch beim grausamsten Exzess staatlicher Gewalt seit Ende der Apartheid eine Rolle – dem Massaker von Marikana im Jahr 2012, bei dem die südafrikanische Polizei 34 unbewaffnete streikende Minenarbeiter tötete. Wie so oft kannten sich viele der streikenden Minenarbeiter in der Bergbauregion Rustenburg mit Finanzen nicht aus und verschuldeten sich hoch bei den wichtigsten Mikrofinanzinstituten, von denen sich mehrere auf dem Minengelände befanden. Außerdem wurden viele der Arbeiter aus den noch ärmeren ländlichen Regionen rekrutiert, da sie als gefügiger galten.
Da sie jedoch zwei Haushalte zu versorgen hatten – einen in der Mine und einen in den ländlichen Regionen, aus denen sie angeworben wurden – benötigten sie auch ein höheres Einkommen. Die von der Verschuldung am stärksten betroffenen Arbeiter sahen daher in einer Lohnerhöhung die einzige Möglichkeit, sich von ihrer Schuldenlast zu befreien und einen Neuanfang zu machen. Die Bergbaukonzerne weigerten sich, dem nachzugeben, was zu einem Streik führte, der schließlich in einem Massaker endete.
Einige Beobachter sprechen bereits von einem »debtfare state«. Stimmst Du dem zu?
Ich stimme dem voll und ganz zu. Die Politikwissenschaftlerin Susanne Soederberg zeigt, dass der Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit vielerorts durch den »debtfare state« ersetzt wird – einen Staat, in dem sich die Armen zunehmend über Mikrokredite verschulden müssen, um Dienstleistungen zu bezahlen, die sie dringend benötigen. Dies zwingt sie dazu, sich in Voll- oder Teilzeit im informellen Sektor zu betätigen, fast egal für welchen finanziellen Ertrag, Armutslöhne von formellen Unternehmen zu akzeptieren, Vermögenswerte der Familie zu veräußern, von Streiks abzusehen – all das, laufend ihre Mikrokredite zurückzahlen zu können.
Das Ergebnis ist, wie beabsichtigt, eine wesentlich diszipliniertere, flexiblere und billigere Arbeitskraft, die am unteren Ende der Pyramide tätig ist. Es ist klar, dass dieser Trend gut für Investoren und Eliten ist, aber nicht für die einfachen Leute.
Viele Fintechs sind nicht besonders transparent, was ihre Geschäftsmodelle angeht. Hast Du ein konkretes Beispiel, etwa für die Gebührenstruktur der M-Pesa-Plattform oder der TymeBank in Südafrika?
Ja, dazu kann man sich etwa das Programm für das weltweit größte bedingungslose Grundeinkommen in Kenia ansehen. Wie sich herausstellt, wird es von mehreren US-Milliardären über eine gemeinnützige Stiftung namens Give Directly finanziert. Es ist riesig, was den Pro-Kopf-Bargeldtransfer betrifft, den die Menschen erhalten. Es nutzt auch einen Mobiltelefon-Geldtransferdienst – die private Plattform M-Pesa. Das Problem dabei ist jedoch, dass man, je nachdem, wie viel man von seinem Grundeinkommen als Bargeld abhebt, eine beträchtliche Gebühr an M-Pesa zahlen muss.
Nun hatten M-Pesa und die in den US-Entwicklungsökonomen, die dieses Programm evaluierten, kein großes Interesse daran, die Einzelheiten der Gebührenstruktur zu erörtern. Sie waren vermutlich der Meinung, dass Safaricom, der äußerst profitable Mutterkonzern von M-Pesa, mit einem gut gemeinten Programm zur Armutsbekämpfung viel Geld verdienen könnte. Ein Beamter von Give Directly, mit dem ich in Kontakt stand, bestätigte mir jedoch, dass M-Pesa denjenigen, die Bargeld über das Give-Directly-Programm erhalten, keinen »Sonderrabatt« gewährt, sodass den Kundinnen und Kunden routinemäßig zwischen 5 und 20 Prozent des Gesamtwerts der kleinen Bargeldbeträge berechnet werden, die sie abheben. Wenn man arm ist, kann das eine beträchtliche Menge Geld sein, die man da verliert.
