23. April 2020
Für Ursula von der Leyen ist Griechenland der »Schutzschild« Europas: Geflüchtete werden dort seit Jahren auf Inseln eingesperrt – und von der Bevölkerung angegriffen. Schuld daran hat auch die ehemalige Syriza-Regierung.
Nordmazedonische Grenzbeamte, die 2015, vor Schließung der Balkanroute, den Zugang zu Zügen in Richtung Westeuropa organisieren.
Am 24. März drängte der Ausschuss des EU-Parlaments für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres die Europäische Kommission zur Evakuierung der Asylbewerberinnen aus den Lagern auf den griechischen Inseln, »da sowohl die schlechten Hygiene- als auch Lebensbedingungen die humanitäre Krise zu einem Problem der öffentlichen Gesundheit machen könnten«. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) wies darauf hin, dass die Überbevölkerung an diesen Orten es extrem schwierig mache, notwendige Vorkehrungen wie z.B. soziale Distanzierung und gründliche Hygiene zu treffen. Die griechische Regierung jedoch weigert sich bisher, ihre Vorgehensweise zu ändern und eine Evakuierung – oder zumindest Entlastung – der Lager in Erwägung zu ziehen.
Von den Mainstream-Medien wird das Thema systematisch ignoriert. Die Bemühungen, das Land vor der COVID-19-Pandemie zu schützen, scheinen nur für »Griechen« zu gelten. Diese Haltung kommt jedoch nicht überraschend. Im Gegenteil: die schrecklichen Zustände in den Flüchtlingslagern ebenso wie die schockierende Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der Geflüchteten sind bereits in den Wochen vor der Corona-Krise in aller Deutlichkeit zutage getreten.
Der Protest richtete sich nicht gegen die Inhaftierung von Geflüchteten, sondern gegen die Anwesenheit von Migrantinnen und Migranten an sich.
In den ersten zehn Märztagen wurde Griechenland Zeuge eines Ausbruchs gewalttätiger Fremdenfeindlichkeit. Dieser richtete sich sowohl gegen die Geflüchteten, die in den letzten vier Jahren auf griechischem Territorium gestrandet sind, als auch gegen diejenigen, die versuchten, die griechische Grenze von der Türkei aus zu überqueren. Angesichts der griechischen Solidarität mit Migrantinnen und Migranten in den Jahren 2015 und 2016 mag diese schwerwiegende kulturelle Intoleranz überraschend erscheinen. Doch sie ist nur das Symptom einer tieferen Transformation der griechischen Gesellschaft – einer Gesellschaft, in der Fremdenfeindlichkeit zunehmend droht, zum bestimmenden Ordnungsprinzip der nationalen Politik zu werden.
Anfang März gab es diesbezüglich eine Reihe beunruhigender Entwicklungen. Dabei sind insbesondere die Proteste auf den Inseln Lesbos und Chios, wo seit vier Jahren der Großteil der Geflüchteten »provisorisch« angesiedelt ist, zu nennen. Da die Aufnahmekapazitäten der Lager auf den Inseln bereits um das Vierfache überschritten war, hatte die im Juli 2019 gewählte nationale Regierung der Nea Dimokratia (Neue Demokratie) versucht, die Inseln zu entlasten und Geflüchtete in Lager auf dem griechischen Festland zu bringen. Dies scheiterte jedoch am starken Widerstand lokaler Behörden, die sich mit Demonstrationen und zum Teil sogar Straßenblockaden gegen die Pläne zur Wehr setzten. Aus Furcht vor einem Verlust ihrer Wählerinnenbasis beschloss die Regierung, ihre Verluste zu begrenzen und die neuen Internierungslager anstatt auf dem griechischen Festland auf Lesbos und Chios zu errichten.
