25. Mai 2021
Auf 8chan treffen sich Verschwörungsanhänger und Rechtsextremisten. JACOBIN sprach mit dem Gründer des Imageboards über den reaktionären Sumpf auf 8chan und freie Meinungsäußerung im Internet.
Fredrick Brennan am 05. September 2019 in Quezon City.
Im Jahr 2013 gründete der Software-Designer Fredrick Brennan das Imageboard 8chan, das später zum Sammelbecken für Gamergate-Anhänger und QAnon-Fans wurde. Seitdem ist er ein ausgesprochener Kritiker solcher Verschwörungserzählungen geworden und hat dafür gekämpft, dass die Plattform 8chan – die ihm nicht mehr gehört – aus dem Netz genommen wird.
Brennan sprach mit JACOBIN über seinen Lebensweg, seine Vision des Internets und die Frage der Meinungsfreiheit.
Das Phänomen 8chan ist eng verbunden mit einer neuartigen »Internetkultur«. Lass uns zu Beginn also über Computer und das Internet sprechen. Du sagtest einmal, dass Dir Computer mit Deiner Behinderung schon in jungen Jahren einen Ausweg geboten haben. Du hast auch früh mit dem Programmieren angefangen, richtig?
Ich habe mit [der Programmiersprache] Python 2 angefangen. Dazu kam ich auf eigenartige Weise. Ich hatte einen alten, kaputten Laptop. Und eines Tages funktionierte das CD-Laufwerk nicht mehr. Damals gab es noch keine Möglichkeit, Windows ohne CD-Laufwerk neu zu installieren. Ich musste dann also Linux installieren und war gezwungen, mich damit auseinandersetzen. Und aus diesem Grund hab ich mit Python 2 angefangen.
Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Zeit (noch) keine vorherrschende, hegemoniale Internetkultur gab. Alle waren eher in kleinen Cliquen unterwegs.
Damals waren die Dinge sehr anders. Ich glaube, der Begriff [Internetkultur] existierte nicht einmal. Es gab zumindest keine Leute, die man dazu bringen konnte, auf CNN darüber zu sprechen.
Meine erste Online-Erfahrung war ein Spiel, das ich hatte, als ich noch sehr jung war – so acht, neun Jahre alt – Sonic Adventure 2. Wir waren sehr arm und hatten selten neue Spiele oder Konsolen. Wir haben dieses Spiel immer und immer wieder gespielt, Hunderte Male.
Ein Feature des Spiels waren virtuelle Haustiere. Das sollte eigentlich eher ein Wegwerf-Feature sein. Aber wenn man das Spiel ein paar hundert Mal gespielt hatte, war es das Einzige, was man noch machen konnte. Wenn man im Spiel das Bulletin Board ansteuerte, zeigte es einen Link an, den man aufrufen konnte, wenn man Internet hatte. Und dort im Netz gab es ein BBS [Bulletin Board System], das Chao BBS. Das war das erste Online-Forum, das ich besucht habe.
Ich habe keine Ahnung, warum der Spielehersteller Sega dachte, das sei eine gute Idee. Denn Chao BBS war anonym. Man musste nur ein Kästchen ankreuzen, um zu bestätigen, dass man älter als 13 Jahre alt war, was natürlich auch alle unter 13-Jährigen taten. Und man konnte die Threads im Forum schon lesen, bevor man sein Alter bestätigt hatte.
Sega stellte Moderatorinnen und Moderatoren ein, aber die waren nicht wirklich aktiv. Dieses frühe Webforum war recht harmlos und hätte der Firma keinerlei Schwierigkeiten gebracht. Aber eines Tages wurde das BBS, als ich gerade dort war, von 4chan überfallen. So kam ich zum ersten Mal mit 4chan in Berührung. Die 4chan-User überfluteten das Forum regelrecht. Jeder andere Thread wurde einfach verdrängt.
Wie alt warst Du damals?
Ich war 11. Das erste Mal, als 4chan das Board überfiel, war ich mit anderen alten Usern zusammen. Wir betrachteten uns als alte User dieser BBS, weil wir schon seit Monaten dort waren. Diese 4chan-Leute waren neu. Wir waren alle gegen sie. Wir schickten eine E-Mail an den technischen Support von Sega und schrieben ihnen: »Ihr müsst diese Trolle verbannen. Sie ruinieren unser Chao BBS.«
Die Sega-Moderierenden kamen dann manchmal online und räumten ein bisschen auf. Aber irgendwann gaben sie auf, weil sich die Vorfälle wiederholten. Und dann dachte ich irgendwann, dass das, was [die 4chan-User] machen, eigentlich ziemlich lustig ist.
Nach dem Motto: Wenn Du sie nicht besiegen kannst, schließe Dich Ihnen an.
Genau.
Du gingst von einer Nischenseite für Leute mit Nischeninteressen zu einer Seite, die viel freier und bizarrer war.
Verglichen mit dem extrem einfachen Chao-BBS, das nicht einmal Bilder hatte, war [4chan] etwas völlig Anderes. Dort waren Leute jeden Alters vertreten – auch das war neu. Und sie tauschten sich über Themen aus, die Erwachsene normalerweise nicht mit Kindern besprechen würden.
Jetzt, wo ich als Erwachsener zurückblicke, weiß ich, dass Chao BBS im Wesentlichen auf 2chan basierte. Wenn ich mir das wirklich alte Archiv ansehe und mir anschaue, wie die Threads aufgebaut sind, verstehe ich, dass dies eigentlich ein Zwei-Kanal-BBS-System war, das eben für eine Videospielveröffentlichung eingesetzt wurde.