Hatte M-Pesa also keinen wirklichen Nutzen für die Armen?
Man muss bedenken, dass M-Pesa anfangs als sehr günstig angesehen wurde. Die Alternative bestand damals, Anfang der 2010er Jahre, darin, das Geld im Bus einem Freund oder dem Busfahrer in die Hand zu geben und es so an die Mutter in Nairobi zu schicken. Als man es dann per Mobiltelefon verschicken konnte, war es tatsächlich viel billiger.
Ich gestehe also zu, dass diese Technologie anfangs einen großen Wert für die Kundinnen und Kunden hatte. Aber Safaricom begrüßte das, weil das Unternehmen wollte, dass es sich herumspricht und ein Markt entsteht. Als es dieses Ziel jedoch erreicht und ein nahezu vollständiges Monopol erlangt hatte – auch mit äußerst unethischen Mitteln – änderte sich die Situation und es begannen, seine Kundschaft unter Ausnutzung seiner besonderen Marktmacht auszubeuten.
»Man stelle sich vor: Vodafone finanziert seine Telekom-Investitionen in Großbritannien aus den Gewinnen, die aus einigen der ärmsten Gemeinden Kenias abgezogen werden.«
Im Grunde genommen bieten alle Mikrokredit- und Fintech-Unternehmen ihre Dienstleistungen zunächst billig an, da sie schnell einen Kundenstamm aufbauen und ihr Geschäft ausweiten müssen, um die Kosten für ihre Tätigkeit zu senken. Aber so sicher wie die Sonne am Morgen aufgeht, beginnen sie nach ein paar Jahren, die Preise für alle von ihnen angebotenen Dienstleistungen zu erhöhen, weil sie davon ausgehen, dass die Menschen inzwischen auf ihr Netzwerk angewiesen sind.
Das einzige Mal, dass Safaricom zugestimmt hat, die extrem hohen Gebühren für die Geldtransferdienste von M-Pesa zu senken, war während der Corona-Pandemie. Aber auch das geschah nicht aus freien Stücken. Die Verärgerung über die hohen Gebühren, die M-Pesa während dieser besonderen Notsituation für das Senden und Empfangen von Geld von armen Menschen verlangte, war so groß, dass die kenianische Regierung das Unternehmen dazu zwang, seine Preise zu senken.
Safaricom verärgerte viele in der Regierung auch dadurch, dass es darauf bestand, während der Pandemie weiterhin die gleichen hohen Dividenden an seine extrem wohlhabenden ausländischen Investorinnen und Investoren auszuzahlen, insbesondere indem es mehr oder weniger die gleiche Dividende wie in den Vorjahren an seinen Mehrheitsaktionär, den britischen Telekommunikationsriesen Vodafone, zahlte. Es scheint, dass Vodafone unabhängig von der schwierigen Situation in Kenia seinen üblichen Tribut haben wollte und die Führungsspitze von Safaricom sich dem anschloss.
Welche Rolle spielt Vodafone als Mehrheitsaktionär?
Vodafone ist ein berüchtigter Steuervermeider und zahlt seit vielen Jahren fast keine Körperschaftssteuer, da es eine große Anzahl von Vodafone-Tochterunternehmen in der ganzen Welt hat, die separate steuerpflichtige Einheiten sind. Viele Zeitungen, wie zum Beispiel der britische Guardian, haben dies thematisiert. Vodafone reagierte schließlich in seinem Jahresbericht, indem es im Wesentlichen sagte: »Ja, es stimmt, wir zahlen kaum Körperschaftssteuer. Wir sind jedoch einer der größten Geldgeber für die lebenswichtige Telekommunikationsinfrastruktur in Großbritannien, die wir aus dem Zufluss von Dividenden aus dem Ausland finanzieren.«
In ihren Jahresberichten weisen sie darauf hin, dass sie einen beträchtlichen Teil ihrer Dividenden aus ihrer 40-prozentigen Mehrheitsbeteiligung an Safaricom beziehen. Man stelle sich vor: Vodafone finanziert seine Telekom-Investitionen in Großbritannien, die für die Entwicklung und das Wachstum des Landes von entscheidender Bedeutung sind, aus den Dividenden, die das Unternehmen aus den Gewinnen erhält, die aus einigen der ärmsten Gemeinden Kenias abgezogen werden.
