14. September 2023
Jahrzehntelang kontrollierte Frankreich seine ehemaligen Kolonien in Afrika, indem es gefügige Machthaber vor Ort unterstützte. Die jüngsten Putsche in Niger und Gabun zeigen, dass Frankreichs informelles Imperium nun auseinanderbricht.
Der französische Präsident Emmanuel Macron trifft den gabunischen Präsidenten Ali Bongo Ondimba zu einem bilateralen Gespräch in Libreville, Gabun, am 1. März 2023. Bongo wurde inzwischen durch einen Putsch abgesetzt.
IMAGO / ABACAPRESSAnfang September wurde General Brice Oligui Ngeuma interimistisch zum Präsidenten von Gabun ernannt. Ngeumas Amtseinführung soll angeblich einen demokratischen »Übergang« versprechen und erfolgte nach der gefälschten Wiederwahl des langjährigen Machthabers Ali Bongo und dessen Verhaftung durch das Militär. Bongo ist ein Partner Frankreichs. Er übernahm die Macht im Jahr 2009 nach dem Tod seines Vaters, der seit 1967 – also fast die gesamte Zeit seit der Unabhängigkeit Gabuns von Frankreich – Präsident auf Lebenszeit gewesen war.
Ausschlaggebend für den achten Staatsstreich in einer ehemaligen französischen Kolonie seit 2020 war die Erschöpfung der Bevölkerung in Bezug auf die Bongo-Dynastie. Gleichzeitig stehen die Putsche für den schwindenden Einfluss Frankreichs in der Region. Am selben Tag, an dem Ngeuma die Macht übernahm, erklärte die französische Außenministerin Catherine Colonna gegenüber Le Monde: »Françafrique ist schon seit langem tot«. Mit diesem Begriff bezog sie sich auf die engen kommerziellen und militärischen Beziehungen, die Frankreich in den Jahrzehnten nach der formellen Entkolonialisierung zu seinem ehemaligen Reich beibehielt.
Die Ereignisse anderswo in der Sahelzone zeigen noch deutlicher, wie sehr die antifranzösische Stimmung diese Beziehungen und die damit verbundenen Regierungen zerreißt. Ein Beispiel dafür ist Niger. Ende Juli stürzten Militäroffiziere in der Hauptstadt Niamey den mit Frankreich verbündeten, demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum. Seither ist eine Militärjunta an der Macht. Diese hat von Frankreich angestachelte Drohungen einer militärischen Intervention der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), die von Ländern wie Nigeria und Senegal angeführt wird, abgewehrt.
Während in Paris immer noch einige von einer »Afrikapolitik« sprechen, ist das Projekt heute in Wahrheit steuerlos. Die noch verbliebenen nationalen Hoheitsrechte werden durch den schwindenden Einfluss Frankreichs und seine immer geringeren Möglichkeiten in den Hintergrund gedrängt. Die ehemaligen Kolonien in der Sahelzone und in subsaharischen Afrika führen ihre eigenen internen Machtkämpfe. Doch der Groll gegen Regierungen, die als untertänig gegenüber Frankreich angesehen werden, ist auch Ausdruck einer tief sitzenden Unzufriedenheit mit der französischen Militärpräsenz, ihrer Unfähigkeit, einen schlecht konzipierten »Krieg gegen den Terror« zu gewinnen, und ihrer Unterstützung für gefügige lokale Machthaber.
Es ist ein altes Ritual, dass französische Staatsoberhäupter behaupten, postkoloniale Bevormundung hinter sich gelassen zu haben. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte das etwa zu Beginn seiner Präsidentschaft 2017. Damals verkündete er vor Studierenden in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, das Ende von Frankreichs »Afrikapolitik«.