Um den Leserinnen und Lesern ein wenig Kontext zu geben: 2chan wurde 1999 von Leuten gegründet, die versuchten, die restriktive Zensur in Japan zu umgehen.
Die Gesetze in Japan waren so restriktiv, dass es wegen der vielen Beschwerden fast unmöglich war, ein BBS zu betreiben. Man hätte ein ganzes Team von Moderierenden benötigt, um die Beschwerden zu bearbeiten. Und man hätte enorme viele Inhalte entfernen müssen.
In den USA gibt es nur eine Handvoll Auflagen, die man beachten muss: Copyright-Forderungen, Kinderpornographie, direkte Anstiftungen und solche Dinge.
Japan hat eine weitaus umfassendere Definition von Verleumdung, Diffamierung und so weiter. Der Sinn der Anonymität im Internet ist, über Leute lästern zu können, richtig? Das scheint das allgemeine Verständnis zu sein, und genau das machen die Mitglieder auf dieser Art von Webseiten. Ein BBS, das sagt: »Du kannst niemanden verleumden«, wird verglichen mit einem, das die freie Meinungsäußerung begrüßt, extrem unbeliebt sein.
2chan hatte US-Server, also galten die US-Gesetze. Aber da die Website auf Japanisch war, zog sie ein japanisches Publikum an, das nach einer Alternative suchte.
Chao BBS (obwohl moderiert und vermutlich in Japan ansässig) wurde auf technischer Ebene nach dem 2chan-Modell entworfen. Und das führte Dich dann zu 4chan.
Da Chao BBS ein anonymes Zwei-Kanal-Format hatte, bereitete es mich gewisser Weise auf 4chan vor. Das Posting-System war ähnlich und das Thread-Layout basiert auf Aktualität. Die neuen Posts standen also immer ganz oben. Chao BBS war eine Einführung in 4chan. Es war wie die Stützräder-Version von 4chan. Dann kommen die Stützräder ab und man sieht dieses viel größere Bulletin Board. Dort ging es um alle Themen, nicht nur um ein bestimmtes Sega-Videospiel.
Ich kann mir vorstellen, dass das mehr Spaß gemacht hat.
Viel mehr Spaß. Ich war den ganzen Tag auf 4chan.
Zu Beginn hatte 4chan keine politische Linie, die ihm zugeschrieben wurde.
Ja, das war ganz am Anfang noch so.
Vielleicht so um 2006?
Ja. Die 4chan-User begannen sich politisch zu fühlen, als sie anfingen, Scientology anzugreifen. Aber das lässt sich erst einmal keiner extrem rechten Politik zuordnen.
Es ist sogar vage fortschrittlich.
Vage fortschrittlich, aber im Allgemeinen eher unpolitisch. Der Übergang der 4chan-Benutzerbasis zu rechten Ideen geschah sehr, sehr langsam – die meisten Benutzenden waren wie Frösche in einem allmählich erhitzenden Topf Wasser. Weil sie jeden Tag dort waren, sich mit den Threads und den Meinungen auf dem Board beschäftigten, haben sie nicht direkt gemerkt, wie radikal es dort wurde. Das gilt so auch für mich.
Wie bringt man eine beständige Mitgliederbasis zustande, wenn das Forum anonym ist? Im Vergleich zu den meisten Foren heutzutage, wurden ja zum Beispiel, die Anzahl der Beiträge, die man geschrieben hatte, nicht im User-Profil angezeigt.
Ältere User machten sich untereinander bekannt, indem sie auf Dinge anspielten, die vor langer Zeit passiert waren – Dinge, von denen die Neueren dort nichts wissen konnten. Man beweist, dass man nicht neu ist, indem man sein tiefes institutionelles Wissen zeigt.
Natürlich gibt es auf 4chan Möglichkeiten, um mit einem Tripcode zu posten. Aber in der Regel können anonyme Benutzende ein Langzeit-Mitglied leicht identifizieren – etwa durch die Art, wie jemand schreibt, die Dinge, die jemand weiß, oder wie geschickt jemand darin ist, Memes zu machen.
Wie jede andere Subkultur hatte 4chan also seine eigenen Referenzen und Anspielungen auf früher.
Ja, aber auf 4chan gab es auch viel Mob-Mentalität und sektenähnliches Denken. Alles, was viele Antworten und Aufmerksamkeit bekommt, wird auf 4chan populär. Das ist es, was Threads an der Spitze hält. Darin unterscheidet es sich von traditionellen Foren. Wenn dort eine Person etwas postet, die bekannt ist, dann wird dieser Thread auf jeden Fall Antworten bekommen. Auf 4chan geht es mehr um Inhalte, die aus dem Moment heraus entstehen. Um mehr Antworten und mehr Leute in ihre Threads zu bekommen, werden die Benutzenden das tun, was auf 4chan beliebt ist.
Jeder Tag ist neu. Man muss sich seine Views verdienen.
Genau. Wenn Dir auf Twitter 20.000 Leute folgen, wird eigentlich alles, was Du twitterst, ein oder zwei Likes bekommen. 4chan funktioniert so nicht. Wenn Du aufwachst, ist ein neuer Tag auf 4chan und Du musst immer wieder innovativ sein.
Das hat dazu geführt, dass sich in diesen Communities leicht eigene Erzählungen bilden. Du hast einen Haufen Trolle, die sich nur gegenseitig verarschen und eine große Öffentlichkeit, die das ernst nimmt. Dann fangen einige der anderen Mitglieder des Boards an, das auch ernst zu nehmen und die ursprüngliche Gruppe von Trollen wird vergessen.
