08. März 2021
Die Corona-Krise legt die Überbelastung der Frauen offen. Doch auch nach einem Jahr Pandemie kämpft sich fast jede einzeln durch den Alltag. Aus der Geschichte der Frauenbewegung wissen wir jedoch, dass es auch anders gehen kann.
Was hindert uns in der Pandemie, die Sorgearbeit besser aufzuteilen?
Beinahe jeden Tag erhalte ich Nachrichten von Freundinnen oder Kolleginnen, die eigentlich nicht mehr können, aber aus Pflichtbewusstsein trotzdem ihren Job in der Kita oder in der Drogerie machen – und dazu das eigene Kind mit schlechtem Gewissen in die Notbetreuung bringen und damit wiederum für ein Kind mehr zu sorgen, um das sich eine weitere Erzieherin kümmern muss. Der Kreislauf der Überbelastung und des schlechten Gewissens ist geschlossen: Wenn ich nicht durchhalte, leidet jemand anderes darunter, also halte ich weiter durch.
Nach einem Jahr Pandemie, unzureichenden Betreuungsmöglichkeiten, der Enge in den eigenen vier Wänden, Sorge ums Geld und keiner Möglichkeit für eine Auszeit, gehen die meisten auf dem Zahnfleisch. Für alle ist die Situation nervenaufreibend, doch für Frauen eben noch etwas mehr. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, was ohnehin schon die meisten spüren: Frauen verbringen weniger Stunden mit der Lohnarbeit (im Schnitt im Herbst 2020 nun 28 statt 31 Stunden), dafür kümmern sich nach eigenen Angaben Zweidrittel der Befragten mehr um die Kinder und den Haushalt. Etwa ein Drittel sagt, die Sorgearbeit sei gleich verteilt.
»Hätte man nicht viel früher damit beginnen müssen, sich wieder selbst zu organisieren und aus den eigenen vier Wänden mindestens zeitweise einen größeren Haushalt zu machen und die Arbeit gerechter zu verteilen?«
Besonders Alleinerziehende empfinden die Situation während der Krise als belastend. Frauen würden außerdem weniger von der Aufstockung des Kurzarbeitergeldes profitieren als Männer (im November 2020 erhalten nur 36 Prozent der Frauen gegenüber 46 Prozent der Männer eine Aufstockung). Und eine Umfrage der Betriebskrankenkassen legt nahe, dass rund 3 Prozent der Frauen während des Lockdowns Gewalt erfahren haben – die Dunkelziffer dürfte höher liegen.
Die Krux der Pandemie besteht gerade darin, dass die soziale Distanz und auch die Schließungen von Kitas und Schulen alternativlos war und angesichts von Mutationen und fehlenden Impfungen immer noch ist. Die Extremsituation offenbart eigentlich nur ein bereits bestehendes Missverhältnis: die Arbeitsaufteilung war auch vorher ungerecht, die staatlichen und kommunalen Bildungs- und Erziehungsangebote nicht auf dem Stand der eigentlichen Nachfrage. Frauen stecken schon lange zurück, nur jetzt eben noch einmal mehr.
Das Problem ist also nicht vom Himmel gefallen. In der Frauenbewegung ist die Sorgearbeit schon immer ein zentrales Thema, weil natürlich auch Mütter und Schwestern begannen, sich zu organisieren, und ihre Kinder nicht einfach allein lassen konnten. Besonders in der zweiten Frauenbewegung, während der 1960er und 70er Jahre, wurde das Private dann vollends politisch. Die Frauen begannen, sich autonom von anderen linken Gruppen und ihren männlichen Genossen zu organisieren, so etwa beim Berliner Studierendenverband. Der »Aktionsrat zur Befreiung der Frauen« wurde in 1968 in West-Berlin gegründet und fußte auch auf der Erfahrung, dass die aktiven Frauen sich selbst um die Kindererziehung kümmern müssten – und zwar kollektiv. Fast zeitgleich organisierten sich auch die Frauen der Black Panther Party um die Kindererziehung, Selbstbildung und Versorgung. Die Erkenntnis war: Ohne einen funktionierenden Wohlfahrtsstaat für die schwarze Community können wir erst dann neben unseren Brüdern Revolution machen, wenn wir uns als Schwestern besser organisieren und so mehr Zeit für Politik bekommen.
In den entstandenen Kinderläden der westdeutschen Frauenbewegung in Frankfurt am Main, Berlin und Stuttgart machten die Frauen das, was der westdeutsche Staat nicht schaffte und in der Gesellschaft noch verpönt war: die gemeinsame Kinderbetreuung in Kleingruppen. Auch heute noch existieren Formen der Kinderläden, mit mehr oder weniger Engagement der Eltern und externen Erzieherinnen und Erziehern. Die Umsetzung damals war aber revolutionär – und vielleicht haben wir im Laufe der Vereinzelung der letzten Jahrzehnte eine zentrale Einsicht vergessen: Wenn sie es nicht für uns tun, müssen wir es selbst tun.