Ankündigungen wie diese haben aber nur schleppend zu einer ernsthaften Neuausrichtung französischer Politik geführt. Von der öffentlichen Debatte in Frankreich abgeschirmt und zunehmend von jedem messbaren materiellen Interesse abgekoppelt, hat Frankreichs Präsenz in der Region viel mit Gewohnheit und Beharrungsvermögen zu tun. Das hat eine Welle an antifranzösischen Ressentiments genährt, zum Teil unterstützt durch russische Desinformationskampagnen.
Seit Anfang der 2010er Jahre ist Frankreich an einer langwierigen Operation zur Aufstandsbekämpfung in der Sahelzone beteiligt und versucht damit, die Verbindung der Binnenstaaten von Mali und Burkina Faso bis zum Tschad zu stärken. (Ironischerweise wurde ein Großteil der anfänglichen Instabilität, die die französischen Streitkräfte einzudämmen versuchten, durch den von Präsident Nicolas Sarkozy unterstützten Sturz des libyschen Machthabers Muammar Gaddafi im Jahr 2011 verschärft.)
Mali und Burkina Faso waren die Schauplätze erfolgreicher Putsche in den Jahren 2020 und 2022. In beiden Ländern vertrieben die Juntas die französischen Streitkräfte und das diplomatische Personal des Landes. Diese Truppen wurden zusammen mit dem französischen Militärkontingent in der Zentralafrikanischen Republik nach Niger verlegt. Eine Entscheidung, die zu einer Pattsituation führte, weil die dortige Junta jetzt den Abzug der verbleibenden 1.500 französischen Soldaten und die Abberufung ihres Botschafters Sylvain Itté fordert.
In einer Rede vor dem hochrangigen diplomatischen Korps am 28. August verteidigte Macron die Interventionen Frankreichs. Er weigerte sich, auf die Forderungen der Junta einzugehen, und betonte, dass die neuen Machthabenden illegitim seien. Am 6. September berichtete Le Monde indes, dass das französische Militär Verhandlungen mit den neuen Behörden in Niamey aufgenommen hatte, um einen möglichen Abzug der Expeditionsstreitkräfte zu organisieren. In einem offensichtlichen Bemühen um Deeskalation erklärte der von der Junta ernannte Premierminister am 4. September, dass die Regierung hoffe, »eine Zusammenarbeit« mit Frankreich aufrechtzuerhalten.
Die Operationen Serval und Barkhane – die ursprüngliche Intervention von 2013 zur Unterdrückung einer Offensive islamistischer Gruppen im Norden Malis und die sahelweite Aufstandsbekämpfungsoperation, zu der sie sich entwickelte – »waren ein Erfolg«, sagte Macron am 23. August gegenüber Le Point. In seiner Rede Tage später erklärte er: »Wenn wir den lächerlichen Argumenten dieser verrückten Allianz aus Pseudo-Panafrikanisten und Neo-Imperialisten nachgeben [eine Anspielung auf die russische Wagner-Miliz, die von ehemaligen französischen Partnern wie Mali und der Zentralafrikanischen Republik angeheuert wurde], haben wir den Verstand verloren.«
»In der Vorstellung von außenpolitischen Kreisen in Paris symbolisierte eine starke Präsenz in der Region Frankreichs Rolle als globale Macht.«
»Niger war der letzte wirkliche Brückenkopf für die französischen Streitkräfte in der Sahelzone. Das Land war für Frankreichs militärische Präsenz in der Region absolut unerlässlich«, sagte der Abgeordnete der oppositionellen France Insoumise, Arnaud Le Gall, gegenüber JACOBIN. »Wir haben alles auf eine militärische Antwort gesetzt – und die Leute klammern sich immer noch an die Idee, dass Barkhane ein Erfolg war, wie Macron in seiner Rede betonte. Aber Barkhane war ein großer Misserfolg – wir sind gerade dabei, aus dem dritten Land in der Sahelzone vertrieben zu werden.«
Gleich nach der Absetzung des nigrischen Präsidenten Bazoum lehnte Macron jegliche Annäherung an die neue Militärjunta ab. In seiner Rede vergangene Woche ging er noch einen Schritt weiter, prangerte eine »Epidemie von Putschisten« an und bekräftigte seine Unterstützung für ein mögliches Eingreifen der ECOWAS-Mächte, wobei er »weder Bevormundung noch Schwäche« forderte.