Du hast kürzlich positive Beispiele in Brasilien hervorgehoben, wie Finanztechnologie, die in öffentliche oder kommunale Banken eingebettet ist, die lokale wirtschaftliche Entwicklung fördern kann. Kannst Du das ein wenig erläutern?
In Brasilien gibt es eine sehr interessante Bewegung, die versucht, Finanztechnologie mit lokaler Entwicklung zu verbinden. Sie begann in der Stadt Maricá in der Nähe von Rio de Janeiro. Maricá war lange Zeit durch ein hohes Maß an Armut gekennzeichnet. Glücklicherweise wird Maricá von der Arbeiterpartei von Präsident Lula regiert, was bedeutet, dass die Stadt sehr viel offener für Initiativen ist, die die Armut bekämpfen, im Gegensatz zu den allzu traditionellen Initiativen, die hauptsächlich die ohnehin schon Wohlhabenden bereichern.
Darüber hinaus hat Maricá einen großen Vorteil, da sich in ihrem Hoheitsgebiet ein Großteil der brasilianischen Offshore-Öl- und -Gasindustrie befindet, die von der Regierung dazu verpflichtet wurde, einen bestimmten Betrag an Lizenzgebühren an die von ihren Aktivitäten betroffenen Gemeinden zu zahlen.
Maricá hat ein Programm für eine bedarfsgeprüfte Grundsicherung, die über die Gemeindebank (Banco Mumbuca) in einer lokalen Währung (Mumbuca) über eine Fintech-Plattform ausgezahlt wird. Das ermöglicht der Gemeinde, wichtige digitale Finanzdienstleistungen anzubieten. Die Mumbuca-Bank führte eine Kreditkarte und später eine App für Mobiltelefone ein, um die Grundsicherung auszuzahlen, ohne auf Visa, Mastercard oder Paypal zurückgreifen zu müssen.
»Die durch Fintech generierte Wertschöpfung, die sich normalerweise der Privatsektor aneignet, wird in Maricá zum Nutzen der Allgemeinheit eingesetzt.«
Wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechnungen mit dem Mobiltelefon bezahlen, spart die Gemeinde viel Geld. Im Gegenzug wird die Gemeindebank finanziert, die die Entwicklung lokaler Unternehmen unterstützt. Die durch Fintech generierte Wertschöpfung, die sich normalerweise der Privatsektor aneignet, wird nun also zum Nutzen der Allgemeinheit eingesetzt.
Sie arbeiten ohne jegliche Gebühren, wie sie von gewinnorientierten Banken oder digitalen Zahlungsunternehmen erhoben werden. Die Grundsicherung, die in Mumbuca ausgezahlt wird, ist für die Empfänger kostenlos. Mit anderen Worten: Sie erhalten 100 Prozent des Betrags, der Ihnen offiziell zusteht. Die Mumbuca-Bank deckt ihre Betriebskosten, indem sie von den zahlreichen lokalen Unternehmen, die Mumbuca akzeptieren, für den Umtausch der von den Empfängern des Grundeinkommens erhaltenen Mumbuca in die brasilianische Währung Real eine Gebühr von einem Prozent erhebt.
Die Gemeinde Maricá wollte durch die Ausweitung grundlegender Finanzdienstleistungen, die das Leben verbessern, den größtmöglichen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort schaffen. Sie strebte nicht danach, Profit aus ihnen herausholen, indem sie ihnen so viele teure digitale Kredite wie möglich verkauft, um den Gewinn zu maximieren, was das Motiv jener Fintech-Plattformen ist, die von Investorinnen und Investoren gegründet und betrieben werden.
Inwieweit haben die Öl- und Gaseinnahmen das Maricá-Experiment begünstigt?
Die großen Einnahmen aus der Öl- und Gasindustrie sind für Maricá natürlich von Vorteil, aber längerfristig wird dieser Vorteil verschwinden, wenn man nicht vernünftig damit umgeht. Die Verantwortlichen in Maricá scheinen aber bereit zu sein, sich mit den vielen schlechten Beispielen für den Umgang mit dem Reichtum, der durch den natürlichen Ressourcenreichtum entsteht, auseinanderzusetzen.