Im Jahr 2017 ist genau das mit QAnon passiert. Es gab aber keine richtigen Trolle, die verblassten. Es gab neue Mitglieder, die tatsächlich glaubten, was die ursprünglichen Trolle sagten – und sie bauten das ganze Konstrukt auf.
Der 4chan-Gründer Chris Poole sagte, dass es auf 4chan 20 Millionen aktive Nutzende gab, als das Imageboard den Höhepunkt seiner Popularität erreichte. Mich beschäftigt aber immer noch die eher politische Wende. Gamergate wird oft als die entscheidende rechtspolitische Kehrtwende angesehen. Gab es irgendetwas davor – abgesehen von dem Anti-Scientology-Gerede?
Ja, im Jahr 2012 hat 4chan Ron Paul stark unterstützt. Das war noch vor Gamergate. Sie machten Ron Paul zu Memes. Ich weiß nicht, ob Du jemals das Meme gesehen hast, das sagt: »Ron Paul Will Make Anime Real« [etwa: Ron Paul wird Anime zur Realität werden lassen].
Ich erinnere mich daran.
Ich war davon als ich 18 war so begeistert, dass ich Ron Paul sogar gewählt habe.
Was hat Dir an Ron Paul gefallen? War es nur, dass er nicht Mitt Romney war? War es seine libertäre Haltung zu Sprache, Drogen und dergleichen?
4chan-Nutzerinnen und -Nutzer waren sehr bedacht darauf, sich auf die Dinge zu fokussieren, die sie an Ron Paul mochten. Er wollte nicht einen Haufen Leute ins Gefängnis werfen, weil sie Drogen nahmen – und das aus guten Gründen, der politische Kampagne des »War on Drugs« war auf 4chan extrem unbeliebt.
Was ist mit anderen Positionen von Ron Paul, etwas seiner »Du bist auf dich allein gestellt«-Ökonomie? Hat das die Leute angesprochen?
Das ist schwer zu sagen, weil es zu der Zeit keinen Kandidaten wie Bernie Sanders gab, der lautstark das Anti-Establishment repräsentierte. Es gab ja sonst nur Obama und Romney.
Aber es gab keine offensichtliche Ablehnung des Wohlfahrtsstaats und der Unterstützung für die »Schwachen« oder unterdrückte Minderheiten?
Ich kann natürlich nicht für jeden einzelnen Benutzenden sprechen, aber ich habe das Gefühl, dass die Leute mehr daran interessiert waren, dass [Ron Paul] Kriege beenden und Drogen legalisieren wollte. Vor allem Marihuana.
Die Rechten begannen sicherlich 4chan zu übernehmen und Gamergate besiegelte das. Aber diese Haltung war bei den meisten Mitgliedern noch nicht ausgeprägt.
Was sagen die Leute auf 4chan jetzt zum »War on Drugs«?
Heute ist das anders, weil [die Seite] so rassistisch geworden ist. Die Mitglieder sagen manchmal: »Leute sollten nicht ins Gefängnis gehen, weil sie Drogen nehmen, aber [die »War on Drugs«-Politik] ist gut, weil sie eine Menge Leute, die wir nicht mögen, im Gefängnis hält.« Am Anfang war das noch nicht so. Die Neonazis hatten das Board noch nicht übernommen.
Was ist damals passiert, wenn Nazis im Board auftauchten? Wurden sie angeprangert oder einfach ignoriert?
Die extrem rechten, neonazistischen Mitglieder taten alles, um auf 4chan zu bleiben und weiter mit den Leuten zu streiten. Dadurch konnten sie die Basis der Benutzenden mehr und mehr bekehren. Es geschah langsam, aber zunächst sonderten sie sich ab und hatten einen allgemeinen Thread namens »Nationaler Sozialist«.
Alle wussten, dass der Thread mit der Nazi-Flagge für die Nazis war. Aber man dachte damals, der Rest des Boards gehöre immer noch uns. Eine Menge Leute besuchten den Nazi-Thread und trollten sie, aber sie [die Nazis] diskutierten mit Dir über alles, womit du sie trollen wolltest. Und sie versuchten, dich auf ihre Seite zu holen. Ihre Strategie war: »Wir sind nur hier, um zu reden. So wie ihr. Wir sind nur wegen unserer Meinungsfreiheit hier. Lasst uns einfach in Ruhe.«
So gingen sie anfangs mit dem Rest der Community um. Ihre Theorie war: »Warum habt ihr solche Angst vor uns? Die besten Ideen werden an die Spitze kommen. Glaubt Ihr nicht an die freie Meinungsäußerung?« Und genau so funktionierte es dann auch. Der durchschnittliche 4chan-User sagte: »Ja, wir glauben an die Meinungsfreiheit.« Mit dieser Strategie konnten die Nazis das Board schrittweise übernehmen. Das /pol/-Board auf 4chan ist ein Nazi-Paradies. Ich würde sagen, etwa 90 Prozent der Nutzenden dort sind Nazis.
Glaubst Du, dass sich die User von bestimmten Aspekten, die für den Faschismus charakteristisch sind, besonders angesprochen fühlten? Oder hätte sich die unpolitische Kultur von 4chan in eine sozialistische Subkultur verwandeln können anstatt in eine reaktionäre?
Nein. Ich glaube der Faschismus ist dort so populär, weil er so sehr auf die Emotionen der Leute setzt. Er ist nicht so intellektuell wie der Sozialismus. Die Dinge, die auf 4chan gut laufen, sind Dinge, über die man nicht allzu viel nachdenken muss – simple Gut-und-Böse-Geschichten. Auf Facebook ist das ähnlich und auch auf Twitter. Aber auf 4chan hat sich diese Dynamik erheblich gesteigert, weil es dort keine Regeln gibt.