»Eine militärische Drohung ist genau das, was die Junta in Niger stärken wird«, sagt Le Gall, während er auch auf die wechselnde und inkonsistente Reaktion Frankreichs auf unterschiedliche Machtübernahmen in den besagten Staaten hinweist. Die Haltung etwa gegenüber dem Tschad sei scheinheilig gewesen. Dort übernahm Mahamat Idriss Déby 2021 nach dem Tod seines Vaters Idriss Déby, der das Land seit 1990 regiert hatte, die Macht. »Auf der einen Seite haben wir Déby im Tschad gesalbt, während wir die Putschisten in Mali, Burkina Faso und jetzt Niger verurteilt haben.«
Macrons Haltung hat auf beiden Seiten des Mittelmeers für Aufsehen gesorgt. Französischen diplomatischen Quellen nach war ein Eingreifen der ECOWAS in Niger immer schon unwahrscheinlich. Macrons Berater hätten wissen müssen, dass es sich dabei entweder um einen wenig glaubwürdigen Bluff misstrauischer Staatsoberhäupter oder um eine leichtsinnige Fehleinschätzung des eigenen Einflusses handle. Sowohl Algerien als auch die Afrikanische Union haben sich gegen eine mögliche Intervention ausgesprochen und auch US-Außenminister Antony Blinken erklärte, dass es »keine akzeptable militärische Lösung« geben könne.
»Macrons Rede war ein sehr unangenehmer letzter Sargnagel«, sagte Nicolas Normand, französischer Botschafter in Mali zwischen 2002 und 2006, gegenüber JACOBIN. »Er ist schlecht beraten und scheint die Situation einfach nicht zu verstehen. Wir unterstützen jemanden, der verloren hat. Eine solche Rede hätte vielleicht Sinn gemacht, wenn Bazoum eine Chance gehabt hätte, die Macht zurückzuerobern«, so Normand weiter, »aber da das im Moment undenkbar ist, schaffen solche Erklärungen nur Probleme für uns.«
»Frankreich hat nicht mehr die Mittel dafür«, sagte eine französische Quelle, die in der Region stationiert ist, zu Macrons Säbelrasseln. »Davon auszugehen, dass Frankreich entscheiden kann, was in seinen ehemaligen Kolonien geschieht, ist eine Form von Blindheit. Selbst die USA verfügen heute nicht mehr über die Mittel, andere Länder so zu manipulieren, wie es früher möglich war.«
Sogar mit Washington ist Macron aktuell aneinandergeraten. Die USA haben ihre Bereitschaft, mit den faktischen militärischen Machthabern in Niamey in Kontakt zu treten, nicht gerade verborgen. Victoria Nuland, die stellvertretende US-Außenministerin, wurde Anfang August entsandt, um einen Dialog mit der Junta aufzunehmen, aber der Besuch verlief schnell im Sand. Wenige Tage nach dem Putsch wurde Kathleen Fitzgibbon zur Botschafterin ernannt. Der Posten war zuvor zwei Jahre lang nicht besetzt. Französische Diplomaten empfanden beide Schritte als einen Schlag ins Gesicht.
Die USA befürchten mehr als alles andere, dass Russland oder China eine unnachgiebige Reaktion des Westens für sich nutzen und antifranzösische Kampagnen in den Sozialen Medien weiter befeuern könnten. Aus diesem Grund sind die USA bestrebt, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. Sie haben seit 2012 mehr als 500 Millionen US-Dollar an Militärhilfe bereitgestellt und verfügen über eine Drohnenbasis und 1.100 Militärangehörige vor Ort.
