20. Juli 2021
Das tragische Ausmaß der Flutkatastrophe ist auch eine Konsequenz der desaströsen Sparpolitik der letzten Jahre. Daraus sollten wir die richtigen Lehren ziehen.
Weil Konservative den Staatshaushalt um jeden Preis trocken halten wollten, standen am Wochenende Keller und Straßen unter Wasser.
Die Flutkatastrophe ist eine Tragödie. Das Ausmaß dieser Tragödie wurde aber durch schlechte Politik bedingt. Es sollte die Politik nicht überraschen, dass Starkregenereignisse, wie wir sie jetzt schmerzvoll erlebt haben, auf uns zukommen – und dass sie wegen des Klimawandels noch häufiger und heftiger auf uns zukommen werden. Die Wissenschaft warnt seit Jahren davor und macht Vorschläge, wie wir uns besser auf solche Katastrophen vorbereiten können.
Gleichzeitig warnen auch Organisationen des Katastrophenschutzes wie etwa das Technische Hilfswerk oder das Deutsche Rote Kreuz (DRK) immer wieder davor, dass bei ihrer eigenen Ausstattung dringender Handlungsbedarf besteht. Im Jahr 2019 hatte die DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt die Ausstattungsmängel in einem Pressestatement ganz offen benannt und zugegeben, dass das DRK nicht ausreichend auf Naturkatastrophen wie Überschwemmungen vorbereitet sei, weshalb sie massive Investitionen vom Bundesinnenministerium forderte. Abgesehen von einigen Ad-hoc-Anpassungen für die Corona-Pandemie ist seither wenig passiert.
Hinzu kommt der massive Investitionsstau, der eine Konsequenz knauseriger, schlechter Finanzpolitik ist. Die zerstörten Städte und die menschlichen Schicksale sind – so hart muss man es leider sagen – ein Abbild der desaströsen Auswirkungen der schwarzen Null, der Schuldenbremse und des europäischen Fiskalpakts. Weil Konservative den Staatshaushalt um jeden Preis trocken halten wollten, standen am Wochenende Keller und Straßen unter Wasser. Wenn wir das Geld nicht in die Prävention und unwetterfeste Infrastruktur investieren, dann müssen wir das Geld stattdessen dann ausgeben, wenn die Katastrophen bereits über uns hereingebrochen ist und Infrastruktur sowie Menschenleben ruiniert wurden. Letzteres ist die wahre Belastung für die Zukunft – nicht das Buchhaltungsergebnis namens Staatsschulden, wie von konservativer Seite immer wieder behauptet wird.
Die verheerenden Auswirkungen der Flutkatastrophe hängen ebenso mit den klammen Kassen vieler Kommunen zusammen. Etliche sind bis zum Hals verschuldet, dadurch finanziell überfordert und daher gezwungen, an Personal und Infrastruktur zu sparen. Seit zwanzig Jahren sind die öffentlichen Nettoinvestitionen in den Kommunen im Minus. Die öffentliche Infrastruktur verliert also seit zwanzig Jahren an Wert. Was das in Bezug auf Unwetterkatastrophen bedeutet, wird in der sehenswerten NDR-Dokumentation Die unterschätzte Gefahr durch Starkregen an vielen Stellen sehr deutlich. So sagt der Bürgermeister der Stadt Osterholz-Scharmbeck in aller Klarheit, dass Investitionen in das Entwässerungssystem zur Folge hätten, dass sein Kämmerer an anderer Stelle einsparen müsse – etwa bei den Aufenthaltsräumen von Schulen. Die Vertreterin der Stadtwerke erklärt, sie würde die Rohre für den Regenwasserkanal gerne schnellstmöglich erweitern, werde in diesem Vorhaben aber massiv ausgebremst, weil das Geld fehle.