Die Nazis wurden auf 4chan nicht verbannt. Sie konnten einfach weiter wachsen.
Gab es Aspekte der Kultur und der Sprache des Boards, die diese Veränderung begünstigt haben?
4chan-Mitglieder haben immer versucht, bis zum Äußersten zu gehen und sich gegenseitig zu trollen. Aber man begann sich zu fragen, ob es einigen von ihnen nicht doch ernster war, als sie begannen, das N-Wort zu benutzen oder das Wort »Krüppel«, und man die Phrase »Sie sollten alle vergast werden« immer häufiger las. Versuchen sie nur, South Park nachzuahmen? Ist das alles ein Scherz? Oder fangen sie an, diese Dinge tatsächlich zu glauben? Es ging weniger darum, Menschen einfach zu beleidigen, um sie eben zu beleidigen. Vielmehr sollte dabei klar werden: »Nein, das ist, was wir wirklich glauben.«
Von ironischem Humor zum Nihilismus zum offenen Faschismus?
Ja, so würde ich das beschreiben. Ron Paul ist ja im Grunde die nihilistische Wahl. Hinter so einer Person versammelt man sich nur, wenn man das Gefühl hat, dass einem dieses System keine gute Wahl anbietet.
Nach den Kontroversen um Gamergate und geleakte Nacktbilder von Prominenten wurde von 4chan gefordert, die Plattform richtig zu moderieren. Könnte man sagen, dass diese Intervention dazu geführt hat, dass Alternativen zu 4chan entstanden?
Das ist vielleicht ein bisschen vereinfacht, aber da ist schon etwas dran. Zum Beispiel wurden sogar die Leute, die sich lautstark gegen Scientology geäußert hatten, von 4chan verbannt. Sie durften nicht bleiben und mussten ihre eigene Ableger-Site gründen.
Wie kam es dazu?
Auf 4chan gib es eine Richtlinie gegen Bewegungen. Sie wurde damals nicht gut durchgesetzt, weil die Moderation so schlecht war. Es gab zu viele Benutzende und zu wenig moderierende Leute. Aber diese Richtlinie war schon immer Teil der offiziellen Regeln – man darf zu keiner realen Aktion anstiften.
Die Nazis betraf diese Richtlinie nicht, weil sie nur ein Thema diskutierten und den Leuten nicht sagten, sie sollten der Nazi-Partei beitreten oder ähnliches.
Man kann nicht sagen: »Nimm an diesem Datum an jenem Protest teil. Überflute diesen Webserver.« Das ging im Grunde genommen gegen die Regeln, auch wenn sich solche Aufrufe die ganze Zeit dort finden ließen. Aber irgendwann wurden die Benutzenden dann gesperrt. Mit den Promi-Leaks geriet 4chan in eine Krise. Man wollte einen Weg finden, um die Seite zu moderieren, damit sich solche Dinge nicht wiederholten.
Bei der Scientology-Diskussion hat das noch funktioniert, aber jetzt würde das nicht mehr funktionieren. Der Seite drohte damals tatsächlich die Schließung. Mit den Fortschritten im maschinellen Lernen und durch die Unterstützung von mehr und mehr Freiwilligen konnte [4chan-Gründer Chris Poole die Kontroverse] unterdrücken. Weil er anschließend die Macht hatte, um die Einhaltung der Regeln tatsächlich zu gewährleisten, war er schließlich in der Lage, die Richtlinien von 4chan durchzusetzen, als sich Gamergate ereignete. Nur deswegen gelang es, Gamergate nicht nur von 4chan zu verbannen, sondern auch von der Seite verbannt zu halten.
[Die Moderation der Seite] hatte bei dem Scientology-Fall kaum versucht, sich einzumischen. Nun hatten sie ihre Software umgeschrieben, sodass die Moderatorinnen und Moderatoren gezielt nach Schlüsselwörtern suchen konnten, um Beiträge zu sperren. Sie hatten ähnliche Algorithmen, wie sie große Social-Media-Firmen jetzt haben – Poole arbeitet jetzt bei Google. Er hat eine Menge davon selbst auf 4chan gelernt. Dort entwickelte er die Fähigkeit, gegen Regelverstöße vorzugehen. Es war offensichtlich, dass man gegen Gamergate vorgehen muss, und das führte dazu, dass 8chan berühmt wurde.
Du hast 8chan im Jahr 2013 als Experiment gestartet. Du wolltest wissen, wie ein Board wie 4chan funktioniert. Du hast versucht, das [technische] Modell zu verbessern, als es [noch] nicht so viele aktive User gab.
Korrekt. Im ersten Jahr war 8chan auf dem Radar der Imageboards kaum gesichtet. Die meisten Benutzerinnen und Benutzer wussten nicht, was es ist. Auf 4chan hatten die meisten Mitglieder kein Interesse daran. Es gab auch Leute, die zu 4chan gingen, weil sie die Art und Weise, wie Reddit aufgebaut ist, nicht mochten. Und 8chan war ähnlich aufgebaut wie Reddit. Das schmälerte die frühen Erfolgschancen für 8chan.
Du hast 8chan nicht wirklich kommerziell vermarktet. Du hast nur versucht, es zu verbessern – und Deine große Innovation war es, den Benutzenden zu erlauben, ihre eigenen Boards zu erstellen.