»Frankreich und die USA repräsentieren zwei Extreme«, sagt Normand. »Die richtige Position wäre gewesen, den Staatsstreich zu verurteilen und die Rückkehr der gewählten Regierung zu fordern. Als nach drei Tagen nichts passiert ist, hätte man einfach die Klappe halten und informelle Beziehungen knüpfen sollen. Das war die Position aller europäischen Länder außer Frankreich.«
Trotz aller französischen Zwischenrufe gab es auch in Europa den Drang, einen Modus Operandi mit den neuen Regierungen in der Sahelzone zu etablieren. Für die EU sind diese Länder zentral, um Migrationsrouten zu blockieren und damit Menschen zu stoppen, bevor sie das Mittelmeer überhaupt erreichen. Bei einem Treffen der europäischen Außenministerinnen und Außenminister am 31. August in Toledo, Spanien, kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und seinen europäischen Verbündeten, die Paris eigentlich seit langem für die militärischen Operationen in der Sahelzone gewinnen wollte.
»Europa betrachtet diese Region ausschließlich durch das Prisma der Migration«, sagt der Abgeordnete von France Insoumise, Le Gall. »Das isoliert Macron sehr. Er setzte immer viel auf seine Fähigkeit, Europas Außen- und Verteidigungspolitik und ›strategischen Autonomie‹ zu repräsentieren. Wir haben neun europäische Staaten in unsere Interventionen miteinbezogen, und es hat sich in ein Fiasko verwandelt, für das wir eine der Hauptursachen sind.«
Abgesehen von »Stabilität« – einem Schlagwort für die Steuerung von Migrationsbewegungen – wäre es übertrieben zu sagen, dass konkrete französische Interessen Paris zu einer übermächtigen Präsenz in der Region gezwungen haben. Niger liefert immer noch 17 Prozent von Frankreichs jährlichen Uranimporten, ein beträchtlicher Anteil für ein Land, das von der Atomenergie abhängig ist, aber »nicht unersetzlich«, wie eine französische Quelle sagt. Insgesamt entfallen jedoch nur 2 Prozent des französischen Außenhandels auf das subsaharische Afrika.
Wie bei den »ewigen Kriegen« der USA enthält die Hartnäckigkeit, mit der Frankreich versucht, in Westafrika Fuß zu fassen, auch ein irrationales Element. In der Vorstellung von außenpolitischen Kreisen in Paris symbolisierte eine starke Präsenz in der Region Frankreichs Rolle als globale Macht. Die französische Außenpolitik leidet auch unter institutionellen Zwängen, meint Le Gall. Der Präsident dominiert die Außenpolitik des Landes, was Veränderungen schwieriger mache.
»Der Kern des Problems ist die Tatsache, dass diese Themen kaum diskutiert werden«, so Le Gall. »Natürlich hatten die USA ihren Anteil an neoimperialen Interventionen, aber diese wurden zumindest debattiert. Der Kongress führte Ermittlungen durch. Als die Kriege in Afghanistan und im Irak begannen, kontrovers zu werden, wurden Mitglieder der Exekutive vom Kongress gegrillt. Bei uns ist das alles nicht der Fall, und das ist schockierend. Das Parlament hat keine ernsthafte Kontrolle über die Außenpolitik.«
Ein allgemeiner Rückzug wurde noch nicht beschlossen. Aber die Frage »Wer hat Afrika verloren?« dürfte in absehbarer Zeit immer wieder in den französischen Schlagzeilen auftauchen, da die Zeit der Schuldzuweisungen beginnt. Laut der französischen Quelle, die in der Region stationiert ist, »hängt unser militärisches Establishment emotional an einer bestimmten Vorstellung von französischer Macht. Seit Jahren ist unser Militär auf Stabilisierungsmissionen und externe Machtprojektion ausgerichtet. Zu hören, dass es damit vorbei ist, wird psychologisch gesehen sehr kompliziert werden.
Harrison Stetler ist ein freier Journalist und Lehrer aus Paris.