Ein offensichtliches Beispiel ist Schottland. Es verfügte über 60 Prozent des Nordseeöls, während 40 Prozent auf norwegischem Gebiet lagen. Die britische Regierung, die den schottischen Öl- und Gassektor zentral verwaltete, zog es vor, dass der Privatsektor die Führung bei der Entwicklung des Sektors und bei der Schaffung von Vorteilen für die Region Grampian übernahm, in der der Öl- und Gassektor angesiedelt war. Es wurden einige wenige Einrichtungen geschaffen, die jedoch schwach und finanziell schlecht ausgestattet waren und von denen einige schließlich geschlossen wurden.
Entscheidend ist, dass die Lizenzgebühren hauptsächlich dazu verwendet wurden, die enormen Sozialausgaben zu finanzieren, die sich aus der extrem hohen Arbeitslosigkeit ergaben, die in den 1980er und 90er Jahren durch die von der ideologisch geleiteten Thatcher-Regierung erzwungene Schließung vieler der am stärksten gewerkschaftlich organisierten Industrien in Nordengland, den Midlands, Schottland und Wales entstanden war.
Die norwegische Regierung hingegen verfolgte einen dezentralisierten Ansatz, der sich auf starke Institutionen stützte. Dieser Ansatz basierte auf der Unterstützung regionaler Einrichtungen für Forschung und Entwicklung, die in der Lage sind, neue Technologien und neue Unternehmen im Zusammenhang mit der Öl- und Gasindustrie zu entwickeln und einzuführen.
»Dank des riesigen Staatsfonds, auf den Norwegen zurückgreifen kann, können die Fortschritte auch in Zukunft verstetigt werden.«
Da sich der Öl- und Gasboom in der Nordsee nun dem Ende zuneigt, kann man die Ergebnisse vergleichen. Die Vorteile der Öl- und Gasfunde in der schottischen Region Grampian sowie in ganz Schottland und in ganz Großbritannien sind kaum zu feststellbar. Viele der schottischen Regionen steigen langsam ab, da sie kaum vom Öl- und Gasboom profitiert haben. Norwegen hingegen ist heute eines der reichsten Länder der Welt, verfügt über ein hohes Maß an technologischem Know-how in vielen öl- und gasbezogenen Bereichen und hat viele führende technologieorientierte KMU entwickelt. Und dank des riesigen Staatsfonds, auf den das Land zurückgreifen kann, können die Fortschritte auch in Zukunft verstetigt werden.
Die Politikerinnen und Politiker in Maricá wollten herausfinden, wie sie diese Öl- und Gaseinnahmen nutzen können, um Innovationen zu fördern und ein deutlich höheres Niveau der sozialen Entwicklung zu gewährleisten. Während Präsident Lula in seiner ersten Amtszeit ein viel beachtetes Sozialprogramm namens Bolsa Família einführte, ermöglichten es die Öl- und Gaseinnahmen Maricá, noch weiter zu gehen. So konnten sie ein zusätzliches Sozialprogramm einrichten, das dann während der Corona-Pandemie noch ausgeweitet wurde.
Von entscheidender Bedeutung ist, dass Maricá auch einen eigenen bescheidenen Staatsfonds eingerichtet hat, um sicherzustellen, dass die Schlüsselelemente des Maricá-Modells auch in Zukunft beibehalten werden können. Aber der Schlüssel war hier wirklich, Fintech in einer Weise einzusetzen, die der Allgemeinheit zugutekommt.
Ist Maricá das einzige Beispiel für ein öffentliches Fintech?
Maricá war wahrscheinlich das erste Beispiel in Brasilien. Jetzt gibt es eine weitere größere Stadt, Niteroi – mit einer Bevölkerung von etwa 1,3 Millionen, verglichen mit 250.000 in Maricá – die sich mit diesem Thema beschäftigt. Auf meiner jüngsten Forschungsreise nach Brasilien erfuhren wir auch, dass mehrere andere Städte diese »menschenzentrierten« Fintech-Experimente untersuchen und ihre eigenen Regelungen einführen, die in vielerlei Hinsicht mit denen von Maricá vergleichbar sind. Wir hören derzeit auch von einigen kleineren Teilen São Paulos, die versuchen, Grundeinkommen und Fintech zu verbinden.