Ich war damals freier Software-Entwickler. Damit habe ich meinen Lebensunterhalt verdient. Ich habe an den Imageboards anderer Leute gearbeitet. Für mein Portfolio wollte ich zeigen, dass ich ein Imageboard auf jede Art und Weise verändern konnte.
Ich konnte eine Imageboard-Software nehmen und sie in Reddit verwandeln. Ich konzentrierte mich ganz auf den Software-Aspekt. Ich brachte ständig neue Funktionen heraus und sah, wie die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer langsam anstieg und dachte: »Hey, das funktioniert.« Aber ich habe nicht aktiv versucht, Leute [zu 8chan] zu holen. Sie kamen nur deshalb zu 8chan weil sie auf Google nach Alternativen suchten, nachdem sie von 4chan gesperrt worden waren. Auf allen anderen Imageboards brauchte man die Einwilligung eines Admin, um ein neues Board zu eröffnen.
Diese Leute eröffneten überall Threads, die forderten: »Hey, macht uns ein neues Board. Wir wollen dieses neue Board. Drüben auf 4chan ist diese große Sache passiert. Ihr könntet eine Menge Mitglieder bekommen.« Diese anderen Communities wie 7chan oder 4chon waren kleine, abgeschottete Orte. Die entgegneten: »Nein, verschwindet« und schlossen viele dieser Benutzerinnen und Benutzer aus. Aber 8chan war anders aufgebaut. Die Benutzenden mussten niemanden fragen. Es war einfach so, als würde man auf Reddit ein Subreddit aufmachen.
Es gab keine große Marketing-Kampagne. Man musste einfach auf »Erstelle dein Board« klicken, eines erstellen und konnte dann anfangen, es zu bewerben.
Was dachtest Du zu dieser Zeit über Gamergate? Offensichtlich führte der Vorfall dazu, dass Leute auf Deine Seite kamen. Das war sicherlich gut für Dich. Aber wie war Deine Haltung diesbezüglich? Warst Du ein Verfechter der »Ethik im Videospieljournalismus«? [lacht]
Nachdem ich aufgehört hatte, dieses Sonic-Spiel zu spielen, habe ich aufgehört, ein »Gamer« zu sein. Ich spiele bis heute keine Videospiele. Ich bin einfach nicht so gut darin – und ich habe das Gefühl, dass [Spiele] Dopamin-Maschinen sind, die einen glauben lassen, man habe etwas erreicht, obwohl man in Wirklichkeit gar nichts erreicht hat. Mit der Entwicklung von Software nutze ich meine Zeit besser.
Wenn ich mich entspannen will, schaue ich mir einfach etwas an, anstatt all diese geistige Energie in ein Spiel zu stecken. Ich bin also kein Gamer. Diese ganze Kontroverse begann im /v/-Board von 4chan, einem Board, das ich nicht besuchte. Mich hat das völlig unvorbereitet erwischt. Ich wusste nicht, dass das passieren würde.
Und als es dann passierte, habe ich erst zusammen mit den anderen Usern davon erfahren. Aber ich will ganz ehrlich sein. Ich auch hatte gute Gründe, wegzuschauen. [Ich dachte]: »Sieh mal, wie beliebt meine Seite jetzt ist. Soll ich die Leute wirklich rausschmeißen? Sie haben so viel Spaß mit all diesen Funktionen, die ich programmiert habe. Endlich funktioniert es.«
Als es noch keine Mainstream-Berichterstattung über Gamergate gab, hätte ich da sagen sollen, »Also eigentlich glaube ich, dass ihr alle falsch liegt«? Das stand nicht zur Debatte. Aber als ich Angebote von Leuten wie [Jim] Watkins bekam, die die Seite übernehmen wollten, wusste ich, dass darauf eine größere Sache werden wird.
Du hattest es auf die Vermarktung nicht abgesehen, weil es für Dich nur ein Programmierprojekt war, richtig? Selbst wenn Du daran hättest verdienen wollen, wäre das wegen der enormen Bandbreitenbelastung schwierig gewesen. Du hattes auch keine Werbekunden, die mit den geposteten Inhalten in Verbindung gebracht werden wollten.
Wer mich in dieser Hinsicht verstehen will, muss die Bewegung für frei zugängliche Software verstehen. Auch wenn ich nicht derjenige war, der das am Laufen halten konnte, hatte ich aus meiner Perspektive eine gute Sache getan, indem ich innovativ im Bereich der freien Software arbeitete. Jemand konnte die Software, die ich geschrieben hatte, benutzen und seine eigene Version daraus machen. Heutzutage verlangen User, dass sie selbst Boards erstellen können. Das muss es geben.
Du hast gewissermaßen Geld verloren, während die Seite wuchs.
Ich hätte mich damals nie als Sozialist bezeichnet, aber ich habe extrem sozialistisch gedacht. Du hast die Fähigkeit, eine Software zu programmieren, und Du gibst die ganze Software umsonst frei. Und als Unterstützung geben die Leute so viel, wie sie geben können. Es ist eine Geschenk-Ökonomie.
Das kommt dem kommunistischen Ethos näher als dem sozialistischen.
Ja, das stimmt mit Blick auf das Ideal der Geschenk-Ökonomie. Aber ich wusste, dass dies nie mein Hauptjob sein würde. Und ich wusste, dass ich 8chan nicht lange aufrechterhalten konnte. Also habe ich nach jemandem gesucht, der die Seite übernimmt, sobald sie populär wird. Ich wollte das Ganze nicht lange leiten.
Wie hoch waren für Dich die Server-Rechnungen?