Die Krise nahm an Fahrt auf, als am 25. Februar die von Athen entsandte Bereitschaftspolizei zur Bewachung der Standorte der künftigen Lager von Inselbewohnern angegriffen wurde. Am folgenden Tag brach ein wütender Mob in ein von der Bereitschaftspolizei genutztes Hotel ein, verprügelte Beamte und warf deren Habseligkeiten hinaus. Diese Demonstration des Widerstands brachte den Demonstrierenden viel Sympathie in der griechischen Öffentlichkeit, insbesondere nachdem es Berichte über Beleidigungen der Einheimischen durch die frustrierte Polizei gab und Aufnahmen auftauchten, die Beamte dabei zeigten, wie sie lokales Eigentum zerstörten.
Doch bei den Vorfällen handelt es sich um mehr als bloß den Widerstand einer lokalen Gemeinschaft gegen die übergriffige Staatsgewalt: Der Protest richtete sich nicht gegen die Inhaftierung von Geflüchteten, sondern gegen die Anwesenheit von Migrantinnen und Migranten an sich. Die Bevölkerung empfand die Pläne der Regierung als weitere Verfestigung der Anwesenheit Geflüchteter auf ihrem Land und war entschlossen, dies nicht zuzulassen. Die aufkommende Spannung wurde durch eine plötzliche, aber nicht völlig unerwartete Entwicklung am 28. Februar verschärft, als die Türkei erklärte, sie werde ihre Landgrenze zu Griechenland öffnen.
Damit endete das Auslagerungsabkommen, das Ankara 2016 mit der Europäischen Union unterzeichnet hatte. In ihm war vereinbart worden, dass Ankara sich im Austausch gegen europäische Gelder darum kümmern würde, die Migrationsbewegungen nach Griechenland und Bulgarien zu stoppen. Doch die Öffnung der Grenze hat einen erneuten Migrationsschub ausgelöst: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen befanden sich am 3. März mindestens fünfzehntausend Menschen an der griechisch-türkischen Grenze in Evros und hofften darauf, in die EU zu gelangen.
Dies führte zu einem Dominoeffekt – mit wahrscheinlich nachhaltigen Auswirkungen auf die europäische und globale Haltung gegenüber Geflüchteten. Als Reaktion auf den Schritt Ankaras schloss Griechenland seine eigenen Grenzen; es setzte nicht nur das Militär entlang der Grenze ein, sondern schickte auch Textnachrichten, in denen die Menschen, die sich an der Grenze versammelten, gewarnt wurden, die Grenze nicht zu überschreiten. Darüber hinaus wurden Sammelabschiebungen angekündigt. Zudem wurde die Registrierung von Asylanträgen derjenigen Personen ausgesetzt, die irregulär ins Land kamen. Dies obwohl das UNHCR eindeutig feststellte, dass »weder das Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge noch das EU-Flüchtlingsrecht eine Rechtsgrundlage für die Aussetzung der Aufnahme von Asylanträgen bietet«.
Der Premierminister der Neuen Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, hielt an seiner harten Linie fest. Er bestand darauf, dass Griechenland sich vor einer regelrechten »Invasion« von Migrantinnen schützen müsse. Er erklärte, dass »dies nicht mehr eine Frage der Flüchtlingsmigration ist, sondern eine asymmetrische Bedrohung an den Ostgrenzen Griechenlands – die im Übrigen auch die Ostgrenzen Europas« seien. Diese Verteidigungsrhetorik sollte einen Ausnahmezustand und die damit einhergehende, in den letzten Jahren beispiellose Aussetzung des Asylrechts rechtfertigen.
Die europäischen Behörden – statt sich von diesem Rechtsbruch beunruhigen zu lassen – entschieden sich dazu, Griechenlands Vorgehen zu unterstützen. Bei ihrem gemeinsamen Besuch an der türkischen Grenze zusammen mit anderen europäischen Politikerinnen und Politikern dankte Ursula von der Leyen in ihrer Funktion als Chefin der Europäischen Kommission Griechenland dafür, »unser europäischer Schutzschild« zu sein und versprach 700 Millionen Euro an Hilfe für die griechischen Behörden. Die Grenzbehörde der EU, Frontex, bereitete daraufhin ein »schnelles Grenzinterventionsteam« vor, das Griechenland bei der Grenzüberwachung helfen soll.