In Brasilien ist es von großer Bedeutung, dass die Gemeinschaftswährungen einfach und kostengünstig in die brasilianische Währung Real umgetauscht und überall zum Kauf von Waren und Dienstleistungen verwendet werden können. Dies ist wichtig, da die meisten lokalen Währungen in der Vergangenheit daran scheiterten, dass sie nicht für Transaktionen außerhalb der jeweiligen Gemeinde oder Region verwendet werden konnten.
Vieles hängt nun von der Haltung der Zentralregierung ab. Die neue Regierung unter Lula ist sehr stark auf Armutsbekämpfung ausgerichtet und versucht, die Schäden der Bolsonaro-Regierung zu beheben. Soweit ich weiß, ist die Lula-Präsidentschaft daran interessiert, innovative Wege für den Einsatz von Finanztechnologie zu nutzen, die landesweit eingesetzt werden können, um die Abhängigkeit von Unternehmen wie Paypal, Visa, Mastercard, JP Morgan, Goldman Sachs oder Barclays zu verringern. Das ist eine sehr interessante Entwicklung, und die Fintech-Bemühungen, die andernorts in Brasilien, auch in Maricá, unternommen werden, könnten nützliche Experimente sein, die es auszuwerten gilt.
Wenn ich das richtig verstehe, ist das Grundeinkommen von Maricá eine konditionierte Sozialhilfe und damit eindeutig auf die Armen ausgerichtet?
Ja, Lulas Bolsa Família richtet sich an die untersten 10 oder 15 Prozent der Einkommensverteilung, wenn ich mich recht erinnere. Dabei handelte es sich um bedingte Geldtransfers, denn oft wurde von den Haushalten erwartet, dass sie dafür sorgen, dass ihre Kinder zur Schule gehen oder sich impfen lassen. Das war noch vor der Corona-Pandemie. Das bedingungslose Grundeinkommen in Kenia, das über M-Pesa verwaltet wird, ist anders. Sie erhalten es jeden Monat über M-Pesa auf Ihr Mobiltelefon und können es ausgeben, wie sie wollen.
»Nur ein Einkommen zu haben, aber nichts zu tun, lindert lediglich den Schmerz etwas und verringert vor allem die Wahrscheinlichkeit, dass die Armen das kapitalistische System völlig ablehnen.«
Die libertäre Rechte mag keine konditionierten Geldtransfers, weil man den Leuten nicht vorschreiben sollte, dass sie ihre Kinder zur Schule bringen sollen und so weiter. Ich bin da anderer Meinung. Ich denke, die Menschen brauchen nicht nur ein Einkommen, sondern auch eine erfüllende Arbeit, um Teil der Gemeinschaft zu sein. Nur ein Einkommen zu haben, aber nichts zu tun, löst nur sehr wenig und ändert sehr wenig. Es lindert lediglich den Schmerz etwas und verringert vor allem die Wahrscheinlichkeit, dass die Armen das kapitalistische System völlig ablehnen.
Deshalb unterstützen Milliardäre wie Mark Zuckerberg, Peter Thiel und andere ein bedingungsloses Grundeinkommen. Sie glauben, dass es besser ist, die Armut mit etwas Geld zu bekämpfen, sodass die Menschen ein bisschen weniger arm sind, aber die Reichen wie gewohnt ihren Geschäften und ihrem Leben nachgehen können. In Brasilisn setzt man das Grundeinkommen jedoch auf eine Art und Weise um, die einer breiteren Arbeiterklasse zugute kommt und daher von ihr akzeptiert wird.
Wie wichtig ist es, bei solchen öffentlichen Fintech-Entwicklungen eine gewisse Größe zu erreichen, und welche Art von größerer öffentlicher Bankeninfrastruktur ist erforderlich, um Kommunen die technologischen Kapazitäten für die Einführung erfolgreicher Gemeinschaftswährungen zu bieten?