Unsere Kosten stiegen von 10 Dollar pro Monat auf 2.000 Dollar pro Monat, allein für die Bandbreite. Hinzu kommen 1.000 Dollar für die Server. Für Domains fallen alle möglichen Kosten an und man ist auf Server in bestimmten Ländern und Datenzentren angewiesen, die einen nicht wieder rausschmeißen. Das kostet mehr.
Im Grunde ist man so beschäftigt, dass man nebenher nicht mehr arbeiten kann, aber Du musst Dich ja auch noch selbst finanzieren. Diese Website ist extrem toxisch für Dein Leben. Sie zu verwalten, ist dann Dein Leben.
Es gibt aber Freiwillige, die einem bei der Moderation helfen oder?
Ja, und das hilft eine Menge. Aber es muss immer noch jemanden geben, der das letzte Wort hat, den Administrator. Du brauchst immer noch jemanden, der alle rechtlichen Anfragen prüft und dafür sorgt, dass die Seite weiterhin funktioniert, während sie schnell wächst.
Hast Du Spenden erhalten, um die Dinge am Laufen zu halten?
Wir hatten eine Zeit lang Patreon. Dann hat uns Patreon den Hahn abgedreht. Von da an waren wir in einer finanziellen Todesspirale. Keine Bank der Welt hätte mir ohne Businessplan einen Kredit gegeben.
Ich kenne die Ökonomie von Imageboards und ich weiß, dass Christopher Poole während der gesamten Geschichte von 4chan kämpfen musste, um die Seite online zu halten.
Die Kosten wurden unerreichbar hoch und wenn Jim und Ron Watkins oder jemand anderes [8chan] nicht übernommen hätte, wäre die Seite spätestens im Januar 2015 geschlossen worden.
Du sprichst viel über freie Software und den Ethos dahinter, aber nicht viel über Meinungsfreiheit. War Dir dieses Prinzip bei der Gründung von 8chan wichtig?
Die Überzeugung wuchs mir mit der Zeit ans Herz. Es war das wichtigste Argument, um Leute davon zu überzeugen, dass 8chan gut ist. Ich lernte, wie man dieses Argument vorbringt. Und ich war mit Jim und Ron Watkins im Austausch, die Experten sind, wenn es darum geht, dieses Argument anzuführen.
Sie haben eigentlich eine Feedback-Schleife abgespult. Das Lustigste an 8chan war die Regelseite, auf der im Prinzip nur stand: »Tu nichts Illegales.« Das war eigentlich eher aus Faulheit so entstanden – mit ideologischer Überzeugung hatte das nichts zu tun.
Aber nachdem die Benutzerinnen und Benutzer sich das angeschaut hatten, wurde es zu einem Grundsatz. Sie sagten: »Oh, das ist toll. Das ist das Beste, was wir je gesehen haben. Wir lieben die Idee, dass alles erlaubt ist, es sei denn, es ist nach US-Gesetz explizit illegal.« Tatsächlich stand das da nur, weil ich in kurzer Zeit eine Regelseite schreiben musste, damit ich mich dem widmen konnte, was ich an der Software interessanter fand.
Wie viel persönliche Moderation musstest Du in den späteren Tagen leisten? Hast Du Dich durch einige der abgründigen Posts gescrollt? Oder gab es zu dem Zeitpunkt schon [genug] Freiwillige, das übernommen hatten?
Ich habe schon im allerersten Jahr von 8chan einen Weg gefunden, die Verantwortlichen großer Boards [in 8chan] dazu zu bringen, die Moderation selbst zu übernehmen. Diese Verantwortlichen hatten durch diese großen Boards eine Menge Vorteile. Sie wollten nicht, dass ich ihnen ihre Boards wegnehme. Und sie hatten keine Möglichkeit, mich davon abzuhalten, das zu tun.
Also habe ich ihnen gesagt: »Diese ganze Seite wird geschlossen, wenn es nicht mehr Moderation gegen Kinderpornos und illegale Inhalte gibt. Und als Verantwortliche seid ihr dafür zuständig. Andernfalls werde ich Euch das Board wegnehmen und es an jemandem übergeben, der das erledigt.« Das war die Abmachung. Und das Verrückte ist, dass die meisten Verantwortlichen damit völlig einverstanden waren, weil es ihnen mehr Macht gab.
Im Grunde hast Du Föderalismus eingeführt.
Ich habe Feudalismus eingeführt.
Feudalherren erhielten einen Anteil der produzierten Ernte. Du bekamst nur die Serverrechnungen geschickt!
Aber jetzt kommt’s: Christopher Poole bei 4chan hätte das, was ich getan habe, nie tun können, weil er alle Boards selbst erstellt hat. Er musste tatsächlich Bewerbungen ausschreiben, damit Freiwillige die Moderation übernahmen. Aber ich habe mir einfach die Top-Board-Verantwortlichen herausgesucht und gesagt: »Ihr und Eure Freiwilligen müssen anfangen, das zu tun.« Die Zuständigkeit wurde verlagert.
Wie viele aktive Benutzerinnen und Benutzer gab es auf dem Höhepunkt?
Die Statistik, die ich immer im Blick hatte, waren die Beiträge. Im Jahr 2013 wurden 100 Beiträge am Tag erstellt. Auf dem Höhepunkt von Gamergate waren es 7.000 Beiträge pro Stunde.
Du hast Spender gefunden, die in der Lage waren, die Serverkosten zu übernehmen – nämlich Vater [Jim] und Sohn [Ron] Watkins. Die wandten sich an Dich und Du hast dann die Übergabe von 8chan an sie arrangiert, bliebst aber anfängliche noch als Administrator dabei.