Hätte man aus dieser Geschichte nicht schöpfen können, während der Corona-Pandemie, die nur Kleingruppen und das Beisammensein weniger Haushalte zulässt? Hätte man nicht viel früher damit beginnen müssen, sich wieder selbst zu organisieren und aus den eigenen vier Wänden mindestens zeitweise einen größeren Haushalt zu machen und die Arbeit gerechter zu verteilen? Das frage ich mich ein Jahr später auch selbstkritisch in Bezug auf die vielen privaten Notlösungen. Mit Bedacht aufeinander abgestimmt könnte theoretisch immer eine erwachsene Person auf zwei bis vier Kinder aufpassen (dieses Prinzip kennen wir doch auch von Tagesmüttern oder -vätern), während die anderen mehr Zeit und auch mal eine Verschnaufpause haben könnten. Zugleich wären dafür auch die Kinder dankbar, weil auch sie nicht allein bleiben. Wir hätten es nicht zulassen dürfen, dass aus der notwendigen sozialen Distanz in so vielen Fällen Isolation wurde.
Was aber hindert uns daran – abgesehen von den aktuellen Auflagen der Pandemie –, die Sorgearbeit besser aufzuteilen? Auch wir sind Kinder unserer Zeit und uns wurde in den letzten Jahrzehnten eingetrichtert, dass nur jede allein für sich kämpfen sollte. Viele haben sich in private Lösungen zurückgezogen, auch weil im Zuge von ökonomischen Unsicherheiten die Familie als sicherer Rückzugsort gesehen wird. Wir sind es schlicht nicht mehr gewohnt, pragmatisch die Versorgung aller zu denken, sondern nur im ganz kleinen, eigenen Kreis. So sind Erfahrungen aus der zweiten Frauenbewegung zum Teil wieder verloren gegangen und müssen nun mühsam wieder erlernt werden. Gerade jetzt, wo wir eigentlich den Generalstreik für Sorgearbeit antreten müssten, passiert fast nichts. Das mag auch daran liegen, dass viele einfach müde und erschöpft sind und sich nicht vorstellen können, an der eigenen Situation etwas zu ändern.
Außerdem erschöpfen sich gegenwärtige feministische Politiken zum Teil in lähmenden Opfer-Narrativen. Die Me-too-Bewegung etwa war notwendig, zugleich hat sie das strukturelle Problem meist nur auf der individuellen Ebene verhandelt. Wenn eine offen bekennt, dass auch sie »betroffen« ist, erschließt sich daraus nicht direkt eine Strategie, die einen Weg aus dieser Betroffenheit hinausweist. Anstatt die Verhältnisse weiter aufrechtzuerhalten und ohne zu murren freiwillig mehr Sorgearbeit zu verrichten – und daran still und leise kaputt zu gehen –, könnten wir uns stattdessen selbst als Aktive wahrnehmen und etwas an unserer Situation ändern.
Man muss dafür nicht einmal die teils krasse Ablehnung der autonomen Frauenbewegung gegenüber staatlichen Institutionen teilen, um ihren Impuls in Sachen Selbstveränderung aufzunehmen. Es schließt sich keineswegs aus, sich selbst zu organisieren und zugleich für höhere Löhne, mehr bezahlten Urlaub oder eine bessere Kinderbetreuung zu streiten. Während der Lockdowns hätte der Staat mindestens Regelungen treffen müssen, wodurch die Sorgearbeit für Pflegebedürftige, Kinder und Kranke zumindest erleichtert und auf mehrere Personen aufgeteilt werden kann. Was einige privilegierte Nachbarschaften vielleicht noch durch gute Netzwerke hinbekamen, sollte allen offen stehen. Denn auch dafür steht die Frauenbewegung: die Verbesserung der Lebensbedingungen für alle.
1984 schlug bell hooks in diesem Sinne das »revolutionary parenting« vor, das in ähnlicher Weise wie die Kinderläden der autonomen Frauenbewegung vorsieht, die Erziehung nicht nur den verschiedenen Geschlechtern, sondern auch anderen Menschen als den biologischen Eltern anzuvertrauen. Etwas postmoderner ist die Idee übertragen im co-parenting, das sich aber stärker über die Zeugung und dann Erziehung der »eigenen« Kinder über einen vereinbarten Kreis an Menschen konzentriert.
Die Pandemie zeigt jedoch, dass wir diese soziale Verbindung stärker über Arbeitsverteilung und Solidarität und weniger über das Elternsein und die Erziehung entstehen lassen sollten. Über die Familienverhältnisse hinaus entsteht so nicht nur Bindung und Vertrauen, sondern auch ein kollektives Verantwortungsgefühl – gerade das, was uns so schmerzlich fehlt und in der Corona-Krise fast ganz verschwunden ist.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.