Maricá nutzte die zusätzlichen Einnahmen aus den Öl- und Gaslizenzgebühren und erweitert somit Bolsa Família. Sie richtet sich an Menschen, die bestimmte Kriterien erfüllen – ich glaube, 40 Prozent der Bevölkerung sind jetzt anspruchsberechtigt.
Das ist enorm. Damit ist die kritische Masse erreicht, denn 40 Prozent der Bevölkerung sind im Besitz der lokalen Währung, der Mumbuca. Das ist der Grund, warum die Unternehmen sagen: »Wow, das ist ein ziemlich großer Teil der lokalen Nachfrage, also müssen wir uns für die Mumbuca anmelden, um Geschäfte zu machen.« Und dann gibt es Schilder vor großen Supermärkten, auf denen steht: »Wir nehmen Mumbuca.« Die Ausweitung des Angebots war von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren des Maricá-Modells.
Für die Diskussion hier ist es auch wichtig, dass Brasilien auf nationaler Ebene ein öffentliches Zahlungssystem namens Pix eingeführt hat, das seit 2020 kostenlose Finanztransaktionen zwischen Privatpersonen, Unternehmen und der Regierung ermöglicht. Pix spart den Armen Brasiliens eine Menge Geld, das sonst an die digitalen Zahlungskonzerne wie Visa, Mastercard und Paypal gehen würde. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die USA und die EU bis zu 2,3 Prozent beziehungsweise 1,4 Prozent ihres gesamten Bruttoinlandsprodukts an Gebühren für Geldtransfers zahlen, bekommt man einen Eindruck davon, wie viel Geld dank Pix in Brasiliens Gemeinden verbleibt.
Ebenso werden lokale digitale Gemeinschaftswährungen, die von gemeindeeigenen Fintechs betrieben werden, der Gemeinschaft ermöglichen, ihr eigenes lokales Finanzsystem zu kontrollieren. Das verhindert, dass die winzigen Finanztransaktionen von investorengesteuerten Fintechs abgeschöpft und der Wert aus der Gemeinschaft heraustransferiert wird.
US-Präsident Joe Biden hat kürzlich Ajay Banga zum Präsidenten der Weltbank ernannt. Ist Banga die richtige Wahl für den Globalen Süden?
Nein, absolut nicht. Banga war lange Zeit CEO von Mastercard, das viele als eines der problematischsten digitalen Zahlungsunternehmen der Welt ansehen. Mastercard will das Bargeld abschaffen, um sich in die meisten der winzigen Finanztransaktionen der Armen zwischenzuschalten und aus ihnen immer größere ökonomische Renten herauspressen. Dabei geht es nicht um den Nutzen für die Armen im Globalen Süden, wie immer behauptet wird, sondern um den Nutzen für Mastercard. Die Tatsache, dass viele glauben, dass Mastercard und Banga den Armen in der Welt »etwas Gutes tun« wollen, ist das Ergebnis einer brillanten, über viele Jahre hinweg durchgeführten PR-Aktion. Leider entspricht diese nicht der Realität.
Der Prozess, das Bargeld abzuschaffen, beginnt in der Regel langsam, um die Menschen und Regierungen nicht zu beunruhigen und um sicherzustellen, dass der Prozess nicht auf halbem Weg zum Stillstand kommt. Doch wenn das Bargeld erst einmal weitgehend abgeschafft ist, kann die Geschäftemacherei beginnen, da die Armen nicht einfach zu Bargeldzahlungen zurückkehren können. Das ist das Ziel: Man lockt sie an, und wenn sie erst einmal drin sind und nicht mehr aussteigen können, kann man sie ausquetschen, um Geld zu verdienen. Diese Taktik nennt man in den USA »bait and switch«.
»Mastercard will das Bargeld abschaffen, um sich in die Finanztransaktionen der Armen zwischenzuschalten und aus ihnen immer größere ökonomische Renten herauspressen.«
Die Notwendigkeit, die Armen so schnell wie möglich zum Verzicht auf Bargeld zu bewegen, erklärt auch, warum Mastercard eine Reihe eigener, angeblich philanthropischer Einrichtungen finanziert, wie die Mastercard Foundation und den Mastercard Foundation Fund for Rural Prosperity. Sie agieren unter dem Deckmantel der »Förderung der finanziellen Inklusion« oder einem anderen, wohltätig klingenden Slogan. In Wirklichkeit beschleunigen sie den Prozess, bei dem die Armen der Welt das Bargeld aufgeben und auf Mastercard-vermittelte Transaktionen wie Mobiltelefone und Debitkarten umsteigen.