Ja, 8chan war in einer extrem schwierigen Lage. Nachdem [unser] Patreon abgeschaltet wurde, hatten wir keine Möglichkeit mehr, an Geld zu kommen. Ich war nicht einmal so verärgert darüber. Ich dachte, dass dies ein amüsantes kleines Missgeschick war. Jemand, der mehr Geld hat als ich, würde wahrscheinlich meine Software benutzen, nachdem 8chan untergegangen war, und etwas Ähnliches starten.
Aber die beiden Watkins waren anderer Meinung. Für sie war es das Wichtigste, die Mitglieder dort zu halten, wo sie sind. Ihnen ging es nicht um die Board-Software. Sie wollten die User auf unserer Plattform aktiv halten.
Sie haben sich mir gegenüber als diese wunderbaren, unbekannten amerikanischen Wohltäter von 2chan vorgestellt. Sie bewiesen mir, dass ihnen 2channel tatsächlich gehörte, indem sie einen Link zu 8chan auf 2chan einbauten.
2channel war in den USA ein Mythos und galt als der Großvater der Imageboards. Der legitime Besitz von 2chan würde sie perfekt dazu qualifizieren, 8chan zu betreiben. Das erschien mir wie ein Selbstläufer.
Später fand ich heraus, dass sie 2chan vermutlich gestohlen hatten.
Dachten die beiden wirklich, sie könnten mit 8chan Geld verdienen? Sie reden viel darüber, dass die Seite zum Wohle der freien Meinungsäußerung am Laufen halten, obwohl es sie finanziell belastet.
Am Anfang dachten sie durchaus, dass sie damit Geld verdienen könnten. Ich hatte das nie bestärkt. Es war schon immer eine Geldverschwendung.
Aber Ron [Watkins] hat höchstwahrscheinlich seinen Vater [Jim Watkins] davon überzeugt, die Seite trotzdem zu übernehmen, denke ich. Ron hat die Idee aufgeblasen, dass sein Vater darüber Gewinne machen könnte. Und sein Vater sah all die Nutzerinnen und Nutzer und all die Aktivitäten und dachte, dass es sich wirklich lohnen würde. Zunächst wollten sie ihr Rechenzentrum nutzen, über das sie bereits eine Menge dieser [meiner] Rechnungen bezahlten. Sie haben ihr eigenes Rechenzentrum. Sie haben ihren eigenen Strom. Sie haben ihren eigenen Techniker. Es ist wie bei jeder Konsolidierung: Für sie war es billiger 8chan zu übernehmen, als für mich.
Dieser Transfer fand 2015 statt?
Ja.
Natürlich bin ich in meiner Blase, aber wenn ich an 2015 und 2016 denke und die Politisierung der Jugend in der englischsprachigen Welt in dieser Zeit, dann denke ich an die politische Linke. Es gab natürlich die Alt-Right und die Trump-Memes, aber ein großer Teil unserer Generation unterstützte die Kampagne von Bernie Sanders und Jeremy Corbyn in Großbritannien.
8chan hat im Internet eine große Reichweite und ist mittlerweile ziemlich fest in der Rechten verankert. War diese deutliche politische Tendenz von Anfang an vorhanden? Oder war es eher ein ungewöhnliches Internet-Phänomen?
Nach Gamergate waren so ziemlich alle, die [zu 8chan] kamen, extrem rechte Nutzerinnen und Nutzer. Sie waren alle von 4chan gesperrt worden, weil sie Gamergate unterstützten.
Sie strömten herein und machten diese Website zu einer rechtsgerichteten Website. Bemerkenswert ist dabei: Das erste linke Imageboard begann auch auf 8chan.
Es war also nicht alles rechtslastig. Aber Du hast völlig Recht, wenn Du sagst, dass die Mehrheit der Mitglieder extrem rechts war.
Wie hättest Du Dich damals politisch eingeordnet?
Ziemlich libertär. So habe ich mich damals immer beschrieben. Ich habe im Wesentlichen an all das geglaubt.
In meinen wirklich grandiosen Momenten hätte ich damals gesagt, dass 8chan eine Einrichtung des Anarcho-Kapitalismus ist: Ihr seid alle Board-Betreiberinnen und -Betreiber und ihr arbeitet alle zusammen in diesem Kollektiv, um sicherzustellen, dass wir bestimmte Prinzipien haben. Aber jetzt sehe ich, dass es im Grunde Feudalismus war.
Vieles davon deckt sich mit meinem Verständnis des Kapitalismus. Fühltest Du Dich zu dieser Zeit in irgendeiner Weise zu Bernie oder Trump hingezogen, als Alternativen zum Establishment?
Bernie Sanders hat mich immer interessiert. Und ich würde sogar sagen, dass ich einer der wenigen Menschen bin, die Bernie Sanders zuerst unterstützt haben und dann wütend auf das Establishment der Demokraten wurden, als er verlor.
Ich zog auf die Philippinen und dadurch wurde die US-Politik in meinem täglichen Leben weniger wichtig. Sie beeinflusste mein Leben kaum noch – obwohl das, was wir taten, offensichtlich einen negativen Einfluss auf das politische Leben zu Hause hatte.
Beide Watkins-[Männer] waren Trump-Anhänger. Haben sie das offen gezeigt?
Nun, sie wurden zu Trump-Anhängern. Bevor [Trump seine Präsidentschaftskandidatur 2015 ankündigte], waren sie keine Trump-Unterstützer. Aber dann wechselten sie schnell auf seine Seite.