In der jüngsten Wende der Ereignisse erklärte der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras, jetzt in der Opposition, dass »die Regierung mit der Schließung der Grenzen Recht hatte« und dass Griechenland »einer geopolitischen Bedrohung durch die Türkei gegenübersteht«. Diese offiziellen politischen Reaktionen wiesen alle in die gleiche Richtung und verlagerten den Schwerpunkt vom Asylrecht – und den Bedingungen der Geflüchtete selbst – hin zu düsteren Warnungen vor äußeren »Bedrohungen«, »Invasion« und der Notwendigkeit von »Grenzschutz«.
Es überrascht nicht, dass dies mit einer Reihe fremdenfeindlicher Vorfälle vor Ort verbunden war. Örtliche bewaffnete Bürgerwehrgruppen begannen an der Grenze zu patrouillieren und griffen diejenigen an, die es bis nach Griechenland geschafft hatten. Aus Deutschland reisten Kader der rechtsextremen Identitären Bewegung in einem dubiosen PR-Akt nach Griechenland, um angeblich die europäischen Grenzen zu schützen. So wundert es kaum, dass auf die aggressive Anti-Einwanderungsrhetorik Gewalt folgte.
In Lesbos wurden Migranten- und Flüchtlingsboote daran gehindert, das Ufer zu erreichen, während eine schwangere Frau auf einem Boot von Einheimischen beleidigt wurde; ein provisorisches Aufnahmezentrum (das bis zum 31. Januar unter der Schirmherrschaft des UNHCR stand) wurde in Brand gesteckt, um zu verhindern, dass es zur Aufnahme von Neuankömmlingen genutzt werden konnte; ein Lagerhaus auf Chios, das von NGOs zur Lagerung von Materialien für die Geflüchteten-Solidarität genutzt wurde, wurde ebenfalls niedergebrannt. Mitglieder von NGOs, die mit Geflüchteten arbeiten, wurden von Einheimischen verbal attackiert und zum Verlassen von Lesbos gezwungen, Journalistinnen und Journalisten wurden belästigt und ihre Ausrüstung zerstört. Beunruhigend sind auch Aufnahmen, die zeigen, wie die griechische Küstenwache in der Nähe eines Rettungsbootes ins Meer schoss und bei dem Versuch das Boot in Richtung Türkei zurückzudrängen, es auch physisch herumschob.
Es wäre naiv, dies als eine Reihe von Einzelvorfällen zu betrachten. Tatsächlich hat sich in Griechenland seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2010 eine rechtsextreme Radikalisierung ausgebreitet. Der Zusammenbruch der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte bei den Wahlen im Juli 2019 hat vielleicht etwas Hoffnung auf ein Ende dieser Welle geweckt. Doch angesichts des Aufstiegs dieser Bürgerwehr scheint der größte Erfolg der extremen Rechten weniger in den Wahlergebnissen einer Neonazi-Partei als vielmehr in der Normalisierung ihrer Ideen zu liegen. Dies gilt insbesondere für Fremdenfeindlichkeit und der Wahrnehmung von Migrantinnen und Geflüchteten als Sündenböcke.
Eine solche Verschiebung lässt sich sicherlich zum Teil mit der wachsenden Frustration der Einheimischen erklären. Die Flüchtlingslager haben sich vor allem auf die Inseln Samos, Lesbos, Chios, Kos und Leros konzentriert (die fünf Haupteintrittspunkte in die Türkei) und die Aufnahmeeinrichtungen sind angesichts des andauernden Zuwanderung Geflüchteter an den Küsten der Inseln unter Druck. Nichtsdestotrotz wird die Gesamtzahl der Personen auf nicht mehr als fünfzigtausend geschätzt und viele Migrantinnen haben Griechenland seit dem wirtschaftlichen Abschwung verlassen.