Der Wert, den Mastercard aus solchen Transaktionen zieht, ist bereits heute ziemlich hoch, aber wenn das Bargeld ganz abgeschafft wird, dann ist der Wert, den Mastercard und andere digitale Zahlungsunternehmen von den Armen abziehen können, fast unbegrenzt. Für Mastercard und andere Unternehmen ist die Bedienung der Finanztransaktionsbedürfnisse der Armen im Globalen Süden ein neuer »Goldrausch«.
Kannst Du ein konkretes Beispiel nennen, bei dem Banga oder Mastercard die Armen im Globalen Süden gemolken haben?
Ja, Mastercard – und Banga persönlich – haben Pionierarbeit dabei geleistet, durch internetbasierte Zahlungen Wert von den Ärmsten abzuschöpfen. In Südafrika hat sich Mastercard mit dem US-amerikanischen Fintech-Unternehmen Net1 zusammengetan, das einen großen Auftrag erhalten hat, um das südafrikanische Sozialhilfesystem zu verwalten. Durch die Gründung eines lokalen Unternehmens, Cash Paymaster Services (CPS), wurden rund 17 Millionen Bargeldtransfers abgewickelt. CPS erhielt von der Regierung eine großzügige Gebühr als Teil des Vertrags zur Erleichterung dieser Transaktionen.
Eine noch wichtigere Einnahmequelle war jedoch die Nutzung der Sozialhilfe als Sicherheit. CPS war in der Lage, über seine Tochterunternehmen viele andere Produkte an die Ärmsten der Armen Südafrikas zu verkaufen, darunter noch mehr Mikrokredite (Money-Line), Versicherungen (Smartlife), Versorgungsleistungen (uManje Mobile) und Zahlungsmittel (EasyPay). Die Zahlungen für diese Dienstleistungen und Produkte wurden vor der Auszahlung automatisch von der Sozialhilfe abgezogen. Für CPS war dies eine brillante, risikofreie Methode, den Armen noch mehr Schulden aufzubürden.
Während die Armen immer tiefer in die Verschuldung rutschten, stiegen die Gewinne erheblich. Schließlich regte sich jedoch Widerstand, der so weit ging, dass die südafrikanische Regierung den Vertrag kündigte. Die ganze Geschichte war ein großer Skandal in Südafrika, durch den Mastercard viel Glaubwürdigkeit als Finanzdienstleister verlor. Aber das Unternehmen hat diese Episode einfach mit einem Achselzucken abgetan, denn mit diesem Geschäft in den ärmsten Gemeinden lässt sich einfach zu viel Geld verdienen.
Außerdem gefällt den internationalen Entwicklungsinstitutionen –insbesondere der Weltbank – die Idee, alle Produkte zur finanziellen Inklusion zu bündeln und sie den Armen zu verkaufen, wie es CPS getan hat. Es handelt sich um eine einfache Form der Finanzialisierung, die die Armen in die Märkte einbezieht, anstatt ihnen öffentliche Dienstleistungen anzubieten und die zudem höhere Renditen für die Fintech-Plattformen generiert.
Warum, glaubst Du, hat die US-Regierung Banga bevorzugt?
Nun, ich denke, wir wissen alle, dass die US-Regierung seit langem aggressiv darauf drängt, dass die profitabelsten Unternehmen in den Besitz und die Kontrolle von US-Konzernen und -Investoren übergehen. Die USA wollen so viel Wertschöpfung wie möglich aus dem Globalen Süden abziehen. So versuchte die US-Regierung in den frühen 2010er Jahren in Zusammenarbeit mit der Gates-Stiftung sicherzustellen, dass der aufstrebende indische Fintech-Sektor und das Zahlungssystem von US-Firmen dominiert werden. Ihr berüchtigter »Anti-Cash-Plan« basierte zumindest teilweise darauf, absichtlich einen erweiterten Markt für Fintechs in US-Besitz zu schaffen, um im Finanzsystem Fuß fassen zu können.
