26. August 2024
Investoren dürfen sich in Deutschland nicht in Anwaltskanzleien einkaufen. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsberatung gewahrt werden. Das könnte sich bald ändern: Verbraucher müssten dann für den Profit von Investoren zahlen.
Die Übernahme der Rechtsanwaltsgesellschaft Halmer UG durch die österreichische Beteiligungsgesellschaft Sive wirkt auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Unternehmenskauf, wie er täglich mehrfach in Deutschland stattfindet. Was den Fall aus dem Jahr 2021 so besonders macht: In Deutschland gilt für Anwaltskanzleien ein Fremdbesitzverbot: Finanzinvestoren dürfen kein Eigentum an Anwaltskanzleien kaufen. Doch genau das könnte sich bald ändern – mit gravierenden Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher.
Aufgrund der verbotenen Übernahme hat die Münchener Rechtsanwaltskammer der Halmer UG die Anwaltslizenz entzogen. Ihr Geschäftsführer Daniel Halmer hat dagegen Klage eingereicht. Mittlerweile verhandelt der Europäische Gerichtshof (EuGH) über das Fremdbesitzverbot. Für den Kläger ist klar: Das Fremdbesitzverbot verstößt gegen das EU-Recht. Schließlich gilt in der Europäischen Union das Recht auf freien Kapitalverkehr, freie Wahl der Niederlassung sowie Dienstleistungsfreiheit. Investoren dürfen sich innerhalb der EU also frei aussuchen, wo und wie sie ihr Geld investieren. Mit einer Ausnahme: Hat die Allgemeinheit ein Interesse daran, dass diese Investitionen in bestimmten Bereichen eingeschränkt werden, darf ein Gesetz auch gegen diese EU-Richtlinie verstoßen. Die Frage lautet also: Leidet die Allgemeinheit darunter, wenn fremde Investoren Anwaltskanzleien übernehmen?
Der Gesetzgeber begründet das Fremdbesitzverbot unter anderem wie folgt: Dienstleistungen wie etwa die Rechtsberatung erachtet der deutsche Staat als besonders wichtig für die Bevölkerung. Daher vertraut er reinen Kapitalinvestoren nicht, solche Dienstleistungen zu kontrollieren. Denn: Wer eine Anwaltskanzlei als Investition sieht, hat keineswegs die Qualität der Rechtsberatung der Mandantinnen und Mandanten im Sinne. Wer dort investiert, möchte Geld verdienen – und zwar möglichst mehr als bei anderen Investitionen. Schließlich investieren Kapitalgeber in den seltensten Fällen aus moralischer Pflicht. Für gewöhnlich wählen sie aus vielen Optionen, und entscheiden sich für die Investition, deren Chance-Risiko-Verhältnis am höchsten ist. Ob die Verbraucherinnen und Verbraucher darunter am Ende leiden, spielt in den seltensten Fällen eine Rolle.
»Gehört die Anwaltskanzlei dem Versicherer, wird er alles dafür tun, um die Kosten minimal zu halten, anstatt im Interesse der Kunden möglichst hohe Zahlungen zu verhandeln.«
An dieser Stelle zeigt sich auch, wer daran interessiert ist, dass das Fremdbesitzverbot fällt: Großunternehmen, die auf Rendite in einem Markt hoffen, der ihnen bislang vorenthalten ist. Auf den ersten Blick sind das Finanzinvestoren. Doch ein genauerer Blick verrät, dass auch andere Branchen besonders profitieren würden. Das wäre einerseits die Versicherungsbranche. Bisher zahlen Versicherer hohe Summen an Kanzleien, die für sie verhandeln. Durch eigene Kanzleien könnten Versicherungen das in Zukunft selbst übernehmen. Das eröffnet ihnen neue Einsparpotenziale – für die Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet das meist einen geringeren Service.
Andererseits würden auch Legal-Tech-Unternehmen von einem offenen Markt profitieren. Diese Unternehmen brauchen viel Kapital, um Software entwickeln zu lassen, mit der sie Tausende Einzelklagen zusammenfassen und große Sammelklagen einleiten können. Ein Beispiel dafür ist etwa Flightright, das sich auf die Erstattung von ausgefallenen oder verspäteten Flügen fokussiert. Steigen Investoren in den Markt ein, erhalten die Legal-Techs schnell weiteres Kapital für neue Softwarelösungen.
Das klingt zunächst nach einem Vorteil für Verbraucherinnen und Verbraucher – es ist aber keiner. Das Konzept ist zwar komfortabel, denn sie zahlen nur dann, wenn sie Recht bekommen. Dafür nehmen die Unternehmen jedoch horrende Provisionen von teils über 30 Prozent für ihre Leistung. Noch dazu bietet ein Legal-Tech-Unternehmen keinen Service für all diejenigen, deren Fälle vom Standardfall wie einer Flugverspätung abweichen. Von einer individuellen und qualitativ hochwertigen Rechtsberatung kann dort also keine Rede sein.