Doch in der rechtsextremen Propaganda sind Realität und Wahrnehmung zwei verschiedene Dinge. In einer Zeit in der der Ethnonationalismus sein stärkstes Comeback der Nachkriegszeit erlebt, erweist sich die düstere Beschwörung der Gefahren der Migration als eines der wirksamsten rhetorischen Mittel in der europäischen Politik. Griechenland bildet da keine Ausnahme.
Dabei ist die Verbreitung fremdenfeindlicher Ideen nicht einfach vom Himmel gefallen. Ein Grund für die aktuellen xenophoben Reaktionen ist der historische Widerwille der griechischen Regierungen, Migrantinnen und Migranten zu integrieren: Seit der ersten Migrationsbewegung nach Griechenland in den 1990er Jahren wurde keine systematische Integrationspolitik betrieben – stattdessen wurde davon ausgegangen, dass die Migrantinnen und Migranten das Land wieder verlassen würden.
Auch die Regierung Syriza trägt in dieser Hinsicht Verantwortung. Als sie 2015 in die Regierung eintrat, schuf sie ein Ministerium für Migrationspolitik, das sich nach außen hin der Hilfe verschrieben hatte, tatsächlich aber strikt auf die unmittelbare Bewältigung der sogenannten Flüchtlingskrise von 2015-16 ausgerichtet war. Es war die Verwaltung von Alexis Tsipras, die die Lager sowohl auf den Inseln als auch auf dem Festland schuf: zunächst als vorübergehende Unterkünfte, um der dringenden Krisensituation zu begegnen, aber auch als Reaktion auf die Verhängung von Grenzbeschränkungen nach dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei im März 2016.
Die meisten dieser Lager sind als Langzeitunterkünfte in Gebrauch geblieben, obwohl ihre mangelnde Eignung bekannt war. Syrizas Aufrufe zur Evakuierung der Lager, so nützlich sie für die allgemeinen Bemühungen um eine Sensibilisierung für dieses Thema in Griechenland auch sein mögen, sind ebenfalls scheinheilig: angesichts der Rolle, die die Regierung Syriza bei der Einrichtung und Unterhaltung ebendieser Lager gespielt hat sowie aufgrund der Tatsache, dass sie jegliche Bemühungen um ihre Räumung unterlassen hat.
Die überfüllten und entsetzlichen Bedingungen in den Lagern sind Teil einer umfassenderen, von der EU unterstützten Politik.
Die durch das Abkommen zwischen der EU und der Türkei auferlegten »geographischen Beschränkungen« für Migrantinnen und Migranten führte darüber hinaus zu einer erheblichen Überfüllung dieser Aufnahmeeinrichtungen, insbesondere auf den griechischen Inseln. Selbst als die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit auf die Krise nachließ, gingen die Migrationsbewegungen in Richtung der Inseln zwar zurück, hörten allerdings nie wirklich auf.
Es wurden keine nennenswerten Anstrengungen unternommen, um die Inseln zu entlasten und Migration auf das griechische Festland zu ermöglichen. Ebenso wenig wurden nennenswerten Mittel oder Ressourcen zur Verbesserung oder Erweiterung der bestehenden Einrichtungen bereitgestellt. Alle Gedanken der Solidarität mit Migrantinnen fielen während Syrizas Amtszeit einer breiteren diskursiven Verschiebung zum Opfer. In ihrer Transformation von einer »radikalen linken« Kraft zu einer »Mitte-Links«-Partei, nach der Akzeptanz der anhaltenden Sparmaßnahmen im Jahr 2015, beschlossen Teile der Parteiführung, dass sie andere vermeintlich »extreme« Elemente der Partei – einschließlich der Unterstützung für Migrantinnen – abbauen mussten.