Wie schwer man von einer Flutkatastrophe betroffen sein wird, ist auch eine Klassenfrage. Denn diejenigen mit kleinem Geldbeutel haben häufig keine oder nur lückenhafte Versicherungen und auch weniger Rücklagen. Die Anschaffung neuen Hausrats oder die Suche nach einer neuen Wohnung kann zur privaten Schuldenfalle werden. Irgendwie muss man ja über die Runden kommen. Aus Not und Verzweiflung werden einige versuchen, ihre durch die Überschwemmungen beschädigten Häuser selbst zu sanieren. Das kostet Zeit, Kraft und Geld, das dann an anderen Ecken schmerzlich fehlt. Und ob die Sanierung gelingt, ist zudem alles andere als sicher: Es drohen feuchte Wände und Schimmelbefall, was wiederum gesundheitliche Probleme nach sich zieht. Schlechte öffentliche Daseinsvorsorge geht immer übermäßig zu Lasten der kleinen Leute. Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten.
Die Wirtschaftspolitik muss ihren Kurs neu ausrichten. Statt sich um die banale Finanzierungsfrage zu kümmern, muss sie sich der wirklichen, drängenden Probleme annehmen. Deutschland braucht ein milliardenschweres Investitionsprogramm für eine unwetterfeste Infrastruktur: Wir brauchen schnellstmöglich Risikoabschätzungen, um zu ermitteln, welche Gebiete von klimabedingten Unwetterkatastrophen – von Regen über Erdbeben bis hin zu Trockenheit und Waldbränden – besonders gefährdet sind. Dann braucht es Pläne, um diese Risiken einzudämmen. Für Starkregen heißt das zum Beispiel, dass in die Kanalisation, in Abflusssysteme, Talsperren, Regenrückhaltebecken, Grünflächen, Sickeranlagen, intelligente Straßenführung und natürlich auch in Frühwarn- und Alarmsysteme investiert werden muss. Besonders bitter ist, dass solche Pläne vielfach sogar schon auf dem Tisch liegen. Häufig fehlt es jedoch an Geld, politischem Willen und Personal, um sie auch umzusetzen.
Dafür braucht es neben einer deutlich besseren finanziellen Ausstattung der Kommunen und der Beschleunigung von Planungs- und Freigabeprozessen auch – und das ist die wahre Herausforderung – die richtigen Arbeitskräfte in der richtigen Anzahl: Ingenieurinnen, Planer, Architektinnen, Handwerker und viele weitere. Wenn es in diesen Berufen an Personal mangelt, müssen sie attraktiver gemacht werden. Baufirmen sollten fette Geschäfte wittern, weil die Politik eine Sanierungsoffensive einläutet. Wenn die Baufirmen gut verdienen und Arbeitskräfte knapp sind, dann steigen auch die Löhne und damit das Angebot an geeignetem Personal.
Das Infrastrukturprogramm so schnell wie möglich umzusetzen, sollte in diesen Tagen die oberste Priorität der Finanzpolitik sein. Dabei gilt es Flaschenhälse, die zu Inflation führen können, zu vermeiden. Und das erfordert mutige Industriepolitik. Der Staat muss die Richtung vorgeben und die Wirtschaft lenken. Die privaten Firmen folgen dann mit privaten Investitionen und bauen Kapazitäten auf. Das wiederum schafft Jobs, Einkommen und nachhaltigen Wohlstand. Gegen den Klimawandel und seine Konsequenzen müssen wir in den Kriegsmodus schalten: Wir müssen alles in unserer Kraft stehende tun, um die Wirtschaft umzurüsten. Alle freien, willigen und fähigen Hände, die bei dieser Mammutaufgabe mit anpacken können, sollten mobilisiert werden. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist dann womöglich Schnee von gestern.
Damit das gelingen kann, braucht es aber Politikerinnen und Politiker, die nicht ängstlich auf den Saldo des Staatskontos schielen, sondern sich auf die realen Auswirkungen konzentrieren. Egal wie ambitioniert die deutsche Klimapolitik ausfällt – sie wird die Häufung heftiger Unwetter nicht vermeiden können. Konsequenterweise sollten wir die Städte stattdessen darauf vorbereiten und die Symptomlinderung in den Fokus rücken. Wir spielen gegen die Zeit. Es geht um nicht weniger als unsere Zukunft.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.