Ein noch deutlicheres Bild zeigt sich bei den Versicherern. Auch hier würden Verbraucherinnen und Verbraucher keineswegs von einem Ende des Fremdbesitzverbots profitieren. Schließlich stehen ihre Interessen fundamental gegen die Interessen des Versicherers. Das Interesse der Anwältinnen und Verbraucher besteht darin, im Schadensfall möglichst die gesamten Kosten auszugleichen. Für den Versicherer selbst steigen diese Anwaltskosten jedoch mit Qualität und Dauer: Je länger und detaillierter ein Schadensfall abläuft, desto höher sind die Kosten für den Versicherer. Gehört die Anwaltskanzlei nun diesem Versicherer, wird er alles dafür tun, um diese Kosten minimal zu halten, anstatt im Interesse ihrer Kundinnen und Kunden möglichst hohe Zahlungen zu verhandeln.
»FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann spricht bereits seit Beginn der Ampelkoalition davon, das Fremdbesitzverbot für Anwaltskanzleien überdenken zu wollen.«
Dabei liegt genau darin der Sinn des Rechtssystems: Die Daseinsberechtigung von Anwältinnen und Anwälten basiert auf dem Glauben an den Rechtsstaat – und damit auf dem Willen, alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um für ihre Mandantinnen und Mandanten das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Nun lässt sich einwenden, dass dieser romantisierende Blick nicht unbedingt der Realität entspricht: Anwälte kennen und nutzen zahlreiche Wege, die nicht im Interesse ihrer Mandantinnen sind, sondern mit denen sie möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen.
Solche Missstände sollten aber keineswegs dazu führen, den Markt in Richtung Profitmaximierung zu öffnen. Denn die Tendenz zur Gewinnoptimierung ist ein Symptom der Marktkonkurrenz zwischen Kanzleien: Entweder sie wachsen – oder sie verlieren gegen die Konkurrenz. Wird der Markt nun für Kapitalinvestoren geöffnet, verstärkt sich diese Logik nur noch weiter.
Bevor der Geschäftsführer der Halmer UG, Daniel Halmer, mehr als die Hälfte seiner Unternehmensanteile an die österreichische Beteiligungsgesellschaft Sive verkauft hat, war das Unternehmen noch kein ganzes Jahr alt. Noch dazu war die Halmer UG bis zum Verkauf kein einziges Mal anwaltlich tätig. Hinzu kommt, dass sich Halmer und der Geschäftsführer von Sive, Simon Vestner, bereits vor der Übernahme kannten. Vestner ist Gesellschafter der Conny GmbH, einem Legal-Tech-Unternehmen, das Klagen gegen Mietpreiserhöhungen sammelt. Dessen Gründer ist wiederum Daniel Halmer. Der Anwalt Christian Wolf, der die Rechtsanwaltskammer München vor dem EuGH vertreten hat – also jener Instanz, die die Lizenz der Halmer UG entzogen hat, beschrieb diese Tatsachen gegenüber dem Handelsblatt als »konstruiert«. Es stellt sich daher die Frage, ob die Übernahme der Halmer UG lediglich dazu gedacht war, einen Fall vor den EuGH zu bringen, damit das bisherige Investorenverbot fällt.
Ganz egal, ob der Fall nur Mittel zum Zweck war, oder die Beteiligungsgesellschaft Sive tatsächlich eine bisher untätige Anwaltskanzlei aufkaufen wollte: Das Timing war perfekt. Schließlich spricht FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann bereits seit Beginn der Ampelkoalition davon, das Fremdbesitzverbot für Anwaltskanzleien überdenken zu wollen. Dazu erteilten ihm aber vor einem halben Jahr die Anwältinnen und Anwälte selbst eine Absage: In einer Umfrage des Bundesjustizministeriums gaben knapp zwei Drittel der Befragten an, dass eine Beteiligung durch Kapitalinvestoren für sie nicht infrage kommt. Zu hoch seien die Gefahren für die Qualität und Unabhängigkeit der Rechtsberatung. Kein Wunder, schließlich profitieren weder die meisten Anwältinnen noch die Verbraucher, sondern Legal Techs und Großkonzerne aus der Versicherungsbranche. Dennoch sieht derzeit alles danach aus, als würde das Fremdbesitzverbot fallen – und damit eine der letzten Hürden, die der Liberalismus in Deutschland vorfindet.
Moritz Kudermann hat Wirtschaft, Geschichte und Politik studiert. Er arbeitet für eine unabhängige Redaktion und schreibt regelmäßig Texte über Wirtschafts- und Finanzthemen.