Das ganze Projekt ging jedoch nach hinten los, da es zu großen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen in ländlichen Regionen führte. Die ansonsten ziemlich schreckliche Modi-Regierung erkannte immerhin, worum es ging, und begann neben anderen Maßnahmen darauf zu bestehen, dass indische Unternehmen in jeder Partnerschaft mit ausländischen Fintech-Unternehmen die Führung übernehmen.
Erwartest Du, dass die US-Regierung ihre Strategie der Finanzialisierung der Armen ändern wird?
Die US-Regierung erwartet zweifelsohne Rückschläge. Fast seit ihrer Gründung hat die Weltbank hauptsächlich den Interessen der US-Regierung gedient. Das ist keine kontroverse Aussage. Heute gibt es wahrscheinlich keine bessere Person als Ajay Banga, um dieses Ziel weiter voranzutreiben, da der Fintech-Sektor eindeutig einer der wichtigsten Sektoren der digitalen Wirtschaft sein wird.
Ich glaube nicht, dass die Wahl von Banga ein Zufall ist, wenn man seine Erfahrungen bei Mastercard und seinen persönlichen, fast religiösen Glauben an die vermeintliche Macht der finanziellen Inklusion bedenkt. Ich bin mir sicher, dass seine Ernennung durch die derzeitige US-Regierung zumindest teilweise davon abhängig gemacht wurde, dass er langfristig das Richtige für die US-Regierung tut und die Märkte im Globalen Süden für US-Unternehmen und Investoren öffnet.
»Von Banga wird erwartet, dass er lokalen Fintech-Projekten in öffentlicher Hand keine Chance gibt. Das wäre einfach zu sehr wie Sozialismus.«
Seine unmittelbare Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass die Märkte offen bleiben, dass die Regulierung auf ein Minimum beschränkt wird, dass die Bemühungen, Fintechs zu besteuern, im Keim erstickt werden und so weiter. Vielleicht findet er auch eine konzessionäre Finanzierung oder Blended Finance, um die Bemühungen von US-Fintechs, die im Globalen Süden tätig werden wollen, zu subventionieren und ihre Risiken zu verringern.
Die Verlierer bei all dem sind natürlich die Armen der Welt, deren lokale Finanzsysteme unter die permanente Kontrolle ausländischer Finanzvermittlungssysteme wie Mastercard fallen werden. Im Gegensatz zum Verkauf von Möbeln, Kleidung, Haushaltswaren und ähnlichem, der unregelmäßig stattfindet und oft umfangreiche Werbung erfordert, ist die Kontrolle über das lokale Finanzsystem eine niemals versiegende Goldgrube – es bedeutet, dass man einfach jeden Tag still und leise an jeder Finanztransaktion verdient.
Erwartest Du, dass die Weltbank und Banga Fintechs in öffentlichem Besitz unterstützen, die der lokalen Wirtschaftsentwicklung dienen, wie die bereits erwähnten Beispiele aus Brasilien?
Das bezweifle ich. Von Banga wird erwartet, dass er lokalen Fintech-Projekten in öffentlicher Hand keine Chance gibt. Das wäre einfach zu sehr wie Sozialismus, wie man in der US-Regierung, der Weltbank und dem IWF komischerweise über jede noch so milde Politik zugunsten der Armen sagt. Das würde nämlich ausländischen Investorinnen und Investoren ihr »Recht« verweigern, sich in jedem Markt ihrer Wahl ungehindert zu betätigen. Das ist das Grundrecht, dass die derzeitige globale Wirtschaftsordnung ihnen garantiert.
Milford Bateman ist Berater für lokale Wirtschaftsentwicklung und Gastprofessor für Wirtschaftswissenschaften an der Juraj-Dobrila-Universität in Pula, Kroatien. Außerdem ist er außerordentlicher Professor für Entwicklungsstudien an der St. Mary's University in Halifax, Kanada, assoziierter Forscher an der Fluminense Federal University in Rio de Janeiro sowie am Royal Holloway College der University of London.