Hast Du das Gefühl, dass sie politisch überzeugt waren oder waren sie nur Nihilisten, die ein Spiel spielten?
Sie sind in dem Sinne nihilistisch, als dass sie nicht glauben, dass das, was sie tun, funktionieren wird. Aber sie dachten auch, dass es cool wäre, wenn es funktionieren würde – wenn es also einen faschistischen Putsch gäbe. Sie glaubten, dass eine Menge Probleme gelöst würden, wenn man alle Politikerinnen und Politiker aufreihen und erschießen würde.
Ich denke, man trifft es genauer, wenn man sagt, dass sie Faschisten sind, die nicht sehr zuversichtlich sind, dass sie ihren Willen durchsetzen werden. Aber diese Vision des Bruchs reizt sie so sehr an QAnon.
Ich habe QAnon vermieden, obwohl das Thema viele Klicks bekommen würde. Du denkst, dass Ron Watkins »Q« ist?
Er wurde zu »Q«. Auf jeden Fall.
Meinst Du, dass es am Anfang wahrscheinlich ein Trump-Mitarbeiter war oder jemand anderes?
Ob es ein Trump-Mitarbeiter war oder nicht, kann ich nicht wissen. Ich glaube eher nicht, dass es so war. Denn wenn man durch die Archive des /pol/-Board auf 4chan schaut, kann man sehen, dass es viele ähnliche LARPer gab – so nannten wir sie. Es waren Leute, die vortäuschten [etwas] zu sein.
Aber diesen Leuten wurde irgendwann langweilig. Entwedersie hörten auf zu posten oder gaben zu, dass alles nur vorgetäuscht war und verschwanden dann.
Bei »Q« ist das nie passiert – sie haben das Spiel nie aufgegeben. Das machte es [das Profil] für Ron Watkins so wertvoll.
Die Frage nach der freien Meinungsäußerung wurde in Reaktion auf 8chan und seine Entwicklungen oft gestellt. Was sollte Deiner Meinung nach getan werden? Einerseits gibt es in den USA bereits Gesetze gegen direkte Anstiftung und eine Menge anderer Dinge. Und es scheint, als ob die Probleme bei 8chan daraus erwuchsen, dass diese bestehenden Gesetze und Regeln nicht durchgesetzt wurden und es keinen Mechanismus gab, um die Eigentümer für die Nicht-Durchsetzung zu bestrafen.
Es ist nicht so, dass es diese nicht gab. Es gibt sie auch heute nicht. Wir sind in der gleichen Situation. Es gibt überhaupt keine Möglichkeit, etwas zu erzwingen oder zu bestrafen.
Was sollte dann unternommen werden?
Nun, ich enttäusche Dich nur ungern, aber ich bin Computerprogrammierer und heutzutage arbeite ich hauptsächlich als Schriftdesigner. Ich bin nicht die beste Person, um Dir zu sagen, wie die Zukunft des Internets aussehen sollte.
Aber das Internet ist ein Ort, auf den Du großen Einfluss hattest!
Wenn wir jetzt nicht anfangen, einige Regeln online durchzusetzen, wird sich das Internet zersplittern und wir werden etwas Großartiges verlieren. Die Menschen werden auf diese Ära des offenen Internets als die Zeit vor dem nationalen Wandel zurückblicken. Man kann zwar E-Mails versenden, aber man ist nicht wirklich in der Lage, sich auf den Webseiten [anderer Leute] einzubringen und diese sind nicht in der Lage, sich auf Deinen einzubringen. Jeder setzt das lokale Recht durch – das nennt man Cyber-Souveränität, richtig?
Jedes aktuelle Abkommen sieht die Durchsetzung lokaler Gesetze auf Webseiten vor. Und Webseiten weigern sich, sich daran zu halten. 8chan wurde in Australien, Neuseeland etc. verboten.
Ich sehe darin die Gefahr, unser globales Internet zu verlieren, wenn wir keine internationale Lösung finden und einige Standards im international verfügbaren Internet durchsetzen. Denn wenn die USA weiterhin ineffektiv regiert werden und einen Kongress haben, der nicht in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, wird kein anderes Land seine Bürgerinnen und Bürger auf unser Internet zugreifen lassen wollen. Und das wird dem gesamten Internet schaden. Jedes Land wird eine große Firewall haben, wie China und Russland. Die werden überall gebaut. Es gibt sogar eine in Thailand, obwohl das ein kleines Land ist. Dass japanische User einfach auf amerikanische Server rüberwandern, gehört der Vergangenheit an.
Ich stimme Dir zu, dass wir einen Weg brauchen, um bestehende Gesetze und Standards durchzusetzen. Denn Jim und Ron Watkins haben sich als Bundesbeamte ausgegeben, um sich zu bereichern. Das ist eine bundesweite Straftat und sie wurden nie bestraft.
Wir müssen unbedingt anfangen, unsere Gesetze besser durchzusetzen und einsehen, dass das Internet und die Welt nicht voneinander zu trennen sind. Wenn diese künstliche Spaltung weiterhin in den Köpfen unserer [politischen] Oberhäupter existiert und sie davon ausgehen, dass Verbrechen, die online passieren, weniger wichtig sind als Verbrechen, die in der realen Welt passieren, dann wird kein anderes Land wollen, dass seine Bürgerinnen und Bürger sich [in unserem Internet] einbringen. Dieser Aspekt ist mir sehr wichtig. Wir haben ja noch nicht einmal versucht, unsere eigenen Gesetze und Standards einzuhalten. Warum tun wir das nicht, bevor wir darüber hinausgehende, weitreichende Änderungen vornehmen?