04. Dezember 2025
In einer Gesellschaft, in der Fürsorge zur Bürde wird, sind wir nicht wirklich frei, zu lieben.

»Was Liebe braucht, ist Großzügigkeit – doch was wir bekommen, ist Verknappung.«
Beziehungslosigkeit erlebt gerade eine kulturelle Konjunktur. Durch Feuilletons geistert das Gespenst einer »Einsamkeitsepidemie«, insbesondere unter jungen Menschen. Studien wollen beweisen, dass alleinstehende Frauen glücklicher und gesünder sind. In den sozialen Medien fluten Videos unter dem Hashtag #livingalone die Feeds, in denen man Menschen dabei zusehen kann, wie sie in sanftem Mood-Lighting ihre Wohnung putzen, in aller Seelenruhe Tagebuch schreiben, ausgedehnt Sport treiben oder pedantisch ihre zehnstufige Hautpflege absolvieren – alles in ästhetisch eingerichteten, perfekt aufgeräumten, aber völlig menschenleeren Wohnungen. In einer Gesellschaft, die zunehmend vereinzelt, wirkt es auf den ersten Blick wie ein Triumph, sich selbst genug zu sein. Wer ausreichend »Selbstliebe« betreibt, so der Subtext, ist zumindest immun gegen Herzschmerz.
Ob das Anlass zur Sorge oder Ausdruck von Fortschritt ist, hängt ganz davon ab, wen man fragt. Auffällig ist aber: Beziehungslosigkeit wird vor allem auch als Befreiungsschlag von der Arbeit inszeniert, die Beziehungen machen: Endlich will keiner mehr was von mir. Es sind Momentaufnahmen einer überforderten Gesellschaft, in der Menschen so unter Druck stehen, dass die Zuwendung zu anderen zu einem weiteren Posten auf einer viel zu langen To-do-Liste verkommt. Was unter allem zu wabern scheint, ist am Ende weniger eine Absage an die Liebe an sich, sondern vor allem ein kollektiver Erschöpfungszustand.
Wenn man abends so überreizt und ausgelaugt nach Hause kommt, dass man zu kaum mehr imstande ist, als apathisch auf einen Bildschirm zu glotzen, dann kann man es den Leuten kaum verdenken, nicht auch noch massive Kapazitäten für andere Menschen zu haben, deren persönliche Bedürfnisse sich nicht so leicht terminieren lassen wie der Projektplan im Job. Wenn selbst die Erholung am Feierabend der strengen Choreografie einer »Abendroutine« folgen muss – damit Sport, Haushalt und Erholung in den eng getakteten Ablauf passen und man am nächsten Tag wieder funktionstüchtig ist –, dann erscheinen andere Menschen mit ihren unbeständigen, manchmal störrischen und vor allem grundlegend individuellen Bedürfnissen tatsächlich erstmal wie ein Störfaktor.
»Wer gelernt hat, dass nichts sicher ist – weder die Arbeit noch die Wohnung noch die Zukunft –, beginnt irgendwann, auch zwischenmenschlich zu haushalten.«
Es kommt nicht von ungefähr, dass in einer Gesellschaft, in der wir immer mehr Zeit mit unserer bloßen ökonomischen Existenzsicherung zubringen – 2023 wurde in Deutschland so viel gearbeitet wie noch nie seit der Wiedervereinigung –, immer weniger Raum bleibt für alles, was sich den Rhythmen der Erwerbsarbeit nicht nahtlos unterordnen lässt. Die Merz-Regierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, Arbeitgebern einen noch umfänglicheren Zugriff auf unsere Zeit zu verschaffen.
Das ist der Zweck ihrer Agenda, das Arbeitszeitgesetz zu reformieren und den Achtstundentag auszuhebeln. Besonders perfide daran ist, dass die Regierung das Ganze als »Flexibilisierung« verkauft, die es uns ermöglichen soll, selbstbestimmter und freier über unsere Zeit zu verfügen. In der Realität passiert durch diese Offensive genau das Gegenteil: Unsere Souveränität über unsere Lebenszeit schwindet noch weiter dahin, wenn unsere Arbeitgeber uns noch flexibler einsetzen können, weil die Regierung den hart erkämpften Schutz abmontiert, der jene Zeiträume vor den Händen unserer Chefs abschirmt, die wirklich uns gehören.
Was Liebe braucht, ist Großzügigkeit – doch was wir bekommen, ist Verknappung. In einer Gesellschaft, in der Menschen immer mehr arbeiten, nicht um aufzusteigen, sondern um nicht abzurutschen, wo jahrelang an sozialen Sicherheiten, an öffentlicher Fürsorge und an allem, was das Leben verlässlich macht, gespart wird, verengt sich nicht nur das Materielle, sondern auch das Zwischenmenschliche. Wer gelernt hat, dass nichts sicher ist – weder die Arbeit noch die Wohnung noch die Zukunft –, beginnt irgendwann, auch zwischenmenschlich zu haushalten. Man spart an Zeit, an Aufmerksamkeit, an Geduld, an Zuwendung – man spart aneinander. So greift die Logik der Knappheit irgendwann dorthin, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat.
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Astrid Zimmermann ist Contributing Editor bei Jacobin.