Dieser Mangel an Solidarität ist auch in der breiteren Gesellschaft sichtbar. In den letzten Jahren hat die griechische Öffentlichkeit überwiegend negative Ansichten zu Migration und zur Ausweitung der Bürgerrechte gezeigt. Bemühungen, die Kinder Geflüchteter in das griechische Schulsystem zu integrieren, lösten zum Teil gewalttätige Reaktionen der Eltern aus, die in einigen Fällen Schulen besetzten und Kindern den Zutritt verweigerten. Kurz gesagt, die Haltungen, die wir heute erleben, sind nicht aus dem Nichts entstanden: Die griechische Gesellschaft befindet sich seit geraumer Zeit in einem Prozess der rechtsextremen Radikalisierung. Der Aufstieg einer neonazistischen Partei wie der »Goldenen Morgenröte« war nur der eklatanteste Ausdruck dieser Entwicklung. Der schlimmste Effekt stand jedoch noch bevor und heute erleben wir seine Auswirkungen: die Verankerung von Hassreden und die Auffassung von Geflüchteten und Migrantinnen als Feinde.
Beim Blick auf die politischen Entwicklungen in Griechenland ist es dennoch wichtig, nicht das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren. Die überfüllten und entsetzlichen Bedingungen in den Lagern sind Teil einer umfassenderen, von der EU unterstützten Politik. Sie zielt darauf ab, Neuankömmlinge abzuschrecken und Geflüchteten die Tür zu verschließen.
Die rhetorischen Verschiebungen der letzten Tage sind beunruhigende Symptome für die erodierenden Auswirkungen der rechtsextremen Normalisierung auf dem Kontinent. Geflüchtete und Migrantinnen wurden systematisch als »Eindringlinge« beschrieben, als eine Bedrohung an den Grenzen Griechenlands und Europas, als Schmarotzer, die von den großzügigen Vergünstigungen auf Kosten der Einheimischen leben und als Agenten eines angeblichen Islamisierungs-Komplotts. Die jüngste Veränderung in dieser Rhetorik – die nicht zufällig von der EU unterstützt wird – ist die Projektion von Griechenland als Opfer, das Hilfe braucht, um der Bedrohung an seinen Grenzen zu begegnen.
Dabei wird die extreme Verwundbarkeit der in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge in einer Zeit, in der die Fremdenfeindlichkeit zunimmt, ebenso übersehen wie die Wehrlosigkeit der Menschen, die zwischen der griechischen und der türkischen Armee stehen. Fremdenfeindliche Ideologien werden hegemonial, die bisherigen Hemmungen fallen und aus der einst aggressiven Rhetorik werden gewalttätige Zwischenfälle, wie sie Anfang März ausbrachen.
Dieselbe fremdenfeindliche Logik lauert hinter der Taubheit der Regierung gegenüber den angesichts der Corona-Epidemie aufkommenden Aufrufen zur sofortigen Evakuierung der Flüchtlingslager. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden, gegenüber der Bedrohung des Lebens selbst, ist das implizite Gegenstück zur Anfang März ausgebrochenen expliziten Gewalt. Und dieselbe fremdenfeindliche Logik, mit all ihrem gewalttätigen Potenzial, wird wahrscheinlich erneut auftauchen, wenn die Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit aufgehoben werden und das Land wieder zur »Normalität« zurückkehrt.
Denn die neue »Normalität« ist fremdenfeindlich. Die zunehmende Angleichung in der Migrationsfrage zwischen links und rechts ist in letzter Konsequenz ein Prozess, der die Verletzlichen entmenschlicht. Wir erleben, wie die Versicherheitlichung der Grenzen zusammenfließt und der europäische Nachkriegskonsens zusammenbricht. Wir erleben das Verschwinden zumindest scheinbar universeller Werte, wie zum Beispiel des Asylrechts. Die neue Flüchtlingskrise in Griechenland scheint Vorbote dunkler Zeiten für die Menschenrechte in Europa zu sein – wenn nicht gar für den Humanismus selbst.
Rosa Vasilaki ist eine Soziologin und Historikerin aus Athen. Sie promovierte an der Ecole des Hautes Etudes in Paris und der University of Bristol.